Gargoyle (engl.) = ursprünglich seltsam-fantastische, bizarre, groteske Figur aus Tier-, Mensch- und Fabelelementen, die an Gebäuden die Funktion eines Wasserspeiers erfüllt; in nicht-architektonischer Begrifflichkeit inzwischen auch als Bezeichnung für solcherlei Gestalten zu reinen Dekorationszwecken verwendet.
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Über das Buch
(via amazon.de)
Das aufregendste Debüt der letzten Jahre: eine fesselnde Geschichte über die erlösende Kraft des Leidens und eine Liebe, die die Grenzen von Zeit und Raum überschreitet.
Ein Mann fährt eine dunkle Straße entlang, als er plötzlich geblendet wird, sein Wagen in eine Schlucht stürzt und Feuer fängt. Er überlebt, wird mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert und hat in den Wochen der Rekonvaleszenz nur einen Gedanken: wie er nach seiner Entlassung Selbstmord begehen kann. Doch da taucht eines Tages eine mysteriöse Frau an seinem Krankenbett auf, die schöne Marianne Engel, Bildhauerin beeindruckender Gargoyles. Sie behauptet, sie seien einst Liebende gewesen vor siebenhundert Jahren in Deutschland, als sie eine Nonne war und er ein Söldner auf der Flucht. Ist diese Frau einfach verrückt? Oder ist sie der rettende Engel, der ihn aus seiner Verzweiflung und Todessehnsucht erlösen wird?
Über den Autor
(dito)
Andrew Davidson wurde 1970 in Pinawa, Kanada, geboren. Nach seinem Literaturstudium an der University of British Columbia lebte er mehrere Jahre in Japan und konzipierte Englischkurse für japanische Internetseiten. Sein Debüt-Roman Gargoyle wurde bereits vor Erscheinen in 26 Länder verkauft und stieg sofort in die New- York -Times-Bestsellerliste ein.
Offizielle Website zum Buch
(in englischer Sprache)
Meine Meinung
Ich finde Gargoyles faszinierend. Zusammen mit der Inhaltsangabe und dem Cover war das Grund genug, unbedingt dieses Buch haben zu wollen. Ein Schmuckstück ist es auf jeden Fall: das Cover ist eine Mischung aus alter Buchkunst und modernem Gothic-Rock-Stil, mit Prägung und Goldverzierung und schwarzem Buchschnitt als Dreingabe, in dem neuen großen Taschenbuch-Format mancher englischer Verlage. Ebenso gut gefiel mir die grafische Textgestaltung als Stilmittel an manchen Stellen: schwarze Balken mit weißer Schrift, japanische Schriftzeichen in einem Dialog, andere Satztypen für die wörtlichen Reden bestimmter Personen aus der Vergangenheit.
Der Roman verfügt über einen starken Einstieg:
Accidents ambush the unsuspecting, often violently, just like love. (p. 1)
Im ersten Satz ist schon mal viel über dieses Buch enthalten.
Denn auf den ersten Seiten werden wir Zeuge, wie der Ich-Erzähler, der den gesamten Roman hindurch namenlos bleibt, Opfer eines grausisgen Auto-Unfalls wird - wenn auch nicht unverschuldet.
Davidson erzählt sehr genau: wie der Unfall geschah, wie er ablief, was der Protagonist denkt und fühlt. Ebenso, wie er ins Krankenhaus eingeliefert wird und wie schwer seine Verletzungen sind. Der Ich-Erzähler hat schwere Verbrennungen und Verstümmelungen erlitten - und Davidson schildert das alles so detailliert, dass es für mich Mimose bis hart an die Grenze des Erträglichen ging.
Parallel dazu lernen wir den Erzähler auch ein bisschen kennen, den Edel-Junkie, Porno-Darsteller und -Produzent. Einerseits ist er ein armes Würstchen, geprägt von einem verdammt schlechten Start in das Leben und den zerrütteten Verhältnissen, in denen er bei Pflegeeltern aufgewachsen ist, spürbar in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung zurückgeblieben. Gleichzeitig ist er ein ziemliches Ekel, zynisch und gefühllos, materiell eingestellt und oberflächlich, jemand, der sich sein Leben lang etwas auf sein hübsches Äußeres eingebildet hat. Ich fand ihn teilweise ätzend, teilweise sehr sympathisch, und gerade diese meine Ambivalenz zu ihm gefiel mir beim Lesen ausnehmend gut.
Mit dem tollen Aussehen und der Karriere im Filmbusiness ist's nun vorbei - er ist grausam entstellt. Ein menschlicher Gargoyle, sozusagen.
Es ist gerade der Zynismus des Erzählers, sein schwarzer Humor, der immer wieder in Form von bissigen Kommentaren in die Erzählung eingestreut ist, der verhindert, dass die Schilderungen von Unfall, Verletzungen und Krankenhauszeit nicht zu einer sopa-opera werden.
Die glitzernde Show-Welt des Erzählers schrumpft auf sein Krankenzimmer zusammen, bevölkert nur von seiner Ärztin Dr. Nan Edwards, den drei Krankenschwestern, von Sayuri, seiner Physiotherapeutin, und Gregor, dem Psychotherapeuten.
Und vor allem von Marianne Engel, dem schrägen Hippie, die sich in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses aufgrund einer unklaren Diagnose (schizophren? manisch-depressiv?) aufhält und ihr Geld mit Bildhauerei verdient - mit dem Schaffen von Gargoyles.
Marianne Engel scheint wirklich gewaltig einen Sprung in der Schüssel zu haben; erzählt sie doch, sie und der Ich-Erzähler seien siebenhundert Jahre zuvor ein Liebespaar gewesen: eine klosterflüchtige Nonne mit Sprach- und Schreibtalent und ein fahnenflüchtiger Söldner mit Steinmetz-Fertigkeiten in der Gegend um Mainz.
In Episoden erzählt Marianne Engel ihm ihre gemeinsame Geschichte; dazwischen eingeflochten sind Geschichten von Mariannes "Freunden": im alten Japan, im Florenz des Schwarzen Todes, in Island und dem viktorianischen England. Allesamt Geschichten, in denen es um große Lieben über den Tod hinaus geht.
Trotz Mariannes offensichtlicher Geistesverwirrung stimmt er zu, nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus bei ihr einzuziehen - auch aus Neugierde; er will herausfinden, was an ihren Erzählungen womöglich wahr ist.
Während Marianne zuerst ihn während seiner Rekonvaleszenz pflegt, wendet sich das Blatt im Laufe der Zeit, und der Erzähler lernt, sich um Marianne, die manisch Gargoyle um Gargolye aus dem Stein "befreit", und um ihren Hund zu kümmern.
Und mit ihm rätseln wir, ob Marianne eine alte Seele ist, die in dem Erzähler ihren vor siebenhundert Jahren im Feuer umgekommenen Seelenverwandten wiedergefunden hat - oder ob sie wirklich psychisch krank ist und unter Realitätsverlust leidet.
Das literarische Umkreisen der Frage, wo Glaube und Mystizismus aufhören und psychische Wahnvorstellungen beginnen, ob die Grenze dazwischen wohl je nach Epoche und Weltsicht nur Definitionssache ist - das ist für mich die größte Stärke des Buches.
Neben einer Szene zwischen Ich-Erzähler und Marianne, die so voller Zärtlichkeit und Liebe ist, dass sich in mir alles zusammengeknäult hat und mir die Tränen nur so heruntergelaufen sind.
Alles ganz fein, ganz wunderbar, krass und doch poetisch geschrieben, ein großartiges Buch -
- bis es an der Zeit für die Auflösung war.
Ich ahnte irgendwie, dass mich diese enttäuschen würde.
Eigentlich ist der Schluss ganz gut gemacht - nicht plump, nicht an den Haaren herbeigezogen, plausibel erklärt, gut geplant.
Und trotzdem konnte er mich nicht ganz überzeugen. Nach den drastischen, wuchtigen ersten beiden Dritteln des Buches kam mir das Ende zu säuselnd, zu fade - und vor allem ein klein wenig zu emotionsarm.
Schade - davon hatte ich mir etwas mehr erhofft. Da fehlte mir etwas an erzählerischem Gewicht; es brachte meiner Empfindung nach das Buch insgesamt aus der Balance.
Dennoch halte ich Andrew Davidson für einen Autor allererster Güte, eine wirklich großartige Entdeckung. Sein Sprachstil ist unkonventionell und sehr kreativ, eindringlich und ansprechend; seine Ideen originell und tiefgründig.
Von seinen weiteren Werken verspreche ich mir sehr viel; von ihm können wir mit Sicherheit grandiose Bücher erwarten.