OT: The Six Bad Boys 1951
Enid Blyton hat trotz ihres starken Hangs zu Serien auch immer wieder Bücher geschrieben, die für sich stehen, Familiengeschichten zumeist. Die Geschichte der sechs Bösewichte ist eines davon. Das Buch ist deutlich ein Versuch, sich zu tatsächlich existierenden gesellschaftlichen Problemen zu äußern, sozusagen Blytons Beitrag zum Sozialroman.
Erfreut beobachten die Kinder der Familie Mackenroth, die Zwillinge Helga und Heinz und ihre kleine Schwester Nette, daß die beiden leerstehenden Nachbarhäuser bezogen werden. Endlich kommen wieder gleichaltrige Kinder in die Straße! Man lernt sich bald kennen, aber das Spielen verliert angesichts der Probleme, die die neuen Familien mitgebracht haben, jede Bedeutung. Tom, der älteste Sohn der Familie Berkel, leidet unter dem Dauerstreit seiner Eltern. Als sein Vater die Familie verläßt, fühlt er sich völlig allein.
Bob Kents Vater ist vor kurzem erst gestorben, er muß aber zudem damit fertigwerden, daß seine Mutter immer weniger Lust verspürt, sich um einen Zwölfjährigen zu kümmern. Tom und Bob freunden sich an. Eines Tages stoßen sie auf einem Ruinengrundstück (wir sind im Jahr 1951) auf vier Jungen, die sich zu einer Bande zusammengeschlossen haben. Auch sie sind ‚familiär verwahrlost’, unglücklich und orientierungslos. Aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit werden große Reden, aus einer großen Rede ein kleiner Einbruch in einen Kiosk. Als Tom, den Bob zur ‚Bande’ gebracht hat, einen gut gefüllten Geldbeutel findet, beschließen sie, ihn nicht zurückzugeben. Aber: die Banknoten darin sind alle neu und die Nummern wurden notiert. Beim Ausgeben werden sie erwischt und landen vor dem Richter. Sie werden heftig ermahnt und erhalten hohe Strafen. Für Tom und vor allem für Bob, die Hauptfigur geht es gut aus. Toms Vater kommt zurück, Bob wird von der lieben Familie Mackenroth aufgenommen.
Das Ganze ist recht grob geschildert, auf kaum einer Seite fehlt der satte Ton des Mahnens und Moralisierens. Deutlich wird zugleich die starke Sympathie Blytons für ihre jugendlichen Helden, Bob vergöttert sie geradezu. Er ist immer wohlerzogen, bringt seiner Mutter, der er nur lästig ist, Blumen mit und ist reizend zu Nette, die er wie eine eigene Schwester behandelt. Bezeichnet wird er durchgängig als ‚hübscher Junge’.
Tom wirkt ein wenig menschlicher, ist aber auch ‚schlechter’, denn er schleicht sich z.B. ohne Eintrittskarte ins Kino. Die übrigen vier Jungen der Bande stammen aus sozial deutlich schlechter gestellten Familien als Tom und Bob. Die Umgangsweise der Autorin mit ihnen ist dementsprechend herablassend.
Nicht schlecht gelungen sind die Beschreibungen der emotionalen Erschütterungen, denen die beiden Protagonisten Tom und Bon ausgesetzt sind. Das ist durchaus schlüssig dargestellt. Die Beschreibungen leiden aber stark unter der Emotionalität bis hin zur Sentimentalität und wiederum dem dicken Zeigefinger, mit dem die Autorin den LeserInnen vor der Nase herumwedelt. Daß sich das Buch an ein sehr junges Publikum richtet, zehn-, elfjährige Kinder, macht es nur schlimmer.
Breit ausgemalt sind die Szenen vor Gericht, sie haben fast Protokollcharakter. Der Richter ist voller Weisheit und Verständnis (es gibt eine Danksagung an einen Londoner Jugendrichter, der Blyton offenbar sehr beeindruckt hat) und verdonnert Kinder zwischen zwölf und fünfzehn, die zum erstenmal mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, gleich mal zu mindestens zwei Jahren Erziehungsanstalt und Kontaktsperre für die Familie. Merkwürdig ist es, daß sie die Strafen zugeteilt bekommen, weil sie den Geldbeutel nicht zurückgegeben haben. Der Einbruch, der doch wohl schwerer wiegt, umso mehr, als er vorsätzlich begangen wurde, findet kaum Erwähnung. Bedenklich fand ich auch, daß der Junge aus der Bande, der der Polizei alles erzählt, umgehend als Verräter und Feigling bezeichnet wird.
Stehlen darf man nicht, aber wenn man es gemacht hat, darf man es auf keinen Fall der Polizei erzählen? Da kreuzen sich Moralvorstellungen auf aufschlußreiche Weise.
Schlimmer als die grobschlächtige Handlung und die Sentimentalitäten, ist die zugrundeliegende Botschaft, die dieses Buch übermittelt. Sie lautet: wann immer Kinder fehlgehen, sind die Mütter daran schuld, und nur sie. Frau Mackenroth ist eine wunderbare, überzeugte Mutter, mit immer den richtigen Worten auf den Lippen und unendlicher Liebe und Geduld im Herzen. Dementsprechend hat sie wunderbare Kinder, einen wunderbaren Ehemann, eine wunderbare Häuslichkeit. Sogar der Hund der Familie ist einfach nur wunderbar.
Toms Mutter ist eine keifende Megäre, ganz klar, daß der Ehemann verschwindet. Das findet zwar nicht vollständig die Billigung der Autorin - ein richtiger Mann läuft nicht davon! - aber verstehen kann man es schon, so irgendwie tief im Herzen, oder?
Bobs Mutter ist ein verantwortungsloses Luder, hätte Blyton sicher gern gesagt, wenn sie, vorsintflutlich, wie sie ist, ein so undamenhaftes Wort je in den Mund genommen hätte. Frau Kent geht nämlich lieber arbeiten, als für ihr Kind zu kochen, damit es etwas Warmes im Magen hat, wenn es aus der Schule kommt. Zudem zieht sie die Aufmerksamkeit von Erwachsenen der Zuneigung von Kindern vor. Sie will nicht einmal Weihnachten mit Bob feiern. Ich hatte fast den Verdacht, daß sie heimlich raucht.
Das alles paßt in die frühen fünfziger Jahre, die von der Welle ‚Frauen zurück ins Heim und an den Herd’ überschwappt wurden. In Deutschland wurde dafür bekanntlich das Drama der Schlüsselkinder erfunden.
Das eigentliche ‚Drama’ ist hier eher der Umstand, daß sich dieses Buch von 1951 bis 1999 ungebrochen durch Nachdrucke auf dem Kinderbuchmarkt halten konnte. Ich kann das nur darauf zurückführen, daß man beim Namen Blyton automatisch annimmt, daß es sich um eine Abenteuergeschichte handelt. Die Umschlaggestaltung über die Jahrzehnte weist gleichfalls daraufhin. Mit Ausnahme des Originalumschlags von 1951, der unstreitig eine Familiengeschichte signalisiert, zeigen die späteren Umschläge vier bis sechs muntere Jungen, die offenbar zu lustigen Streichen aufgelegt sind. Die deutschen Cover dagegen deuten Geheimnisse und damit wohl Detektivgeschichten an.
Man sollte die - nicht neue - Lehre daraus ziehen, daß man vor allem bei sogenannten Klassikern im Kinder - und Jugendbuchbereich gut hinzuschauen hat, wenn man sie dem sehr jungen Publikum Lesestoff vorsetzen will.
Dieses Buch gehört auf jeden Fall stracks ins Museum. Möglichst auf ein hinteres Regal.
Ein Wort noch zur Übersetzung: sie ist ein wenig holprig, der Wortbestand ist leicht altmodisch. Es gibt Ungeschicklichkeiten, am Anfang etwa das Wort ‚Ziehleute’ für die Umzugsarbeiter oder, wie man früher sagte, Möbelpacker. Und dann immer dieses ‚hübsch’ für Bob!
Die schreckliche Unsitte, die Namen ins Deutsche zu übertragen, findet man natürlich auch hier. Die Mackenroths sind die Mackenzies, Toms Familienname lautet nicht ‚Berkel’ (ich habe mehr als einmal Ferkel gelesen), sondern Berkeley. Die Zwillinge heißen Jeannie und Donald, Helga und Heinz fand ich nicht schön. Was mit gefallen hat war 'Nette' für die kleine Schwester, das klingt sogar nach ein wenig mehr als das schlichte ‚Pat’, auf das Blyton die Kleine getauft hat.