Roland Barthes war einer der einflussreichsten Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts. 1980 an den Folgen eines Unfalls gestorben, hat er in den voraufgegangenen 30 Jahren eine beeindruckende Menge literaturtheoretischer, oft sehr essayistisch gehaltener Texte verfasst, die sich mit den maßgeblichen Fragestellungen der Zeit befassen. Barthes ist gerade durch diese Vielfalt und durch seine relativ gute Zugänglichkeit ein guter Einstieg für alle, die sich für literaturtheoretische Fragestellungen interessieren, sich aber an die (meist zu Unrecht) verschrienen "Franzosen" nicht so recht herantraut. Außerdem ist er einer, dessen Lektüre sich in jedem Fall immer wieder lohnt,
Le degré zéro de l'écriture ist ein relativ früher Text Barthes', in dem er sich mit der ethischen Dimension von Literatur auseinandersetzt. Er reagiert damit vor allem auf die von Sartre vorgetragene Position, dass der Schriftsteller für sein Zeitalter verantwortlich sei und Literatur immer auch engagiert zu sein habe. Wichtige Voraussetzung ist dafür die Freiheit, die sowohl Schriftsteller als auch Publikum brauchen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Barthes betrachtet dieses Problem vom Standpunkt der Schrift aus, das heißt in einer semiotischen (zeichentheoretischen) Perspektive: Welchen Zwängen unterliegt literarisches Schreiben und welcher Art sind die Freiheiten, die ein Schriftsteller oder ein Leser für sich reklamieren kann? Was bedeutet das für das Projekt einer "engaierten Literatur"?
Barthes trifft dafür eine Unterscheidung zwischen Sprache (langue), Stil (style) und Schrift (écriture). Während die ersten beiden für die Teilnehmer am literarischen Betrieb gleichsam natürlich ("comme une Nature") gegeben sind - Sprache als Horizont dessen, was gesagt werden kann, Stil als die persönlich erworbene Ausdrucksfähigkeit - liegt für Barthes die eigentliche Wahlmöglichkeit und der wichtigste Aspekt der Freiheit der Literatur in der Dimension dessen, was er Schrift nennt. Doch Schrift ist für ihn alles andere als neutral. Sie ist historisch - und zwar anders als die Sprache, die er synchron relativ homogen betrachtet, die sich nur im Laufe der Zeit verändert und andere Dimensionen des Ausdrucks ermöglicht - und sozial. Dadurch das die Schrift immer an Sprache gebunden ist, steht sie immer in einem historischen Zusammenhang, bezieht sich auf Früheres, ordnet sich in eine Tradition ein und grenzt sich von einer anderen ab. Dies geschieht nicht in jedem Augenblick intentional, sondern ist einem Pakt zwischen Gesellschaft und Literaturschaffenden geschuldet, ohne die es Literatur nicht geben kann. Literaur - so könnte man etwas vereinfacht sagen - braucht Leser. Im Moment der Positionierung ist der Schriftsteller frei, jedoch nur hier, ein ahistorisches Schreiben ist undenkbar (Barthes bespricht viele Versuche von Neutralität oder "Gegensprachlichkeit", wie zB Camus oder Mallarmé). Jedoch in der Rezeption und auch schon in der konkreten Produktion kann Literatur nicht einfach als ein geradliniger "freier" Akt eines Autors beschrieben werden.
Barthes zeigt in diesem Zusammenhang auch die historische Gebundenheit politischer bzw. politisch gewollter Literatur auf, setzt sich etwa mit dem sozialistischen Realismus und seiner Verwurzelung im Bürgertum auseinander. All diese Analysen geraten manchmal etwas knapp. Barthes ist eher ein Essayist, ein Freund starker und nicht immer ganz wasserdichter Thesen. Das macht ihn aber auch zu jemandem, der Debatten immer wieder fruchtbringend angestoßen hat und ganz erstaunliche Erkenntnisse zutage förderte.
Im vorliegenden Text lässt sich jedenfalls ablesen, dass er der Sartreschen Forderung nach Freiheit skeptisch gegenübersteht. Er nimmt damit spätere Kritiken an einer solchen Literaturbetrachtung vorweg, die eine stärkere Konzentration auf - z.T. unbewusste - historische Verankerung der Sprache und der Literatur stark gemacht haben.
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