Der Kaiser von China - Tilman Rammstedt

  • Kurzbeschreibung:


    Der neue Roman vom Ingeborg-Bachmann-Preisträger 2008:


    Keith Stapperpfennig kommt aus einer einzigartigen Familie. Von der Mutter weiß er wenig, vom Vater gar nichts. Zusammen mit vier vermeintlichen Geschwistern wuchs er beim Großvater auf mit immer neuen, immer jüngeren Großmüttern. In eine von ihnen hat Keith sich selbst verliebt. Zum Achtzigsten schenken die Enkel ihrem Großvater eine gemeinsame Reise an ein Ziel seiner Wahl. Als er sich China wünscht, will keiner ihn begleiten, am Ende bleibt es an Keith hängen. Der lehnt sich zum ersten Mal im Leben auf, verjubelt das Reisegeld und lässt den Großvater alleine ziehen. Doch dann bekommt Keith von der jüngsten Großmutter einen Anruf, sein Opa sei im Westerwald gestorben. Er muss eine Geschichte aus dem Hut zaubern, die den Geschwistern glaubhaft macht, die Reise habe stattgefunden und erfindet sein eigenes China. Doch je weiter sich Keith in seine Lügen verstrickt, desto deutlicher wird, dass er nicht als Einziger die Unwahrheit sagt. Tilman Rammstedt ist ein überwältigender Roman gelungen, so sprühend, rasant und urkomisch, dass man sich mit dem größten Vergnügen belügen lässt.



    Eigene Meinung:


    Keith ist vermutlich einer von fünf Enkeln von einem Großvater, die beschließen ihrem Großvater zum achtzigsten Geburtstag gemeinsam eine Reise zu schenken. Nachdem die Reisebereitschaft der Enkel dann aber nicht allzu groß ist, fällt das Los auf Keith, der die Reise gemeinsam mit dem Großvater antreten soll. Der Großvater will aber nur nach China. Nach einem langen hin und her ließe sich Keith auch breitschlagen, hätte er mittlerweile nicht die Reisekasse im Casino anderweitig verwendet.
    Deshalb versteckt sich Keith seit zwei Wochen unter seinem Schreibtisch und gibt vor mit dem Großvater in China zu sein, der sich mittlerweile mit seinem Auto selbst auf den Weg nach China gemacht hat, als ihn ein Anruf aus dem Krankenhaus ereilt, dass sein Großvater verstorben ist, nur mit einer angefangenen Postkarte mit Keiths Namen in der Tasche.
    Keith muss nun seine Lüge aufrecht erhalten und fingiert daher immer Briefe von einer fiktiven Chinareise an seine Geschwister.


    Der Schreibstil entspricht durchwegs der Art und Weise der Leseprobe, die im Rahmen des Bachmannpreises im Internet zu finden ist. Keith erzählt aus der Perspektive des Ich Erzählers von sich und seinem Großvater und ihrer Familie. Einer Sammlung maßlos überzogener Figuren. Mit sehr vielen netten kleinen Anekdoten über das Zusammenleben, mit vielen witzigen Passagen. Der Schreibstil Rammstedts ist sehr angenehm zu lesen, es fließt dahin.
    Allerdings hat das Buch gegen Ende auch einige Längen. Die fiktiven Geschichten aus China, sind teilweise sehr dick aufgetragen, nicht zuletzt, weil Keith einen Zusammenhang zum Leben des Großvaters in Deutschland herzustellen versucht. Für diesen Höhenflug an Fantasie, waren mir die Stellen zu lang, obwohl es sich durch das Abwechseln der Chinastellen mit den Deutschlandstellen nicht dramatisch auswirkt. Nach der Eulenskala würde ich für dieses Buch 8 Punkte vergeben.



    .

  • Keith flunkert seine Geschwister ja ganz schön an, als er ihnen angeblich Briefe aus China schreibt. Denn da sollte er sein - eigentlich.


    Die Idee dieses Romanes hat mir gut gefallen, auch ist es ganz gut ausgeführt.


    Aber, wie taciturus schon schrieb, ist das ganze einfach etwas zu dick aufgetragen, zu überdreht, jedenfalls für meinen Geschmack.


    In einem Zitat der Welt steht in dem Buch "...Fast britisch...". Und da kann ich nur zustimmen. Die Art des Humors könnte wirklich von einem Briten stammen.


    Mich konnte es einfach nicht so ganz überzeugen, deshalb 7 Punkte.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Der Kaiser von China – Tilman Rammstedt


    Meine Meinung:
    Dieses Buch weist sich durch eine besondere Leichtigkeit aus, die in der neueren deutschen Literatur so weit verbreitet nicht ist.
    Der Roman besitzt mit dem skurrilen Großvater, der unbedingt kurz vor seinem Tod noch nach China will, eine übergroße schillernde Figur. Leider schafft er es nur bis in den Westerwald.
    Erzählt wird die Geschichte von Keith Stapperpfennig, seinem Enkel, der eigentlich den Großvater auf der Reise begleiten sollte und sich dann doch drückte. Jetzt, nachdem der Großvater verstorben ist, schreibt Keith der Familie gefälschte Briefe, die angeblich aus China stammen sollen. Darin erzählt er die abenteuerlichen Geschichten, die er und der Großvater in China erleben. Ob diese fantasievollen Geschichten jemand glaubt ist fraglich, aber letztlich nicht so wichtig. Sie sind mehr eine Art Abschied des Erzählers von seinem eigenwilligen Großvater, bei dem er aufgewachsen ist.


    Der Roman ist flüssig und flink zu lesen und macht Spaß, aber wahrscheinlich wird er mir auch nicht sehr lange im Gedächtnis bleiben, da er zu wenig in die Tiefe um die Themen Tod und Abschied geht. Aber man kann halt nicht alles haben.
    Immerhin hat ein Ausschnitt aus dem Roman vorab sogar den Ingeborg Bachmann-Preis in Klagenfurt gewonnen und Lust auf weitere Texte von ihm ist entstanden.
    Wer einen lesbaren und lockeren Roman sucht, der sowohl Humor als auch Melancholie abdeckt, ist hier nicht verkehrt.

  • DUMONT Literatur und Kunst Verlag, Oktober 2008
    Hardcover, 192 Seiten, 17.90 Euro


    ISBN-10 3832180745
    ISBN-13 978-3832180744


    Der Text sei „hochkomisch und super“(1), so Klaus Nüchtern(2), geradezu „brilliant“(3), „… diese überbordende Suada sei mit großem Können ausgeführt, besitze bei seinem slawischen Humor etwas sehr Eigenständiges“(4), so Daniela Strigl(5), ein in seiner „Musikalität hervorragend ausgeführter Text“(6), so Andre Heiz(7).
    Einzig Burkhard Spinnen(8) attestierte dem wenig Potential, er „… gerät auch irgendwann in eine Schieflage, weil immer mehr und mehr aneinander gereiht wird“(9); zwar wäre die Idee, die Figurengestaltung interessant, die Motive, die Figuren, die humoristische Aufarbeitung des Thanatos-Themas seien aber nicht neu. Er sehe kaum eine Weiterentwicklung schon bekannter Themata: „Zwar blendend komponiert, ein virtuoses Potpourri - aber was hat er der Summe seiner Teile hinzuzufügen…“(10). Trotz des negativen Urteils von Spinnen wusste der Text sowohl bei den anderen Juroren als auch beim Publikum zu begeistern. Er erhielt nicht nur den Hauptpreis der Jury, sondern auch den Publikumspreis. Zurecht?


    Ursula März(11) kritisierte die Haltung des Juryvorsitzenden Spinnen mit den Worten: „Immer wenn hier ein Text mit enormer Leichtigkeit und einer schönen Sprache daherkommt, bei dem viel gelacht wird, wird der Moment kommen, wo er verdächtig gemacht wird.“(12) Mir liegt es fern die Leistung Tilman Rammstedts zu verdächtigen; mir liegt es fern dem Buch eine Sogwirkung zuzuschreiben, genauso wenig möchte ich ihm das Talent absprechen zwischenmenschliche Beziehungen analysieren, beschreiben, beurteilen, darstellen zu können. Die Beziehung des Großvater-Enkel-Gespanns ist gezeichnet von Missverständnissen, Konflikten, die nicht nur die Probleme zweier Menschen in unterschiedlichen Altersklassen betreffen, mehr sind es nicht ausgesprochene Gefühle und Gedanken, mehr noch sind es die Dinge innerhalb des Alltagslebens, die beide trennen. Die Liebe ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Beziehung; das Gefühl jemanden zu lieben, ihn sich nähren zu wollen, nicht zu wissen wie, die Ablehnung, die aus einer solchen Unsicherheit resultiert – all das sind keine humoristischen, schönen Momente. Beide, sowohl Keith, der Enkel, als auch der Großvater sind in dieser Beziehung einsam; sie fühlen sich vom Gegenüber allein gelassen, missverstanden, fehlinterpretiert. Die gegenseitige Suche nach Nähe innerhalb der Familie, auch zu Keith, wird der Figur des Großvaters als Negativum angelastet. Seine zahlreichen, teilweise sehr skurril beschriebenen Eigenheiten übertrieben, auch seine positiven Charakterzüge ins Negative umgekehrt.


    Zitat


    “Du kannst froh sein einen solchen Großvater zu haben“, sagte Dai, als wir den Park wieder verließen. „Ja“, sagte ich, auch wenn ich nicht wusste, ob ich darüber wirklich froh sein konnte. Ich wollte es aber können, ich wollte nichts lieber können als das, allen anderen gelang es doch auch, es konnte doch nicht so schwer sein.“(13)


    Der verzweifelte Versuch ihn zu lieben, ihn zu verstehen, lässt ihn auch die Nähe zu Franziska, der letzten „Großmutter“ suchen. Er baut mit ihr eine ‘Beziehung’ auf, die vornherein zum Scheitern verurteilt ist; sie teilen keine Liebe füreinander, keine tiefer gehende Emotion, einzig ihre negative Beziehung zum Großvater bleibt ihre Gemeinsamkeit.
    Die Beziehung zwischen beiden steht ganz im Mittelpunkt dieses Romans und wird damit auch zum Damoklesschwert für meine negative Beurteilung. Die Handlung bleibt stoisch, Konflikte zwischen den Figuren werden durch das Ableben des Großvaters nicht geklärt; die Beziehung wird einzig und allein durch Keith beurteilt. Es bleibt kein Raum für fremde Beobachtungen, für Beobachtungen von Franziska z.B. oder anderen Mitgliedern dieser Familie. Die Umwelt bleibt ein nicht erwähnter Faktor innerhalb dieser zwischenmenschlichen Beziehung. Nur die charakterliche Schwäche beider Figuren steht im Mittelpunkt, Einflüsse von Außen gibt es kaum, selbst in den fiktiven Briefen Keiths aus China verändert sich dieses Verhältnis nicht. Der Roman ist als Introspektive aufgebaut und bleibt diesem Schema bis zum Ende treu. Ein großes Manko, meiner Ansicht nach.
    Nicht nur die Eindimensionalität der Figuren bleibt so bis zum Ende vorhanden, auch bewegt sich in der Handlung nichts; es gibt keinen Fortgang, keine neue Erkenntnis für Keith. Er bleibt in seiner Welt gefangen, in der Konflikte nicht ausgesprochen werden, Emotionen und Gedanken nicht ausgetauscht werden. Auch die China-Episoden, die durchaus imposant, sehr skurril, sehr innovativ in Briefen des jungen Mannes an seine Familie geschildert werden, verstärken den Eindruck noch. Diese Reise hat nicht stattgefunden, sie ist nur ein Phantasieprodukt von Keith, um über den Verlust des eigentlich Ungeliebten hinweg zu kommen – Zudem wirken die Briefe nicht authentisch, aufgesetzt, zu stark konstruiert, um eine Aussage treffen zu können. Andre Heiz hat es sehr passend charakterisiert, wenn er sagt, dass in diesem Roman „Humor als Therapie eingesetzt“(14) werde und der Leser einem „ständig schwatzendes Über-Ich“(15) begegne.


    Fazit:


    Eine stilistisch gut aufgearbeitete Großvater-Enkel-Beziehung, die sich allerdings innerhalb von fast 200 Seiten wenig bis gar nicht entwickelt; ein Problem ist hier, dass die Möglichkeit Konflikte auszutragen und Lösungsmöglichkeiten zu finden von Anfang an nicht gegeben ist. Der Roman bleibt so stoisch, ohne große Wendungen, ohne große Veränderungen in seiner atmosphärisch heiter-melancholischen Introspektive.


    ~*~


    [1] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [2] Klaus Nüchtern ist ein österreichischer Journalist und publiziert u.a. für „Literaturen“. Seit 1989 arbeitet er als fixer Kulturredakteur, seit 1990 als Chefredakteur bei der Wiener Stadtzeitung „Der Falter“. Von 2004 bis 2008 war er Juror für den Ingeborg-Bachmann-Preis. (lyrikwelt.de)
    [3] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [4] ebenda
    [5] Daniela Strigl ist „Literaturwissenschaftlerin, -kritikerin und Essayistin (Der Standard, Wiener Journal, Die Presse, Literatur und Kritik, ORF-Radio).“ (literaturhaus.at)
    [6] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [7] „André Vladimir Heiz (* 1951) ist ein Schweizer Schriftsteller, Dozent für Semiotik und ein Designtheoretiker.“ (Wikipedia)
    [8] Burkhard Spinnen ist „seit 1996 (ist er) freier Autor und erhielt zahlreiche Preise; 2004 den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld für sein bisheriges Gesamtwerk.“ (perlentaucher.de)
    [9] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [10] ebenda
    [11] Ursula März ist Journalistin bei der Frankfurter Rundschau. (Ursula März: Der 70er-Jahre-Feminismus ist passé)
    [12] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [13] Tilman Rammstedt; Der Kaiser von China; DUMONT; Dezember 2008; S.166
    [14] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [15] ebenda

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

  • Den Grundgedanke von dem Buch fand ich ja gut, aber die lange erfundene Geschichte aus dem Chinaurlaub, da kam ich mir doch sehr veralbert vor und hab so manches überblättert.


    Bei mir kommt das Buch nicht so gut weg! 5 von 10 Punkten! Und das auch nur weil ich bei ein paar wenigen Absätzen lachen mußte!

  • Ich habe das Buch jetzt endlich auch gelesen, nachdem es schon längere Zeit in meinem Sub dümpelte.


    Mir hat es ausgesprochen gut gefallen, gerade weil alles so herrlich überzeichnet war ohne albern zu werden (wobei ich allerdings auch zu den Liebhabern grotesker Figuren gehöre). Die Briefe aus China sind fast eine Persiflage auf gängige Reiseliteratur, lesen sich dadurch aber wesentlich unterhaltsamer. Für mich waren diese Briefe eindeutig die textlichen Highlights. Ich glaube, ich muss jetzt erst mal nachschauen, was erfunden und was tatsächlich echt ist.


    LG,
    Monika

  • Mich konnte es nicht so wirklich begeistern.
    Sicher, ab und zu musste ich schmunzeln, aber irgendwie war der Humor nicht ganz so mein Ding.
    Leicht zu lesen, ein paar nette Anekdoten - aber trotzdem auch etwas langatmig und ein bisschen zu öde.
    Hat mich nicht vom Hocker gerissen.

  • Meine Meinung:


    Wer sich einer schwierigen oder unangenehmen Situation entziehen möchte, gerät nicht selten in die Versuchung, dies durch Lügen zu erreichen. Doch wie so oft im Leben können einen diese Lügen schneller einholen als man denkt - genauso geht es Keith Stapperpfennig, dem Protagonisten und Ich-Erzähler aus "Der Kaiser von China". Als er sein Versprechen, den Großvater auf eine Reise nach China zu begleiten, bricht und den alten Herrn ohne Wissen seiner Geschwister alleine ziehen lässt, ahnt Keith nicht, welche Folgen seine Entscheidung haben wird. Als sein Großvater nämlich im Westerwald stirbt, muss er handeln - und das tut er auf seine Weise und erfindet eine unglaubliche Geschichte, die von einer gemeinsamen Reise mit seinem Großvater nach China handelt und den zahlreichen skurrilen und abenteuerlichen Ereignissen, deren Zeuge sie angeblich im Land des Lächelns wurden. So liebenswert-haarsträubend die Geschichte ist, die Keith in fingierten Briefen an seine Geschwister erzählt, so seltsam-unglaubwürdig ist allerdings sein tatsächliches Verhalten. Angefangen von seinem Umgang mit dem Großvater in der Vergangenheit über die Liaison mit Franziska bis hin zu seiner Reaktion auf die Mitteilung über den Tod des Großvaters. Spätestens bei letzterer Situation konnte ich Keith' Handeln überhaupt nicht mehr folgen, es drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wie er selbst mit seinem Lügengebäude umgehen und leben kann, doch soweit reicht der Roman nicht, sondern endet in dem Moment, in dem auch das - meiner Meinung nach - letzte bisschen Komik verschwindet und einer unausweichlichen Tragik Platz macht.


    6 Punkte von mir.