Der Turm zu Babel / Babel Tower - A. S. Byatt

  • Band 3 des "Frederica-Quartetts"
    - als da der Reihe nach wären:


    Die Jungfrau im Garten / The Virgin in the Garden
    Stillleben / Still Life
    Der Turm zu Babel / Babel Tower
    Frauen, die pfeifen / A Whistling Woman


    Über das Buch
    (von amazon.de geliehen)


    Es ist das Jahr 1964, als die moralischen Gewißheiten einer ganzen Nation durch einen "Lady Chatterley"-Prozeß und einen Profumo-Skandal erschüttert wurden. Die ehrgeizige Literaturwissenschaftlerin Frederica Potter hat einen wohlhabenden Unternehmer geheiratet, auf dessen Landsitz sie argwöhnisch beaufsichtigt lebt. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung entschließt sich Frederica, ihren Mann zu verlassen und nach London zu gehen, wo sie sich mit Abendkursen und Lektoratsgutachten durchschlägt. Eines Tages liest Frederica das Manuskript eines gewissen Jude Mason, der als Dichter und Aktmodell bereits von sich reden gemacht hat. Babbletower heißt sein literarisches Opus, zu dessen Publikation Frederica dem Verleger trotz einiger Bedenken rät. Masons Roman erzählt von einer Gruppe Überlebender der Französischen Revolution und von der Gründung einer Gemeinschaft, die jedoch bald durch sexuelle Exzesse, Gewalt und Folter zugrunde geht.
    Der Verlag wird wegen der Veröffentlichung des "obszönen" Machwerks verklagt. Im Zentrum des Romans stehen nun die zwei parallel geschilderten Gerichtsverfahren: der Scheidungsprozeß Fredericas mit allen unerquicklichen Einzelheiten und das Verfahren gegen Verfasser und Verleger von Babbletower.


    Über die Autorin
    (dito)


    A.S. Byatt ist 1936 in Yorkshire geboren und besuchte dort eine Quäker-Schule. Ihr Vater war zuerst Anwalt, später Richter. Sie studierte in Cambridge und am Bryn Mawr College. A.S. Byatt hat an der London University gelehrt, an der Central School of Art and Design und seit 1972 am University College in London. Seit 1983 hat sie das Lehramt aufgegeben, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. A.S. Byatt hat drei Töchter und lebt in London.


    Meine Meinung


    Ein neues Jahrzehnt für die Potter-Familie aus Blesford, Yorkshire, und ein neuer Roman über die Schicksale der einzelnen Mitglieder.
    Der Schwerpunkt des Romans liegt noch mehr als bei den beiden vorangegangenen auf Frederica, die entgegen ihrer früheren Ansichten über Ehe und Unabhängigkeit eine gute Partie gemacht hat.


    Zumindest dem äußeren Anschein nach; denn ihr Mann Nigel ist ebensowenig ein Traumprinz wie die Idylle des noblen Landsitzes. Fredericas Leben dort erinnert an einen viktorianischen Schauerroman, ein bisschen Bertha Rochester, ein bisschen die zweite Mrs DeWinter aus "Rebecca". Nur ihrem Sohn Leo zuliebe erträgt sie die Situation.
    Eine Zufallsbegegnung auf einem Spaziergang mit einem früheren guten Freund aus Oxford ändert alles. Frederica nimmt ihre ehemaligen Kontakte wieder auf - und Nigel rastet aus.
    Frederica muss buchstäblich um ihr Leben fliehen und versucht sich in London mühselig ein neues Leben aufzubauen. Dort trifft sie - und auch wir als Leser - alte Bekannte wieder, knüpft aber auch neue Kontakte.


    Wir werden Zeuge zweier Prozesse: einmal das Scheidungsverfahren Frederica vs. Nigel, das mir sehr an die Nieren ging. Teilweise verdreht die Gegenpartie die Fakten derart, dass ich mich selber zu fragen begonnen habe, ob alles, was Frederica erlebt und zu Protokoll gegeben hat, tatsächlich so geschehen ist - oder nur ein Produkt ihrer Fantasie war.


    Frederica ging mir manchmal auf die Nerven; ich hatte mich beim Lesen mehrfach dabei ertappt, dass ich innerlich aufstöhnte ob ihres Trotzes und ihrer Unbesonnenheit. Dennoch ist und bleibt sie für mich eine der interessantesten Romanheldinnen, denen ich je begegnet bin - ich könnte noch viele weitere Bücher über sie lesen...


    Der zweite Prozess ist derjenige, in dem festgestellt werden soll, ob das fiktive Buch "Babbletower" auf den Index gesetzt werden soll. Während ich die Einsprengsel an Kapiteln aus "Babbletower" zwischen den Kapiteln der eigentlichen Handlung sehr spannend fand (wenn teilweise auch ganz schön heftig, ein bisschen à la "Marquis de Sade"), war mir dieser Prozess zu langatmig. Ein bisschen weniger Diskussionen über Schönheit und Moral der Literatur hätte es für mich auch getan...


    Es ist das umfangreichste Buch der Reihe, das intellektuell ambitionierste und das vielleicht kunstvollste. Ein bisschen weniger intellektueller Ehrgeiz hätte es für meinen Geschmack sein dürfen, was meine Lesefreude allerdings nicht geschmälert hat.