Brief an einen Freund
Die Stimme aus dem Lautsprecher verkündete, daß der Flug nach Amsterdam sich um ca. 2 Stunden verspäten würde. 2 Stunden, die uns noch blieben, 2 Stunden Gemeinsamkeit, bevor ich nach Hause fliegen mußte. Wir redeten über dies und jenes, tranken noch eine Cola, und versuchten die 2 Stunden noch sinnvoll zu füllen. 2 Stunden länger Abschied nehmen.
Fünf Wochen vorher hatten wir uns das erste Mal gesehen. 2 Menschen von 2 Kontinenten, denen nun noch 2 Stunden blieben und dann der Abschied. Vielleicht für immer? Aber man sagt ja, man trifft sich immer 2 mal im Leben. Kennengelernt hatten wir uns schon Jahre zuvor, durch eine Kontaktanzeige: Sie sucht Brieffreunde aus aller Welt. Wie habe ich immer gewartet auf einen Brief, kaum war meiner zu dir auf den Weg gebracht, habe ich schon jeden Tag in den Briefkasten geschaut, und obwohl meiner noch gar nicht bei dir sein konnte, war ich enttäuscht, wenn kein Brief von dir im Kasten lag. So waren die Zeiten vor den E-Mails.
Durch die verschiedenen Leben und Sprachen haben wir uns nicht immer verstanden, aber wir haben alles auf uns zukommen lassen, wir haben einander auf uns zukommen lassen. Waren schon bald vertraut miteinander und wurden Freunde.
Der Abschied, ich kann mich nicht wirklich daran erinnern. Auf einmal war ich allein im Flugzeug. Irgendwie zog mich nichts mehr nach Hause.
Seitdem ergreift mich jedes Jahr zur gleichen Zeit ein großes Fernweh.
Einmal haben wir uns verpaßt, du warst auf einen Zwischenstop hier, aber wieder hatte ein Flugzeug 2 Stunden Verspätung und der Anschlußflug wartete schon. Wir haben uns nicht gesehen.
2 Jahre später haben wir uns dann gesehen, du kamst für eine Woche, und wir haben Silvester zusammen verbracht. An deine Ankunft kann ich mich gut erinnern, an unseren Abschied wieder nicht.
Man sieht sich im Leben immer zweimal.
Jahrelang haben wir uns noch geschrieben, mal öfter, mal weniger oft. Jeder von uns hatte sein eigenes Leben auf seinem Kontinent.
Eines Tages kam ein Brief, in dem du dich bedankt hast für die vielen Jahre unserer Freundschaft. Ich habe erst viel später begriffen, daß das dein Abschiedsbrief war. Ich wollte es auch nicht begreifen. Wenn du diesen Brief sehen könntest, er ist ganz abgegriffen und zerlesen, weil ich ihn so oft gelesen habe.
Inzwischen sind wieder einige, viel zu viele Jahre vergangen, und ich weiß bis heute nicht warum dieser Abschied.
Gestern fand ich ein Bild von dir in einer Fotoschachtel.
Viele Erinnerungen steigen wieder auf und die Frage: sieht man sich nur zweimal im Leben?
bno
wer Schreibfehler oder gar zeitfehler entdeckt möge sie mir verzeihen oder sie korrigieren
Edits: auf der Jagd nach fehlenden Kommas und anderen Korrekturen