Verstörung - Thomas Bernhard

  • Kurzbeschreibung:


    Ein Landarzt aus der Steiermark nimmt seinen Sohn auf Visite mit, einen Tag lang. Fälle präsentieren sich, wie eine Landpraxis sie bringt, Fälle, wie sich zeigt, die jenseits medizinischer Möglichkeiten erst beginnen. In Gesprächen und Beobachtungen entstehen Geschichten, Diagramme von Existenzen, immer ist Umwelt, Landschaft, Klima, Vergangenheit in die Existenz mit einbezogen. […]


    Eigene Meinung:


    „Verstörung“ ist thematisch wieder ein typischer Bernhard. Wir begleiten den Ich Erzähler, Student, wie er seinen Vater, einen Arzt, bei seinen Hausbesuchen in der Steiermark begleitet. Im ersten Teil des Romans besuchen die beiden die verschiedensten Personen. Personen, für die der Arzt oft die einzige Bezugsperson verbleibt, die in Isolation und Krankheit leben. Der zweite Teil des Buches ist eine Art Monolog des letzten Besuchs, des Fürsten Saurau, der auf seiner abgeschiedenen Residenz einem Wahn verfallen zu sein scheint.


    Sprachlich erscheint es mir diesmal anders. Es liest sich vor allem der erste Teil nicht so flüssig wie sonst. Oft wird der Lesefluß durch kurze Satzeinschübe unterbrochen, gebremst. Diese virtuose Sprachmelodie, die ich sonst von Bernhards Texten gewohnt war, ging mir hier ab. Im zweiten Teil des Buches kehrt diese zwar wieder zurück, aber meines Erachtens nicht in der gleichen Strahlkraft wie in seinen anderen Werken.


    Zugleich ist dieses Buch das düsterste, das ich bisher von Bernhard gelesen habe. Bernhard beschäftigt sich in seinen Büchern oft mit Themen wie Krankheit, den Kranken, Selbstmord, Isolation und gesellschaftskritischen Themen, allerdings ist doch auch immer eine positive Seite vorhanden gewesen. Diesmal hatte ich eher den Eindruck in ein dunkles Tal geführt zu werden, über dem eine Nebelsuppe hängt, die jeden Funken Licht aussperrt. Dazu kommt auch, dass ich mit dem zweiten Teil rund um den Fürsten Saurau nicht in allen Bereichen etwas anfangen konnte.
    Dafür finde ich vor allem den ersten Teil sehr gelungen, wo der Arzt – selbst in einer zerrütteten Familie – die Mauer der Einsamkeit vieler Menschen durchbrechen kann und eine Reihe treffender Charakterisierungen enthält. Zudem finden sich hier auch sehr viele interessante Szenen, die zum Nachdenken einladen (z.B. Papageienszene).


    Ein besonderes Schmankerl war, das sich Bernhard als Schauplatz die Steiermark ausgesucht hat. Es hat doch einen besonderen Reiz, wenn plötzlich auch im eigenen Wohnort literarische Spuren eines Bernhards auftauchen.




    .

  • Danke für die schöne Rezi, Taciturus!
    Hast wirklich sehr gut gemacht. Und ich habe mich wieder an den Thomas Bernhard erinnert. Bis jetzt habe ich zwar erst ein Buch von ihm gelesen: "Der Untergeher", aber seiner Sprachgewalt kann man sich nur schwer entziehen, auch wenn ich wahrscheinlich kein Bernhard-Fan werde.


    Mein Mann hat sich schon auf den Weg gemacht, um das Buch zu besorgen. Der Schauplatz Steiermark ist für eine Steirerin natürlich besonders interessant und die Sauraus sind mir auch ein Begriff.


    Nochmals vielen Dank!

  • Thomas Bernard ist immer wieder ein großartiges Lebenserlebnis. Eigenwilligkeit gepaart mit großer Sprachgewalt. Ein der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.
    Ganz herzlichen Dank für diese Rezi. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Vulkan
    Schöne Rezension!
    Ich habe schon seit einiger Zeit vor, mal was von Bernhard zu lesen, habe aber leider überhaupt keinen Überblick über sein Werk. Könnt Ihr mir was zum Einstieg empfehlen?


    Seine autobiographischen Schriften sind sehr beeindruckend:


    Die Ursache
    Der Keller
    Der Atem
    Die Kälte
    Ein Kind

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.