Rapunzel. Vampirgeschichten - Michael Sonntag

  • Vampire haben Konjunktur. Tatsächlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Konjunktur geradezu zu einer Flutwelle angewachsen ist. Es gibt Kinderbücher, Filme, Schlager, Comics, Kaffeebecher, Plastikfiguren, Krimis, Pornos, Schokolade, Historienschinken, Kekse, Schnulzen, Lakritze, Science-Fiction, Schulhefte, Seife, Jugendbücher, Gedichte, Bastelbogen, T-Shirts und G-Strings mit diesen Gestalten der Finsternis.
    Kein Wunder, daß sich die Fangzähne, für die Vampire berüchtigt sind, in letzter Zeit ziemlich abgeschliffen haben. Sie können nicht mehr zubeißen, sie kitzeln meist nur noch, und zwar vor allem die Lachmuskeln.
    Hin und wieder aber kommt es tatsächlich vor, daß aus den Fluten etwas emporsteigt, das sich vom Einheitsbrei abhebt. Bei dem vorliegenden kleinen Buch, das von Aufmachung und Format her am ehesten an eines der modernen Reclam-Heftchen erinnert, ist das durchaus der Fall.


    ‚Kurzgeschichten und Anekdoten’ lautet der zweite Untertitel. Kurzgeschichten ist hier wörtlich zu nehmen, die Texte, insgesamt dreißig, sind selten länger als eine Seite.
    Die Vampire, ihr Gegenstand, lauern in allen Lebenslagen. Es gibt Abenteuer - und Rächergeschichten, Märchen, Historisches, Zeitgenössisches und Zukünftiges. Das Thema wird in allen möglichen Variationen durchgespielt. Es sind auch Variationen dabei, die zunächst unmöglich erscheinen, mit einer einzigen Wendung, nicht selten den letzten zwei Sätzen, aber dennoch gelingen.


    Sehr originell sind die Neu-Interpretationen altbekannter Stoffe, sei es, daß sie Weltliteratur, sei es, daß sie der Pop-Kultur entstammen. Nicht nur Rapunzel hat sich verändert, auch die Gralsgeschichte sieht auf einmal ganz anders aus. Poes Rabe bekommt eine neue Rolle zugesprochen und die Sache mit Moses und dem Roten Meer erscheint in einem wahrhaft anderen Licht und das in ägyptischer Finsternis!
    Batman, Borgs und James Bond haben ihre Auftritte, einmal auch gegen die bis dahin immer die gleiche Richtung gebürsteten Erwartungen. Die Überraschungen gelingen.


    Der Erzählton ist ruhig, geradezu gelassen, die Sprache unaufdringlich und schlicht. Hin und wieder wünscht man sich einen letzten Feinschliff. Das Raffinement des Ganzen aber liegt nicht im Sprachlichen, sondern in der Konsequenz, mit der neue Geschichten erzählt oder alte Stoffe umgedeutet werden. Darin liegt der Wert.
    Druck - oder Satzfehler sind ganz wenige zu verzeichnen, der Satzspiegel könnte schöner sein.


    Keine Geschichte ist versöhnlich oder romantisch, hier wird nicht geschönt oder gar überzuckert. Auch nicht dann, wenn die Geschichten eine Sehnsucht erkennen lassen, etwa die, daß die Menschen nicht gar so grausam zueinander wären. Das Vampir-Dasein mag eine Lösung sein, doch auch sie hat ihren Preis.
    Vampire sind nicht in jedem Fall die strahlenden Sieger, sie können ihrerseits zum Opfer werden. Den Vampir-Kosmos um andere, gefährlicher Feinden zu erweitern, ist ein wenig arg an den Zeitgeist angelehnt und in keinem Fall ganz neu.. Dennoch entwickeln auch diese Geschichten, einen gewissen Reiz beim Lesen.


    Der Gruseleffekt schleicht sich auf sanften Pfötchen an, er liegt weniger im Sinnlichen, als in der Erkenntnis der jeweiligen Lage. Ebenso sanft ist der Humor, der ab und zu aufblitzt. Daß es wenig zu lachen gibt, ist ebenfalls konsequent. Die Vampire in dieser Sammlung sind bei allem unleugbar Spielerischen eine ernsthafte Angelegenheit.
    Von daher gesehen, kann man darüber streiten, ob die Entscheidung des Autors, die Geschichtensammlung ‚Anekdoten’ zu nennen, zur humoristisch-verschmitzten oder zur ernsthaften Seite gehört. Bekanntlich haben Anekdoten ja einen wahren Kern.


    Interessantes kleines Buch, auch (oder gerade?) für LeserInnen, die dem Vampir-Fieber immer ausgewichen sind.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Chemnitz? :wow
    Ich dachte immer, die Stadt ist ganz harmlos. Aber ich gebe zu, daß ich sie nicht kenne.



    Weil in diesem Thread die Frage aufkam, ob die Geschichten für Kinder geeignet sind:
    Meine Antwort lautet 'nein'. Es sind Geschichten für Erwachsene, wegen der Leseerfahrung, die Kenntnis bestimmter Motive, Personen, auch Hintergrundgeschichten wird vorausgesetzt. Bei der Batman#Geschichte z.B. habe ich ein bißchen Zeit gebraucht, bis es mir dämmerte, wer die Hauptperson ist, weil ich die Comics nie in größerer Menge gelesen habe und auch nur eine ältere Verfilmung eher vage in Erinnerung hatte.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Die Batman-Geschichte bezog sich auf die 1989er Verfilmung mit Michael Keaton.
    Ich finde die Geschichten selbst nicht so schlimm, daß sie für Kinder ungeeignet wären (bis auf die Inquisitionsgeschichte) aber ich gebe Dir recht, die Hintergründe dürften jüngeren Lesern zum Teil nicht ganz klar sein

  • Ein bißchen aufegregt deswegen?
    :grin


    Ich hab den anderen Link gesehen, ich gehe davon aus, daß ich nicht die einzige bin. ;-)



    Auf jeden Fall aber Glückwunsch zum Interview!


    :anbet



    Ich hoffe, man kann das auch morgen im Nachinein noch hören?



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Klingt interessant... auch wenns scheinbar nicht unbedingt für Kinder geeignet ist und ich mit meinen 15 Jahren auch noch ziemlich jung bin, es wandert erstmal auf meine Wunschliste... ( :wow Buch 99, wird wohl noch dauern bis ne Rezi dazu kommt)

  • Okay, aber wie gesagt, kann dauern, ich hab zur zeit noch sooo viele Bücher auf meiner Wunschliste... und der nächste Bucheinkauf wird wohl auch erst in na weile sein, bin ziemlich Pleite gerade, hab letzte woche erst mal wieder Bücher gekauft...

  • xDD Naja, aber bei Bildbänden gibts so wenig zu lesen xD Ich möcht eigentlich keine regale nur mit Bilderbüchern haben xD
    Da nehm ich mich beim kaufen dann doch lieber etwas zurück, auch wenns schwer fällt... so wie ich jetzt zugeschlagen habe darf ich wohl bis Ende 2009 nix neues mehr kaufen wenn ich nich zu viele ungelesene haben will xDD naja, zur not beeil ich mich einfach mit lesen xD