Die Kalligraphin - Kirsten Schützhofer

  • Die Kalligraphin, Kirsten Schützhofer, Diana-Verlag, Dezember 2008, ISBN 978-3-453-35269-8, 9,95 €


    Zur Autorin: (lt. Klappentext)
    Kirsten Schützhofer, 1972 geboren, war als Englischlehrerin in der Erwachsenenbildung tätig, bevor sie 1999 in Leipzig den Studiengang Bibliothekswesen begann. Sie verbrachte längere Zeit am Goethe-Institut in Bordeaux sowie in Bibliotheken in Colmar und in den Archives de Paris. Heute arbeitet sie als Bibliothekarin.


    Autorenporträt bei den Büchereulen
    Homepage der Autorin



    Meine Meinung:
    Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr darf ich mich über einen neuen historischen Roman von Kirsten Schützhofer freuen und hatte, um es vorwegzunehmen, viele Stunden puren Lesegenusses! Besonders freut mich, dass Kirsten Schützhofer mit ihrem dritten Roman zweifelsfrei zeigt, dass sie zu den Autoren gehört, die ihren eigenen persönlichen Stil entwickeln und verfolgen und gleichzeitig in ihrer Themenwahl und Charakterdarstellung vielseitig bleiben.


    Diesmal entführt uns Kirsten Schützhofer in das ausgehende 17. Jahrhundert, der Zeit der Türkenkriege. Die junge Habar und ihr Bruder gelangen nach einem furchtbaren Massaker als Sklaven aus ihrer ungarischen Heimat auf das Gut Schwarzbach in Sachsen. Insbesondere Habar wird aufgrund ihres exotischen Aussehens bestaunt. Wegen ihres muslimischen Glaubens und ihrer Fremdartigkeit werden beide jedoch als Fremdkörper in der Gesellschaft gemieden oder angefeindet. Insbesondere der junge Erbe des Gutes, Rupert, der in den Kriegswirren seine Eltern verloren hat, macht den Fremden, die von seinem Onkel fast wie eigene Kinder behandelt werden, das Leben nahezu unerträglich. So müssen Habar und ihr Bruder selbst ihren Weg finden, um in der Fremde, in der Isolation zu überleben und ein Stück Heimat zu finden. Habar hilft dabei die Kunst der Kalligraphie, die sie noch von ihrem Vater gelernt hat. Als der Gutsherr diese besondere Fähigkeit entdeckt, zwingt er sie zur Fälschung von Dokumenten, was sie ihr ganzes Leben verfolgen wird....


    Wie in ihren vorigen Romanen hat mich Kirsten Schützhofer wieder von der ersten Seite an gefangen genommen. Bereits zum Einstieg ihres Romans arbeitet die Autorin geschickt und ohne zu werten die verschiedenen Sichtweisen der Kulturen voneinander heraus, jeder hält den anderen für „Barbaren“. Kirsten Schützhofer thematisiert in ihrem historischen Roman „Die Kalligraphin“ das Leitmotiv der Fremdheit und der Einsamkeit in seinen verschiedensten Facetten und schafft damit aktuelle Bezüge. Dabei steht nicht nur das Fremdsein in einem anderen Land, einer anderen Kultur im Vordergrund, sondern auch das Fremdsein in der eigenen Heimat, die Isolation in und von der Gesellschaft. Zweites wesentliches Motiv des Romans ist die persönliche Freiheit, die mit dem Leitmotiv der Fremdheit in engem Zusammenhang steht. Auch hier behandelt die Autorin über ihre Protagonisten verschiedene Aspekte; so geht es nicht nur um die Frage frei oder bis hin zum Sklaventum gefangen zu sein, sondern auch darum sich von einer Schuld oder Last eingeengt oder befreit zu fühlen.


    Diese zentralen Motive erarbeitet Kirsten Schützhofer für und mit dem Leser anhand einer unterhaltsamen, liebevoll recherchierten, informativen und spannenden Geschichte mit interessanten Charakteren. Wie ich dies bisher schon bei den Romanen der Autorin zu schätzen gelernt habe, sind nicht nur die Protagonisten plastisch und lebendig ausgestaltet. Dem Leser werden wiederum spannende Nebenfiguren mit Ecken und Kanten geboten, die teilweise selbst zum Protagonisten eines ganzen Romans werden könnten. So habe ich auch diesmal Figuren gefunden, mit denen ich gelitten und gelacht habe, um die ich gebibbert habe und, obwohl ich es ja nun schon gewohnt bin, dass die Autorin mit ihren Figuren durchaus wie im echten Leben hart umgehen kann, habe ich mich sehr gefreut, dass eine meiner Lieblingsfiguren trotz aller Tragik und Schicksalsschläge eine überaus erstaunliche und erfreuliche Entwicklung mitmachen durfte.


    Dem sprachlichen Bildermalen ist Kirsten Schützhofer treu geblieben, was nicht nur an schönen Metaphern und Bildern liegt, die sie einsetzt, sondern an ihrer leisen, unaufdringlichen, aber klar beobachtenden und eindringlichen Sprache.


    „Die Kalligraphin“ wurde vom Diana-Verlag mit einem geschmackvollen, passenden Cover mit Goldornamenten als Taschenbuch herausgebracht, das mit zahlreichen wertvollen Zusatzmaterialien versehen ist. Neben einer Zeittafel, einem Glossar und Quellenangaben zu den Zitaten ist ein Nachwort der Autorin und ein kurzes Interview beigefügt, um dem Leser nähere Informationen zu Motivation, Entstehung und Hintergründen des Romans zu geben.


    Ich habe in Kirsten Schützhofers historischem Roman „Die Kalligraphin“ neben den obenstehenden beschriebenen Elementen noch viele weitere hervorzuhebende Figuren und Szenen gefunden, die mir die Lektüre dieses Romans sehr wertvoll gemacht haben. Alle weiteren Anmerkungen würden aber doch nur auf eins hinauslaufen: Zeit nehmen. Lesen. Genießen. Verstehen. Wenn ich gefragt werden würde, welcher Roman Kirsten Schützhofers mir am Besten gefällt, würde es mir schwer fallen zu antworten. Eine strategisch kluge Antwort wäre vielleicht „ihr nächster“. Und wenn mich der Verlag fragen würde, über welches Thema sie als nächstes schreiben soll, würde ich antworten „über das, was ihr am meisten unter den Nägeln brennt“.


    Tja, da ich ja nicht sagen kann, welcher von Kirstens Romanen mir am besten gefällt, muß ich bei 10 von 10 Punkten bleiben...

  • Zitat

    Original von Lumos
    Ich habe gestern erst die Benachrichtigung meiner Buchhandlung erhalten, dass es jetzt endlich ausgeliefert wurde und ich es abholen kann.


    Hm. Vermutlich werden die Buchhandlungen doch unterschiedlich beliefert, bei uns war es schon letzten Samstag zu haben (vielleicht sogar früher, das weiß ich aber nicht).

  • Zitat

    Original von Solas
    Vielen lieben Dank! Ein neues Buch ist ja für mich immer noch ziemlich aufregend - und ganz besonders spannend wird es, wenn ich es zum ersten Mal mit "fremden" Augen sehen kann. :-)


    Liebe Grüße


    Kirsten


    Ich finde die Gestaltung ist wirklich sehr schön gelungen und ich glaube, der Veröffentlichungszeitpunkt ist gut gewählt.


    Wie soll ich sagen: das Buch in eine schöne Nikolaus- oder Weihnachtsverpackung, ein nettes Getränk oder etwas Süßes dazu ist das ein richtig stimmungsvolles Geschenk.

  • Habe das Buch heute abgeholt :-]!


    Mensch Kirsten! Ist das richtig, dass du am 28.11. im Amtshof eine Lesung hältst? Und ich das erst per Zufall in der Buchhandlung erfahre? :fetch


    Oder habe ich die Info hier bei den Eulen irgendwie übersehen?


    Da habe ich mich gegrämt, dass ich morgen nicht nach Frankfurt kann und es gibt auch eine Lesung quasi direkt vor meiner Haustür :freude.


    Sagst du mir kurz Bescheid, ob die Info auch stimmt? Das wäre lieb von dir.

  • @ Solas


    Ist schon im Kalender eingetragen. Wenn nicht irgendwas dramatisches passiert, bin ich auf jeden Fall da. Soll ich ein bißchen Reklame machen und vielleicht ein paar Leute mitbringen oder ist es wahrscheinlich eh voll? So groß ist es da ja nicht.


    Ich freu mich auf jeden Fall riesig. Dann krieg ich bestimmt auch mein Buch signiert? In meinem ersten Buch die Farbe der Revolution habe ich auch eine wunderschöne Widmung.

  • Zitat

    Original von Lumos
    Ist schon im Kalender eingetragen. Wenn nicht irgendwas dramatisches passiert, bin ich auf jeden Fall da.


    Sehr schön. :-] Da freue ich mich!


    Zitat

    Original von Lumos Soll ich ein bißchen Reklame machen und vielleicht ein paar Leute mitbringen oder ist es wahrscheinlich eh voll? So groß ist es da ja nicht.


    Werbung kann nie schaden. Das wäre sehr nett von Dir.


    Aber natürlich kriegst Du Dein Buch signiert!


    Liebe Grüße


    Kirsten

  • 1687. Die Kinder Habar und Ibrahim überleben in den Türkenkriegen den Sturm auf die Stadt Ofen und die Vertreibung der Osmanen und werden als Gefangene auf das Gut Schwarzbach in Sachsen gebracht. Zunächst als niedere Bedienstete eingesetzt und als Beutetürken gehasst und bestaunt, verändert sich der Lebensweg der Geschwister stetig und auf völlig verschiedene Weise.


    Kirsten Schützhofers neuen Roman könnte man auch mit "wenn der Orient das Abendland trifft" untertiteln, denn das exotische Aussehen der Geschwister, ihre Fremdheit und ihre Schwierigkeiten, in einem Land von Blassaugen und Bleichgesichtern ihren Weg zu finden, ist zentrales Thema dieses Buches, das den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Kirsten Schützhofer schildert sehr feinfühlig und glaubhaft die inneren Konflikte, denen beide Geschwister ausgesetzt sind: Den ständigen Kampf gegen das Vergessen der eigenen Wurzeln und das Bemühen auch in einer fremden, neuen Umgebung sich selbst treu zu bleiben und dem Wunsch, sich der neuen Umgebung anzupassen, kein "Fremdkörper" mehr zu sein und einen Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Dafür bedarf die Autorin keiner großen Worte. Es sind leise Bilder, die im Kopf des Lesers entstehen, Nuancen, Gesten, Gefühle, die sich zu einem Band verweben, dass sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Ein Band, das auch die vielen anderen Haupt- und Nebenfiguren umfasst, bei denen man aber nie das Gefühl hat, es wären zu viele. Sie alle vervollkommnen das Bild, die Geschichte, geben ihr Tiefe und Form und finden ihren Platz im Herzen des Lesers. Keine der Figuren in Kirsten Schützhofers Buch hat es leicht, jeder trägt an seinem persönlichen Schicksal und mancher zerbricht daran. Andere wiederum schaffen es, auf steinigen Wegen die Fesseln der Vergangenheit hinter sich zu lassen und endlich ihr persönliches Glück zu finden. Kirsten Schützhofer gelingt hier ein kleines Wunder. Allein mit der Beschreibung des Verhaltens ihrer Protagnisten gelingt es ihr, deren Gefühle klar zu machen, ohne dass es dafür konkreter Worte bedarf. Sie lenkt ihre Leser nicht, sondern lässt ihnen den Raum, zwischen den Zeilen zu lesen und ermöglicht so einen Blick in die Herzen und Seelen ihrer Protagonisten, die der Leser so rasch besser kennt, als diese sich selbst. Gerade dieser Blick ist es, der den Leser das Buch kaum zur Seite legen lässt. Tut er es notgedrungen doch, kann er sich auch in Lesepausen dem Schicksal der Figuren nicht entziehen, dafür ist der Eindruck, den sie hinterlassen, zu stark.


    Es ist ein Epos, das Kirsten Schützhofer geschaffen hat, eine Familiensaga, die über einen Zeitraum von fast 30 Jahren erzählt wird und deren Themen Verlust, Schuld, Selbstzerstörung aber auch Verzeihen und Liebe sind und an deren Ende der lang ersehnte innere Frieden steht.


    Die Messlatte lag nach der Kapelle der Glasmaler hoch. Mit der Kalligraphin hat Kirsten Schützhofer sie noch ein Stück höher gelegt.

  • Dieser wunderbaren Rezi von Bouquineur habe ich nicht viel hinzuzufügen und kann mich nur anschließen :write!


    Es ist ein unglaublich fesselndes und vielschichtiges Buch über ein Thema (die "Beutetürken"), das bislang keinen großen Raum bei den historischen Romanen eingenommen hat. Auf über 600 Seiten findet sich nicht eine einzige langweilige Passage! Im Gegenteil - am Ende denkt man (jedenfalls ich :-)) schade, war`s das schon? Man könnte immer weiter lesen.

  • Nichts gegen Marketing- aber der Titel führt- wie der Text auf der Rückseite des Einbandes- alle die in die Irre, die feste Erwartungen in einen "Die ...in" Titel haben, die seichte, leicht romantische Liebesgeschichten in historischer Kulisse, ein paar derbere Sexszenen dazu und starke Frau setzt sich in böser Männerwelt durch erwarten und solch eine Geschichte lesen wollen. Nur - solche Bücher schreibt Kirsten Schützhofer nicht- solche Erwartungen enttäuscht sie schwer.


    Kirsten Schützhofer schreibt gut recherchierte historische Romane, Romane die uns in eine Zeit hineinversetzen, so lebendig und bildhaft, dass man sich als Leser die Nase zuhalten möchte, wenn der Gestank des Krieges beschrieben wird und der Duft von Zimt den Raum erfüllt, wenn die Protagonistin ihre Sauermilch trinkt.


    Das Thema Sklaverei in Deutschland, hier am Beispiel von "Kriegsbeute" aus dem Türkenland- in Wirklichkeit Kinder aus Ungarn, "erworben" nach dem Sturm von Ofen- eines Teils des heutigen Budapest- und den Umgang mit diesen "Teufeln" stellt den einen Handlungsstrang dieses Romans dar- der Verlauf des Krieges des sächsichen Kurfürsten August des Starken um die polnische königskrone bildet den zweiten zeitgeschichtlichen Schwerpunkt. Der kursächsische kleine Landadel stellt die Protagonisten: Soldaten, Höflinge, Gutsbesitzer. Die Assimilation der zwei Türkenkinder in diese Gesellschaft, -die sich unterschiedlicher nicht darstellen könnte- bestimmt den Verlauf der Geschichte.


    Da ist zum einen Ibrahim, der sich nach der Trennung von der Schwester taufen lässt und ganz Teil wird der Gesellschaft, der Familie und seiner Umgebung, zum anderen die Schwester Habar, die von ihrem Vater einst das Schreiben gelernt hat und die das Schreiben liebt- die Kalligraphin. Sie lernt schneller als der Bruder die neue Sprache, aber sie bleibt ihrem "türkischen Weg" treu- sie, die sich später auch taufen lassen wird schreibt den Namen Allahs weiter auf Papier, nennt ihre Tochter nach ihrer Mutter Esme und erzählt die Geschichten aus der Vergangenheit- auch wenn sie die Güter ihres Herrn kundig verwaltet und Realistin genug ist zu wissen, dass es keinen Weg zurück geben kann.


    Aber das Buch ist von Kirsten Schützhofer und damit ist klar, dass es keine strahlende Heldin gibt, die das Buch alleine trägt und prägt, sondern viele handelnde Personen, die ihre Zeit und ihre Stellung in ihr repräsentieren, deren Wandel und Handel, deren Erfolg und deren Scheitern die Geschichte tragen und dieses Buch zu dem machen, was ein Buch von Kirsten Schützhofer für mich bisher stets war: Ein tolles Leseerlebnis.

  • Wieder mal ein Buch, welches ich kaum aus der Hand legen wollte. Auch wenn der Titel etwas irreführend ist und die Kalligraphie nicht im Vordergrund steht, hat es Kirsten Schützhofer vermocht, mir die Protagonisten näher zu bringen. Ich konnte mit ihnen leiden und mich mit ihnen freuen. Wenn ein Buch das schafft, hat der Autor in meinen Augen sein Ziel erreicht.