1. Dezember 2008 von Kytha
Die Zeit der Gerechten
Die Kirchenglocken läuten. Nur leise dringt ihr Schall an mein Ohr. Jetzt ist es schon um zwölf. Ich sitze an meinem Schreibtisch, gut gerüstet diese Adventskalendersache, warum musste ich mich für den ersten Tag eintragen lassen? Der Cappuccino steht in Reichweite. Jetzt könnte es eigentlich losgehen
Was ist das heute wieder für ein Wetter draußen! Leise rieseln die Flocken auf mein Dachfenster und stehlen mir die letzten Sonnenstrahlen.
Nun gut, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, wollte ich jetzt eine Kurzgeschichte mit Ortwitz über die Grausamkeiten des Winters oder lieber ein Gedicht über unmögliche Vermarktung von Weihnachten verfassen? Beides ist nicht so gut und was noch wichtiger ist, ich hab’ keine Idee wie ich das anstellen soll. Wo sind die verrückten Ideen wenn man sie mal braucht?
Gähnend strecke ich die Arme in die Luft. Gestern Abend war es vielleicht doch schon spät gewesen. Etwas zupft an meinem Ohr. Ärgerlich streiche ich darüber. Wieder zieht es. Konzentriere dich, sonst wirst du nie fertig.
Jemand tippt an meine Schulter. Das hab’ ich mir jetzt nicht eingebildet!
Suchend drehe ich mich um. Doch da steht niemand. Also, an die Arbeit.
Ich drehe mich zum Monitor. Dort sitzt die freche Göre. Auf ihre Hände abgestützt lässt sie ihre Beine in die Schrift auf dem Bildschirm baumeln.
Wütend schimpfe ich: „Gwynden! Geh zurück ins Feenreich und lass mich in Ruhe arbeiten.“
„Nein, warte!“, Gwynden gestikuliert heftig mit ihren Armen und verliert das Gleichgewicht. Bevor sie auf meiner Tastatur landet fängt sie sich mit ihren hauchzarten Flügeln auf.
„Du musst unbedingt kommen. Luitor ist wahnsinnig geworden. Er schlägt alles kurz und klein. Nur du kannst uns retten.“
Ich blase die Luft aus meinen Lungen. Etwas zu stark. Gwynden muss heftig mit ihren Flügeln schlagen um nicht gegen den Monitor zu krachen.
„Das ihr euch so was immer in den lästigsten Zeiten einfallen lassen müsst.“
Ich hole Mantel, Stiefel, Bogen und Köcher aus meinem Schrank. Durch die alte Linde folge ich Gwynden in ihr Reich. Eigentlich bin ich ja stolz darauf, hier der einzige Mensch sein zu dürfen. Der Himmel überdeckt die grünen Hügel mit sanftem Blau. Hoch oben fliegt ein Adler. Ich bleibe stehen und genieße diesen Anblick. Ewig könnte ich so stehen bleiben.
„Komm schon“, Gwynden zieht mich am Ohr, „Sonst hat Luitor schon alles zerstört.“
Ohne Zweifel ist sie die nervigste Fee überhaupt. Am Ahorn gehe ich nach links.
Scheppernd lässt jemand den Schlüssel auf die Anrichte fallen.
Da vorn ist schon die Brücke von Rochlea, jetzt ist es nicht mehr weit.
Laut fällt die Tür ins Schloss.
Irritiert drehe ich mich um. Hinter mir sind nur die Hügel von Lorda.
Es riecht nach Cappuccino. Etwas tutet in gleichmäßigen Abständen.
„Ich habe uns Essen mitgebracht.“
Vorsichtig öffne ich die Augen. Auf dem Monitor sind wirre Wörter zu erkennen.
Meine Schwester steht vor mir: „Mit Zwiebeln oder ohne?“
Müde schüttele ich den Kopf. Wie kann man nur so schnell einschlafen?!