Die entscheidende Nacht - Tobias Wolff

  • Ich lese gerade diese Erzählungen von Wolff, habe jetzt aber bei der vierten Story "Das Leben des Körpers" das Gefühl überhaupt nichts kapiert zu haben.
    Kann mir hier jemand weiterhelfen, der dieses Buch schon gelesen hat (oder zumindest diese eine Kurzgeschichte daraus)? :help


    Inhalt:Tobias Wolff erzählt in seinen Storys von den ganz großen Momenten. Ein Bahnangestellter muss sich entscheiden: Sein Sohn ist in die Hubmechanik der hochgeklappten Zugbrücke geklettert und ein vollbesetzter Personenzug naht heran.Wessen Leben soll er retten?


    EDIT: *inbuzzaldrinsRichtungschiel* :grin

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Ist das die Geschichte, in der es um den Lehrer Wiley geht? :gruebel


    Ja, ganz genau! :-)
    Weißt du zufällig noch, was es mit dieser Schlägerei auf sich hatte? Was hat die Geschichte überhaupt mit dem Unterschied zwischen Schwarzen/Weißen auf sich? :gruebel

  • Zitat

    Original von SueTown
    Ja, ganz genau! :-)
    Weißt du zufällig noch, was es mit dieser Schlägerei auf sich hatte? Was hat die Geschichte überhaupt mit dem Unterschied zwischen Schwarzen/Weißen auf sich? :gruebel


    Da muss ich wirklich passen, leider! :-( Ich weiß nur noch, dass Wiley sich nach einem Besuch in einer Bar mit einem Mann prügelt, da er glaubt, sich in Kathleen (?) verliebt zu haben.
    Der ganze Aspekt Schwarze/Weiße spielt dann ja erst eine Rolle, als Wiley am nächsten Tag wieder unterrichtet, oder?


    Ich müsste mir wahrscheinlich das Buch wirklich noch mal ausleihen und die Geschichte nachlesen, tschuldigung. :-)

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Ich müsste mir wahrscheinlich das Buch wirklich noch mal ausleihen und die Geschichte nachlesen, tschuldigung. :-)


    Ach was, das macht doch nichts! Aber ich hätte eine Idee: solltest du irgendwann mal ein bisschen Zeit haben und dabei auch noch in der Bibliothek sein, könntest du ja evt. in das Buch reinschauen und die Story nochmal lesen? Sind doch nur 20 Seiten, würde mich aber wirklich freuen :grin


    Ich probier mich mal kurz zu erklären:
    Es erscheint mir darin alles zusammenhanglos. Er sitzt abends in der Bar, trinkt einen und unterhält sich mit - genau - Kathleen, dann hebt er sein Glas zum Gruß an ihren Begleiter und dann muss er raus. Danach wartet er bis die beiden aus der Kneipe kommen und bekommt 'ne Tracht Prügel vom Begleiter. :wow
    Am nächsten Tag geht er in die Schule, hält einen Vortrag und wird im Anschluss von einem Schüler, dessen Vater scheinbar eine Abneigung gegen Farbige hat, gefragt, ob es "Schwarze" waren, die ihn zusammen geschlagen haben. Er beantwortet die Frage nicht bzw. weicht mit "das weiß ich nicht" aus. Dann geht er nach Hause, die Frau seines Freundes kommt bei ihm vorbei und rät ihm den Schülern die Wahrheit zu sagen. Er weigert sich, weil er meint, er würde gefeuert werden wenn er die Wahrheit erzählte. Irgendwie seltsam...


    Bis dahin dachte ich, es ginge lediglich darum, dass er wegen Kathleen von ihrem Begleiter zusammen geschlagen wurde (warum, ist mir hier entgangen - ist aber wahrscheinlich recht wichtig um die Story zu verstehen). Dann geht er in die Schule und auf die Frage hin, ob es Schwarze gewesen wären, hätte er eigentlich die Wahrheit hinsichtlich des Grundes nennen sollen, um eben die Rassenunruhen, die er mit Nichtbeantwortung der Frage, ausgelöst hat, nicht aufkommen zu lassen.
    Meint nun diese Frau seines besten Freundes, dass er dieses Wahrheit erzählen soll oder steckt da noch mehr dahinter und ich verstehe es wirklich nicht? :gruebel

  • Ich hole den thread mal wieder hoch, da ich diese Geschichte gerade gelesen habe.


    Indem Wiley so zögert und nicht definitiv sagt, ob sein Angreifer weiß oder schwarz war, wird vermutet, er war schwarz.


    Würde er jetzt den Sachverhalt aufklären, nämlich, dass er von einem Weißen verprügelt wurde, wäre das sowas wie eine rassistische Äußerung (seine erste bzw. das in der Schwebe lassen). Und da hat er Angst, von der Schule zu fliegen.


    Ich verstehe allerdings nicht, warum Wiley dann nicht gleich sagt, es war ein Weißer?


    Und ich denke, der Begleiter von Kathleen hat ihn zusammengeschlagen, da er wohl dachte, Wiley flirtet mit Kathleen.
    Warum Kathleen ihm so eine derbe Abfuhr erteilt und vor allem das Telefonat am Schluss, als Kathleen sagt, sie will ihn nicht auf ihrer Arbeit sehen und Wiley daraufhin denkt, er habe bei Kathleen eine Chance, verstehe ich nun beim besten Willen nicht.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Ich hole den thread mal wieder hoch, da ich diese Geschichte gerade gelesen habe.


    Oh, das freut mich! Hatte gar nicht mehr damit gerechnet, dass noch jemand anderes diese Kurzgeschichten liest.


    Zitat

    Original von Sigrid2110
    Ich verstehe allerdings nicht, warum Wiley dann nicht gleich sagt, es war ein Weißer?


    Zitat

    Original von buzzaldrin
    Vielleicht war ihm der Zwischenfall einfach zu peinlich, um die Wahrheit zu sagen. Grübeln


    Hm, aber warum sollte ihm das peinlicher sein als von einem Schwarzen verprügelt zu werden? Oder meinst du, insgesamt war ihm das alles so peinlich, dass er einfach keine Lust hatte sich zu erklären? Dann allerdings ist es auch seltsam, weil er ja gespürt hat, welche rassistischen Äußerungen seitens der Schüler kamen.


    Zitat

    Original von Sigrid2110
    Warum Kathleen ihm so eine derbe Abfuhr erteilt und vor allem das Telefonat am Schluss, als Kathleen sagt, sie will ihn nicht auf ihrer Arbeit sehen und Wiley daraufhin denkt, er habe bei Kathleen eine Chance, verstehe ich nun beim besten Willen nicht.


    Ich auch nicht. Und vor allem, was hat das mit der Grundidee der Geschichte zu tun, die sich ja scheinbar um den Rassenkonflikt dreht?

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Okay, ich nehme mal man, wir müssen mit unseren unbeantworteten Fragen leben - scheint mir zumindest so :grin.


    Das stimmt wohl, leider. :-( Ich habe auch heute noch mal ein wenig im Internet recherchiert, ob man irgendwelche "Interpretationshilfen" oder ähnliches findet, habe aber nichts gefunden.


    Zumindest bin ich aber auf ein Interview von Woolf gestoßen, in dem er auf Wiley angesprochen wird.


    Zitat

    JP: Pascal's Pensée, “the heart has its reasons that reason knows not of” seems appropriate to many of your characters, not only to Wiley in “The Life of the Body”. Would you say that it applies to them?


    TW: One of the things I notice more and more in others, and I am sure that it is true of myself too, is how little we seem to understand our own motivations. This has always been a ripe subject for fiction and especially for satire. We act out of promptings that we hardly know we are receiving. And to the extent that we can apprehend why we do what we do, we try to dignify it by some kind of ethical system, or perhaps by saying in our most honest moments that the heart has its reasons that reason does not understand. That distance between the supposition of why you are doing what you are doing and the shadowy reality of it is the loam of fiction. That terrain, that's exactly where fiction writers work. You wouldn't be interested in writing about somebody who actually understood why he did what he did and acted completely logically. That's why a writer like, say, Ayn Rand, doesn't hold on to us after we reach maturity. Her characters, especially her heroes, act logically and in concert with their ideas of why they are acting, and there is something in us, as we get older, that knows this is not humanly possible. And we get more interested in that more confusing, ambiguous ground that all of us occupy.


    Quelle: http://jsse.revues.org/index348.html

  • Ich habe die Geschichte auch gerade gelesen. Ich habe interpretiere sie folgendermaßen:


    Wiley scheint Frauen immer nur dann zu wollen, wenn sie für ihn unerreichbar sind. Deswegen erzählt er auch Alice, zu der er eine Zueignung fasst, die wahre Geschichte der Ereignisse. Hat aber zugleich wohl auch einen leichten Hang zum Stalker, in Hinblick auf Kathleen.


    Die Geschichte mit der Schlägerei entsteht dadurch, dass er ihr einen Antrag macht, wodurch ihr Freund ihn zusammenschlägt. Vermutlich hab es auch eine Vorgeschichte. Für mich klingt es, als ob er sie aus seiner Vergangenheit kennen würde. Auch das Telefonat am Ende war ja recht eindeutig, als sie ihm droht, sie nicht mehr im Krankenhaus anzurufen, versteht er es wohl implizit als Aufforderung.


    Das Rassismusthema soll wohl auch zeigen, dass Wiley ein schwacher Charakter ist. Gewissermaßen als Lehrer die ganzen Inhalte weltoffen und modern bringt und auch fordert, aber sobald er selbst handeln muss bzw. kann, gelten seine Ideale nicht mehr und er ist mehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht, als an seine Mitmenschen. Verstärkt noch, dass er die Betroffenen direkt vor sich hat bzw Schüler involviert sind, die ihm besonders am Herzen liegen. Er sucht sich aber lieber Ausreden, um sich zu rechtfertigen und den geschaffenen Status Quo zu erhalten.


    Für ihn ist es wohl ehrenhafter von mindestens zwei, grimmigen, größeren, als gefährlich empfundenen Menschen, geprügelt worden zu sein, wo jeder ihn mehr bemitleidet, weil er keine Chance der Gegenwehr hatte, als zuzugeben, dass es ein kleinerer Mann war, der ihn allein abgefertigt hat und zudem könnte er auch Angst haben, dass seine stalkerhafte Art publik wird.


    Wobei mich an den Kurzgeschichten von Wolff bisher allgemein ein wenig stört, dass sie thematisch sehr überladen sind und vor allem dann gegen Ende immer noch ein paar Themen angerissen werden. Auch wenn sie mir im Grunde gut gefallen, erscheinen sie mir oft unfertig. Vor allem auch die Geschichte davor (Pulver - Skifahren - Weihnachten - Straßensperre).