Martin Walser - Tod eines Kritikers

  • Aus kürzlich gegebenem Anlass lese ich gerade von Martin Walser "Tod eines Kritikers". Es beschäftigt sich mit dem Literaturkritiker Reich-Ranicki.


    Darin hat er sich "seine Wut über den absurden Literaturbetrieb von der Seele geschrieben" (Amazon) - und rechnet vor allem mit dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und seinen Auftritten im Literarischen Quartett ab.
    Hintergrund sind wohl diverse Angriffe Reich-Ranickis gegen Walsers Schaffen, die er als gemeinen Rufmord empfand, die zu einem Kampf ausarteten, der Walsers Ansicht nach von Reich-Ranickis Seite aus wohl mit ungleichen und ungerechten Mitteln geführt wurde. Und so "hat sich Walser nur mit verbalen Mitteln gegen verbale Attacken zur Wehr gesetzt" (Amazon).


    Und dies erstaunlich geradeheraus. Reich-Ranicki ist in der Gestalt des André Ehrl-König zweifellos wiederzuerkennen, der im Buch ersteinmal verschwindet. Man vermutet einen Mord, und nun wird aufgezeigt, wer alles einen guten Grund hätte, Ehrl-König umzubringen. Dabei enthüllt Walser die Charakter-Schwächen des Ehrl-König, wie er sie sieht und wie er sie auch viele Personen aus Ehrl-Königs Umfeld sehen lässt.....
    "Bis plötzlich Ehrl-König unversehrt wieder auftaucht und sich alles entpuppt als groteske Liebesfarce -- und der vermeintliche Krimi als Possenspiel über die komischen Mechanismen öffentlicher Meinungsbildung" (Amazon).


    Wie immer man zu Reich-Ranicki stehen mag - das Buch ist gut geschrieben. Es ist mit Sicherheit in jeder Hinsicht ein sehr gutes Buch, raffiniert aufgebaut, wortgewandt, hintersinnig, gewitzt, professionell, amüsant, verführt zum Schmunzeln, auch zum Prusten.


    Wenn man aber Stellung nehmen will zu Reich-Ranicki, ist es Geschmackssache. Das ändert nichts an der Qualität des Buches.
    Reich-Ranicki-Kritiker würden sich köstlich über die Darstellungen amüsieren. Als Reich-Ranicki-Freund würde man die Darstellung überzogen finden.


    Für mich war es das erste Walser-Buch. Und ich finde seinen Schreibstil so gut, dass ich nun auch weitere Walser-Bücher lesen werde.


    ASIN/ISBN: 3499252260

  • Ich habe mir zumindest im "Literarischen Quartett" MRR oft und gerne zu Gemüte geführt, weil ich die Art mag, wie er sich mit Literatur auseinandersetzt. Seine Begeisterungsfähigkeit hat auch mich immer wieder für alle möglichen Bücher begeistert.


    Ich habe aber auch das von Dir sehr schön vorgestellte Buch gelesen. Martin Walser ist für mich einfach ein genialer Schriftsteller. Ich lese viel von ihm und das meiste auch noch gerne, unabhängig von jeder Kritikermeinung.
    Und "Tod eines Kritikers" gehört zu denjenigen seiner Büchern, die ich mit dem größten Vergnügen gelesen habe.


    Danke für Deine schöne Rezi!
    Und viel Spaß beim Lesen noch vieler Walser-Werke. "Der Lebenslauf der Liebe" ist jedenfalls ein Lese-Highlight.

  • Ich bin bisher eigentlich immer jedem Buch von Walser aus dem Weg gegangen, da er mir in Interviews häufig sehr unsympathisch erschien. Jetzt würde ich mir doch aber langsam gerne einen literarischen Eindruck von ihm machen und Tod eines Kritikers kommt auf jeden Fall auf die Wunschliste.


    Gibt es noch andere Walser-Bücher die ihr mir zum Einstieg empfehlen könntet? :-)

  • Mit diesem Buch "Tod eines Kritikers" begann der unaufhaltsame Abstieg des Martin Walser, von dem man leider jetzt nur irgendwelches Altmännergeschwätz vorgesetzt bekommt. Allerdings ist er ein Meister des sinnleeren Wortspiels, das muss ihm der Neid lassen. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich bin ein Walser-Freund, aber ich fand "Tod eines Kritikers" trotzdem überzogen. Naja, man muß es eben als das sehen, was es letztendlich ist; Sartire. Und die ist nunmal meistens überzogen.


    buzzaldrin
    Ich kann Dir zum Einstieg auch "Ein fliehendes Pferd" empfehlen, es ist eine Novelle, also locker in 3-5 Stunden ausgelesen und sehr amüsant.
    Dazu habe ich irgendwann mal eine Rezi geschrieben, kannst Du ja mal reinschauen:


    Ein fliehendes Pferd - Martin Walser

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    @HerrPalomar und killerbienchen
    Danke für eure Empfehlungen, dann werde ich mich wahrscheinlich wirklich mal dem Buch Ein fliehendes Pferd zuwenden. Ich bin schon gespannt, ob und wie es mir gefallen wird! :-)


    Sollte Dir das fliehende Pferd liegen, wäre es das erste Buch, bei dem sich unsere Geschmäcker decken :grin
    Im Ernst, wäre auch mein Tipp gewesen, mich hat es damals sehr beeindruckt.


    Edit: Tod eines Kritikers habe ich abgebrochen. Mir wollte es nicht gelingen, einen wie auch immer gearteten Zugang zu finden ...

    Man muss ins Gelingen verliebt sein,
    nicht ins Scheitern.
    Ernst Bloch

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  • buzzaldrin :
    ich habe vor kurzem "Ein liebender Mann" gelesen - das hat mir sehr gefallen, sprachlich einfach schön. :-)



    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • buzzaldrin :
    ja, ähnlicher Lesegeschmack - das ist wohl wahr. :-]


    Von Walser habe ich sonst nur noch "Ein fliehendes Pferd" gelesen.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf