OT: The Maltese Falcon 1930
Die Detektei Spade&Archer wird von einer verängstigten jungen Frau beauftragt, ihre Schwester vor einem Mann zu schützen, den sie für einen Gangster hält. Miles Archer übernimmt den Auftrag persönlich. Noch in der gleichen Nacht wird er erschossen aufgefunden, kurz danach auch der Mann, den er beschatten sollte. Sie wurden mit unterschiedlichen Waffen erschossen. Damit steckt sein Partner, Sam Spade, in Schwierigkeiten. Nicht nur ist die Klientin verschwunden, sondern er wird auch von der Polizei verdächtigt, den Gangster aus Rache ermordet zu haben.
Die Klientin taucht wieder auf, aber das verbessert die Lage keineswegs. Sie ist nämlich in eine Geschichte verwickelt, bei der es um ein sehr altes, überaus wertvolles Kunstwerk geht, an dessen Besitz weitere und nicht wenig gefährliche Personen interessiert sind. Spade findet sich zwischen allen Fronten wieder. Um sich den Weg durch diesen Dschungel aus Lügen, Gier, Korruption und Gewalt zu bahnen, muß er nicht nur seinen Verstand einsetzen, sondern auch grundlegende moralische Entscheidungen treffen. Da es sich zeigt, daß ein Teil des Dschungels auch in ihm wuchert, muß man sich auf ein eher bitteres Ende gefaßt machen.
Der Einstieg in die Geschichte mit dem ersten Blick ins eher triste Büro von Spade&Archer, die Beschreibung Spades, der Auftritt der überwältigend schönen Miss Wonderly, ihr Auftrag und die kleinen Geplänkel zwischen Spade und der Sekretärin Effie sowie zwischen Spade und Archer kommen einer so altvertraut vor, daß man gar nicht bedenkt, was man vor sich hat: den Klassiker des Genres hard-boiled crime fiction, den Urtyp, den Meilenstein, von dem alles andere ausging.
Ein Kapitel, nicht ganz acht Seiten braucht Hammett, um eine einzustimmen. Damit beweist er zugleich, daß er zu den Schriftstellern und nicht nur zu den Unterhaltungskünstlern zu zählen ist. Die Geschichte, die er erzählt, ist ein Krimi und zugleich eine Studie moderner Charaktere. Es gibt Elektrizität, Aufzüge, Telefon, Autos, die Welt ist weit, alle Erdteile sind bekannt und bereist - die Geschichte rund um den Falken ist ‚international’, Schauplatz der Geschichte ist San Francisco, de facto aber reicht sie einmal rund um den Erdball, - es gibt Recht, Gesetze und Rechtssprechung. Für die Menschen, die in diesem Roman auftreten, scheinen das alles aber seine Bedeutung aber verloren zu haben. Die Figuren bewegen sich wie in einer feindseligen Umwelt, in der nur das eigene Überleben von Interesse ist. Die Vorteile einer modernen Gesellschaft, technische wie soziale, werden nur benutzt, um einen Vorteil zu erlangen. Hammetts vermittelt den Eindruck, als ob es zwei Gesellschaften nebeneinander gäbe. Seine Schattenwelt erscheint dabei lebendiger und echter, als die Welt der anderen. Es ist eine regelrechte Verschiebung der Wahrnehmung.
Ein weitere Eindruck, der sich im Lauf der Lektüre ausbreitet, ist der, daß die Geschichte fast durchgängig im Dunklen spielt. Tatsächlich finden sehr viele Szenen abends und in der Nacht statt, aber es gibt auch genügend Auftritte bei Tag. Die Dunkelheit jedoch setzt sich als Stimmung durch, allein das Gold, aus dem die Statue des Falken bestehen soll, verbreitet einen hellen Schein.
Schattenhaft, düster, nicht recht greifbar sind auch die meisten Personen. Hammett scheut sich nicht, die LeserInnen lange im Ungewissen darüber zu lassen, was wirklich geschehen ist. Das gilt auch für seine Figuren, selbst sie kennen immer nur Teile des Ganzen. Es gibt keinen Überblick, niemand durchblickt das Ganze. Entscheidungen können nur auf der Grundlage bruchstückhafter Informationen getroffen werden, das Resultat führt zur nächsten Krise und am Ende in die Katastrophe. Dazu kommt, daß fast jede und jeder lügt in dieser Geschichte oder zumindest die Sachlage zum eignen Vorteil zurechtbiegt. Spade, ein weiterer Kunstgriff, ist dabei keine Ausnahme. Alles ist eine Täuschung, möglicherweise sogar der Falke.
Die Beziehungen der Figuren untereinander sind vielschichtig und veränderlich. Die Ungewißheit und Unsicherheit der Figuren teilt sich beim Lesen mit. Es gibt keine Person, der man sorglos folgen kann, man darf niemandem trauen, so wie Spade niemandem traut und auch keiner der anderen, es gibt keine klaren Seiten, es gibt höchstens Notgemeinschaften, bei deren Bildung nur der eigene Vorteil zählt.
Es gibt eine positive Gestalt, Effie, die Sekretärin, die mit Spade aber zugleich ein höchst vielschichtiges Beziehungsgeflecht verbindet und die sich von Anfang an in einer entscheidenden Angelegenheit irrt.
Fast noch faszinierender als die überzeugende Krimihandlung zu genießen, ist es, Spades Entscheidungen zu beobachten und seinen Moralvorstellungen nachzuspüren. Eine klare Antwort gibt es auch hier nicht. Gerechtigkeitsgefühl, Wahrheitsstreben, Eigennutz, Ehrvorstellungen ergeben ein eigenartig changierendes Gewebe.
Das letzte Kapitel Wenn sie dich aufhängen gehört zu den spannendsten und schwierigsten in diesem nie ganz einfachen Text.Es bleibt zudem einiges offen. Man sollte nicht vergessen, daß Hammett seinen Protagonisten als ‚blonden Satan’ beschrieben hat.
Das ist kein Krimi, den man liest, genießt und vergißt.
Den Flügelschlag von Hammetts Falken hört man noch lange.