'Wer bin ich - und wenn ja wie viele?' - Seiten 157 - 183

  • Das waren jetzt 6 Kapitel zu MORAL.


    Mensch bekommt also Anlagen für Moral mit, die er dann aber erst ausgebildet werden muss.
    Mir hat allerdings ein Bezug gefehlt, den ich zwar von den älteren Denkern nicht erwarten darf, aber doch zumindest vom Autor, besonders nach seiner Affen-Einführung.
    Nach meinem Wissen (sollte es veraltet sein - bitte um Hinweise) ist fast allen Säugetieren und auch einem Großteil der Vögel mitgegeben, sich um seinen Nachwuchs zu kümmern, bis er sich selbst versorgen kann. Es gibt eine Hemmschwelle Wesen der eigenen Art zu töten und sowie häufig eine Kümmern um Artgenossen.
    Das ist doch ein wesentlicher Grundstock der Moral, die nur zusätzlicher Regeln bedarf, da der Mensch sich eine künstliche, engere, eigene Welt zum Leben schafft.


    Und das Beispiel zum Töten - da hat das Bundesverfassungsgericht entsprechend geurteilt.
    Wobei, würde die Bundesregierung in dem angenommenen Fall, ein von Terroristen entführtes. voll besetztes Flugzeug würde von den Entführern auf eine Großstadt gestürzt, sich an dieses Urteil halten, das Geschrei mehr als sehr groß wäre


    meint Dyke, der hofft, das doch der ein oder andere noch das Buch liest.

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Dyke: Yup - und es kommen noch ein paar :-))


    Wie gesagt: Den "Fall Gage", von dem ich vorher schon mal gehört hatte (aber nicht so detailliert) finde ich extrem gruselig. Wahrscheinlich habe ich zu viel SciFi gelesen und gesehen, aber der Gedanke, dass man das Moralempfinden konkret verorten und (vielleicht sogar absichtlich) entfernen kann, weckt bei mir spontan Assoziationen an diverse ihrer Hemmungen beraubte "Supersoldaten" oder -assassinen der einschlägigen Literatur. Klar weiß ich, dass man das auch heute schon mit Konditionierung und Gruppendruck recht "gut" hinbekommt - trotzdem: der Schauder bleibt. Insofern finde ich Prechts Zusammenfassung, dass es auf ein komplexes Netzwerk hinausläuft und es nicht die eine, allein zuständige Gehirnregion für Moral gibt, sehr tröstlich.


    Im Abschnitt über die Spiegelneuronen fand ich etwas, das mir die Grundlage von Prechts (Frage am Rande: Wie vielen außer mir geht es noch so, dass sie ständig ein B löschen müssen, wenn sie den Namen tippen?) Umgang mit der Verknüpfung zwischen Philosophie und Biologie zu sein scheint: Alles sehr spannend und einleuchtend, was die Biologen da an chemischen und neuronalen Prozessen zutage fördern - aber "Kein chemischer Prozess organisiert aus sich selbst heraus Zuneigung, Liebe und Verantwortung - das müssen wir selber tun." :write


    Mein Schlüsselerlebnis zum Thema Biologie (7. Klasse, vielleicht auch 8.) war, als wir das Auge behandelten und unser Lehrer uns die Funktion der Tränendrüsen erklärte. Austrocknung verhindern, Fremdkörper auswaschen etc.
    Als ich ihn fragte, warum wir dann auch aus Trauer oder Rührung weinen, meinte er trocken: "Du darfst einen Biologen nicht nach Gefühlen fragen", und hatte damit nicht nur sich, sondern auf geraume Zeit auch sein Fach für mich disqualifiziert.
    [Memo an selbst: "Wer bin ich..." wird mein Weihnachtsgeschenk für eine gute Freundin, die promovierte Biologin ist und auch gerne mal arg biologistisch argumentiert.]

    "Bevor du einen Mann kritisierst, solltest du eine Meile in seinen Schuhen gegangen sein. Wenn du ihn dann kritisierst, bist du nicht nur eine Meile entfernt, sondern hast auch seine Schuhe." (Terry Pratchett)

  • Hallo zusammen...


    ...ich kann mich noch nicht ganz mit dem Gedanken anfreunden, dass es tatsächlich nur eine oder nur eine wesentliche Region im Gehirn geben soll, die dann für alles "Ich - empfinden" zuständig sein soll.


    Manchmal kommen mir diese ganzen Überlegungen vor, wie bei einer kleinen Geschichte die ich mal gehört habe:
    Fünf Menschen, von Geburt an blind, sollen einen Elefanten beschreiben, indem sie ihn betasten. Der eine bekommt ein Bein zu fassen, der nächste den Rüssel, einer einen Stoßzahn usw. und jeder gibt danach natürlich eine andere Definition von einem Elefanten ab.


    Jeder erkennt einen Teil der Warheit und doch kann diese Wahrheit immer wieder widerlegt oder muss ergänzt werden, da sie unvollständig ist.
    Erst alles zusammengenommen ergibt die ganze Wahrheit.


    Zum Thema angeborene Moral, teile ich dyke´s Auffassung. Und diese Geschichte mit dem Spiegelneuronen könnte vieleicht auch erklären, wieso diese angeborene Moral so unterschiedlich ausgelebt wird. Denn wenn Gehirnregionen schon durch bloßes zuschauen angeregt werden und man ja (glaube ich zumindest) davon ausgeht, dass Synapsen im Gehirn durch Wiederholung ausgebildet und gefestigt werden, dann muss ein Kind eben auch moralisches Handeln sehen und nachamen können, um es später selbst zur Verfügung zu haben.


    Kleine persönliche Randbemerkung:
    Da wird einem doch auch schnell klar, dass man die Erziehung nicht dem Fernsehn oder der Spielekonsole überlassen darf.


    :wave

  • So, diese "Moral"Kapitel sind geschafft. Ich fand sie sehr schwer zu lesen - was aber auch an der sehr ausführlichen Beschreibung von Gage's Unfall liegen kann (da kann man ja Alpträume bekommen...)
    Das Experiment mit den Spiegelneutronen fand ich sehr interessant, auch das Kapitel über "Mitleid" - "Mitfühlen" (z.B. Weinen bei traurigen Filmen). Mir fiel dazu wieder das "Fremdschämen" ein- obwohl das ja auch unterschiedlich stark verbreitet ist (mein Mann liebt z.B. die Mr.Bean Filme; ich hasse sie eher).
    Aber zurück zum Buch:
    Das Experiment mit den Weichen fand ich sehr gut gewählt - ich würde auch eher die Weiche umstellen - jemanden von der Brücke zu werfen ist da schon sehr viel schwieriger. Denn das ist für mich von der juristischen Seite auch eher Mord - denn ich kann ja vorher nicht wissen, ob der Zug auch hält, wenn jemand auf den Schienen liegt (ich könnte das auch gar nicht, ich weiß' noch nichtmal, ob ich im Ernstfall die Weichen umstellen könnte...).
    Schön fand ich den Satz: Der Mensch ist ein moralbegabtes Tier. Das läßt doch viel Spielraum für Interpretationen... :gruebel


    Matze : Schön ist Deine Geschichte über die Wahrheit und den Elefanten....

  • Zitat

    Original von Matze
    ...ich kann mich noch nicht ganz mit dem Gedanken anfreunden, dass es tatsächlich nur eine oder nur eine wesentliche Region im Gehirn geben soll, die dann für alles "Ich - empfinden" zuständig sein soll....


    Derselbe Gedanke kam mir beim Lesen auch. Gerade Moral würde ich größtenteils als anerzogene Verhaltensweise sehen. So habe ich mir jedenfalls bisher erklärt, warum manche Erdbewohner Hunde und Meerschweinchen essen und andere sich davor ekeln, weil sie diese possierlichen Tierchen als Haustiere ins Herz schließen.


    Wenn Moral tatsächlich in bestimmten Gehirnlappen programmiert sein sollte, müssten doch fast alle Menschen dasselbe Empfinden darüber haben. :gruebel Wir haben ja auch alle eine DNS aus denselben vier Bausteinen.


    Der Versuch mit der Brücke und den Weichen fand ich wirklich interessant. Wirklich nie wollte ich einer dieser Gruppen angehören.

  • Zitat

    Original von Matze
    Jeder erkennt einen Teil der Warheit und doch kann diese Wahrheit immer wieder widerlegt oder muss ergänzt werden, da sie unvollständig ist.
    Erst alles zusammengenommen ergibt die ganze Wahrheit.


    Jetzt erst wahrgenommen - Was ist eine TEIL-Wahrheit?


    Der Teil einer Wahrheit? Wenn Wahrheit widerlegt werden kann, ist es keine Wahrheit. Wenn sie ergänzt werden muss um wahr zu sein. wie kann es dann eine Wahrheit sein?


    fragt neugierig Dyke


    Zitat

    Original von MatzeManchmal kommen mir diese ganzen Überlegungen vor, wie bei einer kleinen Geschichte die ich mal gehört habe:
    Fünf Menschen, von Geburt an blind, sollen einen Elefanten beschreiben, indem sie ihn betasten. Der eine bekommt ein Bein zu fassen, der nächste den Rüssel, einer einen Stoßzahn usw. und jeder gibt danach natürlich eine andere Definition von einem Elefanten ab.


    Welcher hat jetzt die Wahrheit erkannt?


    Ich behaupte: Keiner wird wohl jemals eine wahrheitsgemäße Vorstellung des Wesens Elefant haben


    meint Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von dyke ()

  • Zitat

    Original von Büchersally
    Wenn Moral tatsächlich in bestimmten Gehirnlappen programmiert sein sollte, müssten doch fast alle Menschen dasselbe Empfinden darüber haben. :gruebel Wir haben ja auch alle eine DNS aus denselben vier Bausteinen.


    Trotz DNS aus denselben vier Bausteinen, sind fast alle Menschen unterschiedlich, im Äußeren und im Denken. Warum soll es bei einer programmierten Moral nicht auch so sein?


    Wobei die Basis für Moral (Du sollst nicht töten, Du sollst dich um deinen nachwuchs und Mitmenschen kümmern als Beispiel) kann doch ohne weiteres in einen bestimmten Gehirnlappen programmiert sein. Aber die Detail-Ausprägungen und die Anwendung wird dann erlernt, wie krabbeln, stehen, gehen, greifen, sprechen usw.


    meint Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Zitat

    Was ist eine TEIL-Wahrheit?


    Eine Teilwahrheit, ist eine Wahrheit von einem gewissen Standpunkt aus, die zum Teil wahr ist (z.B. der Elephant besteht aus Elfenbein).
    Er besteht zwar - auch - aus Elfenbein, deshalb ist die Aussage zum Teil wahr, aber eben nicht nur und deshalb kann jemand diese Aussage anfechten, indem er (richtiger Weise behauptet) ein Elephant besteht aus Haut in Rüsselform.


    Umso umfangreicher die Sichtweisen sind, die in eine solche Beschreibung mit einfließen - z.B. Sichtbarer Teil, mikroskopischer Teil, atomarer Teil, riechbarer Teil, hörbarer Teil etc. - desto schwieriger wird es eine "allumfassende Wahrheit" zu formulieren.


    Ich glaube auch, dass dies (konsequent zu Ende gedacht) daher nicht möglich ist und wir bei der Beschreibung des Wesen Elephants nur eine der Wahrheit nahe Beschreibung abgeben können (mit möglichst vielen Teilwahrheiten) - aber keine Wahrhaftige!

  • Zitat

    Original von dyke
    Trotz DNS aus denselben vier Bausteinen, sind fast alle Menschen unterschiedlich, im Äußeren und im Denken. Warum soll es bei einer programmierten Moral nicht auch so sein?


    Genau, trotz derselben Ausgangsbasis ist jeder unterschiedlich. Von daher denke ich, es ist nicht von vornherein programmiert, sondern wird in den ersten Lebensjahren durch Erlebtes bzw. Anerzogenes entwickelt, das sich dann als Programm speichert.

  • Zitat

    Original von Büchersally


    Genau, trotz derselben Ausgangsbasis ist jeder unterschiedlich. Von daher denke ich, es ist nicht von vornherein programmiert, sondern wird in den ersten Lebensjahren durch Erlebtes bzw. Anerzogenes entwickelt, das sich dann als Programm speichert.


    :write
    Sonst wären wir ja auch alle einheitlich und "identisch"...Ein furchtbarer Gedanke! :pille

  • Hm....ich tendiere schon dazu, daß mir auch genetisch eine Form von Moral mit auf den Weg gegeben wurde. Natürlich wird diese, ich nenne sie mal Grundmoral noch weiter ausgefeilt und entwickelt, durch Erlebnisse, Erziehung, etc. Aber ich denke schon, daß auch ein sehr kleines Kind seine Form der Moral in sich trägt und sei es nur, daß es etwas als ungerecht oder gemein empfindet.
    Dann ist auch das Gerechtigkeitsbedürfnis etwas, was meiner Meinung nach nicht anerzogen ist. Ich habe ein sehr großes Gerechtigkeitsbedürfnis und immer den Drang mich auch für andere einzusetzen, wenn sie meiner Meinung nach schlecht behandelt werden. Mein Vater und mein ältester Bruder sind da ähnlich gestrickt, ich behaupte, also, ohne es beweisen zu können, daß mein wirklich sehr großes Bedürfnis nach Gerechtigkeit mir von meinem Vater in irgendeiner Form vererbt wurde und ich behaupte einfach mal, da mein Vater an meiner Erziehung nur wenig beteiligt war, daß dies mir eben nicht anerzogen wurde.


    Übrigens fand ich die Vorstellung mit der Eisenstange, ziemlich widerlich...

  • Moral...
    ich war schon als kleines kind tränenreich entrüstet, dass der böse jäger in rotkäppchen die wackersteine in den bauch des armen wolfes getan hat, und der arme wolf dann ertrunken ist, ohne, dass ihm jemand geholfen hat... so eine frechheit...
    dabei hat er nichts anderes getan, als ein wolf zu sein...

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )