Portrait einer Fremden - Susanne Seitz

  • Auf Wunsch von india1966 :wave


    Über das Buch
    (meiner Ausgabe entnommen)


    Überall nennt man sie die „schwarze Frau“, denn sie trägt nie Farben. Das Schwarz ihrer Kleidung ist das Schwarz der Klippen im Dämmerlicht nasskalter, unbehaglicher Tage. Manche sagen, man sehe sie seit über hundert Jahren über die Mole gehen, täglich einem nur ihr vertrauten Ritual folgend, schweigsam, menschenscheu, ohne die ersehnte Ruhe zu finden.
    Die faszinierende Geschichte einer Frau im Cornwall des späten 19. Jahrhunderts.


    Über die Autorin
    (dito)


    Susanne Seitz wurde am 21. Februar 1964 in Wertingen geboren. Schon mit 13 begann sie zu schreiben. „Wer ohne Sünde ist…“ war ihre erste Buchveröffentlichung.



    Meine Meinung


    Es ist zwar schon rund fünfzehn (?? Ich und Zeitangaben, herrje :rolleyes ) Jahre her, dass ich dieses Buch gelesen habe; ich möchte mich trotzdem daran versuchen, eine Rezi dazu zu schreiben – ich hatte es damals mehrfach hintereinander weg gelesen, weil es mir so gut gefiel, und ich denke selbst heute noch hin und wieder daran.


    Cornwall, 1842. Cynthia kommt als zweites und letztes Kind der Glenvilles in Trescen Hall, Cornwall zur Welt. Die Glenvilles waren einst stolz und reich; nun ist der Familienzweig am Absterben und verarmt. Die Ehe der Eltern ist längst zerrüttet; Vater Nathaniel ist psychisch angeschlagen und lebt in seiner eigenen Welt, Mutter Abigail findet sich mit der Situation ab und geht ihre eigenen Wege, immer in der Furcht, der offenbar in der Familie Grenville erbliche Hang zur Geisteskrankheit befiele auch die beiden Kinder. Denn in der Nähe des heruntergekommenen Herrenhauses lebt auch Winnie, Nathaniels Schwester, die den Ruf einer alten Hexe hat – und sie spricht für die Zukunft von Cynthia und Alec eine schauderliche, unheimliche Prophezeiung aus…


    Umso enger sind die Bande, die die kleine Cynthia mit ihrem älteren Bruder Alec knüpft: gemeinsam erforschen sie die Umgebung, vor allem die Schlossruine von Warway Castle, lesen beide die gleichen Bücher und erschaffen sich eine gemeinsame Gedankenwelt, zu der nur sie beide Zutritt haben: Phantapolis.


    Diese Zeit der engen Vertrautheit zwischen den Geschwistern endet, als Alec ein Stipendium für Cambridge erhält – für ihn und die Grenvilles die Chance auf erneuten Aufstieg. Für Cynthia jedoch bedeutet Alecs Fortgehen der Beginn einer Zeit der Einsamkeit. Sie wird vollends zur Einzelgängerin und Außenseiterin, die sich gänzlich in ihre Phantasiewelt zurückzieht – und wartet. Worauf, das weiß sie selbst nicht so genau.


    Das Blatt wendet sich, als sie sich für einen Fauxpas bei den Nachbarn der Glenvilles, den Gwithins, entschuldigen muss – und in eine Gesellschaft hineinplatzt, in deren Verlauf sie den unnahbaren Sir Ashburn kennenlert. Er erinnert sie an Raphael, den byronischen Helden aus dem imaginierten Phantapolis, und obwohl sie Ashburn als kalt und snobistisch empfindet, übt er doch eine gewisse Faszination auf sie aus.


    Ashburn wirbt um das unscheinbare Mädchen, und Cynthia willigt ein. Teils, weil es sie reizt, Ashburn näher kennenzulernen – teils, weil sie um der Familie willen muss. Gegen Alecs Willen.
    Nach außen hin hat Cynthia eine glänzende Partie gemacht – Ashburn überschüttet sie mit Luxus; sie bereist an seiner Seite die Welt und ist Mittelpunkt der feinen Gesellschaft.
    Tatsächlich ist sie für Ashburn nicht mehr als ein Spielzeug, mit dem er seine Machtfantasien auf psychologischer Ebene ausleben kann. Das eheliche Bett bleibt kalt, und Ashburn fördert es sogar noch, dass Cynthia sich Liebhaber nimmt – ohne dass sie dabei je das Glück findet. Ebenso wenig wie Alec, obwohl er in London zum gefeierten Dichter aufgestiegen und von den Frauen umschwärmt ist.


    Das psychologische Katz- und Maus-Spiel zwischen Ashburn und Cynthia zieht sich über Jahre hinweg, und erst langsam beginnt Cynthia zu begreifen, was bei ihm dahintersteckt – aber auch, weshalb es ihr nicht gelingt, sich von ihm zu lösen. Doch es ist zu spät: die Ereignisse der letzten Jahre führen geradewegs in die Katastrophe, in den Abgrund, der Cynthia zu der geisterhaften „Frau in Schwarz“ macht…


    „Portrait einer Fremden“ ist ein sehr düsterer Roman. Anleihen bei Leben und Werk sowohl von Byron als auch den Brontes sind überdeutlich und sicher auch beabsichtigt. Genau das macht für mich die Faszination dieses Romans aus - Zeit, Schauplätze, Handlung, Charaktere und Anspielungen auf die betreffenden literarischen Werke verbinden sich zu einer wunderbaren Atmosphäre, ähnlich der eines Schauerromans aus dem 19. Jahrhundert.


    Vor allem hat mich das psychologische Feingefühl der Autorin für ihre Charaktere beeindruckt; selbst bei Ashburn sind irgendwann Haarrisse in der glatten, eisigen Fassade sichtbar, die ahnen lassen, was ihn zu dem sadistischen Monster gemacht hat, das er ist. Und ich konnte auch Cynthia und Alec verstehen - warum sie so empfinden und handeln, wie sie es tun.


    Eins meiner Lieblingsbücher, bis heute. :anbet

  • hm - Nicole, :wave ich gestehe ich bin noch etwas unschlüssig. Düstere Geschichten sind nicht so unbedingt mein Ding - da werd ich meist trübsinniger, als ich es mir leisten kann.


    Aber erstmal ganz lieben Dank, dass Du Dir Zeit für die Rezi genommen hast. :anbet


    Cornwall - daher also die so wunderschön detaillierten Landschaftsschilderungen vom düsteren Cornwall, das man sonst ja eher als melancholisch überzuckerte Pilcher-Landschaft "kennt".


    Und Ashburns Charakter - da fällt mir doch gleich der Matthew von Leila El Omaris "Englischer Erbin" ein - war das typisch für die adligen Männer des viktorianischen Englands?

  • @ Paradise Lost


    gerne :wave
    (freut mich ja, dass dieses eigentlich "alte" Büchlein euch interessiert :-])


    @ €nigma


    Zitat

    Original von €nigma
    Toll, wenn man 15 (!) Jahre nach der Lektüre eines Buchs noch so eine detaillierte Rezi schreiben kann! Dieses Buch subbt bei mir seit Jahren als Kauf vom Bücherflohmarkt herum. Offenbar muss ich es für 2009 einplanen.


    Ich war ehrlich gesagt auch ziemlich verblüfft, dass noch so viel hängengeblieben ist (und bin beim Nachrechnen erschrocken, dass es tatsächlich schon SO lange zurückliegt - ich werde alt!! :cry ) - aber ich geb auch zu, dass ich während des Rezi-Schreibens immer mal in das Buch reingeblättert hatte. Aber kaum hatte ich ein paar Sätze überflogen, war auch sehr viel davon wieder da.
    Ich habe das Buch allerdings auch wirklich sehr oft gelesen - zuerst die Ausgabe der Stadtbibliothek in meiner Heimatstadt, später dann das Exemplar, das ich auch ganz billig aus dem Wühltisch gefischt hatte.


    Mich hat es unglaublich fasziniert - vor allem, dass die Autorin sich traut, solch unbequeme Charaktere zu schildern. Sie sind voller Fehler - modern gesprochen: voller Neurosen, unfähig, sich entweder still in die Begebenheiten zu schicken oder aber den Ausstieg zu wagen. In sich sind sie aber alle schlüssig und im Lauf der Handlung versteht man, warum sie so geworden sind. Und das ist ganz subtil eingeflochten und aufgebaut...


    @ india1966


    Es ist tatsächlich ein düsteres, bedrückendes Buch, da kann ich nichts beschönigen. :wave Für mich war genau das aber der Reiz daran.


    Zitat

    Original von india1966
    Cornwall - daher also die so wunderschön detaillierten Landschaftsschilderungen vom düsteren Cornwall, das man sonst ja eher als melancholisch überzuckerte Pilcher-Landschaft "kennt".


    Ist eigentlich merkwürdig: noch vor diesem Buch kannte ich Cornwall in Romanen auch als eher düster dargestellt, nicht zuletzt durch die Romane von Daphne du Maurier. Erst Pilcher hat die sonnige, sanfte Seite in den Mittelpunkt (und damit in unser Bewußtsein) gerückt. Umso spannender, als tatsächlich beide Gesichter Cornwalls nebeneinander her existieren.


    Zitat

    Original von india1966
    Und Ashburns Charakter - da fällt mir doch gleich der Matthew von Leila El Omaris "Englischer Erbin" ein - war das typisch für die adligen Männer des viktorianischen Englands?


    Wahrscheinlich in der Realität nicht typischer als in anderen Epochen auch - aber auch nicht weniger.


    Dieser Charaktertyp taucht jedoch recht häufig in den literarischen Werken der viktorianischen Epoche auf.


    Es heißt, eingeführt wurde dieser Männertyp von Byron in seinem Versepos "Manfred" (1817) mit dem gleichnamigen Helden - weil mein Literaturprof darauf so abfuhr, habe ich vorsichtshalber vor der Prüfung ein bisschen darin gelesen (man weiß ja nie :chen ), aber so ganz konnte ich diesen Manfred nicht mit den seither als "Byron'scher Held" bezeichneten Romanhelden zusammenbringen. :gruebel


    Auf wikipedia gibt es einen ganz guten Artikel über diesen Typus: klick!


    Die bekanntesten Vertreter in der Literatur des 19. Jahrhunderts dürften wohl Heathcliff in Emily Brontes "Sturmhöhe" und Mr. Rochester in "Jane Eyre" von Charlotte Bronte sein. Aber auch Henry James hat mit Gilbert Osmond in "Bildnis einer Dame" / "Portrait of a Lady" einen solchen Charakter gezeichnet. (und letzterer ist in der Verfilmung des Romans von John Malkovich einfach großartig dargestellt! :anbet )
    Der dunkelste aller Byron'schen Helden, der diesen Typus auf die Spitze treibt, ist meiner Meinung nach Graf Dracula aus dem Roman von Bram Stoker.
    (Das sind die, die mir so aus dem Stand & auf der Stelle einfallen)


    Die Literatur des 19. Jahrhunderts war dafür einfach eine "Hoch-Zeit"; aber ich bin überzeugt, dass uns dieser Typ bis heute immer noch fasziniert - sei es in Romanen, die im 19. Jahrhundert spielen oder gerade aktuell z.T. in der Vampir-Literatur.


    (wär natürlich ganz besonders spannend, darüber zu diskutieren, WARUM dieser Typus bis heute eine solche Faszination ausübt :grin )



    EDIT: verwurstelten Satz gerade gebogen

  • Gestern morgen habe ich das Buch beendet und musste es erst einmal sacken lassen. Ein sehr düsterer, melancholischer Roman, bei dem es insbesondere das Ende in sich hat. Beeindruckend sind die psychologische Ausarbeitung und die unglaubliche Tiefe der Charaktere und die fein ausgearbeiteten Beziehungen der Personen untereinander. Man wünscht sich für Cynthia, dass sie endlich aus diesem unheilbringenden Kreislauf ausbricht, aber ihr Ende ist konsequent, die Geschichte hätte kein anderes erlaubt.


    Danke für den Buchtip, Nicole. :knuddel1

  • Das ist auf jeden Fall mal ein Buch, welches garantiert NICHT auf meiner WL landen wird...schon gar nicht, nachdem ich die Rezension dazu bei Amazon gelesen habe. Was geht bloß in solchen Girlies wie der Amazon-Rezensentin vor? Haben die nur Stroh im Kopf? :pille