Die Geschichte um den vierzehnjährigen Frank Brinkmann gehört zu den bekanntesten Kinderbüchern der DDR, sie erreichte insgesamt 18 Auflagen. In diesem Jahr feiert sie ein Jubiläum, sie erschien vor fünfzig Jahren zum erstenmal.
Frank und seine viel jüngeren Geschwister mußten vom Dorf zu ihre Tante in eine Kleinstadt übersiedeln, ihre Mutter ist gestorben, der Vater arbeitet weit entfernt auf einer Großbaustelle. Die Tante vernachlässigt die Kinder. Frank vermißt seine Eltern und das Dorf, auch in der Schule kommt er nicht zurecht. Die anderen Kinder in seiner Klasse, der 8a, haben ihm den Spitznamen ‚Speckfrank’ gegeben, weil er stets in einer Jacke herumläuft, die so abgetragen ist, daß der Stoff schon glänzt - ‚speckig’ nannte man das früher. Frank hält sich meist für sich, der einzige, der hin und wieder mit ihm zusammen ist, ist Pepo, der gleichfalls unter schwierigen Familienverhältnissen leidet.
Die Handlung beginnt recht rasant und sie bleibt es auch. Frank, der von Schiffen und Schiffbau träumt, beschließt, mit Pepos Hilfe eine schiefstehende Fichte in den Fluß zu kippen, sie abzuschleppen und dann ein Floß daraus zu bauen. Den Jungen gelingt es tatsächlich, den Baum zu kapern, daß sie sich dadurch Ärger mit der Revierförsterei einhandeln, bedenken sie nicht.
Als kurz darauf in Franks Klasse bekannt wird, daß Jungen aus der Nachbarklasse verbotenerweise auf dem Wehr des Flusses herumgeklettert sind, ist für die 8a klar, daß sie das überbieten müssen. Selbst Hanna, die Streberin, schließt sich an. Und schon kommt es zu einem Wettlauf übers Wehr. Daß sie sich dabei Ärger mit dem Wächter des Wehrs und der Stadtverwaltung einhandeln, bedenkt niemand.
Es kommt aber noch schlimmer. Als der Wächter schimpfend auftaucht, stürzt Frank, der sich zur Verblüffung seiner KlassenkameradInnen als der beste ‚Wehrläufer’, entpuppt hat, ab. Wären nicht zufällig vier junge Leute mit ihrem Kanu aufgekreuzt, hätte es übel ausgehen können. So wird Frank aus dem Wasser gefischt und hat ‚nur’ einen verletzten Zehn zu beklagen.
Der folgende Tag in der Schule wird wenig schön für die 8a. Revierförster und Parkwächter haben sich beim Direktor beschwert. Bei allem Verständnis für die Streiche 14jähriger kann er das nicht durchgehen lassen. Seine Strafe allerdings enthält ein interessantes moralisches Problem. Die noch ziemlich junge Klassenlehrerin dagegen ist endgültig ist verstimmt, die 8a ist einfach unerziehbar!
Die Kinder zeigen etwas eingeschüchtert, aber ihre Gedanken sind schon wieder bei etwas ganz anderem. Wehr und Fichtenstamm waren von gestern, jetzt gibt es ein neues Ziel. Sie möchten ein Kanu, genauso eines, wie die vier Studenten eines hatten. Und sie werden es selber bauen!
Der Kanubau, Planung, Finanzierung, Materialbeschaffung und Realisierung beschäftigt alle gründlich. Rasch bildet sich ein harter Kern der Enthusiasten, fünf Jungen und drei Mädchen. Ein Ziel gemeinsam zu verfolgen ist, ist harte Arbeit, das stellen sie bald fest. Darüberhinaus hat jede und jeder von ihnen mit eigenen Problemen zu kämpfen, in der Familie, der Schule, in der Gruppe. Bei Frank der Hauptperson, ballen sich die Sorgen bald so sehr, daß er durchbrennt. Es dauert seine Zeit, bis Familie, Schule, die neuen Freunde und der Kanubau wieder auf die Reihe gebracht werden können.
Neumann schafft sehr lebendige und vor allem lebensechte Jugendliche, Jungen wie Mädchen. Sie sind spontan und nachdenklich, kurzsichtig und klug, nachlässig und bienenfleißig, feindselig und herzlich, gemein und hilfsbereit, schüchtern und vorlaut, von einem Moment auf den anderen. Sie leiden selbst am meisten unter diesem dauernden Wechsel. Sich in der Welt bewähren, heißt unablässig Entscheidungen zu treffen. Daß man dabei nicht immer die richtige findet, gehört dazu. Diese Freiheit räumt der Autor seinen Personen ein. Das Leben ist alle andere als leicht, eigene Interessen, die der anderen und dann noch die der Gruppe zu vereinen, kann einen durchaus an den Rand der Verzweiflung bringen. Zudem muß man sich der Erkenntnis stellen, daß manche Lösungen nur vorläufige sind. Nicht ist glatt, nichts bleibt glatt.
Vor dieser Erkenntnis werden auch die Erwachsenen nicht bewahrt. Sie sind nicht nur gut, nicht allwissend, sie machen in Bezug auf ihre Kinder, sei es als Eltern, sei es als PädagogInnen Fehler. Manchmal ist es gut, nach dem Gefühl zu handeln, zuweilen wäre der Verstand wichtiger gewesen. Und manchmal muß man einfach darauf warten, was der nächste Tag bringt. Neumann war selbst Lehrer, man merkt, daß er weiß, wovon er spricht, selbst wenn die Figur des Direktors ein Hauch idealisiert erscheint.
Zusätzlich zu der spannenden Haupthandlung, die sich gleichermaßen aus dem Fortschritt beim Kanubau wie aus der Diskussion der verschiedenen Familien - bzw. Generationenproblemen zusammensetzt, gibt es eine Menge technischer Informationen übers Kanubauen sowie Einblicke in die Arbeitswelt der späten Fünfziger (Plattenbau inklusive). Überraschend ist die Darstellung der Geschlechterverhältnisse. Hanna, die Streberin, die ihre Mutter zu einem ‚braven’ Mädchen erziehen will, möchte Ingenieur (!) werden, die schüchterne Irene bewährt sich als entschlossene Vermittlerin in der Gruppe - ein beachtliches Beispiel weiblicher Sozialkompetenz, lange bevor es dafür auch nur den Ausdruck gab. Die Jungen müssen nicht nur lernen, ihren Abenteuergeist zu zügeln, sondern auch, daß Mädchen gleichberechtigt bei allem mitmachen dürfen. Sogar ein so gedankenloses Mädchen wie Purzel.
Alles in allem aber ist ‚Frank’ in erster Linie ein Abenteuerbuch, auch wenn die Abenteuer ausschließlich im Alltag liegen. Es knüpft an an die klassische Tradition des Jungenbuchs. Es geht abenteuerliche Erlebnisse in der Natur - einen Baum umwerfen! - , beim Klettern und Schwimmen und bei unerlaubten nächtlichen Ausflügen, beim Werkeln und Bauen. Es geht um Selbständigkeit, Grenzüberschreitungen sind bestimmend. Die Schule ist eine lästige Pflicht, Eltern platzen in den besten Momenten dazwischen, natürlich mit ganz unmöglichen Anforderungen. Die Jungen sind Helden, mit festen Vorstellungen von ihrer persönlichen Ehre. Bei der kleinsten Ehrverletzung müssen sie reagieren, und das tun sie auch.
Neumann gebührt das Verdienst, diese Grundbausteine in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hinübergenommen und dann soweit umgemünzt zu haben, daß sie in einem Jugendbuch standhalten konnten, das ein zeitgemäßes Buch für Jungen werden sollte.
Ein der letzten Szenen zeigt das noch einmal ganz deutlich, es gibt eine nächtliche Prügelei unter den Jungen. Daß auch noch ein sonst vorbildlicher Pionierleiter dabei ist, verleiht dem Ganzen zusätzliche Würze. Die Szene ist allein dem Abenteuergeist geschuldet und sie ist ganz schön wild.
Illustriert wurde die Geschichte von Bernhard Nast, mit Bildern, die eine in die fünfziger Jahre zurückführen. Da tragen die Jungen noch kurze Hosen und karierte Hemden, die Mädchen Kleider und lange Zöpfe. Aber man sieht die Kinder vor allem toben und schwitzen, beim Spielen wie beim Arbeiten, sie sind zerzaust und keineswegs immer sauber. Sie wirken genauso lebendig, wie der Text sie beschreibt.
Insgesamt ein spannendes Jugendbuch, aus einer fernen Zeit und einer ganz anderen Welt, das aber auch heute noch gut lesbar ist. Thematisch wie vom Vokabular ist es, gemessen am Alter der Zielgruppe, sehr anspruchsvoll. Neumann nimmt seine LeserInnen ebenso ernst wie seine ProtagonistInnen.
Als Roman wie als Zeitdokument unverändert empfehlenswert.