Das kleine, idyllische Städtchen Elm Haven gleicht vielen anderen - mit einem Unterschied: Das Zentrum des Ortes wird von einem gewaltig großen Schulbau beherrscht, der im späten neunzehnten Jahrhundert entstanden ist, als man noch auf einen Aufschwung in der Region hoffte. In Frühsommer 1960 wird die "Old Central" zum letzten Mal benutzt; Dale, Duane und ihre Freunde sind froh, als sie mit der Erwartung in die Sommerferien gehen können, das muffige, unheimliche Gebäude nie wieder betreten zu müssen. Aber die Zwölfjährigen haben vor allem eines im Sinn: Die herrlichen Ferien zu genießen.
Doch dann verschwindet ein Kind spurlos - Tubby, der Spross einer kinderreichen, armen Familie. Da sich offenbar niemand ernsthaft auf die Suche nach dem Jungen macht, werden Dale, Duane und ihre Kumpels zu Hobby-Detektiven. Sie kommen schnell auf die Idee, dass die alte Schule und der Schuldirektor etwas mit der Sache zu tun haben müssen, und auch die olle Miss "Doppelbett", eine Lehrerin der Jungs, scheint in die Angelegenheit verstrickt zu sein. Dann gibt es einen Mordanschlag auf den schlauen Duane: Der nach toten Tieren stinkende Abdeckereilaster jagt ihn in ein Maisfeld, ohne dass der Junge erkennen könnte, wer der Fahrer ist. Duane entkommt nur knapp - vorläufig. Fast zeitgleich macht ein anderer Junge eine grausige Entdeckung. Aber bis zum Showdown in der alten Schule hat der Leser noch einen langen Weg vor sich.
Dan Simmons' frühes Horrorwerk zeichnet eine beschauliche Idylle, die viel vom Gefühl der Sechziger transportiert, und er vermittelt die Atmosphäre der erwartungsvollen Spannung, mit der die Kids in die Ferien gehen, auf sehr nachvollziehbare Weise. Den Geruch der opulenten ländlichen Natur, aber auch den Gestank des Abdeckereilasters meint man fast zu riechen. Es ist auch dem Atmosphäreaufbau geschuldet, dass der Roman nur gemächlich in die Gänge kommt. Tatsächlich ist "Sommer der Nacht" meiner Meinung nach ein ganz klein wenig zu lang - es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sich aus den Einzelereignissen ein Bild formt und die Bedrohung spürbar wird. Damit sei allerdings nicht gesagt, dass der Lesespaß leidet. Im Verhältnis zur etwas unbefriedigenden Auflösung, die eigentlich keine ist (nicht umsonst gibt es eine "Fortsetzung" mit dem Titel "Im Auge des Winters"), erzählt der Autor allerdings zu viel von Details, die letztlich bestenfalls untergeordnete Rollen spielen. Wobei hier von Dan Simmons die Rede ist - ein Autor mit dieser Klasse schafft es eigentlich nie, wirklich zu langweilen.
"Sommer der Nacht" ist ein lesenswerter, gelegentlich extrem spannender Roman, dessen Protagonisten, allesamt Zwölfjährige, nicht immer glaubhaft agieren, dessen Ende nicht sonderlich überrascht und dessen Grundidee im Abgang ein wenig enttäuscht. Auf dem Weg zu diesem Ende reist man mit den Kindern in die amerikanische Vergangenheit, erinnert sich aber auch an alte Ängste und Träume aus der eigenen Kindheit. Alleine dafür verdient Simmons Dank. Will sagen: Der Roman würde auch ohne die Horrorelemente funktionieren. Mit ihnen gehört er zu den anspruchsvolleren des Genres, aber meines Erachtens trotzdem zu Simmons' schwächeren Büchern.