Das Zimmermädchen - Markus Orths

  • Das Zimmermädchen
    Markus Orths, 2008

    Schöffling, ISBN: 978-3895610998


    Zitat

    »... und dort, unterm Bett, da ist es hart und dadurch behaglich,
    dort unterm Bett, da ist es eng und dadurch weit,
    dort, unterm Bett, da siehst du Dinge, die du nie gesehen hast,
    dort, unterm Bett, da öffnet sich die Kehrseite der Welt ...«


    So steht wunderbar arrangiert auf dem Umschlag mit den unterschiedlich weit heruntergelassenen Jalousien - und zeigt, schon wenn man das Buch in die Hand nimmt, dass es keine gewöhnliche Lektüre werden wird. Und das ist es wirklich nicht unbedingt.


    Eigentlich ist "Das Zimmermädchen" ein unangenehmes Buch. Lynn Zapatek, das titelgebende Zimmermädchen und die um sie gescharten Nebenfiguren sind nicht angenehm. Ihre Geschichte ist es auch nicht, weder am Anfang noch am Ende. Und auch die Sprache des Autors stößt den Leser immer wieder unangenehm aus dem Lesefluss, sie ist meist hart, arm an Pronomen und Artikeln. Arm an Verbindungen zwischen den Sätzen.


    Ebenso wie die Personen keine Bindungen eingehen können. Hauptfigur Lynn steht zu Beginn der Handlung vor einem desaströsen Neuanfang, sie ist pleite, verstört und gerade aus einer Klinik entlassen - hat Angst vor Rückfällen und muss mit einem beständig nickenden Psychiater zurechtkommen. Weshalb ist unklar. Kleptomanie vielleicht, es gibt Andeutungen. Oder ihr Umgang mit anderen Menschen, das Verhältnis zur Mutter ist eine Katastrophe.
    Ein Mann, Heinz, mit dem sie jeden Montag schläft - eine strukturierte Woche ist ihr wichtig, sie klammert sich ein wenig an der Routine fest - verschafft ihr einen Job als Zimmermädchen im Hotel - Konfrontation, Ablenkung, Arbeit würde ihr gut tun. Jaja.


    Tatsächlich geht Lynn in der Arbeit auf. Putzt ausgiebig, ausgiebiger als ausgiebig, bleibt länger als nötig. Sie putzt die unbelegten Zimmer (täglich!), putzt hinter den Schränken, unter der Stehlampe, hinter der Heizung. Überall. Manisch. Und sie beginnt die Menschen zu kategorisieren, zu beobachten, hinterherzuschnüffeln, in ihre Kleidung und schließlich unter ihre Betten zu schlüpfen. Dienstags.
    Montags Heinz, Dienstags Bett, Mittwoch freier Tag und Langeweile, Donnerstag Mutter anrufen, Freitag Therapeut, Samstag Chiara. Ein wenig wie der Aufzählreim von Paul Maars Sams.


    Mit Chiara kommen wir zu einer Komponente des Buches, bei der ich sehr zwiegespalten bin. Denn durch sie wird Lynns Obsession sexuell konnotiert. Lynn erlebt, wie der Gast von Zimmer 304 sich mit Chiara vergnügt, fast scheint es nun, als hätte sie nur auf so etwas gewartet. All das Naive, das ihr Verhalten prägt, das Teilhabenwollem am Leben, die Illusion, nicht alleine zu sein - eben das, was sich aus der kantigen, im Präsenz formulierten Wirklichkeit löst und in den seltenen herausragenden Sätzen des Romans, in der Figur Lynn deutlich wird, bekommt einen Dämpfer des Vulgären verpasst.


    Aber es gibt auch den Teil der passt: Durch Chiara kommt auch Sehnsucht, der Traum von Zweisamkeit in Lynns Leben. Heinz hat sich längst schon von ihr losgesagt, war für sie aber auch nur Routine.
    Nun will Lynn, erst vom bevorstehenden Urlaub verängstigt, verreisen. In die Karibik. Chiara mitnehmen, zwei Wochen bezahlte Zuneigung erleben. Es ist ihre unsichere, trugbildhafte Hoffnung, dass das Schicksal es doch einmal gut meinen könnte. Es kommt alles anders, natürlich. Und es endet anders. Unter einem Bett. Wo auch sonst.


    "Das Zimmermädchen" wirkt mit seinen einsamen und in der Welt verlorenen Charakteren – auch wenn es mit den wenigen Seiten nur drei wichtige zusätzlich zu Lynn gibt – und seinen kleinen Wahrheiten erschreckend real. Ob es nun die Kurzauftritte der trostlosen Gäste, Lynns Versuch zu leben und eine Persönlichkeit zu finden sind, es wirkt nah. Das machen das verhasste Präsens, das die Aktualität der Figuren hervorhebt und die durchaus verständnisvolle Art, wie die Sätze Lynns Schicksals mal in weiche Traumgespinste decken und mal erbarmungslos zuschlagen.


    Es ist ein Buch, das mir nicht überwiegend gefallen hat, sprachlich wie inhaltlich, bei dem ich aber keine Minute des Lesens bereue. Denn zurück bleibt der Nachhall einer zumeist traurigen, aber auch nachdenklich machenden Geschichte, einer dieser Geschichten, die die Hoffnung langsam, mit zuerst unscheinbaren Tritten tottrampeln und dennoch das Leben nicht verneinen. Es gibt sie ja - die, die mit dem Leben zurechtkommen. Die Chiaras. Lynn zählt nur nicht dazu.


    7/10 Punkten


    :wave bartimaeus

  • Super Rezi, danke!


    Ich habe das Buch gestern mehr oder weniger an einem Stück durchgelesen. Das spricht für die Faszination, die diese Geschichte auf mich hat!


    Lynns krankhafte Art, wie sie sich durch die Zimmer putzt und scheinbar keinen anderen Lebensinhalt hat. Wie der Autor ihre Vergangenheit nur Stück für Stück öffnet, dafür dem Moment und den Details grosse Aufmerksamkeit schenkt. Die Abläufe spielen in Lynns Leben und somit auch im Buch eine grosse Rolle. Ich persönlich kann mir ein solches Verhalten überhaupt nicht vorstellen und trotzdem wird es durch Markus Orth irgendwie nachvollziehbar.
    "Das Zimmermädchen" stimmt nachdenklich, vor allem das Ende.


    Ein seltsames Gefühlt bleibt, beim weglegen des Buches.

  • Mein Eindruck:


    Die Idee, die dem Roman zugrunde liegt, ist kurios. Eine Frau, die sich heimlich unter Hotelbetten legt. Sie nimmt dadurch Teil am Leben anderer, um dem eigenen zu entfliehen.


    Leider bleibt es bei der Schilderung dieses Zustandes. Wir erfahren nicht, warum Lynn in diesen beklemmenden Zustand der Lebensverweigerung geraten ist und leider geschieht auch keine Entwicklung, die erkennbar aus diesem Gefängnis herausführt.


    Das Buch trägt den Charakter einer Kurzgeschichte, die uns als Leser lediglich ein Blitzlicht aus dem Leben einer Frau bietet, die anders ist. Viel Raum für eigene Gedanken und Überlegungen ergeben sich aus dem Nichtauflösen des Plots.


    Sympathie zur Protagonistin kann man nur schwer aufbauen, dazu ist die Erzählweise zu distanziert. Am ehesten empfindet man ungewollt Mitleid.


    Sprachlich ist der Roman auffallend in der Hinsicht, dass extrem verknappte Elemente benutzt werden. Der Stil ist gerade unrund genug, dass es auffällt, aber nicht wirklich störend ist. Ich sehe es als ein bewusst gesetztes Ausdrucksmittel des Autors.


    Personale Erzählperspektive aus Sicht Lynns.


    Ich gebe 7 von 10 Punkten.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Franz Kafka

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Rosha ()

  • Ich habe noch drei wunderbare Textstellen für euch, die ich mir notiert habe:


    Zitat

    S. 39
    Sie lässt sich nichts anmerken, denkt Lynn. Sie reißt sich zusammen. Wie kann man sich zusammenreißen, denkt Lynn und schaut an der Mutter vorbei. Reißen ist immer zerreißen, zerreißen ist immer Zerstörung. Wir zerreißen uns jeden Tag zusammen. Wir tun jeden Tag etwas, das nicht geht. Wir leben in einem Raum der gleichzeitigen Gegenteile.


    Zitat

    S. 49
    Am liebsten ist ihr die Stille. In der Stille ist alles möglich. Wenn der Fernseher verstummt, wenn der Film schweigt, wenn nur noch Bilder im Raum stehen, Bilder, die sie nicht sehen kann, dann ist ihr, als fiele sie für einen Augenblick aus der Zeit; als wäre sie nicht mehr nur sie selbst. Diese Momente sind selten. Aber sie legen sich um Lynn wie ein warmes Tuch.


    Zitat

    S. 112
    Lynn kann nichts anders tun, als ihren Gedanken nachzugehen, den Gedanken nachgehen, denkt Lynn, als ob Gedanken Beine hätten und vor einem herspazieren und man ihnen folgen könnte, um zu sehen, was sie tun.