'Die Kalligraphin' - Seiten 109 - 179

  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Ich hatte es jedenfalls so verstanden, er wolle versuchen sie zurückzugewinnen.
    Natürlich hoffte, Habar, dass ihr Bruder sie zurückholt. Ihr war ja auch nichts anderes bekannt, als sie wegfuhr.


    edit stellt fest, Lesebiene hat wohl etwas reininterpretiert, was nicht so war.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Ich habe nichts von einem plötzlichen Gesinnungswandel geschrieben ;-)
    Ich sprach die Tendenz zum Umdenken an, die sich vielleicht über viele Jahre hinweg vollzogen hätte, mit Sicherheit aber keinen plötzlichen Anfall von Liebe. Eher einen Anflug von Respekt.


    Ich bemerke gerade, wie sehr ich dazu neige meine Lieblinge zu verteidigen, ob sie es nun verdient haben oder nicht. :zwinker
    Deine Gedanken haben natürlich etwas für sich. Wenn ich ihn nämlich von der Seite aus betrachte, frage ich mich, was man ihm bieten muss um seine Achtung zu erhalten. "Bloßes" Gerettetwerden reicht scheinbar nicht aus. Er ist ein ziemlicher Einzelgänger.


    Edit: Habe ich in meinem früheren Beitrag tatsächlich Charaktäre geschrieben? Wie peinlich!

  • Ja, da stimme ich Dir zu, das ist er.
    Bin mir nicht sicher, ob man mit irgendeiner Handlung seine Achtung erlangen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass er nur vor jemand Achtung haben würde, der mit ihm auf einer Augenhöhe ist, der ihm die Stirn bieten kann. Derjenige müsste sicher keine Heldentaten vollbringen. Einfach innere Stärke und Würde zeigen.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Ich hätte nicht gedacht, dass Ibrahim den muslimischen Glauben ablegen und christ werden will, Harbar hingegen an ihrem Glauben festhält. Ich hätte vermutet, dass es genau umgekehrt kommt. Bei Ibrahim hab ich das Gefühl, dass das eine Verdrängungstaktik ist. Er gestattet sich auch nicht, an die Vergangenheit zu denken. Da staut sich was und ich glaube, das bricht sich irgendwann noch Bahn.


    Stimmt, mir ging es ähnlich, da Habar von Anfang an diejenige war, die offener wirkte. Schließlich war es sie, die die Sprache erlernte und mit mit dem Maler eine Freundschaft einging, und die letztendlich auch Kontakt zu Georg fand. Ibrahim dagegen begegnete allen abweisend, bis er endlich mit Karl Freundschaft schloss, müssen Ewigkeiten vergangen sein. Außerdem war er es, der ständig von einer Flucht in die Heimat träumte.



    Zitat

    Original von Bouquineur
    Bei Rupert habe ich nach seiner Rettung fast an einen Gesinnungswandel geglaubt. Es sieht nun aber so aus, als würde er Karl und Ibrahim dafür verantwortlich machen, sein Bein verloren zu haben. Warum musste er auch alleine aufbrechen.
    Aber es passt, auch hier sucht er wieder die Schuld bei anderen, macht andere für sein Schicksal verantwortlich.


    Auch hier bleibt mir nicht viel mehr, als mich Bouquineurs Gedanken anzuschließen. In diesem Abschnitt konnte ich Rupert zwar wieder nicht richtig einschätzen. Warum geht er mit Ibrahim und Karl auf die Jagd, wenn beide ihm weiter verhasst sind? Und dass er immer noch nicht viel von ihnen hält, ist deutlich. Er weicht Ibrahim aus und bricht am nächsten Morgen ohne die beiden auf, obwohl er weiß, dass der Ritt später bei voller Sonne nicht leichter wird. Doch dann verunglückt er, vielleicht sieht er in diesem Moment seine Dummheit ein? Er ist zunächst dankbar für die Rettung. Ich frage mich, wie das Verhältnis zwischen Rupert und Ibrahim weitergegangen wäre, wenn Rupert wieder vollständig gesund geworden wäre. Hätten die beiden doch noch Freunde werden können?


    Dass Rupert über die Amputation verbittert ist, kann ich verstehen, in dieser Hinsicht tat er mir wirklich leid. Jedoch gefällt mir nicht, dass er sogleich wieder mit einem solchen Hass auf Ibrahim und Karl reagiert.

  • Zitat

    Original von Sabine_D


    Aber das ist schon eine furchtbare Vorstellung.


    Irgendwie schon.


    Zitat

    Für mich kommt sie wie eine arrogante Zicke rüber.


    Lesebiene
    Vielleicht hast Du Recht mit der Arroganz. Ich habe Theodora immer als im Übermaß egoistisch angesehen, aber Arroganz könnte auch ihren Anteil an ihrem Charakter haben.
    Was das Hineininterpretieren angeht: Manchmal findet man da Aspekte, die einem gar nicht klar waren. Ich finde das nicht schlecht. :-)


    Liesbett und Bouquineur
    Das ist interessant, was ihr über Rupert schreibt. Als Einzelgänger sehe ich ihn auch (und er sich wahrscheinlich selbst). Ich hatte aber auch immer den Eindruck, dass es Ruperts Schwäche ist, dass er nicht wirklich Hilfe annehmen kann. Er kreiert sich sein Bild vom "einsamen Wolf".


    Und was sehe ich da, ihr seid schon am Verkuppeln ...


    Zitat

    Dass Rupert über die Amputation verbittert ist, kann ich verstehen, in dieser Hinsicht tat er mir wirklich leid. Jedoch gefällt mir nicht, dass er sogleich wieder mit einem solchen Hass auf Ibrahim und Karl reagiert.


    Bookworm
    Mir auch nicht. Ich hätte ihm am liebsten die Leviten gelesen, aber so sind Figuren eben: Sie machen, was sie wollen ... und sie machen so viele Fehler, wie sie wollen. :rolleyes


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • 5 Jahre sind zwischen dem 1. und 2. Teil vergangen. In meinem Lesefluß hat sich hier eine große Lücke aufgetan. Als Habar und Ibrahim Kinder waren, dachten sie an nichts anderes, als daran zusammen zu bleiben und an die Flucht in die Heimat. Die Trennung der beiden war für mich sehr dramatisch. Auf einmal ..... peng .... 5 Jahre später ..... Habar denkt nur noch sporadisch an ihren Bruder ..... Ibrahim verdrängt sogar jeglichen Gedanken an seine Schwester. Ich hätte mir gewünscht, daß rückblickend wenigstens ein Fluchtversuch Ibrahims erwähnt werden würde.


    In diesem Abschnitt kristallisiert sich Ruperts schwacher Charakter immer mehr heraus. Während ich im ersten Teil noch Verständnis für die Gedankengänge eines 12-jährigen Jungen hatte, der seine ganze Familie verlor und einen Schuldigen hierfür finden mußte, sollte es meiner Meinung nach ein 18-jähriger mittlerweile besser wissen. Natürlich ist es sehr sehr schlimm sein Bein zu verlieren, aber auch hier macht er Karl und Ibrahim indirekt wieder verantwortlich, obwohl diese ihm das Leben gerettet haben. Ihm kam nicht ein einziges Mal der Gedanke, daß er durch seinen nächtlichen Aufbruch aus der Hütte selbst an seiner Misere Schuld ist. Auch der kurzfristige Sinneswandel, als er sich bei seiner Rettung bei Ibrahim bedanke, macht ihn mir nicht wirklich sympathischer.

  • Zitat

    Original von Danai
    Amalia ist genau so, wie ich mir eine Dame von Stand zu der Zeit immer vorgestellt habe: verwöhnt, egoistisch und gelangweilt. Hadar hat es sicher als Gesellschafterin bei ihr nicht leicht. Ich denke sie spürt ständig, dass sie zum Personal gehört und muss stets auf dem Sprung sein dieses und jenes für Amalia zu besorgen.


    Genau so stelle auch ich mir eine Dame von Stand vor. Amalia scheint es wirklich zu genügen, den ganzen Tag vor dem Spiegel zu stehen und sich um ihr Äußeres zu kümmern. Habar dagegen ist ein wissbegieriger Mensch, sie nimmt sogar ( wenn auch aus der Ecke heraus ) am Unterricht Amalias teil und ihr Lieblingsort scheint die Bibliothek zu sein.




    Zitat

    Original von Danai
    Victor erscheint mir ein angenehmer Mensch zu sein. Ob sich da zwischen ihm und Hadar etwas anbahnt? Ich würde es ihr wünschen.


    Victor ist mir auch sehr sympathisch. Am Anfang hatte ich den Eindruck, daß er ein zu weicher Mensch sei und sich wohl kaum gegen seinen Vater würde durchsetzen können. Umso angenehmer war ich überrascht, als er sich beharrlich weigerte zurück nach Dresden zu gehen. Auch ich würde mir natürlich wünschen, daß sich Habar und Victor näher kommen.



    Zitat

    Original von Danai
    Theodora kommt mir doch sehr hartherzig vor. Das zeigt sich auch sehr schön in ihren Gedanken über ihre Tochter: "Wer hat mir nur dieses Wechselbalg in die Wiege gelegt?" So denkt man nicht über sein Kind, das man liebt, auch wenn es schon längst erwachsen ist und zu widersprechen wagt.


    Über Theodora kann ich mich auch nur wundern. Das einzige, was sie wirklich zu interessieren scheint, sind ihre Erinnerungen an Alexander. Alles andere scheint sie überhaupt nicht zu berühren.

  • Zitat

    Original von Solas
    Ich kann mir vorstellen, dass Ibrahims Annahme des Christentums überraschend kam. Meine Frage war, was hat diese Menschen überhaupt dazu bewegt, ihren Glauben zu wechseln. Eine Überlegung: Es dürfte leichter gefallen sein, wenn sie eine gute Beziehung zu ihren christlichen Herrschaften hatten. Zweite Überlegung: Der Wunsch, dazu zu gehören. Meine dritte Überlegung war, dass sich Ibrahims Situation vollkommen ändert, weil er nun nicht mehr „stark“ sein muss für die kleine Schwester, jetzt ist er das schwächste Glied. Das sind – wie immer – nur meine Ideen dazu. Leider habe ich kaum Zeugnisse dazu gefunden, wie es diesen Menschen wirklich erging. In meiner Rechercheliteratur hieß es an einer Stelle, eine ehemalige Türkin, die getauft worden sei und einen Einheimischen geheiratet habe, habe ihre türkischen Wege (was auch immer damit gemeint war?) nicht ganz aufgeben können. Wahrscheinlich war es auch von Bedeutung, wie alt man war. Kindern fiel es wahrscheinlich leichter.


    nun ist mir auch wieder eingefallen, was ich gestern hierzu schreiben wollte, war schon ein wenig spät... :lache


    Ich finde Deine Überlegungen interessant und kann mir gut vorstellen, dass es ein wenig von allem ist. Mir geht darüber hinaus noch eine Möglichkeit durch den Kopf, da schon angesprochen wurde, dass es scheint, Ibrahim verdränge seine Vergangenheit. Vielleicht ist die Aufgabe seines Glaubens und die christliche Taufe für ihn zusätzlich das Abbrechen seiner letzten Wurzeln in die Vergangenheit? Schließlich ist die seine Religion das letzte, was ihm von seiner Vergangenheit geblieben ist.

  • Zitat

    Original von Solas



    Bookworm
    Mir auch nicht. Ich hätte ihm am liebsten die Leviten gelesen, aber so sind Figuren eben: Sie machen, was sie wollen ... und sie machen so viele Fehler, wie sie wollen. :rolleyes


    Dass die Figuren gerne ein Eigenleben entwickeln, haben ja schon einige Autoren berichtet und ich finde es immer wieder interessant. Das stelle ich mir auch für euch als Autoren unheimlich spannend vor.

  • Zitat

    Original von Bookworm
    Ich finde Deine Überlegungen interessant und kann mir gut vorstellen, dass es ein wenig von allem ist. Mir geht darüber hinaus noch eine Möglichkeit durch den Kopf, da schon angesprochen wurde, dass es scheint, Ibrahim verdränge seine Vergangenheit. Vielleicht ist die Aufgabe seines Glaubens und die christliche Taufe für ihn zusätzlich das Abbrechen seiner letzten Wurzeln in die Vergangenheit? Schließlich ist die seine Religion das letzte, was ihm von seiner Vergangenheit geblieben ist.


    Ich denke, dass Ibrahim einfach aufgesteckt hat. Die Schwester fort, damit sein letzter Halt und seine Verbindung zur Vergangenheit. Er hat sich damit abgefunden bei den Deutschen zu bleiben und will jetzt durch die Taufe ganz dazugehören.

  • Zitat

    Ich hätte mir gewünscht, daß rückblickend wenigstens ein Fluchtversuch Ibrahims erwähnt werden würde.


    Christine
    Meinst Du ausführlicher beschrieben? Ich habe darüber nachgedacht und dann entschieden, dass das zu weit von der eigentlichen Geschichte wegführt. Aber ich kann gut verstehen, wenn Dir da etwas fehlt.


    Zitat

    Über Theodora kann ich mich auch nur wundern. Das einzige, was sie wirklich zu interessieren scheint, sind ihre Erinnerungen an Alexander. Alles andere scheint sie überhaupt nicht zu berühren.


    Nun ja, sie hat ihn sehr geliebt. Vielleicht stellt sie sich auch vor, wie viel besser ihr Leben an seiner Seite verlaufen wäre? Meiner Meinung nach lebt sie mit ihren Gefühlen in der Vergangenheit.


    Bookworm  
    Deine Idee, dass Ibrahim seine Vergangenheit verdrängt, finde ich sehr treffend. Aber auch das „Aufstecken“, dass Sabine_D erwähnt, spielt sicherlich mit hinein. Der Wunsch dazu zugehören, ist nicht zu unterschätzen.


    Ja, es ist spannend, wenn Figuren ihr Eigenleben entwickeln – und manchmal lästig. :grin


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • Zitat

    Original von Solas


    Nun ja, sie hat ihn sehr geliebt. Vielleicht stellt sie sich auch vor, wie viel besser ihr Leben an seiner Seite verlaufen wäre? Meiner Meinung nach lebt sie mit ihren Gefühlen in der Vergangenheit.


    Genau das meine ich. In ihrer Liebe zu Alexander ist sie regelrecht aufgeblüht, hat ihren Gefühlen freien Lauf gelassen. Ich kann sie mir sehr gut vorstellen, als Alexander noch gelebt hat und die beiden ihre Zuneigung zueinander entdeckt haben. Ihr scheint es aber nicht recht zu gelingen, ihrer Familie gegenüber Zuneigung zu entwickeln und verhält sich denen gegenüber meist sehr reserviert und eher streng.

  • Auf Gut Schwarzbach erscheint die Athmosphäre auf den ersten Blick freundlicher als auf Gut Hartleben. Obwohl bei näherer Betrachtung auch hier jede Menge Probleme unter der Oberfläche lauern.


    Am interessantesten erschien auch mir die unterschiedliche Entwicklung von Ibrahim und Habar. Im ersten Teil hat Ibrahim jegliche Anpassung an das neue Leben abgelehnt und nur an Flucht gedacht, während Habar viel schneller bereit war, z. B. die neue Sprache zu lernen. Nun scheint er alles Frühere verdrängen und vergessen zu wollen, beabsichtigt sogar, sich taufen zu lassen.
    Habar betet nach wie vor zu Allah und hält ihre Erinnerungen wach.


    Eine Frage hätte ich noch: Was ist ein "schriftsässiges" Gut?

  • Ich kopiere einfach mal die Erklärung von wikipedia hier hinein:


    ..Schriftsässigkeit, auch (kanzlei)schriftsässig, ist die frühere Bezeichnung für Grundherrschaften (wie zum Beispiel Rittergüter), deren Besitzer unter den obern Landesgerichten als erster Instanz standen, im Gegensatz zu den amtssässigen Rittergütern (Amtssassen), deren Besitzer das Amt, in dessen Bereich sie gelegen, als erste Instanz anzuerkennen hatten.


    Die Schriftsässigkeit war an das Gut und nicht an die Person des Grundherrn gebunden...

  • Stell dir das mal völlig begriffsunabhängig vor. Die eigene Macht definiert sich ja auch immer daraus, welche nächsthöhere Macht ich anerkennen muß. Wenn ich also Amtssasse bin, unterliege ich der Gerichtsbarkeit des nächstem Amtmanns- so in etwa Größenordnung Landrat, als Schriftsasse bin ich viel näher an der Rechtshoheit des Landesherrn dran, also näher an der Macht.