Das Buch:
Worum geht es? Gesellschaftliche und soziale Veränderungen, England in den 1830er Jahren, die Reform Bill, Einführung der Eisenbahn, exemplarisch dargestellt an den Menschen in einer aufstrebenden Provinzstadt, z.B.:
Dorothea Brooke: sie ist noch sehr jung, tief religiös und hat große Ideale; sie beschließt, ihr Leben damit zu verbringen, Gutes zu tun. Sie lernt den ältlichen Mr. Casaubon kennen und ist von ihm, besonders aber von seiner Gelehrsamkeit sehr fasziniert. Sie glaubt, in ihm eine Möglichkeit zur Verwirklichung ihres Wunsches zu finden, indem sie ihn dabei unterstützt, sein großes Werk "Schlüssel zur Mythologie" zu vollenden. Kurz vor der Hochzeit lernt sie Mr. Casaubons jungen Cousin Will Ladislaw kennen. Schon auf der Hochzeitsreise entdeckt Dorothea, dass sie in dieser Ehe offensichtlich nicht findet was sie sucht. In Rom begegnet sie auch Will wieder, der sie mit einer ihr bis dahin völlig unbekannten Welt in Berührung bringt, und ihr begreiflich zu machen versucht, dass sie ihr Leben nicht nur für andere aufopfern darf, dass es ein Akt der Nächstenliebe sein kann, selber Freude zu empfinden, und der ihre bis dahin feststehende Meinung über viele Dinge ins Wanken bringt ...
Tertius Lydgate: Ein junger Arzt mit dem ehrgeizigen Ziel, in seinem Beruf ganz Großes zu leisten, z.B. ein Mittel gegen Scharlach zu finden, oder die Natur des "Urgewebes" zu entdecken. Er ist verwaist, kommt aus guter, aber nicht reicher Familie und es heißt, dass er mit einem Baron verwandt sei. Er hat in Paris Medizin studiert, begegnet den überkommenen Methoden seiner Kollegen in Middlemarch mit Verachtung und macht daraus auch keinen Hehl, was ihm nicht unbedingt deren Sympathien einbringt. Mit seinem bescheidenen Erbe erwirbt Dr. Lydgate eine Arztpraxis. Er kann sich außerdem eine Position als Berater und Arzt in dem Krankenhaus sichern, das der sehr fromme, aber unbeliebte Mr. Bulstrode, ein Bankier und Spekulant, in Middlemarch bauen läßt. Der Haken: es handelt sich um eine unbesoldete Stelle, die nichtsdestoweniger sehr viel Einsatz verlangt. Davon läßt sich Mr. Lydgate aber nicht abschrecken, denn ihm geht es nicht um Profit, sondern um die Möglichkeit, seinen beruflichen Traum zu verwirklichen. Unterdessen lernt er Rosamond Vincy kennen, sie ist die Tochter des Bürgermeisters und Nichte von Mr. Bulstrode; sehr schön, sehr charmant, aber auch sehr anspruchsvoll und hat sich ganz fest vorgenommen, gesellschaftlich voranzukommen. Rosamond Vincy ist stolz darauf, niemals etwas aufzugeben, was sie sich vorgenommen hat ...
Fred Vincy: Nach dem Willen seines Vaters soll er Geistlicher werden. Das entsprechende Studium hat er absolviert, das Examen jedoch nicht bestanden, weshalb sein Vater nicht mehr bereit ist, ihm jeden Wunsch zu erfüllen, und Fred hat viele Wünsche: Glücksspiel, schnelle Pferde, die Jagd ... nach dem Wegfall des väterlichen Schecks muss sich Fred nach einer anderen Geldquelle umsehen und findet sie in Mr. Bambridge, dem Pferdehändler, der Fred Geld leiht. Freds Onkel Featherstone, der sehr reich, sehr geizig aber auch sehr krank ist, ist Besitzer eines stattlichen Landgutes, von dem sich Fred die Lösung für all seine Probleme verspricht. Doch der boshafte Peter Featherstone wird die Hoffnungen all seiner Verwandten enttäuschen, und einen völlig unbekannten illegitimen Sohn als alleinigen Erben einsetzen, was Fred in eine sehr prekäre Lage bringt ...
Ich kenne nur wenige Romane, die es an Komplexität mit "Middlemarch" aufnehmen können, vielleicht "Krieg und Frieden", "die Elenden" und die "Danziger Trilogie". Was die Schilderung der Charaktere und deren Interaktion anbelangt, kenne ich nichts vergleichbares ...
Die Autorin:
George Eliot, * 22. November 1819 in Nuneaton, Grafschaft Warwickshire; † 22. Dezember 1880 in London -- Pseudonym der englischen Schriftstellerin Mary Ann Evans.
Meine Meinung:
Für Liebhaber klassischer Literatur ist dieses Buch ein absolutes Muss. Eliot verleiht ihren Charakteren, auch den Nebenfiguren, so viel Leben und Präsenz, dass man sie alle persönlich zu kennen glaubt. Der Leser wird in eine Zeit gesellschaftlicher Reformen und Umbrüche zurückversetzt, was sehr anschaulich beschrieben wird.
Fazit:
Wenn man sich auf das langsamere Erzähltempo der Zeit einlassen kann, darauf, dass manchmal über Seiten hinweg nur Eindrücke geschildert werden und nichts passiert, wird man mit einem Einblick in das gesellschaftliche Leben im England der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts belohnt, der seinesgleichen sucht.