Liebe Eulen, ich wünsche euch ein frohes Fest – welches auch immer, siehe unten
Der Text ist schon älter, und das angesprochene Weihnachtsfest ist das von 1998, weshalb auch der Ramadan in den Dezember fiel und das Jahr des Hasen vor der Tür stand ....
Kuala Lumpur, Malaysia 1998
Weihnachten steht unübersehbar vor der Tür.
Gerade sind wir aus der malaysischen Provinz zurück in die Hauptstadt gekommen und nun schmunzelt mich der Weihnachtsmann aus jedem Schaufenster an. Mit frostroter Knollennase und Rauschebart. Sicherlich ziemlich verschwitzt in seiner pelzverbrämten Jacke. Einträchtig sitzt er mit chinesischen Drachen unter kunstschneebestäubten Plastiktannen, an denen bunte Lichtlein blinken. Ich dachte, wir wären dem vorweihnachtlichen Irrsinn in Deutschland ent-kommen. So kann man sich täuschen: Santa Claus ist überall, wenn er denn der Umsatzsteige-rung dienlich sein kann. Blond gelockte Engel bevölkern Kuala Lumpurs Einkaufszentren und die frohe Botschaft, die sie verkünden, lautet: THE BIG SALE! In sehr großen Buchstaben.
Zwar gibt es in Malaysia neben Moslems, Taoisten, Buddhisten, Hindus und Animisten auch einen marginalen Anteil an Christen, aber ich bezweifle sehr, dass diese Wenigen den massierten Aufmarsch an Nikoläusen rechtfertigen. Doch Malaysia wäre nicht Malaysia, würde nicht jede Gelegenheit beim Schopfe gepackt, einen ordentlichen Ausverkauf zu veranstalten.
„Jesus ist der zweitwichtigste Prophet in der islamischen Lehre“, merkt unsere moslemi-sche Freundin Fedelia an und stürzt sich ins Getümmel aus tütenbepackten Frauen mit jammernden Kindern im Schlepptau, versierten Schnäppchenjägern und vereinzelten hilflosen Touristen, die, überwältigt von dem Rummel, die Gänge blockieren.
Unmittelbar nach Weihnachten rückt ein Heer von Dekorateuren den Weihnachtsmännern auf den unpraktischen roten Pelz und ersetzt sie kurzerhand durch Pappmaché-Sektflaschen in Übergröße und Girlanden mit der Aufschrift HAPPY NEW YEAR, um den Silvester-Sonderverkauf anzukurbeln.
Und dann geht es erst richtig los: Die letzten Silvester-Partyschwärmer sind noch auf dem Heimweg, da rüstet sich der Einzelhandel schon für das Ende des Ramadan. Hari Raya, der letzte Tag des moslemischen Fastenmonats, ist eines der wichtigsten Ereignisse im islamischen Kalender und wird von den sechzig Prozent Moslems im Lande entsprechend groß gefeiert. Der Ramadan richtet sich nach dem Mondkalender und verschiebt sich jedes Jahr um elf Tage nach vorne. Dieses Jahr fällt Hari Raya auf den 17. Januar. Also: Silvesterdekoratio-nen in die Abstellkammer, Bastkörbchen in die Auslagen. Die Malaien verpacken ihre Ge-schenke traditionell in kunstvoll geflochtenen Behältern aus Palm- oder Bananenblättern, und diese geben zehnfach vergrößert einen wunderbaren Schaufensterschmuck ab.
Auf Plakaten verkünden die Shopping-Malls SELAMAT HARI RAYA – EIN FROHES FEST – und noch größer wird mitgeteilt, dass zu diesem Anlass ein gigantischer MEGA SALE veranstaltet wird.
Das gilt allerdings nicht für Kokosnüsse, die langsam knapp werden und astronomische Preise erzielen. In Malaysia werden Süßigkeiten unter Verwendung von Kokosöl, Kokos-milch und Kokosraspeln hergestellt und in der Festzeit braucht man besonders viel davon. Zusätzlich werden am kurz auf Hari Raya folgenden hinduistischen Thaipusam Kokosnüsse in rauen Mengen zerschlagen – Opfer für den Gott Muruga. Die Regierung sieht sich gezwungen, die Preise für die begehrten Kokosnüsse festzusetzen und Millionen davon aus Thailand zu importieren. Bei den dortigen Buddhisten steht gerade nichts Besonderes an.
Die mittlerweile etwas müde wirkenden Angestellten der Warenhäuser tauschen nun die guten Worte zum moslemischen Fest gegen Spruchbänder aus, auf denen neben der Ankündi-gung, dass jetzt alles zwanzig bis siebzig Prozent billiger sei, den Teilnehmern des Thaipusam-Fests auf Englisch und Tamil nur das Allerbeste gewünscht wird.
Eine Zwischenbilanz: Wie viel bleibt, nachdem die Preise erst halbiert, dann um siebzig Prozent, danach um weitere dreißig Prozent und nochmals um vierzig Prozent gesenkt wurden?
Die ersten Kokosnusswucherer werden verhaftet und die Tageszeitungen mahnen zur Mä-ßigung: Das Zerbrechen einer Nuss pro Kopf würde den religiösen Verpflichtungen vollauf Genüge tun. Das sehen die Inder natürlich völlig anders und handeln nach dem Motto: Viel hilft viel.
Nachdem die letzten Wellen der eine Million starken Hindu-Flut, die Kuala Lumpur vorü-bergehend in ein Tollhaus verwandelt hatte, abgeebbt sind, mobilisieren die stark abgemager-ten und leicht gebeugten Verkäufer ihre letzten Kraftreserven und verwandeln die Einkaufszentren über Nacht in chinesische Konsumtempel. Rote Lampions verbreiten heimeliges Licht und mit goldenen chinesischen Schriftzeichen bedruckte Fahnen verkünden neue Rabatte. Ich kann die Ziffern 55 % erkennen. In den Regalen tauchen dreibeinige Plastikkröten, Jadebudd-has und Hasen, Hasen und noch mehr Hasen in allen erdenklichen Materialien, Größen und Preislagen auf. Wir steuern auf den Höhepunkt und gleichzeitig das Ende des chinesischen Jahres zu. Das nächste Jahr wird im Zeichen von Meister Lampe stehen, und der muss von den Chinesen, mit circa dreißig Prozent die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe Malaysias, gebührend begrüßt werden. Feuerwerkskörper werden en gros verkauft und mit Böllern, Umzügen, Illuminationen sowie – natürlich – Kokoskuchen wird das Ereignis zelebriert.
Leider müssen wir Malaysia kurz vor diesem Ereignis verlassen, was ein bisschen schade ist: Verpassen wir doch nicht nur die festlich geschmückten chinesischen Viertel, sondern kommen auch um den Genuss des BIG SALE, der zum Anlass des Valentinstages demnächst stattfindet.
In diesem Sinne: Feiert schön!
Eure
SteffiB