In den Wäldern am Kalten Fluß - William Judson/Übers. Annemarie Böll (ab ca. 12 J.)

  • OT: Cold River 1974


    Lizzy, die Ich-Erzählerin, lebt im Norden des US-Bundesstaates New York, am Rand der Wälder entlang des Cold River (Adirondacks). Ihr Vater ist Pelztierjäger, ihre Mutter ist gestorben, aber Lizzy hat eine Stiefmutter und einen Stiefbruder, Tim, mit dem sie sich ganz gut versteht. Das liegt auch daran, daß Tim ein Jahr jünger ist, Lizzy spielt gern die große Schwester.
    Ihre Stiefmutter hätte es zu gern gehabt, daß Lizzy sich mit ihren knapp dreizehn Jahren etwas weiblicher verhält, aber Lizzy interessiert sich mehr für das, was ihr Vater tut. Sie kann fast ebensogut mit dem Gewehr und dem Jagdmesser umgehen wie er. Arbeiten im Haushalt bereiten ihr allerdings auch wenig Mühe, daher versteht sie sich auch mit der Stiefmutter recht gut.


    Der Herbst 1921, in dem die Geschichte spielt, bringt alle Anzeichen für einen frühen, harten und sehr langen Winter. Lizzys Vater ist noch dazu beunruhigt über die wachsende Zahl von Freizeit-Jägern und Touristen in der Gegend. Er hat das deutliche Gefühl, daß das Ende der Ära der wahren Jäger und Fallensteller gekommen ist. Aus diesem Gefühl wächst bei ihm der Wunsch, den beiden Kindern noch einmal die Wildnis und Natur in ihrer ganzen unverbrauchten Pracht vorzuführen. Und so brechen die drei zu einer mehrtätigen Fahrt auf, die sie entlang des und auf dem Cold River in abgelegene Waldgebiet führen soll.
    Alle drei sind erfahrene Waldläufer, der Vater hat gut dafür gesorgt, daß Lizzy und Tim, 13 und 12 Jahre alt, sich in den Wäldern ebensogut zurechtfinden wie er.


    Die ersten beide Tage der Fahrt sind anstrengend, aber wunderschön. Doch am dritten geschieht ein Unglück, die drei geraten mit ihrem Kanu in Stromschnellen und kentern. Der größte Teil der Ausrüstung geht verloren, der Vater wird schwerverletzt. Nicht lange danach sind die beiden Kinder in der Wildnis buchstäblich verloren gegangen. Die weitere Geschichte ist die Geschichte ihres Überlebenskampfs. Hunger, ein Bär und der hereinbrechende Winter sind nur einige der Schwierigkeiten, die sie erwarten.


    Dieses Buch ist ein echtes Abenteuerbuch für all diejenigen, die Überleben in der Wildnis als Abenteuer ansehen. Es geht ums nackte Überleben und sonst nichts.
    Darunter kann für LeserInnen, die auf Geschichten aus sind, die Spannung leiden. Über weite Strecken liest sich das Buch wie ein illustrierter Ratgeber zum Thema Überlebenstraining,
    Wie macht man Feuer, wie baut man ein Bett aus Zweigen, wie findet man Nahrungsmittel. Wie baut man Fallen. Tiere, vom Fisch bis zum Truthahn, werden gefangen, geschlachtet, ausgenommen (mit höchst faszinierenden Methoden!), zubereitet. Die Beschreibungen sind äußerst realistisch.
    Es ist entschieden kein Buch für TierfreundInnen und VegetarierInnen. Auch nicht unbedingt für jede Freundin guter Küche, die Suppe aus halb Wasser, halb Tierblut mit ordentlich Tierfett untergerührt ist mir eindrücklich im Gedächtnis geblieben. Der Tee aus frischen Fichtennadeln klang dagegen etwas appetitlicher.


    Die Entwicklung in der Beziehung zwischen Lizzy und Tim, das Bemuttern, das Reiferwerden, Verantwortung übernehmen, füreinander da sein, blitzt immer wieder einmal auf. Daß darüber so wenig geschrieben wird, paßt allerdings zu Lizzys Persönlichkeit, sie ist ein junges Mädchen, das seine Gefühle eher verbirgt, als sie zur Schau zu tragen.
    Am Ende gibt es fast noch einen echten Krimi, der größte Feind des Menschen, so scheint uns der Autor zu sagen, ist trotz allem der Mensch.


    Das Buch liest sich flüssig, der Ton ist allerdings ein ein wenig altmodischer, man gewinnt wirklich den Eindruck, daß hier eine alte Lizzy aus ihrer Jugend erzählt. Das Leben auf dem Land in den zwanziger Jahren wird sehr lebendig und durchaus mit einer Prise Humor beschrieben.
    Was ich nicht verstehe, ist, warum der Eigenname des Flusses, Cold River, den es ja tatsächlich gibt, übersetzt wurde.


    Die detaillierten Illustrationen von Hauke Kock verstärken den Hauch des ‚Indianerlebens’, der über der Geschichte schwebt, zeigen aber auch die wilde Schönheit von Wald, Fluß oder Himmel.
    William Judson ist das Pseudonym des US-amerikanischen Autors Edwin Corley (1931 - 1981). Er hat unter diesem Pseudonym zwischen 1974 und 1976 drei Kinderbücher verfaßt.


    Wer ‚Robinson Crusoe’ mochte oder ‚Die Schweizer Familie Robinson’, ‚Die Höhlenkinder’ oder auch ‚Die Insel der blauen Delphine’ kann mit diesem Buch richtig glücklich werden.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • In den Wäldern am Kalten Fluss - William Judson


    Taschenbuch: 224 Seiten


    OT: Cold River
    Übersetzt von Annemarie Böll


    Kurzbeschreibung:
    Als Lizzy ihren Vater und ihren Bruder auf einer Kanufahrt begleitet, geschieht ein schlimmes Unglück. Die Geschwister versuchen allein den Weg aus den endlosen Wäldern am Cold River zu finden. Ohne Hilfsmittel müssen sie sich gegen Schneestürme, wilde Tiere und einen entflohenen Sträfling zu Wehr setzen.


    Über den Autor:
    William Judson war ein Pseudonym von Edwin Corley (1931-1981)


    Über die Übersetzerin:
    Annemarie Böll, war eine deutsche Übersetzerin und Ehefrau von Heinrich Böll. Sie lebte von 1910 bis 2004. Sie hat unter anderen Charles Dickens, J.D.Salinger, O Henry, Judith Kerr und George Bernard Shaw übersetzt.


    Mein Eindruck:
    Ein gut geschriebenes amerikanisches Jugendbuch der siebziger Jahre, das realistisch den Überlebenskampf zweier Kinder in der winterlichen Wildnis Anfang der zwanziger Jahre zeigt.


    Berge, Wälder und Flüsse bieten ein atmosphärisches Panorama, ohne zum Selbstzweck genutzt zu werden.
    Cold River heißt das Buch im Original, und kalt wird es wirklich


    Erzählerin ist Lizzy, die nach einem Kanuunfall mit ihrem ein Jahr jüngeren Stiefbruder Tim auf sich alleine angewiesen ist.
    Der Wintereinbruch macht ein Durchqueren des Waldes schwer.
    Immerhin haben die beiden gelernt, wie man jagt und im Wald überlebt.
    Einige zusätzliche Schwierigkeiten, wie ein Bär oder ein entlaufener, gefährlicher Sträfling machen ihnen das Leben schwer.


    Die Erzählperspektive überzeugt mich und es gibt ein Gefühl für die Zeit 1920/1921.
    Ein Hauch von “Wer die Nachtigall stört“, eine Spur von Velma Wallis „Zwei alte Frauen“. Auch ein Vergleich zu Gary Paulsen liegt auf der Hand. Und doch ist der Autor natürlich in erster Linie eigenständig, wobei die Handlung vage an Bergkristall von Adalbert Stifter erinnert.


    Ich habe eine andere Ausgabe als die oben verlinkten, mit einem anderen Umschlagcover, das mir wirklich sehr gut gefällt, aber auch mit den ansprechenden Illustrationen von Hauke Kock.


    Das Buch wurde unter dem Titel Verschollen am Cold River 1982 verfilmt. Den Film würde ich gerne einmal sehen.