'Die Kalligraphin' - Seiten 109 - 179

  • Zitat

    Genau das meine ich. In ihrer Liebe zu Alexander ist sie regelrecht aufgeblüht, hat ihren Gefühlen freien Lauf gelassen. Ich kann sie mir sehr gut vorstellen, als Alexander noch gelebt hat und die beiden ihre Zuneigung zueinander entdeckt haben. Ihr scheint es aber nicht recht zu gelingen, ihrer Familie gegenüber Zuneigung zu entwickeln und verhält sich denen gegenüber meist sehr reserviert und eher streng.


    Christine
    Ja, genau. Ich finde das traurig, aber meinem Eindruck nach kommt es durchaus häufiger vor, dass man das Schöne vor seiner Nase nicht sieht, weil man an etwas festhält, was schon verloren ist.


    beowulf
    Danke für die gute knappe und eingängige Erklärung!


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Mich hat, wie fast jeden hier, auch die Wandlung überrascht, dass Habar sich noch so ausgeschlossen fühlt, Ibrahim dagegen sich so angepasst hat.


    Ich denke mal, es spiel auch ein Rolle, dass Ibrahim auf Gut Hartleben offenbar ebenbürtig wie Karl, der Sohn der Hausherren behandelt wird. Das dürfte in etwa der Stellung entsprechen, die er in seiner Heimat gehabt hätte. Da fällt es vermutlich leichter, sich einzuleben, nachdem Karl seine Freundschaft errungen hat. Nach Habars Tod muss er sehr einsam gewesen sein und ich denke mal, kein vierzehnjähriger hält es auf Dauer aus, alleine zu sein, wenn ihm jemand beständig die Freundschaft anbietet.


    Habar hingegen ist eine Dienerin, auch wenn sie Gesellschafterin von Amalia von Schwarzenbach ist, so ist sie doch niedrig gestellter und wird nicht gleich behandelt. Das dürfte dazu beitragen, dass sie sich fremd fühlt und sich zumindest an ihren Glauben klammert.


    Ruperts Unfall fand ich schlimm, vor allem die Folgen. Nachdem er gerettet wurde, hatte ich die Hoffnung, dass er vielleicht auf Ibrahim umdenkt und ihn doch noch akzeptiert, aber die Amputation hat das zu nichte gemacht. Mit einem Schlag waren seine ganzen Träume, seine ganze Lebensplanung dahin, während Karl und Ibrahim beides unbeschwert genießen können. Das drängt Rupert wieder in eine Außenseiterrolle und härtet ihn noch weiter ab. Ich finde das schade, aber ich kann die Entwicklung nachvollziehen.


    Lieben Gruß
    Larna

  • Zu den Charakteren ist eigentlich schon alles gesagt, vieles ist jetzt für mich klarer, z.B. woher der Hass von Rupert kommt. Das hatte ich im letzten Abschnitt einfach missverstanden.
    Was mir immer wieder auffällt, ist, wie gut sich die Geschichte liest. Wenn ich das Buch zur Hand genommen habe, ist eigentlich immer gleich ein Abschnitt vorbei gewesen.

    :lesendCorinna Kastner - Fischlandlügen | Nina George und Jens J. Kramer - Die magische Bibliothek der Buks 1: Das verrückte Orakel



    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Zitat

    Original von Bookworm
    Ich finde Deine Überlegungen interessant und kann mir gut vorstellen, dass es ein wenig von allem ist. Mir geht darüber hinaus noch eine Möglichkeit durch den Kopf, da schon angesprochen wurde, dass es scheint, Ibrahim verdränge seine Vergangenheit. Vielleicht ist die Aufgabe seines Glaubens und die christliche Taufe für ihn zusätzlich das Abbrechen seiner letzten Wurzeln in die Vergangenheit? Schließlich ist die seine Religion das letzte, was ihm von seiner Vergangenheit geblieben ist.


    Das ist mir auch durch den Kopf gegangen. Ist es richtig, mit der Vergangenheit abzubrechen und sich ganz in das hier und jetzt einzulassen oder sollte man seine Erinnerung pflegen? Die verschiedenen Figuren führen es verschieden vor: Ibrahim, Habar, Theodora ... und trotzdem kann ich mich nicht entscheiden, welcher Weg der Beste wäre.

  • Einen schönen fast Mittag!


    Zitat

    Ich denke mal, es spiel auch ein Rolle, dass Ibrahim auf Gut Hartleben offenbar ebenbürtig wie Karl, der Sohn der Hausherren behandelt wird. Das dürfte in etwa der Stellung entsprechen, die er in seiner Heimat gehabt hätte.


    Larna
    Das ist ein weiterer Punkt. Ich denke auch, dass bei seiner Entwicklung unterschiedliche Sachen zusammenkommen.
    Und ja, bei Rupert hatte ich auch kurzzeitig Hoffnungen, es könne jetzt besser werden ...

    Nachtgedanken
    Schön, dass es sich für Dich gut liest. Das freut mich natürlich sehr. :-)


    Zitat

    Das ist mir auch durch den Kopf gegangen. Ist es richtig, mit der Vergangenheit abzubrechen und sich ganz in das hier und jetzt einzulassen oder sollte man seine Erinnerung pflegen?


    Liesbett
    Gute Frage, mit der wahrscheinlich viele von uns – auf unterschiedlicher Art und mehr oder weniger – zu tun haben.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Ja, ich kann meine vogtländisch-sächsische Seele auch mitten in Rheinland-Pfalz nicht immer verhehlen, vor allem nicht sprachlich :grin
    Ich denke aber auch an die Befindlichkeiten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund. Es ist nicht einfach, für sie, egal welch vermeintlich simple Lösung man anführen möge.

  • Zitat

    Original von Bouquineur


    Bei Rupert habe ich nach seiner Rettung fast an einen Gesinnungswandel geglaubt. Es sieht nun aber so aus, als würde er Karl und Ibrahim dafür verantwortlich machen, sein Bein verloren zu haben. Warum musste er auch alleine aufbrechen.
    Aber es passt, auch hier sucht er wieder die Schuld bei anderen, macht andere für sein Schicksal verantwortlich.


    Also, ich konnte es kaum glauben, als Rupert sich bei Ibrahim und Karl bedankt hat. Ich wusste, dass noch was passieren musste. Irgendwer ist doch immer böse ;-)
    Aber der Arme hat es echt schlecht getroffen, andererseits ist er selbst schuld, wenn er allein im Schnee und bei Eis wegreiten möchte.


    Ich bin mal gespannt, ob Victor in Habar verliebt ist.
    Es scheint fast so.


    Ich hätte auch nicht gedacht, dass Ibrahim seinen Glauben verleugnet und sich taufen lassen möchte. Was ist mit ihm los? Irgendwas stimmt doch da nicht.
    Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er das wirklich möchte. Will er nur dazu gehören und nicht mehr "der Türke" sein?


    Ich finde, Amalia geht unmöglich mit Habar um! Ich kann die Schnepfe nicht leiden!


    Jetzt kann ich erst mal nicht weiter in dem Abschnitt schreiben, weil ich schon viel weiter bin und nicht mehr weiss, was in welchen Abschnitt gehört.

  • Zitat

    Original von Danai



    Theodora kommt mir doch sehr hartherzig vor. Das zeigt sich auch sehr schön in ihren Gedanken über ihre Tochter: "Wer hat mir nur dieses Wechselbalg in die Wiege gelegt?" So denkt man nicht über sein Kind, das man liebt, auch wenn es schon längst erwachsen ist und zu widersprechen wagt.


    Aber warum Wechselbalg? Ich hab jetzt noch mal in Wikipedia geguckt - es ist ein anderes Wort für Kukukskind. Aber die Mutter muss doch wissen, wer der Vater ist und dass Georg der Vater ist. Oder hat das Wort in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung?

  • Zitat

    Original von Danai
    Also jemand wie Habar... :gruebel


    Das ist ja eine völlig neue Sicht auf die Dinge. Ob etwa Habar und Rupert...? Möglich wäre es ja schon.


    Aber er würde Habar ja nicht an sich ran lassen, glaube ich. Er kann sie ja nicht mal leiden und war froh, als sie weg war. Und nach dem Unfall wird das sicher nicht besser werden.

  • Zitat

    Original von Bookworm


    Dass die Figuren gerne ein Eigenleben entwickeln, haben ja schon einige Autoren berichtet und ich finde es immer wieder interessant. Das stelle ich mir auch für euch als Autoren unheimlich spannend vor.


    Genau das habe ich gerade meinem Mann erzählt. Ich glaube, ich werde niemals Geschichten schreiben können - bei mir würde im Leben keiner reagieren wie er will.... ;-)
    Ich finds aufregend!

  • Zitat

    Original von Booklooker
    Aber warum Wechselbalg?


    Das ist einfach das schlimmste Schimpfwort, was Theodora für ihre Tochter einfällt (es ist ihre Tochter), weil sie so anders ist und sich anders verhält, als sie es gerne hätte.


    Ob Ibrahim seinen Glauben verleugnet? Ich weiß es nicht. Natürlich war er noch sehr jung, als er aus seinem gewohnten Umfeld gerissen worden ist und der "alte" Glaube verbindet sich damit. Dann glaube ich aber auch, dass das neue Umfeld und der "neue" Glaube einen Einfluss auf ihn haben muss, aber ob er das Alte deshalb vollkommen aufgibt? Ich denke, auch in der Realität haben sicherlich einige dieser Menschen ihren alten Glauben nicht komplett vergessen.


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Ibraim betont ja mehrfach, das es derselbe, eine Gott sei und es nicht darauf ankäme, wie der nun gerade benannt würde. Für ihn hat sich nicht der Gottesglaube geändert, sondern nur der Ritus, die Art wie man den HErrn verehrt.

  • Zitat

    Original von Booklooker
    Ich hätte auch nicht gedacht, dass Ibrahim seinen Glauben verleugnet und sich taufen lassen möchte. Was ist mit ihm los? Irgendwas stimmt doch da nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er das wirklich möchte. Will er nur dazu gehören und nicht mehr "der Türke" sein?


    Ich finde Beowulfs Erklärung recht gut.
    Ausserdem nehme ich an, dass der Glaube auch durch die Glaubensgemeinschaft und durch fest im Glauben stehende Vorbilder gefestigt bzw. geprägt wird und das sich Religion gerade in der Pupertät nocheinmal heftig wandeln kann. Und Ibrahims Bezugspersonen sind alle Christen.

  • Zitat

    Original von Liesbett
    Ich finde Beowulfs Erklärung recht gut.


    Ich auch. Ibrahim erwähnt das ja auch tatsächlich. Zudem wusste man auch damals, dass man im Prinzip an ein- und denselben Gott glaubt. Der Wechsel von der Vorstellung eines "einzigen" Gottes zu der eines "dreieinigen", wie bei uns, dürfte den verschleppten Muslimen wohl mit am Schwersten gefallen sein.


    LG


    Kirsten

  • Ich habe auch so das Gefühl, dass Rupert Ibrahim für den Verlust seines Beines verantwortlich macht, auch wenn es eigentlich seine eigene Schuld ist. Er hat sich bedankt bei beiden nach der Rettung, aber da wusste er ja noch nicht, dass er lebenslang ein Krüppel bleibt. Ich denke, dass er sich an den beiden irgendwann rächen wird.


    Ich hoffe, dass Habar und Viktor ein Paar werden. Sie scheinen mir gut zusammen zu passen.


    Dass Ibrahim Christ sein will, kann ich schon irgendwie nachvollziehen. Glauben ist ja auch anerzogen und er lebt jetzt schon so viele Jahre mit Christen, dass er vielleicht sogar ein bisschen überzeugt ist. Vielleicht will er aber auch wirklich nur dazugehören.


    Habar scheint nicht sehr glücklich darüber zu sein, dass sie dunklere Haut hat. Sie meidet die Sonne um ja nicht noch mehr aufzufallen. Kann man auch nachvollziehen. Sie tut mir schon leid.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • Zitat

    Original von CathrineBlake
    Habar scheint nicht sehr glücklich darüber zu sein, dass sie dunklere Haut hat. Sie meidet die Sonne um ja nicht noch mehr aufzufallen. Kann man auch nachvollziehen. Sie tut mir schon leid.


    Oh ja, in einer Zeit, in der ganz, ganz weiße Haut "in" war. Dunkle Haut haben ja nur Bauern und arme Leute, und die sind ja per se "hässlich". Oh, Mann! :rolleyes


    LG


    Kirsten