Bo im Wilden Land - Lena Kugler (ab ca. 6 J.)

  • In Katanien gibt es keine Drachen mehr, kein Farbwechselnder Kragendrache, kein Blasbalgriger Natternzüngler, nicht der kleinste Schimmernde Blassling ist mehr zu sehen. Die Katanier sind darüber nicht besonders traurig. Zum einen ist die Abwesenheit von Drachen gut für die Prinzessinnen (nicht, daß es in Katanien viele gäbe, aber man weiß ja, was die Legenden sagen!), zum anderen für die Häuser. Auf sie treten Drachen nämlich manchmal, und dann sind die Häuser futsch. Fast noch schlimmer finden es die Katanier, daß sich Drachen nicht einmal entschuldigen, wenn sie ein Haus umgetreten haben. Drachen sind nämlich ebenso rüpelhaft wie Katanier höflich sind. Nein, das war kein gutes Gemeinschaftsleben mit den Drachen, gut, daß sie weg sind. Daß es auf einmal mitten im August schneit, ist nur eine Laune des Klimas, das wird schon wieder anders werden.


    Es gibt allerdings eine kleine Gruppe von Kataniern, die unglücklich darüber sind, daß die Drachen fort sind, und das sind die Helden. Das ist ein besonderer Berufsstand, der sich daraus ergibt, daß es Drachen gibt. Helden müssen gegen Drachen kämpfen, man weiß ja, was die Legenden sagen. Besonders unglücklich ist Harold, der Vater der kleinen Bo. Gerade hat er sein Studium der Drachenkunde abgeschlossen, sein Diplom ist noch feucht von der Tinte und nun sind die Drachen weg! Das ganze Studium, die Seminare über Drachenanatomie, Feuerkunde und Drachendialekt (Schwerpunkt: Drachenflüche) sollen umsonst gewesen sein? Harold ist zum Heulen zumute.
    Ebenso geht es Bo und ihrer Mutter Lilli. Haben sie doch die letzten Groschen zusammengekratzt, um Harold eine Heldenrüstung zu kaufen. Für ein Pferd hat das Geld nicht mehr gereicht, und die Rüstung ist auch schwer verbeult. Aber es ist eine richtige Heldenrüstung. Soll das umsonst gewesen sein?
    Beinahe.
    Wäre die Rüstung nicht eine ganz besondere gewesen.
    Sie gehörte einst nämlich Sir Robert vom Mitleidigen Blech und es hat eine ganz besondere Bewandtnis mit ihr. Eben deswegen findet sich Bo unvermutet mitten in einem haarsträubenden Abenteuer wieder, begleitet von einer gehfähigen und sprechenden hohlen Rüstung und, kurz darauf, einem Drachenei. Das übrigens meistens mault, vom nächtlichen Schnarchen gar nicht zu reden. Aber man weiß ja, daß Drachen rüpelhaft sind.
    Was Bo wissen möchte, ist der Grund für das Verschwinden der Drachen. Es gibt aber jemanden, der das verhindern will. Bald werden die drei von einem finsteren Bösewicht verfolgt. Die Verfolgung endet auch nicht, als die drei ins Wilde Land kommen, dem Land der Riesen und Drachen. Bo, Sir Robert und das murrende Ei müssen sich ganz schön anstrengen, um die Verwicklungen um Drachen, Helden, Riesen, Legenden, umgetretene Häuser und dem Wetter zu lösen und die Geschichte zu einem guten Ende zu bringen.


    In ihrem ersten Buch für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, entwirft Lena Kugler eine wunderbare und originelle eigene Welt. Eigentlich ist die Geschichte ganz einfach, ihren Wert gewinnt sie durch die Fülle an bunten und lustigen Einfällen zum Thema Drachen und Helden. Über weite Strecken ist hier schiere Lust am Fabulieren am Werk und eben die teilt sich einer beim Lesen unmittelbar mit. Es gibt einige unheimliche Szenen, dunkle Wälder, Wölfe, Höhlen, Schlangen, es gibt große Gefahren zu bestehen. Hin und wieder wird es so spannend, daß man selbst als erwachsene Leserin kurzzeitig gebannt ist. Auf kleine Kinder kann die Wirkung durchaus überwältigend sein.
    Die Sprache ist modern, flüssig, bilderreich. Hin und wieder ist sie ein wenig frech und ironisch, vor allem die Dialoge sind schön pointiert abgefaßt.
    Die Lösung ist gut ausgedacht, es gibt einige Anstöße dazu, sich eigene Gedanken über die Dinge zu machen und nicht alles zu glauben, was die Legenden so erzählen. Die Strafe für die Bösewichte ist hart, aber konsequent. Es ist kein versöhnliches Kuschel-Kinderbuch.
    Ein wenig lesegeübt sollten die Kinder sein, wenn sie es selbst lesen. Es eignet sich aber auch hervorragend zum Vorlesen.


    Die schwarz-weiß Illustrationen von Ludvik Glazer-Naudé unterstreichen den Legendencharakter der Geschichte. Es gibt Vignetten über jedem Kapitel, und zu den wichtigsten Ereignissen ganzseitige Bilder. Am häufigsten werden Drachen abgebildet, von Kopf bis Fuß, gehend stehend, liegend, feuerspeiende, fliegend. Mit einem oder mehreren Köpfen, oder auch nur Teile von ihnen, Schuppen, Krallen und vor allem das Gebiß. Daß man nie sicher sein, kann, ob sie rüpelhaft grinsen oder eine gleich auffressen wollen, trägt zur Freude beim Betrachten bei.
    Jedes Bild, ob klein oder groß, befindet sich in einem runden oder ovalen Rahmen, der seinerseits aus einem Drachenlieb gebildet wird, ein schöner Einfall.


    Ein sehr gelungener Beitrag für Kinder zum Thema ‚Drachen’.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Das oben ist die Taschenbuchausgabe, die mich ganz zufällig und ohne, daß ich wüßte, warum, vor einigen Tagen aus der Buchhandlung hinausbegleitet hat.
    :grin


    Das Buch ist aber so gut gemacht, daß es sich lohnen kann, die gebundene Ausgabe zu kaufen, vor allem, wenn man es verschenken möchte.
    Daher hier noch der Link zur gebundenen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus