'Die Tochter des Buchdruckers' - Seiten 104 - 214

  • Auch ich bin sehr gespannt, was genau sich hinter der "Liebesunfähigkeit" von Andreas verbirgt. Ist er schwul? Oder hat es psychische Gründe? Ich hoffe, wir werden noch aufgeklärt. ;-)


    Rieke wird ja wirklich von Kapitel zu Kapitel unsympathischer. Bis jetzt konnte ich noch keine gute Seite an ihr entdecken. Ist sie wirklich durch und durch schlecht?


    Die Pest wütet in Frankfurt und Judith erkrankt daran. Es sieht aber so aus, als würde sie überleben. Wäre ja auch schön, wenn das noch was werden würde mit ihr und Lennart. :-)


    Lila - ist und bleibt durch ihre Vergangenheit undurchsichtig. Sehr sympathisch, aber bei ihr ist alles möglich.


    Und dann Marga - den Mann ist sie zum Glück ( erst mal ) los und auch ihr Sohn scheint in seine Schranken verwiesen.
    Und sie hat jetzt diese grandiose Idee mit der täglichen Herausgabe einer Zeitung. Ich wünsche ihr viel Erfolg. :-)

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Jetzt bin ich erst einmal gespannt, was mit Trajan passiert, der ja ausgerechnet Andreas Geisenheimer in die Arme läuft.


    Ob er ihm die Wahrheit über seine Frau sagt? Und wie wird Andreas in diesem Fall reagieren?


    Trajan trifft es ja schon sehr hart, betrogen, benutzt, keine Arbeit, die Familie durch die Pest verloren.
    Ihm würde ich etwas Glück gönnen.

  • Beo,


    ich finde den Namen Trajan einfach schön. Er musste jedoch ein wenig anders sein, damit klar wird, dass ER ein wenig anders ist. Ein Jakob oder Heinrich wäre da meiner Meinung nach nicht so gelungen.



    zu Rieke:
    Bitte, nennt meine arme Rieke nicht böse. Sie ist es nicht. Sie hat ein Ziel. Sie hat Angst. Sie wird von ihrem Mann vernachlässigt. Was soll sie tun? Der ausbleibende Erbe wird ihr angelastet, nicht ihrem Mann.


    Letztendlich ist keine der Frauen nur gut oder nur böse. Sie alle haben Abgründe. Sie alle haben auch Stärken.


    Frage an alle:
    Seid Ihr der Meinung, dass immer alle auftretenden Fragen in einem Roman eine Antwort bekommen müssen?

  • Meine Verneinung war spontan und rein gefühlsmäßig.


    Im folgenden versuche ich mal aufzuführen, wie dieses Thema in Romanen für meinen Geschmack behandelt werden sollte.
    Klar ist, dass es da keine einfache Lösung gibt, die für jeden Leser die Richtige ist.
    Die literaturwissenschaftlichen Abhandlungen dazu habe ich auch gerade nicht zur Hand!
    Also lege ich mal einfach los.


    Einteilung in Kategorien, wie ich sie im Idealfall bevorzuge:


    Kategorie: Muss beantwortet werden:
    - Aus dem was ich lese, sollte sich ein schlüssiges Bild ergeben. Wenn die gesellschaftlichen, politischen und zeitlichen Bedingungen mehr oder weniger ausgeblendet werden, ergibt sich bei mir ein Fragezeichen.
    Bei Die Tochter des Buchdruckers hingegen erlebe ich ein Deutschlandbild mit konkreten Lebensproblemen der Protagonisten vor dem Hintergrund des 30jährigen Krieges.


    Anderes Beispiel: Bei E.L.Doctorows Der Marsch ergibt sich ein deutliches Bild aus der großen Vielzahl an handelnder Beteiligter, die die Situation des amerikanischen Bürgerkriegs jeweils aus ihrer Sicht wahrnehmen. Der Leser hat dadurch die Möglichkeit, wie bei einem Puzzle ein Gesamtbild zu erhalten.
    Negativbeispiele wären dann verkappte historische Liebesschmöker, bei denen der historische Hintergrund nur als Kulisse genutzt wird. Dass da etwas am Gesamtbild fehlt, merkt man sofort. Das gilt auch für manch Mystery-Abenteurroman, der in der Vergangenheit angesiedelt ist, aber letztlich nur von der Action lebt. (Damit will ich nicht den Unterhaltungswert dieser Bücher herabwürdigen, wenn sie gut geschrieben sind, erfüllen sie diese spezifische Funktion. Aber auch nur diese!)


    - Die Frage nach der Motivation der handelnden Protagonisten sollte erkennbar sein.
    z.B. ein finsterer Schurke, der die „Guten“ bedrängt, nur weil er „böse“ ist, das ist zu wenig!
    Deshalb hat mir Rieke als Charakterentwurf so gut gefallen.


    - Die Beziehungen der Protagonisten zueinander sollten erkennbar sein.
    Ich mag es nicht, bei historischen Romanen rätseln zu müssen, wie die verschiedenen Personen miteinander verwandt sein. Gerade bei Adels- und Königsfamilien manchmal schwierig.
    Bei Die Tochter des Buchdruckers war das gut gemacht, ich hatte keine Probleme und brauchte keinen Stammbaum.



    Kategorie Egal:
    Es gibt Fragen wie zum Beispiel die nach dem Mörder bei Krimis oder ob es ein Happy End gibt bei Liebesgeschichten, die können von mir aus ruhig beantwortet werden. Viele Leser interessiert das.


    Kategorie: Frage offen lassen bevorzugt
    Dann kann man noch abgrenzen zu Fragen die beantwortet werden können, aber nicht zwangsläufig müssen und wo ich es eigentlich bevorzuge, wenn es offen gelassen wird.
    - Ich mag es, wenn der Lebensweg einer Romanfigur nicht bis zum Schluss vorgezeichnet ist, Ausnahme sind da natürlich historisch belegte Figuren.


    - Die Entscheidungsfindung der Protagonisten setzt sich i.d.R. aus mehreren Kriterien zusammen. Ich finde es besser und realistischer, wenn dann nicht ein Grund alleine für eine Handlung vorgegeben ist.


    - Manchmal bleibt ein Roman bewusst rätselhaft und gerade daraus ergibt sich ein Lesereiz. Stellvertretend möchte ich die Dorothy Dunnett-Romane um das Haus Niccolo erwähnen. Das heißt nicht, dass es hier keine Antworten existieren. Im Gegenteil: Meisterhaft sind die unterschiedlichen Beziehungen der Figuren in einem fast undurchdringbaren Netz miteinander verknüpft. Der Leser kann sich je nach Leseart lange damit beschäftigen.


    Kategorie Keine Amtwort möglich:


    - Manchmal sind die Antworten in Romanen zu einfach als das sie glaubwürdig wirken. Dafür gibt es klar die rote Karte!


    - Dann gibt es Fragen philosophischer Art, die sich mit den elementaren, existenziellen Themen des Lebens beschäftigen und die einfach nicht abschließend zu beantworten sind. Nur Douglas Adams konnte die Frage nach dem Sinn des Lebens beantworten. Nur niemand hat die Antwort verstanden.
    Ein Autor, der da die Antwort liefert, hilft mir auch nicht, da es wahrscheinlich nicht unbedingt meine Lösung ist. Die Antwort solcher Art muss ich selber finden, da bin ich Romanen dankbar, die diese Fragen überhaupt ansprechen, die Problematik der Themen transparent machen.


    -



    Abschließend kommt es auch noch darauf an, wie eine Antwort in Romanen formuliert ist.
    Wenn das zu essayistisch gestaltet ist, wirkt das uneleganter als wenn es sich aus der Handlung heraus ergibt. Für essayistische Einschübe braucht es echte Könner.
    Bei historischen Romanen ist immer die Versuchung, die Antworten aus den historischen Fakten herauszulesen. Aber dann brauche ich keinen Roman, sonder kann gleich zum Gecshichtsbuch greifen.
    Der Leser ist auch immer mit im Spiel und in der Verantwortung.
    Man neigt manchmal dazu, aus einem Roman heraus zu lesen, was überhaupt nicht drin steckt. Oder die eigene Leben- und Leseserfahrungen lassen einen vorschnell zum möglicherweise falschen Schluß greifen.


    Die Beziehung Autor und Leser muss stimmen, dann funktionieren auch Fragen ohne Antworten!

  • Oh, Herr Palomar,


    ich danke dir für die Mühe, die du dir gemacht hast. Ich muss über einige Punkte noch genauer nachdenken.


    Für mich ist die Indiskretion manchmal ein Problem. Auch Papiermenschen haben eine Intimssphäre, die es meiner Meinung nach zu respektieren gilt. Ich muss nicht jeden Körpervorgang, jeden heimlichen Gedanken mitteilen. Und ich darf manches nicht schreiben, um meine Person nicht zu verraten oder zu beschädigen. So erging es mir mit Andreas. Er hat ein Problem mit seiner Ehefrau. Das Problem liegt bei ihm. Ist die Aufdeckung wichtig für die Romanhandlung oder reicht das Problem an sich aus? Müssen die Leser unbedingt erfahren, ob er schwul oder asexuell oder einfach nur nicht angezogen ist von seiner Frau? Ich habe mich für die Diskretion entschieden.


    Aber: Haben Romanfiguren tatsächlich eine Intimssphäre, die Autor und Leser zu berücksichtigen haben? Oder entstehen gute Romane hauptsächlich dadurch, dass der Autor diese Grenze überschreitet?

  • Zitat

    Original von Ines
    zu Rieke:
    Bitte, nennt meine arme Rieke nicht böse. Sie ist es nicht. Sie hat ein Ziel. Sie hat Angst. Sie wird von ihrem Mann vernachlässigt. Was soll sie tun? Der ausbleibende Erbe wird ihr angelastet, nicht ihrem Mann.


    So wirkt Rieke nicht auf mich.


    Sie ist total egoistisch und kalt, jeder andere Mensch ist ihr so was von egal und wird nur für ihre Zwecke benutzt.
    So wirkt Rieke auf mich.


    Vielleicht ändert sich dies im Laufe des Buches ja noch, wer weiss. ;-)

  • Den Abschnit habe richtiggehend durchflogen, der Plott ist klasse aufgebaut.
    Ein Glück daß die Abschnitte so kurz sind, ich glaube bei längeren Abschnitten mit Rieke würde ich leicht dazuneigen schnell drüber weg zu lesen. Rieke in kleinen Dosen ist ok und auch notwendig für den Fortgang der Geschichte. Mögen tue ich sie trotzdem nicht, sie ist mir einfach zu Ich-bezogen. Das Kind dürfte unter ihrer Fuchtel auch ziemlich verkorkst werden, wehe wenn da mal was nicht nach ihrem Geschmack läuft. Und bei Kindern ist es doch normal, daß sie tun was sie wollen und nicht was ihre Eltern erwarten.


    Was es mit Lila auf sich hat? Ich habe ehrlich gesagt keine Idee. Da muss doch mehr als nur die falsche Religion dahinterstecken. Was hat denn der Siegelring zu bedeuten? Vielleicht hat sie sich in Antwerpen Feinde gemacht. Daß sie die Bauern übers Ohr haut wundert mich ein bisschen, das passt eigentlich nicht so richtig zu ihr und ihrem Perfektionismus. Allerdings wer weiss schon was Menschen tun, wenn sie wirklich verzweifelt sind.


    Trajan kann einem nur leid tun, jetzt stirbt ihm auch noch die Familie. Und von Rieke ist er so geblendet, da er tatsächlich meint sie zu lieben.


    Judith hat die Pest. Wie hochwar eigentlich die Wahrscheinlichkeit diese Krankheit zu überleben? Oder jemanden zu pflegen und sich dabei nicht anzustecken?


    Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es weiter geht. :-)

  • Zitat

    Original von Büchersally
    Den Ausdruck Sternenkinder fand ich schön. :-)


    Ich auch :-]!! Ist der eine Erfindung von dir, Ines oder gab es ihn wirklich?


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Wie schwer es für Lila gewesen sein muss. Nicht nur vor Frankfurts Bevölkerung musste sie ihre Vergangenheit geheimhalten, auch vor Arno, ihren eigenen Mann, den sie doch so liebt.


    Am schlimmsten finde ich, dass er in den Krieg zieht ohne Bescheid zu wissen. Theoretisch ist es doch möglich, dass sich beide nicht lebend wiedersehen, was für ein "furchtbares" Geheimnis und welche Angst muss Lila haben, dass sie dieses Risiko eingeht?
    *Predigt-Modus on* Deshalb soll man nie im Streit auseinandergehen :grabrede *Predigt-Modus off*


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Der Sohn, Konstantin, ging mir beim Lesen übrigens schwer auf die Nerven, vor allem durch seine unflätige Sprache!


    Bei Konstantin bekam ich auch Aggressionen - ok, letztendlich ahmt er nur das Verhalten seines Vaters nach, aber wir furchtbar, wenn nicht nur der Mann, sondern auch der eigene Sohn die Mutter wie Dreck behandelt :fetch


    Zitat

    Original von Richie
    Übrigens, interessant fand ich woher der Name Lotterwirtschaft kommt.


    Ja das habe ich mir auch notiert, super! :write


    Zitat

    Original von Bouquineur
    Schwul? Kein abwegiger Gedanke. Das ging mir bei der Schilderung, als sie sich auf seinen Schoß setzt, auch durch den Kopf. Er versteift sich, lässt die Arme rechts und links des Stuhles bewusst hängen. Das sind eigentlich Zeichen von innerer Abwehr.
    Aber warum hat er sie dann geheiratet? Sie kommt aus einem verarmten Rittergeschlecht, war also so gesehen keine gute Partie und den Segen seiner Mutter hat er wohl auch nicht gehabt. Es bestand also kein "Zwang", sie zu heiraten. Der Schilderung nach hatte ich zumindest da das Gefühl, sie habe ihm den Kopf verdreht. Das war dann aber mit der Eheschließung schlagartig vorbei und hat nicht mal mehr für die Hochzeitsnacht gereicht *g*


    Dass Andreas schwul ist, war auch meine Vermutung und ich kann es mir so vorstellen, dass Rieke (die ja offenbar recht offensiv die Mission "einen Geisenheimer heiraten" angegangen ist) ihn regelrecht überrumpelt hat und wahrscheinlich wusste Andreas - vorausgesetzt er ist wirklich schwul - , dass es für ihn sowieso undenkbar ist, so zu leben, wie er es sich vielleicht wünschen würde. Also lieber nach außen den braven Patrizier mimen und sich der gesellschaftlichen Norm unterwerfen.


    Zitat

    Original von Sigrid2110
    Arno und Andreas Geisenheimer bleiben sehr blass, werden wenig beschrieben, wobei auch hier die Aufteilung klar scheint: Arno gut, Andreas böse.


    Ich empfinde Andreas überhaupt nicht als böse, eher als gestraft mit dieser Frau... Unglücklich sind sie garantiert beide.


    Zitat

    Original von Ines
    zu Rieke:
    Bitte, nennt meine arme Rieke nicht böse. Sie ist es nicht. Sie hat ein Ziel. Sie hat Angst. Sie wird von ihrem Mann vernachlässigt. Was soll sie tun? Der ausbleibende Erbe wird ihr angelastet, nicht ihrem Mann.


    Rieke zu mögen oder auch nur mit ihr mitzufühlen fällt mir allerdings (noch?) schwer. :rolleyes


    Zitat

    Original von Ines
    Aber: Haben Romanfiguren tatsächlich eine Intimssphäre, die Autor und Leser zu berücksichtigen haben? Oder entstehen gute Romane hauptsächlich dadurch, dass der Autor diese Grenze überschreitet?


    Hmm ich glaube das ist von Fall zu Fall verschieden, so ähnlich wie Herr Palomar schrieb: es muss glaubwürdig sein und darf nicht zu Logik-Holperern führen. Bei deinem Beispiel von Andreas muss ich den wahren Grund für sein Verhalten nicht kennen, weil es letztendlich für mich keinen Unterschied macht, wie ich ihn sehe (ob schwul oder nicht oder von Rieke angewidert - wobei letzteres irgendwie nicht zu ihm passt :gruebel). In anderen Fällen würde ich es vielleicht eher wissen wollen, wenn die eigenen Spekulationen zu völlig anderen "Beurteilungen" der Figur führen könnten. Hm. Ich suche noch nach einem Beispiel.

  • Liebe Milla,


    ich bin gespannt auf dein Beispiel.



    Sternenkinder:


    Als Kind (und jetzt auch noch) hatte ich die ganze Nase voller Sommersprossen. Im Kindergarten ärgerten mich die anderen Kinder: "Äh, die hat Teufelsschisse auf der Nase!"
    Meine Oma, zu der ich heulend rannte, erklärte mir dann, wie Sommersprossen entstehen. Das ist nämlich so: Wenn ein Kind geboren wird und zur gleichen Zeit ein Stern vom Himmel fällt, dann gerät Sternenstaub auf die Nase des Neugeborenen und es entstehen Sommersprossen. Das Kind wird zum Sternenkind, also zum Glückskind. So ist das, jawohl!

  • Zitat

    Original von Ines
    Aber: Haben Romanfiguren tatsächlich eine Intimssphäre, die Autor und Leser zu berücksichtigen haben? Oder entstehen gute Romane hauptsächlich dadurch, dass der Autor diese Grenze überschreitet?


    Ich möchte mich beim Lesen ganz in eine Figur hineinversetzen, sie und ihr handeln verstehen. Eine Intimsphäre ist für mich da eher hinderlich. Vielleicht ist es die Lust am Beobachten oder ein heimlicher Voyeurismus, ich weiß es nicht *g*


    Mir ist es daher schon wichtig zu wissen, was mit Andreas los ist.

  • Liebe Bouquineur,



    jeder Leser hat ein anderes Bild von den Figuren. Ich denke, dein Bild von Andreas ist nicht unbedingt deckungsgleich mit meinem Bild von ihm.


    Willst du wirklich alles über einen anderen Menschen wissen? Auch im wirklichen Leben?
    Ich habe lange darüber nachgedacht und mit anderen darüber gesprochen. Eine Freundin sagte mir neulich: Ich möchte gar nicht alles über meinen Mann wissen. Er ist für mich das Sinnbild an Sicherheit und Zuverlässigkeit. Wenn ich in seine Abgründe schauen müsste, wäre womöglich das Sinnbild in Gefahr. Das wäre schlimm.


  • Naja, die Frage nach der Homosexualität war nicht von mir, sondern die ergab sich hier auch aus den Einschätzungen meiner Mitleser. Ich habs nur in konkrete Worte gefasst ;-)


    Ich muss nicht alles über einen anderen - realen - Menschen wissen. Aber ich möchte alles über die Papiermenschen wissen, von denen ich lese. Ich mag es nicht, wenn gerade solche Dinge am Ende offen bleiben. Das hinterlässt bei mir eine gewisse Ratlosigkeit und auch Hauch von Unzufriedenheit. Ich habe dann das Gefühl, dass mir etwas vorenthalten wurde.

  • Hmm, Bouquineur,



    was soll ich jetzt machen? Es gibt keine Antwort auf die Frage nach Andreas´Problem. Ich weiß nicht, warum er seine Frau nicht begehrt. Homosexuell denke ich ihn mir nicht. Vielleicht hat er einfach Wichtigeres vor, vielleicht erscheint ihm der Beischlaf mit Rieke auch einfach nicht erstrebenswert. Womöglich liebt er sie nicht nur nicht, sondern verabscheut sie geradezu. Vielleicht riecht sie auch nur komisch.


    Was soll ich tun, damit du nicht enttäuscht bist?


    fragt Ines

  • Ich bin nicht enttäuscht :-)


    Deine Antwort weckt wieder ganz neue Perspektiven und Ansatzpunkte.


    Ich mag das Buch Ines, sonst würde ich hier gar so fleißig mitdiskutieren. (Wenn es mir nicht gefallen hätte, hätte ich mich hier rar gemacht :-) )


    Du hast tolle Figuren geschaffen, die einen wunderbaren Spielraum für angeregte Diskussionen lassen. Mehr kann man sich als Leser gar nicht wünschen :-)


    Es liegt wohl halt in meiner Natur, das sich gerne nach Ursachen und Gründen suche. Dafür kann der arme Andreas nix :-)

  • Zitat

    Original von Ines
    Oh, Herr Palomar,


    Aber: Haben Romanfiguren tatsächlich eine Intimssphäre, die Autor und Leser zu berücksichtigen haben? Oder entstehen gute Romane hauptsächlich dadurch, dass der Autor diese Grenze überschreitet?


    Eine interessante Frage, die ich für mich nicht generell beantworten kann. Es kommt hier tatsächlich auf den Einzelfall an.
    Grundsätzlich schätze ich es, wenn eine Figur ihre Geheimnisse behält.
    Andererseits: Wenn der Autor bei den Details weit geht, kann das eine große Wirkung erzielen.
    Ich hoffe in Romanen auf Erkenntnisse aus dem Extrem heraus, dann muss die Figur das aber auch rechtfertigen. Andreas, der ja passiv angelegt ist, kann seine Intimität von mir aus gerne behalten, für die Romanentwicklung ist es nicht erforderlich, dass er sich entblösst.
    In manchen Romanen erfahre in zu viel unnötiges von einer Figur. Das ist auch eine Gefahr.
    Nicht so sinnvoll scheint es mir, eine Romanfigur mit Charaktereigenschaften zu überfrachten, wenn dann die einzelnen Eigenschaften nicht zusammen passen oder in der Summe nicht schlüssig wirken. Das ist der Grund warum eine Figur unter Umständen nicht verstanden wird.


    Ich habe schon Bücher gelesen, in der der Autor sehr weit ging bei der Offenlegung seines Protagonisten. Bei Romanen, die im Prinzip aus inneren und äußeren Monologen in Gedanken und Dialog bestehen, sehe ich hier zum Beispiel gute Möglichkeiten. Wenn der Charakter diese intimen Details selber schonungslos offen schildert, kann das gut funktionieren. Trotzdem sind gerade solche Texte häufig sehr schmerzvoll zu lesen und das ist nicht nach dem Geschmack aller Leser.
    Eine andere Methode erfordert noch mehr Geschick: Eine Figur, an die ich im Zusammenhang dieser Fragestellung denken muss, ist die Protagonistin aus Galgentochter. Der Leser erfährt viel von den Empfindungen des Mädchens und was die Gewalttaten, die ihr zugefügt werden, bei ihr auslösen. Es gibt jedoch eine Lücke, die im Roman ausgeblendet wird, bis es sich im Schlußteil wie eine Explosion entlädt. Das Detail wurde dann nur indirekt verraten (bis auf die finale Schlußszene). Das war so geschickt gemacht, dass die Figur lange nachwirkt und ich als Leser konnte/musste in erhöhtem Maße mitfühlen. Bis zu einem gewissen Grad kann ich die Figur Riekes an diese anlehnen, deshalb ist sie ein wenig sympathischer, aber interessanter Charakter, aber das ist vielleicht nur meine Lesart.

  • Zitat

    Original von Ines
    Liebe Milla,


    ich bin gespannt auf dein Beispiel.


    Also was ich meinte ist, dass die Intimsphäre soweit ignoriert werden sollte, dass die Figuren so beim Leser ankommen, wie sie angelegt sind, mir fällt leider nur ein Beispiel aus der letzten Housewives-Staffel ein, wenn du die noch nicht gesehen hast, suche ich noch ein anderes Beispiel *g*.


    Ansonsten hier im Spoiler:


    Hm, schwierig zu erklären, weißt du trotzdem, was ich meine?