Der Teufel auf dem Kirchturm - Marek Lawrynowicz

  • Originaltitel: Diabel na dzwonnicy
    Erschienen: 2000
    TB, 208 Seiten


    Inhalt: (Inhaltsangabe des Buches)
    Zwischen Polen und Litauen, mit einem kurzen Intermezzo in Deutschland, spielt diese hinreißende Familiengeschichte. Es geht los mit der Jugendzeit der Großväter und ihren zahlreichen Kindern, deren Leben sich durch die Ereignisse der Zeit ebenso spektakulär wandelt wie der Charakter der Städte Lemberg und Wilna, in denen sie aufwachsen. Edward, ein tiefgläubiger Katholik, der einen Kirchenchor nach dem anderen gründet und leider viel zu früh an der Schwindsucht stirbt. Mietek, das schwarze Schaf, der mit seiner kommunistischen Gesinnung die Familie zur Verzweiflung treibt, sich jedoch unter der deutschen Besatzung gewitzt durchschlägt: mit kunstvoll geschnitzten, höchst unanständigen kleinen Holzfiguren.


    Über den Autor (laut Amazon)
    Marek £awrynowicz, geboren 1954, verdiente sich seinen Lebensunterhalt u. a. als Arbeiter, Konditor und Buchhändler, bevor er begann, Satiren für den Rundfunk zu schreiben. Er hat eine Gedichtsammlung, einen Band mit satirischen Erzählungen und drei Romane veröffentlicht. Zur Zeit ist £awrynowicz als Redakteur beim Warschauer Rundfunk tätig, wo er den Bereich Satire betreut.



    Einleitender Liedvers


    Meinung
    Da habe ich gleich zu Beginn des Jahres eine Perle aus dem SuB gefischt! Eigentlich wollte ich vor der Yates-Leserunde noch "Schweigeminute" von Lenz lesen, da fiel mir dieses Buch beim Sortieren in die Hände. Einfach Hinreißend! Ganz nach dem Motto: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht!"


    Einmal angefangen kann man sich dieser genialen und intelligenten Lektüre, ein Stück polnisch-litauischer Zeitgeschichte, nicht mehr entziehen. Dabei geht es dem Autor nicht um eine detaillierte geschichtliche Zusammenfassung, das Wissen um die Zusammenhänge wird größtenteils vorausgesetzt, sondern vielmehr darum, die (Über)Lebensstrategien der Generationen bis nach dem zweiten Weltkrieg festzuhalten.
    Die Figuren sind absolut skurril und liebenswert, das was sie tun noch viel skurriler und grotesk, die Erzählstruktur unglaublich humorvoll aber zu keiner Zeit verharmlosend. Das Elend zu Kriegszeiten, die Verfolgung, der stalinistische Terror, die Repatriierung; alles ist zwischen den Zeilen, teilweise auch darin, zu lesen aber nicht ausgeführt. Es ist ein Streifzug durch die Geschichte - auf liebevoll humorige, manchmal auch satirische, Weise in Situationskomik umgesetzt. Überleben hieß in dieser Familie gänzlich unverdrossen Befehlsgewalten hinters Licht zu führen. Und das im ganz großen Format.
    Ein bisschen kommt die Geschichte wie eine rasante Fahrt durch das Zeitgeschehen daher. Es macht Mühe den Stationen zu folgen. Allerdings förderte das Tempo wiederum ein Gefühl der zeitlichen und räumlichen Orientierungslosigkeit, welche auch die Figuren ihr Leben lang verfolgt hat. Und bei all diesem Tempo schafft es Lawrynowicz doch bedeutende und ergreifende Augenblicke einzufangen. Das ist es auch, was dieses Buch besonders macht.
    Mein Fazit:
    Eine tolle Entdeckung und uneingeschränkte Leseempfehlung! Ich hoffe, dass dieses Büchlein noch jede Menge Leser/innen anzieht. Verdient hat es diese allemal.


    Hier noch zwei kleine Auszüge:

    Zitat

    Großvater war unterwegs, um für den Zaren zu fallen, und er sang, um sich etwas Mut zu machen und die täglichen Sorgen zu vergessen.
    Eigentlich hatte Großvater nur eine große Sorge: Vor einem Jahr hatte er Großmutter Anna, eine sehr energische und entschlossene Person, geheiratet; vor einem Monat hatte er ihr beim Kreuz geschworen, daß er sich in keinem Fall umbringen lassen werde, und vor einer Woche hatter er bei Gott geschworen, daß er bereit sei, für den Zaren zu fallen. Wie der liebe Gott diesen Widerspruch lösen sollte, wußte Großvater beim besten Willen nicht. (Kapitel I, Seite 7)


    Zitat

    Vater schlief nicht. Er dachte nach, über sich, über seinen Vater, über den Großvater, über die Vorfahren, und er wunderte sich, wie schnell sie vergangen waren. Wie im Riesenrad auf dem Rummelplatz: Kaum kommt der Mensch nach oben, begeistert sich für die Welt, schon geht es wieder abwärts. (Kapitel VII, Seite 132)