Der Büchereulen-Adventskalender 2008

  • 19. Dezember 2008 von Bouquineur


    Diese Weihnachtsgeschichte, die meine beiden Nichten im Alter von 10 und 11 zusammen mit meiner Schwester geschrieben haben, beruht auf einer wahren Begebenheit*:


    Es war einmal kurz vor Weihnachten, genau genommen am 10. Dezember 2004. An diesem Tag machte sich der Weihnachtsmann auf den Weg nach Köln. Er wollte dort seinen Schlitten abholen. Da traf er auf den Schlittenhüter, dem es an diesem Tag gar nicht gut ging, denn er wusste weder ein noch aus. So viele Tiefschläge musste er in diesem Jahr hinnehmen und doch kämpfte er sich tapfer durch, um nicht alles zu verlieren.
    Noch einen Tag zuvor sah es so aus, als hätte er den Kampf endgültig verloren. Wieder einmal musste er einen Tiefschlag einstecken. Auch wusste er nicht, wovon er dieses Jahr seinen zwei Kindern Weihnachtsgeschenke kaufen sollte. Der Weihnachtsmann sprach: „Väterchen, sorge dich nicht. Für das liebevolle Hüten des Himmelsschlittens werde ich dich belohnen. Behalte diesen Schlitten und mache das Beste daraus. Du kannst ihn besser gebrauchen. Ich habe noch einen anderen Schlitten.“ Ehe sich der Hüter bedanken konnte, denn er war ganz starr vor Glück, war der Weihnachtsmann verschwunden. Der Hüter wollte sein Glück seiner Familie mitteilen und griff zum Telefon. Er traute seinen Augen nicht, denn dort lag der Jahreslohn für das Hüten des Himmelsschlittens. Kreidebleich ging der Hüter zu seiner Familie nach Hause, um ihr von dem Geschenk zu erzählen. Die Kinder schauten ihn mit großen Augen an und sprachen: „Den Weihnachtsmann gibt es also doch, zu jeder Zeit und überall auf der Welt. Wir hatten das Glück, ihm zu begegnen.“


    *

  • 20. Dezember 2008 von arter


    Als Holger ins Wohnzimmer gerufen wurde, war alles wie immer. In der Ecke stand eine große, wohlproportionierte Tanne natürlich erhellt durch brennende Kerzen, geschmückt mit antikem Bleilametta, das wieder extra glatt gebügelt worden war und den großen silbernen Weihnachtsbaumkugeln, in denen man sich grotesk verzerrt spiegeln konnte. Auch der Türke, ein grimmig dreinschauender Holznussknacker mit Krummschwert und Turban, stand an seinem Platz direkt neben der Pyramide, auf der sich kleine Holzpferdchen und anderes Getier vergnügt im Kreise drehten.


    Vater saß auf dem verstaubten Sofa mit gönnerhafter Fröhlichkeitsmine. Er hatte seinen Schnauzbart akkurat gestutzt und erwarte, dass der Anblick der Wohnstube den Sohn in verzücktes Erstaunen versetzte. Mutter schien etwas nervöser zu sein als sonst. Ungeduldig rutschte Sie auf dem Hocker hin und her, auf dem sie sich zwischen den weihnachtlichen Küchenarbeiten provisorisch niedergelassen hatte. Dabei sollte es auch in diesem Jahr nichts weiter als Kartoffelsalat mit Bockwurst geben.

    Holger setzte den am wenigsten sagenden Blick auf, den er beherrschte. Er wollte diese Veranstaltung so schnell wie möglich hinter sich bringen und dann wieder auf seinem Zimmer verschwinden. Dieses Zimmer war sein heiliges Reich, aus dem er nie heraus kam, es sei denn er musste in die Schule gehen oder wurde von den Eltern zu Besorgungen genötigt. Niemand verlangte hier von ihm, sich zu äußern oder etwas Besonderes zu tun. Hier konnte er sich ungestört dem Sinn seines Lebens widmen.


    Zuvor aber war die Bescherung zu überstehen. Auch in diesem Jahr würde man sich wieder „etwas Kleines“ schenken. Holger hatte sich in den letzte Jahren selbst zu übertreffen versucht, etwas total Unbrauchbares auszusuchen. Das war gar nicht so einfach wie es schien. Immer wieder legte er Geschenke, die er schon fast gekauft hatte, zurück, weil sie ihm im letzten Moment dann doch ein wenig zu geschmackvoll oder zu wertvoll erschienen waren.


    In diesem Jahr war er am Ende nicht ganz zufrieden, die Eierwärmer mit dem Antlitz von Rex Gildo, die er für Mutter auf dem Weihnachtsmarkt erstanden hatte, offenbarten fast schon so etwas wie Kultstatus. Das Nagelpflegeset für den Vater hatte dann doch vielleicht etwas zuviel Gebrauchswert. Aber wenigstens war es mit einem Vereinswappen von „Energie Cottbus“ verziert.


    Holger selbst würde wieder ein Buch bekommen. Er bekam immer ein Buch. Dabei hatte er seit mindestens zwei Jahren freiwillig keine gedruckte Zeile mehr gelesen. „Die Geschichte der Insektologie“ aus dem Vorjahr stand noch unaufgeschlagen in seinem verstaubten Bücherregal.


    Die weihnachtliche Beschenkung lief in dem gleichen Stil ab wie immer, Holger rang sich ein „Fröhliche Weihnachten“ ab, Mutter spielte freudige Überraschung über die „schönen Geschenke“ und wurde nicht müde den grässlichen Eierwärmern immer neue positive Aspekte abzugewinnen während Vater das Nagelset mit einem Ausdruck gequälten Lächelns mit der Oberseite nach unten von sich schiebend auf den Tisch legte.


    Dies verschaffte Holger eine gewisse Befriedigung, nachdem er sich selbst über sein Buch ziemlich geärgert hatte. Es trug den Titel „Mehr Spaß im Bett – ein Ratgeber für junge Paare“. Holger war versucht, es aufzuschlagen, ein Reflex über den er sich sofort ärgerte. Die Absicht der Eltern war klar. Er sollte endlich Interesse für das andere Geschlecht zeigen, dem er bisher so erfolgreich aus dem Wege gegangen war.


    „Und was sagst Du?“, fragte Vater mit einem frivolen Augenzwinkern als sie beim Kartoffelsalat saßen. „Ganz gut“ murmelte Holger während er sich die Wurst in den Mund schob. Unter dem Vorwand des vollen Mundes glaubte er, die Peinlichkeit nicht weiter kommentieren zu müssen. „Du wirst es bald brauchen“ meinte Vater beiläufig und Mutter raunte ihrem Mann ein aufgeregtes „Psst“ zu.


    Nach dem Abendessen war Weihnachten Geschichte. Aber nun musste Holger noch seinen achtzehnten Geburtstag überstehen. Andere Jugendliche gaben sich zu diesem Anlass wilden Saufgelagen hin und suchten intensiven Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Doch Holger interessierten das nicht. Er wollte nichts, als wieder in seinem Zimmer verschwinden und endlich Level 24 schaffen.


    Doch die Eltern hatten kein Erbarmen. Seit frühester Kindheit versuchten sie Holger den Nachteil des geteilten Feiertages mit einem ganz besonderes Geburtstagsgeschenk vergessen zu machen. Gelungen war dies nur vor drei Jahren, als Holger den PC bekam.


    Sektgläser wurden ausgeteilt und zum Anstoßen vorbereitet. Vater schaute ungeduldig auf die Uhr und kurz darauf klingelte es an der Wohnungstür. Mutter band Holger ein Tuch um die Augen und drückte ihn auf den Sessel. Holger hörte wie Vater wieder hereinkam. Dann wurde noch etwas geräumt und gewirtschaftet und Mutter reichte ihm ein Sektglas in die Hand.


    Ein Chor stimmte ein schiefes, lautes „Happy Birthday“ an. Holger wunderte sich, dass noch ein drittes, leiseres Stimmchen an diesem Vortrag beteiligt war. Mutter löste das Tuch und Holger erblickte mit einigem Entsetzen die Quelle der dritten Stimme. Auf einem Stuhl, mitten im Zimmer von einem Spot beleuchtet saß eine spärlich bekleidete langbeinige Nikoläusin, mit üppiger Oberweite. Sie war mit rot-weißem Weihnachtsplüsch dekoriert, eine Weihnachtsmannmütze auf dem langhaarig blonden Haupt, ansonsten fast nackt. Sie lächelte Holger an und spitzte die reichlich geschminkten Lippen zu einem sinnlichen Kussmund. Holger ließ das Sektglas fallen, welches scheppernd auf dem Parkettboden zersprang.


    „Dein Geburtstagsgeschenk“, sagte Vater. „Es gehört dir. Die ganze Nacht“. Die Dame sandte Holger einen erotischen Augenaufschlag, beleckte lüstern ihre Oberlippe, während sie die übereinander geschlagenen Beine öffnete. Breitbeinig posierend ließ sie das volle blonde Haar nach hinten fallen. Holger spürte, wie der Kartoffelsalat in seiner Speiseröhre hinaufkletterte. Er erhob sich und ging wortlos die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. „Das Geschenk“, rief Vater ihm hinterher. „Willst Du es gar nicht auspacken?“


    Als Holger auf seinem Zimmer war, schaltete er sofort den Rechner an. Er startete das Spiel, gab den Code für das letzte bewältigte Level ein und kämpfte sich als Mitch McClark durch eine Welt der Abenteuer und Gefahren. Es lief gut. Die Würmer hatte er in einem Handstreich bewältigt, ohne zuviel Feuerenergie zu verbrauchen. Jetzt tauchte der glatzköpfige Pirat auf, welchem er mit einem hundertfach probierten Streich den Kopf abschlug. Es lief außerordentlich gut heute. Das Blut spritzte pulsierend aus dem kopflosen Rumpf. Tolle Animation, dachte Holger. Level 24 war geschafft. Sollte heute auch der Highscore drin sein?


    Die Tür öffnete sich. Das Geburtstagsgeschenk hatte offenbar noch nicht aufgeben, den Auftrag auszuführen, für den es in der heiligen Nacht gebucht worden war. Es schlich sich an den zu Entjungfernden heran, schlang die langen Arme von hinten um seinen Hals und hauchte mit vor Geilheit knisternder Stimme: „Na mein zarter Knabe, wollen wir zwischendurch nicht ein anderes Spiel probieren?“.


    Level 25 hatte begonnen. Zunächst kamen einige leicht zu beseitigende Krieger des Feindes, die er wie nebenbei erledigte. Während er den Gegner tötete, spürte er heiße Lippen an seinem Hals. Geschickte Finger wanderten den Oberkörper hinab und nestelten am Knopf seiner Hose. Ein unerwarteter Schauer durchflutete seinen Körper. Aber nun stand er dem Warlord persönlich gegenüber. Das entscheidende Duell hatte begonnen. Der Gegner setzte ihm gewaltig zu. Durch die liebevolle Umschlingung war er eingeengt, konnte seine Waffe nicht präzise einzusetzen. Es stand jetzt viel auf dem Spiel. Nie war er so weit gekommen. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Mit einer ruckartigen Bewegung ließ er den Ellenbogen nach hinten schnellen, um sich zu befreien. Mit voller Wucht traf er mitten in das schöne Gesicht. Er bemerkte nicht einmal, wie das Callgirl, die blutende Nase haltend, von ihm abließ. „Du bist ja voll krank“, rief sie heulend und rannte aus dem Zimmer ohne die Tür zu schließen.


    Holger lief zur Höchstform auf. Geschickt wehrte er die ersten Attacken des Gegners ab. Im Wohnzimmer tröstete Vater die Geschundene. Wollte er das verschmähte Geschenk etwa selbst verwenden? Der Warlord drängte Mitch McClark an den Abgrund. Irgendwo musste der scheinbar Unbesiegbare doch eine verletzliche Stelle zeigen! Unten gab es eine Auseinandersetzung. Holger hörte wütende Stimmen, stürzende Gegenstände, knallende Türen. Das alles nahm er jedoch nur halb wahr. Mitch McClark versetzte dem Feind den entscheidenden Schlag, einen Augenblick bevor die Energiereserve versiegte. Der Punktestand ratterte in monströse Höhen. Holger atmete tief durch. Dann schlugen Flammen in sein Zimmer.



    Holger öffnete das Fenster und kletterte hinaus auf den Sims. Nun war er also volljährig. Erwachsen? Eisige Kälte ließ ihn schaudern. Dann wagte er den Sprung ins Leben.

  • 21. Dezember 2008 von deny


    Es war der erste Dezember, als der Buchhändler Kay Hohenfels einen Kiesel fand. Kay war nicht der allergrößte, eher durchschnitt. Seine mittellangen Haare standen ihm vom Kopf ab, als wäre er ein Igel. Er ging mit geducktem Kopf durch den Stadtpark und der Wind pfiff ihm um seine Segelohren. Es war einfach unmöglich für diese Ohren eine Mütze zu finden, die noch halbwegs gut aussah. Er war mit Lebensmitteln belanden als er auf dem Nachhauseweg einen grünen Kiesel auf dem Boden sah. Er hatte die gleiche Augenfarbe wie Christine, seiner besten Freundin.
    Kays Augen waren Bernsteinfarben. Er stellte die Einkaufstaschen ab, bückte sich und hob den Stein auf. Der Kiesel war nicht größer als sein Daumen. Er steckte ihn in seine Manteltasche, hob seine Taschen auf und ging zu seiner Wohnung, am anderen ende des Parks.
    Als er endlich dort war, spürte Kay seine Ohren nicht mehr. Es war so verdammt kalt draußen. Er hing seine Jacke auf, zog seine Schuhe aus, sortierte seine Einkaufe ein und schob sich eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Just in diesem Moment schellte es an seiner Haustür.
    Er öffnete sie und seine Vermieterin, Frau Halsmann, stand davor. Sie war eine beleibte Frau mittleren Alters. Gerüchten zufolge sei sie nett, aber nie zu Kay. Nach Kays Meinung war es Ironie des Schicksals, das Frau Halsmann so hieß, wie sie nun eben hieß, obwohl sie so aussah als habe man bei ihr den Hals vergessen.
    „Guten Abend, Frau Halsmann.“, begrüßte Kay seine Vermieterin.
    „Guten Abend, Herr Hohenfels!“ Grüßte sie höflich zurück: „Ich bin nur hier um Ihnen zu sagen, dass die Stadt morgen Nachmittag das Wasser abstellt.“
    Kay bedankte sich mit einem „Vielen Dank“, dabei war es ihm ziemlich egal, ob morgen Nachmittag das Wasser abgestellt wurde. Er war sowieso nicht zuhause, sondern im Reich der Buchstaben. Dies war keine Metapher, sein Buchladen trug diesen Namen.
    „Ihnen also einen schönen Abend noch!“, verabschiedete sich Frau Halsmann von Kay, drehte sich um und Kay freute sich, dass Frau Halsmann diesmal kein böses Wort über ihn verloren hatte.
    Doch zu früh gefreut.
    „Ach Herr Hohenfels,“ rief Frau Halsmann ihm noch zu: “ Bitte hören Sie nicht so laut Musik, oder das was sie Musik nennen. Denise braucht ihren Schönheitsschlaf.“
    Denise war der Pudel von Frau Halsmann und ihr ein und alles.
    „Okay mach ich!“, rief Kay zurück und schloss ganz schnell die Tür, damit Frau Halsmann ihn nicht weiter nerven konnte.
    Was roch hier so komisch? Es roch nach verbrannter Pizza. Die Pizza! Kay sprintete in die Küche und riss den Backofen auf. Die Pizza war zum Glück nur etwas angekokelt, er konnte sie noch essen
    Genüsslich seine Pizza essend, sah sich Kay Serien an. In der einen ging es um verzweifelte Hausfrauen aus einem Vorort irgendeiner Amerikanischen Stadt und bei der anderen ging es um Ärzte in Seattle, aber eigentlich drehte sich alles nur darum ob die Assistentsärztin und der Herzchirurg zusammenkommen. Eigentlich hätte Kay freiwillig nie damit angefangen, aber Christine hat in gezwungen mal mitzuschauen und seither war er süchtig. Danach ging er ins Bett.
    Als Kay Hohenfels auf dem Weg ins Reich der Buchstaben war, steckte er seine Hand in seine Jackentasche. Er erfühlte den Stein, den er gestern aufgehoben hatte. Doch was war das? Der Stein war doppelt so groß, wie er ihn in Erinnerung hatte, doch er bildete sich dass nur ein. Steine wachsen nicht, dass wusste Kay.
    Das Reich der Buchstaben lag in einer Seitenstraße der Fußgängerzone. Von Zeit zu Zeit wunderte sich Kay, wieso eine so kleine Stadt eine eigene Fußgängerzone hatte. Die Lage seines Buchladens war nicht perfekt, er hatte kaum Laufkundschaft, dafür aber genügend Stammkundschaft um zu überleben und bald stand das vielversprechende Weihnachtsgeschäft an. Kay mochte das alte Fachwerkhaus indem sein Laden sich befand, dadurch hatte er einen eigenen Charme. Er öffnete die Tür zu seinem Buchladen, schloss von innen wieder ab, ging in den hinteren Bereich des Ladens, hing seine Jacke über den Kleiderständer und ging wieder nach vorne zur Kasse um diese zu öffnen.
    Er war sehr stolz auf seinen Buchladen, auf den schönen weinroten Teppichboden, die Bücherregal, die so schön alt aussahen, auch wenn sie es nicht waren und er achtete darauf, dass sie immer gut gefüllt waren.
    Nachdem er seine Kasse geöffnete hatte machte er alle Lampen an. Es gab Lichterketten hinter Bücherregalen, kleine LED-Leuchten, die auf ausgelegte Bücher zeigten, Schreibtischlampen, die als Buchständer fungierten. Einmal hatte Kay gezählt, wie viel Lichtschalter er anmachen musste um alles erleuchtet zu haben. Es waren fünfzehn Stück.
    Und nun war es Zeit für den Briefträger das Paket abzuliefern. Kay bedankte sich, verabschiedete sich bis morgen und gerade als er das Paket öffnen wollte, und seine Augen schloss, da er den Geruch von frisch gelieferten Büchern einfach liebte, öffnete sich nicht das Paket sondern die Ladentür.
    Terry war fünfzehn, seine Haare waren braun, seine Augen blau und meistens schlurfte er mit seinen Füßen über den Boden. Er war Dauergast im Reich der Buchstaben und es verging kein Tag an dem er nicht kurz vorbeischaute. Er half Kay bei der Betreuung von Kunden, wenn mal viel los war, was an manchen Samstagen doch sehr hilfreich war unterhielt sich mit Kay, über Gott , die Welt und Bücher oder er saß auf dem Stuhl hinten im Buchladen und malte, zeichnete oder er kritzelte. Je nach Lust und Laune. Kay fand, dass selbst Terrys Gekritzel auch nicht nach Gekritzel aussah, aber immer wenn Terry zu Kay sagte: „Das ist nur Gekritzel“ und ihm sein neustes Bild zeigte, sah das schon gut aus. Aber der Buchhändler hatte gelernt ihm zuzustimmen, da beide wussten dass Terry es sogar noch besser konnte.
    Manchmal landete eins von Terrys Bildern im Schaufenster, einige hingen auch an den Wänden, wenn zur Abwechslung mal kein Bücherregal an der Wand befestigt war.
    Für seine Dienste schenkte Kay Terry hin und wieder ein Buch, das Terry begierig ansah. Terry sagte zwar immer, dass es nicht nötig sei, doch er freute sich trotzdem immer, auch wenn er sich die Bücher theoretisch auch hätte selbst kaufen können. Denn Terrys Eltern waren reich, so reich, dass sie ständig auf Reisen waren. Aber sie hatten versprochen zu Weihnachten nach Hause zu kommen und vor allem länger zu bleiben und damit Terry nicht die ganze Zeit alleine daheim rum saß, saß er im Buchladen herum.
    „Na, keine Schule heute?“, fragte Kay Terry, der sich doch er eher erst am Nachmittag blicken lies.
    „Doch, habe aber zur dritten Stunde.“
    „Und da hast du nicht ausgeschlafen?“, wunderte sich Kay. Terry war ein ausgesprochener Langschläfer.
    „Ich hab das erst heute morgen erfahren“, erzählte er niedergeschlagen
    „Dafür gibt’s doch die Tele..“ –fonkette wollte Kay sagen, doch als er Terrys trauriges Gesicht sah, sagte er es nicht. Er wurde wohl nicht angerufen.
    „Aber ich kann die ja helfen die Bücher auszupacken, dann geht’s schneller.“, schlug Terry mit einem Lächeln in seinem Geicht vor. Kay stimmte zu und die beiden machten sich an die Arbeit.
    Gerade als Terry wieder zurück zur Schule musste, drang ein dumpfer Knall aus den Privaträumen des Buchladens.
    „Was war das?“, fragte Terry verwundert. Kay wusste es auch nicht, aber er drängte Terry in die Schule zu gehen, er ging maulend aus dem Buchladen, aber seine Noten durften nicht schlechter werden, sonst steckten seine Eltern ihn in ein Internat. Kay wunderte sich was das sein konnte, zum Glück war gerade kein Kunde im Laden.
    Er ging nach hinten und schaute erstmal auf den Boden. Kay hatte sich alles ausgemalt, nur nicht das was dort auf dem Boden lag. Es sah aus wie eine hellgrüne Eidechse, mit Flügeln, war ungefähr so lang wie Kays Elle und versuchte sich aufzurappeln.
    Kay drehte sich um und schlug die Tür hinter sich zu. Was dort lag, war nicht möglich. Es war kompletter Nonsens. Er hatte sich das sicher nur eingebildet, dass auf seinem Fußboden ein kleiner Drache lag. Ganz sicher.
    Voller Mut riss er die Tür wieder auf und starrte auf den Boden. Dort lag nichts, Kay atmete erleichtert aus.
    „Hallo Papa!“, erklang eine freche Stimme vom Schreibtisch.
    Kay traute sich gar nicht hinzusehen, doch er musste.
    Dort stand ein kleiner Drache auf zwei Beinen über ein Buch gebeugt. Er nahm einfach einzelne Buchstaben raus und as sie auf. Sein Bauch, Brust und Hals waren Beige. Sah aus wie ein Drache der auf zwei Beinen stand, die man manchmal in Büchern und Filmen sah.
    „Papa?“, fragte Kay sehr verblüfft, erstaunt, verwundert, ungläubig zugleich. Ihr habt die Wahl sucht euch ein Adjektiv aus.
    „Ja Papa!“, antwortete der kleine Drache, der gerade ein C, das er mit Leichtigkeit vom Papier des Buches entfernte, in der Hälfte durchbiss, und den einen und danach den anderen Teil in seien Rachen warf.
    Kay trat einen Schritt näher und berührte den Drachen. Er war echt. Er stupfte ihn noch mal und noch mal bis der kleine Drache sich währte „Hey, hör damit auf! Ich hau dir auch nicht die ganze Zeit auf dem Kopf, davon bekomm ich nämlich nur Kopfweh.“
    „Du bist echt?“
    „Ja Papa!“
    „Und warum Papa?“, Kay fragte in demselben, sprachlosen Ton wie vorher.
    „Weil du mein Papa bist,“, entgegnete der Drache, „Da du mich ausgebrütet hast.“
    „Ich hab dich nicht ausgebrü…“ Kay konnte seinen Satz nicht beenden, da er unterbrochen wurde: „Doch hast du. Du hast mich ins Warme gebracht, und mich in einem kuscheligen Nest dem Mondlicht ausgesetzt.“
    Der Stein war ein Drachenei gewesen?
    „Wir sind hier weder bei Paul Maars Sams noch bei Eragon, wo ein Drache aus einem Stein schlüpft. Wir leben in der wirklichen Realität hier gibt es keine Drachen.“
    „Es gibt sehr wohl Drachen.“, antwortete der Drache trotzig.
    „Nein!“
    „Doch!“
    „Nein!
    „Doch, mit wem unterhältst du dich dann?“
    Darauf fiel Kay nichts mehr ein.
    „Ich heiße übrigens Dario.“
    „Dario? Ein Drache namens Dario sitzt bei mir im Buchladen? Das kann nicht sein. Das ist nicht möglich. Das ist…“ Doch bevor Kay noch mehr Begriffe aufzählen konnte, die die absolute Unwahrscheinlichkeit seiner jetzigen Situation beschrieben, ging die Tür des Buchladens auf und Kay musste einen Kunden betreuen, doch er befahl Dario dem Drachen noch folgendes: „Und mach ja keinen Unsinn während ich weg bin.“
    Dario antwortete nur mit einem „Verspochen, Papa.“ Kay verdrehte die Augen.
    Nachdem der Kunde endlich verschwunden war und zur Freude von der Kasse auch kräftig Geld im Reich der Buchstaben gelassen hatte, konnte Kay endlich wieder ins Hinterzimmer.
    Wäre das jetzt eine Geschichte, dachte sich Kay, dann stände hinten sicher kein Stein mehr auf dem andern. Aber nach Kays Meinung war sein Leben keine Geschichte und so öffnete er die Tür.

  • Dario war eingeschlafen. Der Drache war schon verdammt süß, wie er da auf einer halb aufgegessenen Buchseite lag. Er hatte nicht mal das Wort zu Ende gegessen. Da stand nur noch „aus“, das Wort war unvollständig, vielleicht stand da vorher „Haus“ „Klaus“ „Maus“ oder vielleicht „Nikolaus“. Er las noch ein kleines Stück weiter und sah, dass der Drache eine Ausgabe von Grimms Märchen verschlang. Kamen darin eigentlich Drachen vor? Kay fiel es nicht ein, doch auf alle fälle saß ein Drache darauf. Kay nahm die schon leer gefressene Seite, auf der der kleine Drache nicht drauf schlief und schlug sie um und deckte damit seine Drachen zu. Seit wann essen Drachen eigentlich Buchstaben aus Büchern und wieso konnten sie Druckerschwärze vom Papier lösen, ohne das Papier zu beschädigen? Aber irgendwie doch herzig, das es eine Spezies gibt, die Buchstaben isst.
    Kay ging wieder nach vorne in den Laden und setzte sich an den Computer. Er gab „Drachen“ ein und suchte Bücher zum Thema. Er fand „Eragon“ und „der kleine Drache Kokosnuss“ (der Dario ähnlich saß, aber Darios Flügel waren um einiges Größer) und viele andere Bücher, aber nichts das ihm weiter helfen konnte. Danach suchte er „Drachen + Sachbuch“ und fand direkt einen Titel der ihn ansprang: „Plötzlich Papa, wie sie ihren Drachen richtig pflegen“. Er klickte ihn an und sah dann aber, dass dies nur ein Ratgeber für werdende Väter ist. Ob er ernst oder scherzhaft gemeint war, konnte Kay nicht feststellen. Er fand es geschmacklos.
    Aber er bestellte doch noch ein paar Bücher über Drachen wie „Drachen aller Art“ oder „Drachen, mehr als nur Fantasie“. Vielleicht fand er ja etwas Nützliches in diesen Büchern.
    Nachdem er mit seiner Suche fertig war, kam Cristine herein. Sie war die beste Freundin und Angestellte von Kay gleich, hatte wie gesagt, grüne Augen und blonde Harre. Sie war kleiner als Kay und immer gut gelaunt.
    „Hey Kay!“, sagte sie im vorübergehen und ging in die Richtung Privaträume.
    Kay stand von seinem Stuhl auf und versuchte sie noch aufzuhalten nicht da rein zu gehenden.
    „Christine! Stopp! Geh da nicht hinein…“ Doch sie hatte die Tür schon geöffnet!
    Christine wunderte sich einen Bruchteil einer Sekunde warum Kay einen solchen aufstand machte, und da sah sie es.
    „ Du ekliges Eidechsenvieh!“, hörte Kay seine beste Freundin schreien, während sie den Drachen würgte: „ Stirb…“
    Christines Ekel, Angst und Hass auf Reptilien kam daher, da ihr Vater sie so sehr vergötterte und liebte: Er hatte sie nie geliebt, nicht so sehr wie seine Eidechsen und dann starb er, da er von einem seiner lieben Tiere gebissen wurde.
    Während Dario gewürgt wurde, der schon langsam blau anlief und um Hilfe krächzte, nahm Kay die Mineralwasserflasche, öffnete sie und schüttete sie Christine über den Kopf.
    „Hör auf, das tut ihm weh!“
    Sie lies Dario los und er fiel auf den Schriebtisch, während Christine Kay entrüstet anschrie: „Wie konntest du mir das Antun!“
    Sie meinte damit zwei Dinge. Erstens, dass er (nach ihrer Meinung) ein Reptil gekauft hatte und zweitens ihre Frisur, schminke und ihre Kleidung vollkommen zu Nichte gemacht hat.
    Sie verschwand aus dem Hinterzimmer und Kay rannte ihr hinterher: „ Chrissie warte doch! Christine!“
    Doch sie hörte nicht zu und verschwand aus dem Reich der Buchstaben in die Realität, denn Kay hätte sie niemals so verletzt und hätte ein Reptil gekauft.
    Währenddessen setzte sich Kay zurück ins Hinterzimmer wo Dario versuchte das Feuer zu löschen, das er verursacht hatte als er gehustet hatte, nachdem Christine ihn losgelassen hatte.
    „Geht’s dir gut?“, fragte Kay seinen kleinen Drachen.
    „Ja geht wieder. Danke Papa.“, bedankte sich Dario und der nächste Kunde kam in den Laden und der Morgen war so wie jeder andere, nur das Christine nicht da war, und als ab elf der große Kundenansturm kam, hatte Kay doppelt so viel Stress, vielleicht lag das auch daran, dass ein Drache im Hinterzimmer lag, der zwar den gesamten Morgen still war, aber es hätte ja sein können, das er heraus spaziert wäre.
    Über den Mittag, ging Kay meistens nach Hause, doch heute entschied er sich, nicht nach Hause zu gehen, sonder mit Dario Cristine zu besuchen. Sie wohnte in einem einfach Mietshaus in der Stadtmitte, gar nicht weit vom Reich der Buchstaben entfernt.
    Dario lag in seine Tasche und rumorte rum, bisher hatte er von der Welt ja nicht mehr als den Buchladen gesehen. Endlich verhielt er sich so, wie Kay es erwartet hatte, aber er musste darin bleiben,. Was passiert wäre, hätte ihn ein Fremder gesehen, nicht auszudenken, sicher etwas Schlimmeres als bei Urmel aus dem Eis.
    Endlich an Cristines Wohnung angekommen, klingelte er und die Gegensprechanlage ging an.
    „Christine, das war kein Reptil, ich kann das erklären. Lass mich hoch!“
    Die Tür summte und Kay öffnete sie. Eine Minute später stand er oben in ihrer Wohnung.
    „Hast du geweint?“, fragte er Sie. Christine schüttelte vernehmend den Kopf, so etwas würde sie niemals zugeben.
    „Ich möchte, dass du jemanden kennenlernst. Dario du kannst raus kommen.“
    Christine hatte einen Jungen erwartet, dem das eklige Vieh von vorhin gehört hatte. Aber was sie stattdessen sah überraschte sie sehr.
    Das das Reptil, das sie vorhin gewürgt hatte, besaß Flügel. Wieso hatte sie die vorhin nicht gespürt.
    „Dario, das ist Christine. Christine das ist Dario.“…
    Eine Viertelstunde später, hatte sich Christine bei dem kleinen Drachen entschuldigt und fand ihn eigentlich ganz herzig und das er dieselbe Farbe hatte wie ihre Augen schmeichelte ihr sehr. Kay hatte inzwischen ihr die Geschichte von Dario erzählt und dieser machte Handstand auf Cristines Wohnzimmertisch.
    Bevor Kay später wieder in den Buchladen ging, holte er sich einen Döner. Schon wieder Fastfood, aber was sollte es.
    Als Kay am Reich der Buchstaben ankam, stand Terry schon davor. Die beiden Begrüßten sich und Kay fragte wie es in der Schule war.
    „Normal!“, antwortete Terry, etwas zu leise und verlegen, als ob Kay ihm glauben schenkte. Aber da Dario in Kays Manteltasche rumorte schloss der Buchhändler seinen Buchladen auf.
    „Was ist denn da in deiner in deiner Tasche, das sich da so bewegt?“, fragte Terry.
    Doch bevor Kay irgendetwas antworten konnte, kam der kleine Drache aus seiner Manteltasche geflogen und stellte sich vor:„ Ich bin Dario, der Drache und du bist?“
    „Terry!“ , antwortete der junge Künstler. Kay hatte eigentlich erwartet, dass Terry ähnlich wie Christine und er selbst erstmal erschrocken und/oder weggerannt wäre, doch stattdessen, streckte er seine Hand aus und Dario landete elegant darauf.
    „Kannst du eigentlich Feuerspeien?“, wollte Terry wissen.
    „Ja klar!“ antwortete der kleine Drache voller stolz und lies eine kleine Flamme aus seiner Nase aufsteigen.
    Da hatten sich Zwei gefunden, dachte der Buchhändler und machte alle fünfzehn Lichter an, die auch dringend nötig waren, denn dicke Wolken hingen am Himmel.
    „Ich mach den Laden auf und ich hab nichts dagegen, wenn du hier vorne bleibst, Dario, aber wenn Kundschaft kommt, versteckst du dich ja Und iss erst das eine Buch fertig, bevor du ein anderes anfängst.“, befahl Kay, der dem kleinen Drachen das Gebrüder Grimm Buch gebracht hatte.
    „Okay Papa!“, antwortete Dario und musste kurz darauf Terry erklären wieso er Kay Papa nannte, während Kay die Weihnachtsdekoration holte und den Laden weihnachtlich schmückte. Darunter war auch ein Kleiner Weihnachtsmann, der genauso groß war, wie Dario. Diesen stellte er neben Dario und Terry malte die beiden ab. „Wer ist das eigentlich?“, fragte der kleine Drache. Der Junge antwortete folgendes: „Der Weihnachtsmann beschenkt an Heilig Abend, das ist heute in dreiundzwanzig Tagen, alle Kinder dieser Welt.“
    „Und das macht der einfach so?“, fragte der wissbegierige Drache neugierig.
    „Es gibt ihn ja nicht wirklich, sondern wurde von den Menschen erfunden. Schenken tun die Menschen untereinander, sich gegenseitig.“
    „Schade,“ antwortete Dario geknickt, aber dann fiel ihm die rettende Antwort ein: „Du hast doch sicher gedacht, dass auch Drachen nicht existieren. Aber da ich existiere, könnte doch auch sein, dass der Weihnachtsmann existiert.“ Darauf viel keinem eine Antwort ein.
    Der Tag ging vorüber und später in Kays Wohnung gingen Drache und Buchhändler schnell ins Bett. Vorher bekam Dario noch Buchstaben aus der gestrigen Zeitung.
    Nach Darios Meinung schmeckten die aber nicht halb so gut, wie die aus dem Buch.


    Die nächsten zwei Wochen waren richtig schön, doch leider wuchs Dario jede Nacht, sodass er am 16. Dezember so groß war, dass er Kay bis zur Hüfte reichte. Man konnte ihn nicht mehr einfach so verstecken, sodass er jetzt im Hinterzimmer des Reichs der Buchstaben wohnte. Wenn er unbedingt mal raus wollte, musste er einen großen Mantel anziehen und einen alten Hut. Er ah dann aus wie Momo aus der gleichnamigen Geschichte von Michael Ende.
    Kay machte sich langsam sorgen, wie groß Dario noch werden würde, und ob das Buch, das ihm geholfen hat, ihn großzuziehen recht hatte, das Kieseldrachen (so heiß die Drachenart, der Dario angehörte) bis zu zweieinhalb Meter groß würden. Dann würde er hier nicht mehr hineinpassen, vom Futter mal abgesehen. Schon jetzt aß der Drache fünfhundert Seiten pro Tag.
    Es war spät am Abend, als Cristine, Kay und Terry das Reich der Buchstaben und neuerdings das Reich eines Drachen verließen.
    „Er muss hier weg!“, meinte Cristine, „wir können ihn nicht hier lassen. Es ist viel zu gefährlich, wenn er entdeckt würde und auch ist es ziemlich ansträngend einen Drachen im Buchladen zu haben.
    „Aber.. Aber…“, stotterte Terry herum. In den letzten zwei Wochen war der jetzt nicht mehr ganz so kleine Drache sein bester Freund geworden. „Aber das könnt ihr doch nicht machen! Kay was sagst du dazu?“
    Kay tat die folgende Antwort selbst weh, auch er hatte den Drachen sehr liebgewonnen: „Christine hat recht, er muss hier weg.“
    „Ihr seit doch fies, gemein und Drachenquäler!“, schrie der Junge, den Tränen nahe, die beiden Erwachsenen an:“ Ihr seit so Erwachsen!“
    Terry rannte nach Hause und keiner der Beiden folgte ihm. Sondern ging getrennten Weges jeder in seine eigene Wohnung, ohne zu wissen, dass der Drache Dario, alles mit angehört hatte.
    In der Nacht schreib Terry einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann, er möge doch bitte dafür sorgen, dass es Dario gut gehen würde, dort wo er hin musste, denn Terry wusste ganz genau, dass er hier nicht bleiben konnte. Christine versuchte sich mit fernsehen abzulenken und Kay mit Büchern. Es gelang ihnen beiden nicht.
    Niemand schlief gut in dieser Nacht, auch Dario nicht, der mitten in der Nacht an einem leisen klingeln erwachte.
    Am nächsten morgen schloss der Buchhändler seinen Buchladen auf und rief „Guten Morgen Dario!“
    Doch er erhielt keine Antwort. Kay war sich sicher, dass er noch schlief, denn der Drache war ein ausgesprochener Langschläfer.
    Doch als er das Hinterzimmer betrat, war es leer. „DARIO!“, rief er durch den gesamten Buchladen, doch er war nirgends. Er eilte hinaus und rief auch dort nach ihm. Doch er war nirgends zu finden.
    Auch die nächsten Tage war nichts von ihm zu hören. Terry war stink sauer auf Kay sodass er das Reich der Buchstaben mied und Christine versuchte Kay irgendwie zu tröstend, der wütend auf sich und die Welt war.
    Einmal hatte Frau Halsmann (die Vermieterin vom Anfang der Geschichte) Kay nur einmal schief angesehen und Kay hatte sie nur wütend angeschnaubt.
    Doch Zeit vergeht und es wurde Heilig Abend. Christine und Kay feierten gemeinsam in der Buchhandlung, da jeder von ihnen keine Lust hatte alleine zu feiern.


    Es lagen insgesamt vier Geschenke unterm Baum. Eins für Terry, der es sich am nächsten Tag abholen würde. Seine Eltern waren nämlich nach Hause gekommen und er feierte mit ihnen.
    Eins war von Chrstine an Kay, das andere war von Kay für Christine und das letzte Geschenk war für Dario.
    Da plötzlich hörten die beiden ein Geräusch von draußen, sie eilten vor die Tür, und doch war dort nichts. Beide waren etwas geknickt, sie hatten gehofft, dass Dario zurück käme.
    Sie gingen wieder rein.
    Doch was war das? Das Geschenk für Dario war weg und stattdessen lag ein anderes dort.
    „Hey Papa und der Rest. Sorry, das ich nur nen Zettel hinterlasse, wir müssen aber weiter. Vielen Dank für das Geschenk, ich hab euch auch eins dagelassen. Euer Dario“
    Christine und Kay schauten sich an und rissen das Geschenkpapier auf.
    Darunter war ein Fotobuch, sie klappten es auf und darin waren ganz viele Fotos von Dario und dem Weihnachtsmann. Die beiden glaubten nicht was sie da sahen.
    Dario beim Geschenke einpacken, beim Plätzchen ausstechen und ein Bild auf dem Dario auf die Weihnachtplätzchen pustend, mit Feuer natürlich.
    Ein Bild wo er die Rentiere und viele, viele Weitere.
    Diesen Dezember hatte Kay zwei Dinge gelernt.
    Es gab Drachen,
    und es gab den Weihnachtsmann.

  • 22. Dezember 2008 von churchill


    Auszug aus dem Protokoll der letzten Sitzung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2008


    22.12.2008


    Anwesend:
    Die Mitglieder der Bundesregierung
    Gäste:
    Die Ministerpräsidenten der Länder, die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, der Herr Bundespräsident



    Angela Merkel, Bundeskanzlerin:


    Hiermit kommen wir zum letzten Punkt der letzten gemeinsamen Sitzung der Entscheidungsträger unseres Landes vor Weihnachten. Punkt „Verschiedenes.“ Hierzu liegt ein Antrag des Kollegen Neumann vor, der als Kulturstaatsminister dankenswerterweise die Gestaltung unserer Weihnachtsfeier übernommen hat. Kollege Neumann, Sie haben das Wort.


    Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur:


    Frau Bundeskanzlerin, liebe Kollegen! Die diesjährige gemeinsame Weihnachtsfeier von Bund und Ländern ist soweit organisiert. Eine wesentliche Frage aber sollte ihrer Wichtigkeit wegen in dieser Runde entschieden werden. Es geht darum, welches gemeinsam gesungene Weihnachtslied am Ende der Feier stehen soll. Ich bitte um Vorschläge.


    Angela Merkel, Bundeskanzlerin:


    Danke, Herr Staatsminister. Ich möchte diese Frage ausnahmsweise nicht in der bekannt geradlinigen Weise selbst entscheiden, sondern an Sie alle weitergeben. Wer hat einen guten Vorschlag?


    Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen:


    Auf jeden Fall sollte es sich um ein deutsches Lied handeln. Ich schlage aus alter Tradition „O du fröhliche“ vor.


    Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlands:


    Deutsch ist gut. Wir sollten in der Verfassung verankern, dass nur deutsche Weihnachtslieder in Deutschland gesungen werden dürfen.


    Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:


    Das geht ja wohl gar nicht. Warum überhaupt deutsch? Und dann noch „O du fröhliche“ … Da heißt es in der ersten Strophe „Welt ging verloren“. Das lässt sich gerade im Zusammenhang mit der Finanzkrise auf keinen Fall rechtfertigen. Ich bin für etwas Lockeres, Leichtes. „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“ z. B.


    Franz Müntefering, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands:


    Bist du verrückt, Heidi? Dann glaubt der Scharping noch, dass er aus der Versenkung geholt werden soll und lässt sich mit roter Pappnase und Geweih von der Bunten photographieren, während seine Gräfin ihn am Zügel hält …


    Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:


    Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte …


    Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr:


    Ihr Vorschlag ist seit Jahren der gleiche, Frau Kollegin. Immer wieder „Ihr Kinderlein kommet“ …


    Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:


    Da täuschen Sie sich aber, Herr Kollege Tiefenbahn, äh, Tiefensee. Ich wollte vorschlagen „Ich steh an deiner Krippen hier“. Dadurch könnten wir das Anliegen, das Krippenangebot in Deutschland deutlich auszubauen, eindrucksvoll dokumentieren.


    Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Soziales:


    Och nööö, dann kommen diese ganzen Hartz 4 – Empfänger und stellen irgendwelche blöden Forderungen. Mir ist alles egal, Hauptsache, dieser Hirte spielt nicht sein doofes „Ave Maria“ auf der Mundharmonika.


    Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Inneren:


    Warum denn, Kollege Scholz? Ischt Ihnen nicht bekannt, dass der Name „Hirte“ geradezu prädeschtiniert ischt für einen Auftritt vor der Krippe? Und auch Maria hat ansatzweise etwas mit dem Weihnachtsfescht zu tun. Das können Ihnen alle Kollegen der Unionsparteien bestätigen! Nicht wahr, Herr Seehofer?


    Horst Seehofer, Ministerpräsident des Freistaats Bayern:


    Selbstverständlich, Herr Schäuble. Wenn ich die Sache mit der Jungfrau auch nicht unbedingt glaube. Dennoch möchte ich, auch um die Eigenständigkeit der Christlich Sozialen Union zu betonen, gerne ein anderes, nämlich das schöne altbairische Lied „Es wird scho glei dumpa“ ins Spiel bringen.


    Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz:


    Herr Kollege, wir wollen doch nicht den Zustand der CSU auch noch besingen.
    Seien wir doch optimistischer: „Morgen, Kinder, wird’s was geben“


    Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:


    Kurt, das ist gefährlich. Wir dürfen nichts versprechen, was wir nicht halten können. Nehmen wir doch das konjunkturbelebende „Süßer die Kassen nie klingeln …“


    Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin:


    Glocken, Peer, Glocken! Auch ein Finanzminister sollte nicht alles verdrehen! Ich möchte an dieser Stelle einen Vorschlag machen, den ich gemeinsam mit meinen Kollegen Ole von Beust und Guido Westerwelle ausgearbeitet und bereits eingeübt habe: „Lasst uns froh und munter sein“


    Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Partei „Die Linke“


    Du willst dir ja nur selbst ein Lied singen, Partybürgermeister Nikolaus! Ich bin der Auffassung, dass wir auf keinen Fall über die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land hinweggehen dürfen. Wir als Linke favorisieren „Es ist für uns eine Zeit angekommen“


    Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt:


    Die Zeit wird für euch auch wieder gehen! Unsere Weihnachtsfeier sollte auf den Klimawandel eingehen. „Schneeflöcken, Weißröckchen“ wäre gut. Oder „Leise rieselt der Schnee“.


    Franz Josef Jung, Bundesminister für Verteidigung:


    Das ist doch alles viel zu kleinkariert gedacht. Wie wäre es denn mit „War is over – Happy Xmas“ von John Lennon?


    Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen:


    Deutsch, Franz Josef, Deutsch!!!! Dass ausgerechnet du mir in den Rücken fällst!


    Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Äußeren


    Herr Koch, halten Sie sich mal zurück, ich finde den Vorschlag des Kollegen Jung gar nicht so schlecht. Vielleicht sollten wir aber als überzeugte Europäer und besondere Freunde Frankreichs „Petit Papa Noel“ auswählen …


    Angela Merkel, Bundeskanzlerin:


    Non! Gibt es noch irgendwelche ernstzunehmenden Vorschläge?


    Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:


    „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“. Ist ja eigentlich scheißegal, ob die mit Atom- oder Ökostrom gespeist sind.


    Angela Merkel, Bundeskanzlerin:


    Wer um Himmels willen hat denn schon den Glühwein ausgeschenkt? Der Glos ist ja bereits besoffen!


    Horst Köhler, Bundespräsident:


    Himmel isch gut. „Vom Himmel hoch, da komm ich her“


    Angela Merkel, Bundeskanzlerin:


    Das hättense wohl gern, Herr Köhler. Von meinen Gnaden kommense her. Und wenn Sie bleiben wollen, seiense mal lieber still. Frau Roth, warum heulense jetzt? Weil keiner die Grünen gefragt hat? Dann soll der Herr Özdemir mal ein schönes Weihnachtslied vorschlagen. Vielleicht aus seiner Heimat. Und? Kein Vorschlag? Dann mach eben ich einen.
    Ich beantrage die Verwendung des beliebten Liedes „Stille Nacht“. Melodie: Franz Xaver Gruber, Text: Josef Mohr und Angela Merkel.


    Zum Einsatz komme folgende Textvariation:


    Stille Nacht, heilige Nacht,
    alles schläft, einsam wacht,
    nur die fleißige Angela,
    holder Engel im güldenen Haar,
    Angie, die Rettung ist nah,
    Angie, die Rettung ist da….


    Na, da guckense! Gegenstimmen? Enthaltungen?
    Dann hab ich das so beschlossen.


    Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Fest! Spannense mal so richtig aus. Das nächste Jahr wird hart genug …

  • 23. Dezember 2008 von Marlowe


    Irgendwo auf der Erde, versteckt von hohen Bergen, gibt es ein vergessenes Tal. Seit einem Erdrutsch vor vielen hundert Jahren führt kein Weg dort hinein oder hinaus. In diesem Tal wohnen viele Tiere friedfertig miteinander und gibt es doch einmal ein Problem, so fragen alle nur die weise Eule um einen Rat und das Problem ist gelöst.


    Eines Tages flog das Christkind mit seiner Engelschar über das Tal. Ein kleiner Engel verlor seine Geschenke und als er jammerte und weinte wendete das Christkind sofort und die ganze himmlische Schar landete mitten im vergessenen Tal. Da staunten die Tiere, als sie zum ersten mal seit langer Zeit wieder besucht wurden. Die weise Eule flog sofort zum Christkind und als sie von den verloren gegangenen Päckchen erfuhr, befahl sie allen Tieren im Tal danach zu suchen. Es dauerte nicht lange und der kleine Engel konnte wieder lachen.


    Das Christkind freute sich über so viel Hilfsbereitschaft und war ganz traurig, als es erfuhr, wie lange die Tiere dort im Tal schon alleine lebten. "Ihr habt uns so geholfen, als Dank werde ich das Tal für Euch alle wieder öffnen", sagte es zur Eule.


    Die Eule dachte ein wenig nach. "Das ist sehr nett vor Dir, liebes Christkind", meinte sie dann. "Aber weißt Du, der Adler erzählt uns manchmal etwas von der übrigen Welt dort hinter den Bergen. Wir hier im Tal leben seit vielen hundert Jahren friedlich miteinander. Wir alle wünschen uns eigentlich nur, daß es so bleibt."


    Da staunte das Christkind und meinte dann aber lächelnd: "Wenn das so ist, dann soll alles so bleiben wie es bisher war. Aber erlaubt ihr alle mir dann, jedes Jahr nach der Bescherung hierher zu kommen und ein paar Tage zu bleiben?"


    Die Tiere stimmten freudig zu und seitdem verbringt das Christkind mit seinen Engeln jedes Jahr nach dem Heiligen Abend ein paar Urlaubstage im vergessenen Tal.


    Denn, wo es so friedlich ist wie im Paradies, da ist auch für das Christkind der Himmel auf Erden.

  • 24. Dezember 2008 von polli


    Meine Jugendzeit lag in den Siebzigern. Schlaghosen, Blümchenaufkleber, Simon and Garfunkel, Wildkirschtee und Jungs. Solche in olivgrünen Parkas, mit langen Haaren und verträumten Blicken. Ich weiß noch, dass ich auf jeder Jahrgangsstufenfete beschloss, mich unsterblich zu verlieben, aber nie schaffte ich es, einen Jungen auf mich aufmerksam zu machen. Wie auch, wenn man gerade dreizehneinhalb ist und aussieht wie eine Viertklässlerin.
    Wenn ich mal wieder nachts sorgenschwere Gedanken von links nach rechts und wieder zurückgeschoben hatte und ich morgens fand, dass ich irgendwie ungesund aussah, so blass und mager und mit strähnigen Haaren, dann wurde es Zeit für einen Besuch bei Oma. Sie war seit Jahren bettlägerig und musste im städtischen Altenheim leben, aber ihr Geist war hellwach bis zum letzten Tag, und wenn ich an ihrem Bett saß, dann leuchteten ihre Augen und wir erzählten einander, was immer uns einfiel: Geschichten von früher, Lustiges und Trauriges von anderen Leuten, aus der Schule und Geschichten aus unserem Kopf. Die allerbesten Geschichten erzählte Oma mir immer am Heiligabend. Meine Eltern waren froh, dass ich den Vormittag bei ihr im Heim verbrachte, und ich war froh, dass ich meine Großmutter in diesen Stunden ganz für mich allein hatte.


    An eine Geschichte erinnere ich mich besonders gern. Ich hatte Oma gerade von dem Jungen aus der achten Klasse erzählt, der in der Pausenhalle wunderbare Weihnachtslieder auf der Gitarre gespielt hatte. Selbst im harten Licht der Neonröhren sah er mit seinem lockigen Haar wie ein Engel aus, und seine Stimme, seine Augen - ach was, ich hatte ganz einfach meinen Traum gefunden. Leider spürte er meine Liebe nicht ein bisschen, und mein Schicksal war es, aus der Ferne einen sehnsuchtsvollen Blick auf ihn zu werfen und die himmlischen Mächte und wen auch immer zu beschwören, dass er ganz plötzlich ohnmächtig werden würde und ich würde ihn dann retten und er würde ... All das sagte ich natürlich niemandem. Außer Oma. Sie hörte geduldig zu, unterbrach mich kein einziges Mal und nickte nur an den passenden Stellen mit dem Kopf. Ich weiß nicht, wie sie es schaffte, mich fast ohne Worte zu trösten und mir die Gewissheit zu geben, dass sie mich ganz genau verstand.
    "Willst du eine Geschichte hören?", fragte sie, nachdem ich fertig erzählt hatte.
    "Natürlich!", war meine spontane Antwort. "Eine aus deinem Kopf oder etwas Wahres?"
    "Das verrate ich dieses Mal nicht. Vielleicht findest du es selbst heraus, jetzt oder eines Tages."
    Diese Ankündigung klang verheißungsvoll. Oma lächelte eine Weile nach innen.
    "Ein Schiffbrüchiger", begann sie. "Darum geht es in meiner Geschichte. Er war ein Kaufmann, der mit Kolonialwaren handelte. Gewürze, Kaffee, Seidenstoffe, alles, was damals als exotisch galt."
    "War er reich?"
    "Ja. Die angesehensten Hamburger Familien suchten seine nähere Bekanntschaft zu machen, genauer gesagt, manch einer hätte es gern gesehen, wenn die eigene Tochter diesen Mann geheiratet hätte. Aber der Kaufmann hatte keinen Blick für die Schönen seiner Heimatstadt, viele Jahre lang liebte er seine Arbeit über alles. Bis der Tag kam, der sein Leben verändern sollte. Am Tag vor Heiligabend erschien eine junge Frau in seinem Laden. Auf den ersten Blick war sie eher unscheinbar und es hätte sich auf der Straße wohl niemand nach ihr umgedreht, zumal sie ein Kind bei sich hatte, einen stillen Jungen von vielleicht drei, vier Jahren. Sie fragte nach einer speziellen Kräuterzubereitung, die sie für das weihnachtliche Festessen benötigte. Ob er sie vorrätig hatte, weiß ich nicht, aber sie kamen darüber ins Gespräch und schnell stellten sie fest, dass sie ähnliche Vorlieben hatten, die Frau liebte Lavendel, er auch, der Mann trank gern englischen Tee, sie auch, und ehe sie sich versahen, waren zwei Stunden vergangen."
    "War er ..."
    "Klar war er verliebt. Er hatte den Eindruck, sie schon jahrelang zu kennen. Was er in den nächsten Wochen und Monaten auch tat, ihr Bild hatte er immer vor Augen. Aber sie tauchte nie wieder in seinem Laden auf, und als er Nachforschungen anstellen ließ, um sie zu finden, blieben diese erfolglos. Er begnügte sich schweren Herzens mit der Auskunft, dass sie wohl eine Fremde war und nicht aus seiner Heimatstadt stammen konnte, aber seine tiefe Sehnsucht blieb. Als er im Jahr darauf eine längere Handelsreise unternehmen musste und dafür ein neues Schiff benötigte, ließ er eine lebensgroße Holzfigur anfertigen, die der fremden Frau bis aufs Haar glich."
    "Eine Gallionsfigur?"
    "Richtig, mein Kind. Und dann befuhr er mit seiner Liebsten die Weltmeere und lernte ferne Länder kennen, von deren Existenz die Leute kaum etwas wussten."
    "Sie war doch gar nicht in echt dabei!"
    "Stimmt, aber so, wie er sich auf dem Schiff benahm, hätte man meinen können, die geheimnisvolle Frau wäre tatsächlich anwesend: Jeden Abend sahen ihn die Seeleute auf dem Vorderdeck auf und ab gehen. Er sprach mit der Gallionsfigur, lächelte ihr liebevoll zu, und wenn es dunkel wurde, zeigte er ihr einen Stern am Himmel oder stand einfach nur da und sah sie verträumt an. Und er wirkte auf eine besondere Weise glücklich. Es wagte auch niemand, ihn zu stören oder sich gar über ihn lustig zu machen. Schließlich zahlte er gut und behandelte die Mannschaft fair.


    Eines Abends, es war kurz vor dem Weihnachtsfest, als er gerade wieder auf dem Vorderdeck stand und sein Blick so fern wirkte, dass sich keiner der Seeleute traute, ihn anzusprechen, an einem solchen Abend zog ein Sturm auf. Nicht so ein Sturm, wie wir ihn kennen, nein, es war ein richtig schwerer tropischer Wirbelsturm. Er erfasste das Schiff und die Masten brachen. Lange kämpften die Seeleute um ihr Leben, aber in einer riesigen Welle kenterte das Schiff. Von der Mannschaft überlebte niemand. Nur der Kaufmann hatte Glück. Er wurde über Bord gespült und hielt sich eine Zeitlang über Wasser, weit genug weg vom Sog des Schiffes, das alles mit sich in die Tiefe riss. Der Sturm legte sich und irgendwann sah der Mann eine dunkle Gestalt im Meer treiben. Er schwamm, so gut er konnte, darauf zu. Es war seine Gallionsfigur. Bevor die Kräfte ihn verließen, hörte er eine Stimme: Du bist nicht allein, ich bin immer bei dir gewesen, Liebster, und ich werde bis zum Ende bei dir sein. Halte dich an mir fest, zusammen können wir es schaffen.
    Es vergingen zwei Tage und Nächte, so lange klammerte sich der Mann an die Gallionsfigur und wartete und wartete. Endlich, als er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, kam ein Frachter vorbei. Zwei Matrosen entdeckten den Mann. Sie ließen ein Ruderboot herab und wollten den Schiffbrüchigen aus dem Wasser ziehen, aber sie konnten seine Arme nicht von der Gallionsfigur lösen. Da mussten sie beide mit an Bord nehmen. Das Wunder dieser Rettung hat sich schnell herumgesprochen."


    Oma schloss die Augen. Schade, die Geschichte war zu Ende.
    "Kann ich dich noch was fragen, Oma?"
    "Aber sicher, mein Kind."
    "Woher weißt du eigentlich von dem Kaufmann und der Gallionsfigur?"
    "Du bist wohl eher neugierig, ob meine Erzählung wahr oder ausgedacht ist!"
    Ertappt.
    Eine Antwort hat sie mir damals nicht gegeben. Später habe ich ihre Geschichte aus der Erinnerung aufgeschrieben. Und heute, am Heiligabend, hole ich sie wieder hervor. Unser Enkelkind kommt gleich zu Besuch. Mein Schwiegersohn liefert die lebhafte Kleine gern vormittags bei uns ab, damit sie bei den Weihnachtsvorbereitungen nicht stört. "Oma, erzählst du mir eine Geschichte?", wird sie fragen. Sie wird in meiner Nachttischschublade stöbern, an meinem Lavendelparfüm schnuppern und später mit Opa herumturnen und ihn so lange nerven, bis er die Gitarre auspackt und ihr Lieblingsweihnachtslied singt. "Leise nieselt der Schnee, Opa, bitte, bitte!"
    Und wenn ihr jetzt wissen wollt, ob die Geschichte vom Schiffbrüchigen und seiner großen Liebe wahr oder ausgedacht ist, dann sage ich: Das müsst ihr schon selbst herausfinden!


    Frohe Weihnachten euch allen!


    polli