Braune im Saarland im Aufschwung

  • Interessanter Beitrag, Tom, wenngleich ich deine Auffassung nicht in allen Punkten teilen kann. Faktum ist, daß eine Regierung nur dann legitimiert ist, wenn sie wirklich die Mehrheit der wahlfähigen Bevölkerung auf sich vereinen kann. Jedes andere Konstrukt ist im Grunde genommen Betrug zum Zwecke der Machterhaltung.
    Bezüglich deiner Auffassung, daß Nichtwähler sich damit einverstanden erklären, daß andere über sie entscheiden, muß ich doch den Kopf schütteln. Du drehst hier etwas um. Jeder Wähler tut kund, daß er sein Einverständnis gibt, von denen bevormundet zu werden, denen er sein Kreuzchen macht. Unterm Strich tut er also genau das, was du den Nichtwählern vorwirfst. Tatsächlich aber sprechen die Nichtwähler irgend einer Partei das Recht ab, über sie zu entscheiden. Das hat aber nichts mit Wahlmüdigkeit zu tun. Es ist lediglich ein Auflehnen gegen ein System, das immer noch den Bürger bevormundet und ihm das Recht der freien Entscheidung und Verantwortungsübernahme abspricht. Nicht umsonst verweigern die Parteien so rigoros den Plebiszid. Die Forderung, an der Macht beteiligt zu sein, als pubertär zu bezeichnen, halte ich allerdings schon für ein starkes Stück. Oder vertrittst du die Auffassung, ein Bürger ist nicht fähig, etwas zu entscheiden?
    Ich halte keine Partei für wählbar. Aber ich gestehe auch den Nazis und den Komms das Recht zu, sich wählen zu lassen. Eben weil ich die Auffassung vertrete, daß in einer Demokratie (die wir m. E. gar nicht haben) eben jeder, der das GG achtet, auch alle Rechte in Anspruch nehmen kann.
    Wie du sagst, es geht nur noch darum, ein großes Land zu verwalten und die Macht zu erhalten. Alle bisherigen Maßnahmen zielen genau darauf ab: Verwaltung des Notstandes durch Machterhalt.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Hallo, Demo.


    Du kategorisierst alle Nichtwähler automatisch als Protestler, also als Leute, die sich der Stimme enthalten, weil sie keinen "von denen" wählen würden. Ich glaube, daß es nur bei einem sehr geringen Anteil so ist. Der überwiegende Anteil wählt m.E. nicht, weil kein Interesse besteht, weil die Leute zu faul sind, weil sie keinen Einfluß der politischen Entscheidungen auf ihr Leben sehen (wollen), weil sie nicht verstehen, worum es geht. Und diese Leute lassen eben andere über sie entscheiden, in zweifacher Hinsicht, da gebe ich Dir recht: Zuerst die anderen Wähler und dann die von denen gewählten. Aber, wie gesagt, im tatsächlichen Tagesgeschäft ist der Entscheidungsspielraum eher eng.


    Ich denke, es geht vielen so wie bei einem Formel-1-Rennen. Die Autos sehen alle gleich aus und es gewinnt sowieso immer der eine oder andere, meistens die gleichen. Was die Rennen interessant macht, das sind die Un- und Ausfälle, ansonsten ist das Spiel sterbenslangweilig. Und so sehen viele Menschen Kommunal-, Land- und Bundestagswahlen. Sie fühlen sich mäßig unterhalten, sind gelangweilt, machen mal ein Kreuzchen an origineller Stelle, um etwas Pepp in die Sache zu bringen. Entschieden wird letztlich nichts. Ich sage nicht, daß es so wäre, aber ich meine, daß es viele so sehen.


    Übrigens bin ich auch ein Gegner des Plebiszits. Volksentscheide haben zwei große Makel: Die Entscheidenden (also das Volk) sind sich nur eines geringfügigen Anteils der relevanten Fakten bewußt, und Volksentscheide sind aufgrund der Linearität (es wird nur eine faktische Entscheidung getroffen, keine programmatische) stärkeren Schwankungen unterworfen, anfälliger für Populismus. Es würde es den repräsentativ regierenden massiv erschweren, die Programmatik mit dem u.U. widersprechenden Einzelentscheidungen abzugleichen.


    Whatsoever. Man kann etwas bewegen, wenn man sich die Mühen auflädt, in einer politischen Partei aktiv zu werden - oder eine zu gründen; die Grünen sind so alt auch noch nicht. Aber der Bewegungsspielraum, den Regierende haben, ist begrenzt. Und zwar nicht nur durch die Bonzen.

  • Hallo Tom.


    Zitat

    Ich denke, daß sich viele Stimmen für braun oder dunkelrot aus Unkenntnis, Ignoranz, einem falschverstandenen Protestverhalten, einer generellen Fehleinschätzung des gesamten Systems oder purer Dummheit ergeben, und nur in Ausnahmefällen aus einer latenten Gesinnung.


    Nein, das glaube ich nicht, ich meine, daß sich viele Stimmen für rot, gelb, grün und schwarz aus einer traditionellen, soldatischen Verblendung ergeben: blinder Gehorsam der Stammwählerschaft, mangelhafte politische Bildung und ein eingeschränktes Sichtfeld auf die Parteienlandschaft.


    Wir befinden uns augenblicklich inmitten eines historischen Prozesses der Berliner Demokratie - erstmals wird eine Volkspartei für ihre Politik radikal abgestraft: Parteiaustritte, radikal sinkende Wählergunst, Demonstrationszüge, will heißen, die vierzehnjährige Politikverdrossenheit endet mit einem großen Knall. Ich sage es volkstümlich, für vornehmes Gerede fehlt mir nämlich die Muse: man will sich nicht länger verarschen lassen. Und glaube mir, was die SPD gerade durchmachen muß, steht der CDU in weit größerem Ausmaße bevor: ihr heuchlerische Getue rund um Hartz IV ist der Ausdruck tiefer Furcht, zumal man sich innerparteilich wohl im Klaren darüber ist, daß unter einem Kabinett Stoiber die Reformen noch wesentlich tiefgreifender gewesen wären - ein Kurswechsel lobbyisticher Kräfte ist allerdings undenkbar, das heißt, die Christdemokraten werden auch künftig eine arbeitgeberfreundliche Politik machen (müssen) und das führt zwangsläufig (und verständlicherweise) zum big bang..


    Einer mannigfachen Demokratisierung unserer Gesellschaft stehe ich zumindest nicht im Wege, deshalb begrüße ich die derzeitige Entwicklung.

    »Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen.«
    Sartre

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  • Mal eine etwas andere Darstellung des Wahlergebnisses basierend auf
    dem Vorläufiges Ergebnis Stand 20:26:32 Uhr am Sonntag


    Im Saarland waren 816.032 Bürger wahlberechtigt (-6.778 zu 1999)


    Die Nichtwähler sind zu 1999 um 112.718 gewachsen


    2,5 % = 11.234 der abgegebenen Stimmen waren ungültig


    So stellen sich die Parteien in % zu ALLEN Wahlberechtigten dar:


    Partei % Stimmen Zu 1999
    CDU 25,69 209670 -44186
    SPD 16,69 136206 -111105
    GRÜNE 3,04 24827 6721
    DSO 0,06 459
    DP 0,04 362
    GRAUE 0,77 6285
    FAMILIE 1,61 13103 7480
    FDP 2,80 22838 8579
    NPD 2,15 17584
    PDS 1,25 10237 5747


    Und 1999 war unter übrige 13.692 Stimmen ausgewiesen.
    Wenn ich die Parteien (DSO/DP/GRAUE/NPD) nehme, die damals darunter und jetzt einzel ausgewiesen sind, dann sind das


    24.690 Stimmen in %(wie oben) 3,03 % und ein Zuwachs von 13.692 Stimmen.


    Also haben 17.584 von 816.032 Wahlberechtigten "Braun" gewählt. Das wird jetzt groß herausgestellt, um von dem eigentlichen Problem abzulenken


    Statt auf diese Minderheit zu schauen, sollte man sich doch eher mit den 363.227 Nichtwählern (das ist eine größere Stadt) befassen. Und die sind garantiert nicht alle zu faul, zu uninteressiert oder gar dumm.


    Das ist für mich ein viel erschreckenderes Ergebnis. Es könnte bedeuten, dass 44.5 % sich einfach "ohnmächtig" fühlen, sich ihrem Schicksal ergeben haben.


    Und wenn ich einige Postings hier verfolge, habe ich eigentlich keinen wirklichen Grund gelesen, wie diese Menschen zu "aktivieren" wären.


    Auch die Argumentation "dann halt das kleinere Übel" zu wählen, dient nur der Gewissensberuhigung (ich hab's ja versucht) und zeugt für mich von "Ohnmacht".


    Auch ich kämpfe jedesmal ob ich wählen soll oder nicht, denn KEINE der Parteien bietet wirklich eine zukunftsträchtige Perspektive.


    LG Dyke - der keiner Statistik glaubt, die er nicht selbst gefälcht hat


    Quelle der Daten:
    http://www.statistik.saarland.…bnisse/le_tabelle_10.html

  • Dyke, du hast es erfasst. Genau darum geht es. Tom versucht zwar, den Bürgern die Mündigkeit abzusprechen - zumindest verstehe ich so seine Ablehnung des Plebiszides - doch eben jene Bürger wollen sich das nicht mehr länger bieten lassen. Anlässlich eines Arbeitsessens sagte der heutige Landrat Lindemann von Homburg im Jahre 1992 zu mir auf die Anregung, die Bürger mehr in den Gesetzgebungsprozess einzubinden:
    "Um Himmelswillen, dann haben wir morgen die Todesstrafe wieder."
    Eine Aussage, die deutlich macht, mit welcher Arroganz die Berufspolitiker das "dumme" Volk sehen.
    Wenn ich allerdings beachte, wie die vielen Parteianhänger die Propagandaparolen ihrer Partei herunterbeten, ohne jemals darüber nachzudenken, dann gerate ich schon in Versuchung, dem Landrat recht zu geben. Andererseits sage ich mir aber auch, ließe man diese Menschen unbeeinflußt sich ihre Meinung bilden, dann käme sich etwas vernünftigeres dabei heraus.
    Noch etwas: Tom bringt ebenso wie einige andere das Argument, man könne ja selbst in die Politik einsteigen und innerhalb einer Partei die Veränderungen einbringen. Mal abgesehen, daß er vergißt, wie lange man braucht, um in einer Partei eine so einflußreiche Stellung zu erreichen, kann kein Mensch dem Druck der Lobbyisten so lange Stand halten. Ich war aktiv in einer Partei und habe erlebt, wie sonst ganz vertrauenswürdige Menschen sich in kurzer Zeit zum Nachteil verändert haben. Das System ändert niemand über eine Parteiarbeit. Er wird sich entweder anpassen oder vor die Hunde gehen. Oder vor Ekel geschüttelt den Haufen verlassen. Ich zog letzteres vor.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Hallo Historikus,


    stell die Ansprüche an dich nicht zu hoch. Niemand kann von sich sagen vollkommen vorurteilsfrei zu sein .............. und das wäre sicherlich auch zuviel verlangt. Aber man kann .......... wie du es offensichtlich tust ......... dagegen angehen und sich entsprechende Infos besorgen und diese auch weiter geben.


    Absolute Toleranz kann leicht dazu führen, dass man die tatsächlich existierenden Probleme nicht mehr wahrnehmen will.


    Es gab mal eine Zeit in meinem Leben wo ich auch alles gern durch eine rosarote Brille sah ................ bis mich mein Mann auf den Boden der Tatsachen zurück holte. Er musste mir wirklich klar machen, dass er selbst den Kontakt zu manchen seiner Landsleute eher ablehnt ............. aus Angst vor Problemen, die für ihn entstehen könnten.


    Die Probleme können sehr vielfältig sein:
    Drogen, illegaler Aufenthalt, politische Aktivisten, Angst vor Repressalien in seiner Heimat (auch seiner dort lebenden Familie gegenüber)


    Die Welt ist nicht so heil und manche Sachen wissen wir Europäer einfach nicht.


    Und glaub nur ja nicht, dass das Wort Vorurteil nur in deutschen / österreichischen Köpfen präsent ist. Mein Mann hatte Vorurteile gegen Leute eines anderen Stammes, eines anderen afrikanischen Landes ............ und ganz ehrlich, es scheint in der Natur aller Menschen zu liegen, dass man sich erst mal auf die eigene Ethnie besinnt und danach evtl. erst den Tellerrand entdeckt, den man noch überwinden könnte wenn man denn den Mut dazu hätte.


    Kennst du vielleicht das Buch eines Erwin Ebermann (aus Österreich)? Es heißt 'Afrikaner in Wien'. Leseproben dazu kannst du im Internet unter einer Seite mit gleichem Namen abrufen. Herr Ebermann schreibt sehr sachlich und kompetent über Rassismus, Vorurteile (von beiden Seiten) und es betrifft wirklich nicht nur Afrikaner ............... es geht um 'Fremde' allgemein.


    So wie du schreibst könnte es für dich interessant sein.


    Liebe Grüße


    Gabi

  • Hi Gabi,


    ich habe zuerst den falschen Text im falschen Thread verfasst. Vielleicht könntest du deine Antwort darauf auch wiede richtig in die Kopftuchdebatte kopieren, damit wir uns nicht überschneiden.


    Dann werde ich dir auch darauf antworten. ;-)


    mfg