Pedro Páramo - Juan Rulfo

  • Kurzbeschreibung:



    Comala ist ein wüster Steinhaufen inmitten einer sonnenverbrannten Einöde. Die einen arbeiten sich zu Tode, um überleben zu können, die anderen beuten das Volk aus, betrügen, unterdrücken und morden. Pedro Páramo, Großgrundbesitzer und Dorftyrann, hat in dem heruntergekommenen Dorf "Ordnung" geschaffen. Doch die Toten geben keine Ruhe und reden in ihren Gräbern weiter von seinen Untaten. Kein anderer Schriftsteller hat so viel Einfluss auf nachfolgende Generationen in Südamerika ausgeübt wie Juan Rulfo. Sein einziger Roman ist ein dunkles Epos von Tod und Gewalt, das bis heute nichts von seiner Wucht verloren hat und jetzt in einer Neuübersetzung von Dagmar Ploetz vorliegt.


    Meine Meinung:


    Auf dem Totenbett hat Juan Preciado seiner Mutter geschworen, seinen Vater Pedro Páramo zu suchen. Nach ihrem Tod macht er sich auf den Weg nach Coloma, einem kleinen Ort in den Bergen, um ihn zu suchen. Bald entdeckt er einen Hirten, in dem nahezu verlassenen Ort, der ihm mitteilt, dass Pedro Páramo bereits verstorben ist.


    In einem Ort, in dem die Grenzen zwischen Jenseits und Diesseits durchlässig sind, erfährt man gemeinsam mit Juan immer mehr über die Person Pedro Páramos, einen Großgrundbesitzer, der immer versuchte auf der Seite der Gewinner zu sein. Juan trifft auf der Suche nach der Vergangenheit seiner Familie verschiedene Gestalten – bei denen nicht immer klar scheint, ob es sich um ein Echo aus einer vergangenen Welt oder um lebende Menschen handelt, die jeweils neue Versatzstücke über die Vergangenheit offenbaren.


    Dies alles wird in einer schlichten und poetischen Sprache erzählt. Relativ kurze Szenen wechseln dabei einander ab. Das Buch ist mit knapp 160 Seiten Text schnell gelesen. Die Ausgabe des Hanserverlags in Neuübersetzung enthält zusätzlich ein Nachwort von Juan Rulfo zum dreißigjährigen Jubiläum des Romans aus 1985, sowie ein Nachwort von G.G. Marquez.


    Auf der HP des Hanserverlages findet sich eine Leseprobe(pdf).



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  • Bell
    Herzlichen Dank für diesen Hinweis. Dann werde ich mir dieses Taschenbuch halt wohl auch zulegen. Die Rezi von Taciturus macht in jedem Falle sehr neugierig. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Dieses Buch war für mich ein intensives Leseerlebnis. Im Klappentext steht:


    "In der Verbindung von lakonischem Realismus und bildhaften Traumszenen liegt die Kraft dieses Romans, der die sprachlosen Gewaltverhältnisse der lateinamerikanischen Wirklichkeit in Literatur überführt, in eine Prosa von strenger Schönheit."


    Diese Worte beschreiben die Sprache des Romans sehr gut. Die Atmosphäre ist sehr eigenartig, melancholisch, unwirklich und gleichzeitig unglaublich realistisch, besonders, wenn die Natur beschrieben wird: man spürt den heißen Wind auf der Haut, hört den Regen.


    Es gibt keinen roten Faden. Juan Preciado beschreibt, wie er nach Comala kommt und den ersten Menschen antrifft, der ihm Auskunft über den Ort und seinen Vater, den er aufsuchen will, gibt. Danach kommt er zu Dona Eduviges, bei der er wohnt. Nach und nach trifft er immer mehr Menschen, aber die Art, wie sie reden, ist rätselhaft. Nur in Bruchstücken erfährt er (und wir) Dinge über seinen längst verstorbenen Vater, über seine Mutter, über die zweite Frau Pedro Páramos.


    Mittendrin gibt es Passagen, von denen man beim Lesen nicht weiß, wer da erzählt. Das klärt sich am Ende der Passage oder auch erst viele Seiten später. Plötzlich geht einem ein Licht auf, nach und nach wird ein fast rundes Ding aus dem fragmenthaft anmutenden Text - fast, wie gesagt.


    Ich denke, es ist kein Spoiler, wenn ich sage, dass die Menschen, die wir erzählen hören, fast alle tot sind, wir befinden uns in einem Geisterdorf. Der Autor wechselt aber den Erzählstil immer wieder so, dass wir einmal in dem Geisterdorf, dann wieder im lebendigen Comala, wie es war, sind. Ein Abschnitt beschreibt ein Geschehnis so, als würde es gerade passieren, während im nächsten Abschnitt die Protagonisten schon aus ihren Gräbern berichten.


    Zu betonen gilt noch, dass dies kein Buch ist, in dem es nur um Gewalt geht, auch, wenn der oben zitierte Text das vermuten lassen mag. Es geht auch um Liebe. Pedro Páramo, der scheinbar gewissenlos Menschen ihr Land wegnimmt, hat mich mit seiner Sehnsucht nach Susana, seiner Jugendfreundin, sehr berührt, ebenso Susana mit ihrer Sehnsucht nach ihrem verstorbenen ersten Mann. Auch andere Aspekte des Romans gehen unter die Haut, es gibt einen Abschnitt, in dem der Leser erfährt, woher Susanas Verrücktheit kommt und da läuft es einem kalt den Rücken herunter.


    Da ich nicht weiß, wann der Roman spielt und mich auch nicht mit Mexiko und seiner politischen Vergangenheit auskenne, kann ich nicht den ganzen Kontext des Romans erschließen. Ich denke, mit einem gewissen Hintergrundwissen erschließt sich einem das Buch viel besser. Nichtsdestotrotz war die Lektüre wie gesagt sehr intensiv und ich kann sie nur weiterempfehlen.


    Hier noch ein kleiner Textauszug, um die schöne Sprache des Autors zu zeigen:


    "Es gab keine Luft. Ich musste die Luft wieder einsaugen, die aus meinem Mund kam, hielt sie mit den Händen auf, bevor sie sich verflüchtigte. Ich spürte sie kommen und gehen, und es war jedesmal weniger. Bis sie so dünn war, dass sie meinen Fingern für immer entschlüpfte.
    Ich sage, für immer."


    Die Taschenbuchausgabe enthält das Nachwort von Marquez leider nicht, aber das von Juan Rulfo: "Pedro Páramo - dreißig Jahre danach".


    Abschließend noch die Stimmen vom Klappentext:


    "Ich konnte nicht einschlafen, bevor ich 'Pedro Páramo' nicht zum zweiten Mal gelesen hatte. Selten zuvor hat ein Buch mich so bewegt." Gabriel García Márquez


    "'Pedro Páramo' ist nicht nur ein Meisterwerk der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern eines der Bücher, die den stärksten Einfluss auf die Weltliteratur in diesem Jahrhundert ausgeübt haben. Susan Sontag


    (9/10)