Abschied von der Burg - Enid Blyton (ab ca. 12 J.)

  • OT: Last Term at Malory Towers 1951


    ‚Abschied’ ist das Thema des sechsten Bands von Blytons Internatsgeschichte um Darrell Rivers/Dolly Rieder. Schon der erste Satz des Buchs läßt keinen Zweifel daran, hier geht etwas zuende. ‚My last term!“ thought Darrell, as she got ready to go downstairs.„My very last term! I shall be eighteen on my next birthday - I’m almost grown-up!“


    Es ist aber kein Ruckzuck und Schluß-Abschied, im Gegenteil, Abschied wird hier gründlich gefeiert. Warum, das erklärt uns Darrells jüngere Schwester Felicity/Felizitas gleich auf Seite zwei. „Wenn man einmal gründlich Lebewohl gesagt hat, kann man sich richtig auf das Neue freuen.“


    Zunächst einmal aber geht es um das Bewährte. Die Mädchen werden ins Internat gebracht, im Auto diesesmal. Unterwegs nehmen sie Sally/Susanne, Darrells beste Freundin, auf. Das gibt Blyton die Gelegenheit, einen Blick in die Zukunft zu tun, denn Sally sechsjährige Schwester erklärt gleich, daß sie eines Tages auch nach Malory Towers gehen wird. Hier wird Kontinuität geschaffen und zugleich Trost gespendet. Unsere Freundinnen verlassen die Schule bald, aber diese wird es weiterhin geben, ebenso wie muntere Mädchen, die dort ihre Schulabenteuer erleben können. Manchmal fällt das Loslassen leichter, wenn man weiß, daß etwas auch ohne eine weitergeht, die Welt also nicht zuende ist.


    Was folgt, kennen wir, nun genießen wir es ein letztes Mal. Die Kurve, der erste Blick auf das Internat. Im Schulhof erwarten uns alle alten Vertrauten. Allerdings verhalten sie sich ein wenig anders, sie sind nicht mehr zwölf und auch nicht mehr fünfzehn, sie sind um die achtzehn Jahre alt, nahezu erwachsen. Sie treten würdig auf. Felicity hat schon darüber gespottet, aber das ändert nichts daran. Mit dem Alter kommt Reife, will man sich in der Welt bewähren, mußt man sie zeigen.
    So geschieht die Ankunft von Bill und Clarissa wie üblich zu Pferd, jedoch nicht im wilden Galopp, sondern gemäßigt und mit nur kleiner Familieneskorte. Auch Bills Brüder sind inzwischen erwachsen und im Berufsleben. Die Welt hat sich gedreht, sie ist nicht stehengeblieben. Am deutlichsten wird die neue Situation, als es darum geht, daß Irene der Hausmutter das Gesundheitszeugnis vorlegen muß. Immer hat sie es verlegt, vergessen, verschusselt. Auch diesesmal, aber - es ist nur ein Spiel. Ein alter Scherz wird inszeniert, zum allseitigen Vergnügen. Dennoch ist eines klar geworden, Irene hat sich ‚gebessert’, sie ist nicht mehr so schusselig wie früher. Sie ist erwachsen.


    Das ist alles folgerichtig im Rahmen der sechs Bände, führt aber dazu, daß die vertrauten Mädchenfiguren hier blasser wirken. Blyton versucht dem abzuhelfen, indem sie den jüngeren aus der zweiten Klasse, Felicity, ihrer Freundin Susan/Steffi und June/Irmgard, der aufmüpfigen Kusine von Alicia/Alice, mehr Raum gewährt. Es gelingt letztendlich aber nicht recht, diese Personen ganz aus ihrer angestammten Rolle als Nebenfiguren herauszuholen. Man richtet die Aufmerksamkeit schon automatisch auf die längst liebgewordenen Hauptfiguren. Und da wird eben ein gewisses Vakuum spürbar. Das Gefühl, etwas verloren zu haben, verläßt eine beim Lesen nicht mehr.


    Auch der Schulalltag kommt nicht mehr recht in Fahrt. Unsere Freundinnen haben herausragende Positionen in der Schülerinnen-Hierarchie erlangt. Diese müssen sie ausfüllen, Würde, Würde allenthalben. Darrell ist Schulsprecherin (was Blyton die Gelegenheit gibt, uns, den Leserinnen, noch ein Mal Miss Graylings Schul-Philosophie zu präsentieren, die Darrell mit anhört), Sally ist zusammen mit Moira/Martina verantwortlich für den Schulsport. Ein wenig Leben kommt in das Ganze dadurch, daß tatsächlich noch neue Schülerinnen auftauchen, allen voran Amanda, die eine so gute Sportlerin ist, daß sie kurz davor steht, bei den olympischen Spielen anzutreten. Die Konkurrenzsituation zu den Malory Towers-Mädchen, die sich für erstklassige Sportlerinnen halten, wird eingehend, überzeugend und mit viel Witz geschildert.
    Sie bildet auch den Hintergrund für einen der interessantesten Erzählstränge der gesamten Serie, nämlich für die Entwicklung von Alicias Kusine June. Sie, ca. 14, wird im sechsten Band zur Gegenspielerin Amandas. Beschrieben wird der Konflikt zweier äußerst starker Charaktere, hart, unbeugsam, nahezu unversöhnlich. Ein Kampf der Gigantinnen.
    Ein erstaunliches Thema in einer Mädchenbuchserie, das ziemlich gekonnt und überzeugend abgehandelt wird. Daß der Schluß zu moralisch gerät, ist zu bedauerlich, aber eben den Grenzen geschuldet, die Blytons Überzeugungen ihr setzen.


    Diese Grenzen kommen im sechsten Band auch an anderer Stelle zum Tragen. Ein weiteres Thema des Buchs, abgesehen vom Abschiednehmen, ist das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern. Leserinnen in Deutschland finden dazu einen bösen Streit zwischen Gwendolyn Mary/Evelyn und ihrem Vater, der auch fast böse endet. Die schriftstellerische Umsetzung bringt Blyton hart an den Rand der Sentimentalität und des Kitsches, eben das, was sie sonst in den Malory Towers-Büchern weiträumig zu umschiffen weiß.
    Die englische Ausgabe hat aber noch ein zweite Geschichte zu diesem Thema, daß sie in der deutschen fiel, war eine gute Entscheidung. Tatsächlich zeigt sie ein sehr negatives Bild von Blyton. Dieser Handlungsstrang spielt in der zweiten, in Felicitys Klasse. Dort gibt es eine Mitschülerin, Josephine, die deutlich aus einer Familie stammt, die nicht der Gesellschaftsschicht angehört, aus der Malory Towers üblicherweise seine Schülerinnen rekrutiert. Jos Eltern und auch das Mädchen selbst werden als neureich, aufdringlich, laut, schlecht erzogen und - für englische Verhältnisse ganz wichtig - schlechtes Englisch sprechend, in dem Fall mit Cockney-Einschlag, geschildert. Die Verachtung der Angehörigen der upper middle class gegenüber jemandem aus der lower middle class liest sich streckenweise äußerst peinlich. Diese Haltung bringt sogar Miss Grayling, die Direktorin, ins Schleudern. Sie vergeht sich soweit, daß sie mit anderen Eltern über Jo und ihre ‚schreckliche’ Familie tratscht, ein echtes Vergehen für eine Pädagogin wie für jemanden in einer Leitungsposition. Jo erweist sich dann auch als schlechter Einfluß in der zweiten Klasse und wird letztendlich aus der Schule geworfen. Schuld an ihrem Versagen sind allerdings die Eltern, das wird ganz klar gemacht. Daß Jo dennoch keine zweite Chance bekommt, im Unterschied zu allen anderen Sünderinnen der Serie, hinterläßt einen schalen Geschmack beim Lesen und wirft die Frage auf, wie zeitgemäß gerade der sechste Band heute noch ist.


    Nicht zeitgemäß ist auf jeden Fall der bösartige Seitenhieb gegen die französische Schülerin Suzanne, eine Nichte von Mam’zelle Rougier. Abgesehen davon, daß sie unsportlich ist, was man eben noch hinnehmen kann, wird an einer Stelle explizit gesagt, daß französische Mädchen eben nicht das hohe Verantwortungsbewußtsein englischer Mädchen besitzen. In der Ausgabe von 1978 (!) prangt dieser Satz noch in seiner vollen rassistischen Wucht.


    Zu den guten, ja, wichtigen, Seiten des Buchs gehört neben verrückten Streichen (hier werden die Haarnadeln der Lehrerinnen mittels eines Magneten aus den Aufsteckfrisuren entfernt und das mitten im Unterricht) und recht spannend geschilderten sportlichen Wettkämpfen, eine kurze Zukunftsschau recht früh im Buch auf den weiteren beruflichen Werdegang unserer Heldinnen. Sie ist wirklich bedeutsam, nicht allein, wenn man das Erscheinungsjahr des Buchs, 1951, bedenkt.
    Mavis/Margot treffen wir schon nicht mehr im Internat an, sie hat bereits ihre Gesangsausbildung begonnen. Irene wird Musik studieren, mit dem Ziel Komponistin zu werden, Belinda/Bettina wird Malerin. Alicia, Betty, Sally und Darrell werden studieren, die Fächer erfahren wir nicht, aber Darrells künftiger Beruf als Schriftstellerin wird noch einmal deutlich. Es ist wirklich überraschend, wievielen ihrer Protagonistinnen Blyton ein Leben als selbständige Künstlerin gönnt.


    Mary-Lou/Marlies wird Kinderkrankenschwester, ihre Ausbildung wird sie selbstverständlich an einem der berühmtesten Londoner Krankenhäuser machen. Sie ist die einzige, die in einem typischen Frauenberuf landet.
    Erstaunlich dann wieder die skizzierte Zukunft von Bill und Clarissa. Es wird eine gemeinsame sein, beruflich. Sie werden ein Gestüt und einen Reiterhof eröffnen, wir erfahren, daß sie in den vergangenen Ferien bereits geeignete Ställe besichtigt haben. Unser Erstaunen ist ebenso groß, wie das ihrer Klassenkameradinnen. Und auch hier haben wir zwei Frauen, die eine Zukunft der Selbständigkeit geplant haben.
    Die künftige berufliche Partnerinnenschaft wirft implizit auch die Frage nach der privaten auf, die Beziehung zwischen der so weiblich beschriebenen Clarissa und dem tom-boy Bill scheint recht deutlich in diese Richtung zu weisen, auch wenn man es sich bei der äußerst konservativen Autorin kaum vorstellen kann.


    Leider bricht die Aufzählung der gewählten Berufe dann ab, daß Gwendolyn eine Art Hilfssekretärin wird, gehört zum moralischen Teil der Geschichte und ist nicht genießbar.


    Am Ende gibt es zuerst eine große traurig-rührende Szene, in der die Schulabgängerinnen auch sehr ernsthaft mit der Frage der Tradition umgehen. Einen Kunstgriff führt Blyton dabei noch vor, sie benutzt nämlich das Verhältnis von Alicia und June, um es zu illustrieren. Familienehre, Standesehre, Schulehre, dazwischen müssen die Mädchen sich bewegen und immer das rechte Maß finden.


    Und ganz Ende gibt es lautes Gelächter. Im Abschiedsrummel werden auch die reifen Achtzehnjährigen für wenige Minuten zu den Kindern, als die sie sechs Jahre zuvor die Schule betreten haben. Die Kindheit ist vorbei, aber ein Stück davon steckt in jeder von ihnen. Aus den Abschiedstränen sind Lachtränen geworden.
    So behält man sie in Erinnerung, Darrell und Sally, Alicia und Irene, Felicity und Susan, Bill und Clarissa. Lachend, glücklich. Selbst Gwendolyn in ihrem fernen Büro bekommt einen Teil dieses Glücks mitgeteilt, denn eigentlich gehört auch sie dazu.
    Ein guter Abschied.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • man hat uns allerdings auch Enid Blyton verkauft, wo gar nicht Blyton drin war.... das hier war das letzte orginal Blyton Dolly Buch, soweit ich weiß, die weiteren wurden von Tina Caspari glaube ich geschrieben... ist mir als Kind nie aufgefallen, erst später mal irgendwo gelesen.
    für mich war die 22teilige Serie (glaube waren 22 oder?) stimmig damals, und ich weiß gar nicht wie oft ich die alle gelesen haben (wobei ich hatte den dicken Sammelband, den gaaaaanz dicken wo bis auf den letzten Band alle drin waren).