Ilias - Homer Übertragen von Raoul Schrott

  • 672 Seiten, davon eine Einführung von 30 Seiten und ein Kommentar und Anhang
    Erschienen September 2008
    ISBN-10: 3446230467
    ISBN-13: 9783446230460


    Kurzbeschreibung:


    Das älteste Epos Europas und der Ursprungsmythos des Abendlandes in einer neuen, zeitgemäßen Übertragung von Raoul Schrott: Noch nie wurde dem heutigen Leser dieses große Epos vom Troianischen Krieg so nahe gebracht, in einer ebenso kraftvollen wie bildhaften Sprache. Ausgelöst von Paris' Raub der schönen Helena, schildert Homer blutige Schlachten zwischen Griechen und Troianern und erzählt von den Göttern, die den Menschen bei ihrer Selbstzerfleischung zuschauen. Homers Geschichte ist das gleichsam enzyklopädische Monument jener Kultur, von der unsere heutige sich ableitet.


    Über den Autor:


    Der griechische Dichter lebte im 8. Jahrhundert v. Chr. im ionischen Kleinasien. In der Philologie lange als fiktive Persönlichkeit angesehen, gilt er heute wieder als historische Person, deren Bild durch die Legende mit den Zügen des wandernden Rhapsoden (z.B. Blindheit) ausgestattet wurde.


    Über den Übersetzer:


    Raoul Schrott, geboren 1964, aufgewachsen in Tunis und Landeck, lebt in Irland. Er veröffentlichte u.a. den Roman "Finis Terra" (1995), Die Wüste bei "Lop Nor" (2000), die Gedichtbände Hotels (1995) und "Tropen", und die Anthologie "Die Erfindung der Poesie" (1997), die zu einem lyrischen Bestseller ohnegleichen wurde. Daneben zahlreiche Essays zur Dichtung und Übersetzungen vom Gilgamesch-Epos bis Derek Walcott. Zuletzt erschien sein höchst umstrittenes Werk „Homers Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe“ (ISBN: 9783446230231) in dem Schrott die Geschehnisse der Ilias in Kilikien (dem heute etwa Türkisch- Syrischen Grenzgebiet entsprechend) verortet und die Burg Karatebe als Burg des Priamos verortet.


    Meine Meinung:


    Der Übersetzer beginnt mit einer Einführung über 40 (lateinisch nummerierte) Seiten. Wenn der Übersetzer wirklich den Ehrgeiz hatte modern zu schreiben und junge Leute an die Klassik heranzuführen, hätte er sich diese Einleitung sparen sollen. Sätze wie: "Daß die Poesie eine Suggestionskunst ist, die ihre Formen einsetzt, um jenseits notgedrungender sprachlicher Defizienzen auf eine Realität zu verweisen, ist eine Universalie" oder wie: "Der Hintergrund aus dem das Dramatische wie das Narrative gemeinsam hervortreten, ist das Statische des Bildlichen", solche Sätze verschrecken den Leser, der eine spannende Geschichte lesen will, bevor diese beginnt. Natürlich sind dies zwei sehr aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, aufzeigen will ich damit, dass Schrott für sich und seine Arbeit von Vorneherein eine starke Rechtferigungshaltung einnimmt, die sich hinter solchen Sprachungetümen versteckt.


    Nach der Einführung folgt eine Zusammenfassung der KYPRIA, eines zypriotischen, im Original verlorenen Sagenkreises, in dem die Vorgeschichte des troianischen Krieges erzählt wird unter anderem auch die berühmte Szene mit dem Apfel der Aphrodite. Die Zusammenfassung rekonstruiert die über Zitate bekannten Teile in einer Art, wie man sie aus Opernführern kennt, die Handlung wird in wenigen Zeilen für jeden Akt dargestellt.


    Dann folgt der eigentliche Text, die Neuübertragung der Ilias Der trojanische Krieg zweiter Teil.


    Eine Neuübertragung in heutiges Deutsch, in sehr heutiges Deutsch. Schrott verzichtet dabei nicht nur auf den Versuch Homers Sprachform und Diktion nachzudichten, sondern übertragt in heute gesprochen Sprache, die dennoch eine Verform wahrt. Ein Beispiel aus dem ersten Gesang:


    Unmutsvoll nun begann der Herrscher im Donnergewölk Zeus:
    Heillos traun ist solches, daß du mit Here zu hadern
    Mich empörst, wann sie künftig mich reizt durch schmähende Worte


    So bei der im Gutenberg Projekt nachlesbaren gemeinfreien Übersetzung von Voß.


    Bei Schrott geht das dann so:


    da senkte zeus seine sturmumwölkte stirne und donnerte los:
    himmelherrgottnocheinmal! du handelst mir nur ärger ein-
    damit hera mit ihrer ewigen streitlust wieder auf mich losgeht!


    Also eigentlich kommt mir Zeus so ein bischen Nockerbergartig vor, nicht ganz Olympier. Aber man versteht es und es lässt sich lesen.


    Am Rande angegeben sind die Versnummern, ein direkter Vergleich der Fassungen ist also jederzeit möglich.


    Die Ilias endet mit Hektors Tod.


    Dann folgt eine Zusammenfassung der AITHIOPIS, der trojanische Krieg Dritter Teil
    Es folgt ein Anhang mit Kommentaren von Peter Mauritsch und einem Inhaltsverzeichnis zu diesem Werk.


    Das Buch ist sicher nicht gant billig, aber wer schon versucht hat sich durch die Texte im Projekt Gutenberg oder durch die Reclam Ausgabe durchzukämpfen wird verstehen, dass es nicht möglich ist diese Geschichte in drei Tagen durchzulesen- länger habe ich für diesen Wälzer nicht gebraucht.


    So umstritten Schrotts Behauptung zur Neubewertung der Ilias sein mag (eine These mag ich seine Phantasien gar nicht nennen, das wäre schon eine Überbewertung), so wichtig halte ich diese Arbeit ein Werk der Weltliteratur neu und wieder zu erschliessen und lesbar zu machen.


    Deshalb von mir eine unbedingte Leseempfehlung und 9/10 Punkten

  • Danke für die Vorstellung dieser doch recht umstrittenen Übertragung.


    Ich bin aus verschiedenen Gründen nicht glücklich darüber. Vor allem finde ich nicht, daß der Vergleich mit der Übersetzung von Voß paßt.
    Diese Übersetzung entstand in den späten 1780er Jahren und erschien Anfang 1790er (ich habe das genaue Erscheinungsjahr nicht parat).
    Wenn wir heute beim Lesen dieser Übersetzung an etwas scheitern, dann nicht an Homer, sondern am Deutsch der damaligen Zeit.


    Nur erhebt sich dann die Frage, was man haben will. Wenn man den Inhalt der Geschichte erfahren will, kann man auch Zusammenfassungen in Prosa lesen, die gibt es zuhauf.
    Wenn man aber die Ilias von Homer lesen will, reicht es nicht, sich nur auf die Geschichte, also den Ablauf der Handlung, zu konzentrieren. Dann geht es auch um Vers(maß) und verwendete Sprache.
    Und dann muß auch die Zeit mitbringen, die ein so anspruchsvolles Stück Literatur fordert.


    Alles andere hieße für mich, Homer zu lesen ohne Homer. Und ich spreche hier nicht von der griechischen Originalfassung, das ist nochmal eine andere Frage.


    Schrott nun hat auch in Interviews schon gesagt, daß er es mit dem Original nicht immer ganz genau nahm. Er hat hin und wieder - er versteht sich als Poet - seinem, ähm, lyrischen Fühlen nachgegeben und Vokabular und Grammatik des Originals hintangestellt.


    Gerade solche Entscheidungen halte ich für bedenklich, nicht nur wegen der weiteren Vermittlung des Inhalts, sondern auch, wenn ein Buch relativ teuer ist. Dadurch bekommt es nämlich ein besonderes Gewicht. Es sieht sozusagen nach Verläßlichkeit aus.
    Das ist der Inhalt aber offenbar nicht unbedingt.


    Ich selber halte Voß auch für unlesbar und selbst gemessen an der damaligen Zeit für altertümelnd. Es wäre auch in den 1790ern 'moderner' gegangen.
    Daher ist Voß für mich kein Gradmesser für die Verständlichkeit altgriechischer Epen.


    Schrott würde ich dennoch nicht lesen. Das ist für mich zu weit vom Original entfernt.
    Ich glaube, über die Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt geht immer noch nichts, wenn man die Ilias von Homer lesen will.
    Natürlich kann man auch Raoul Schrott lesen. Aber das ist halt etwas anderes.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Ah, gut zu wissen. Ich bin auch schon um diese schöne Ausgabe herumgeschlichen. Aber ich bleib doch lieber bei meiner vielgeliebten Hampeübersetzung :anbet, auch wenn es nur eine schnöde Reclamausgabe ist.


    Unwirsch sagte zu ihr da Zeus, der Wolkenversammler:
    "Heillose Dinge, wahrlich, mich zu verfeinden mit Hera,
    Legst Du mir auf, sobald sie mich reizt mit schmähenden Worten;


    [edit]Jetzt hat Magali sich noch dazwischengedrängelt. :schlaeger
    .

  • Hampe ist doch auch okay, also hör auf zu hauen.
    :kiss


    Ich kann leider nicht mit der Schadewaldt-Stelle dienen, da ich von ihm bloß die Odyssee-Übersetzung besitze, (Odyssee lese ich lieber) und die Ilias nur in der Version von, ähm, wie sag ich's, ähm, Voß.
    :yikes


    Damit ist zumindest der Beweis erbracht, daß ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich den armen Voß als ziemlich unlesbar bezeichne.
    :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Du bringst mit dieser Rezi alle meine guten Vorsätze zum Wanken, beowulf.
    Ich betreibe doch SUB-Abbau, aber dieses Buch zu diesem noch dazu schrecklichen Preis muss ich unbedingt haben.


    Ich denke, da muss der Weihnachtsmann einspringen, weil ich mir selber ja nichts kaufen darf.


    Die Übersetzung von Voss habe ich zwar schon zweimal gelesen und lange gebraucht, bis ich mich einigermaßen eingelesen hatte.
    Da bin ich auf die moderne Sprache doch schon sehr neugierig.


    Danke für diese interessante Vorstellung. Ich wußte gar nicht, dass sich Raoul Schrott damit befaßt.

  • Ich hab mal hier meine Laienmeinung zu Hampe/Schadewaldt abgegeben:


    Zitat

    Ich hab mit der von Schadewaldt-Übersetzung (Insel) angefangen, der hat möglichst wortwörtlich übersetzt, hat die griechische Wortstellung möglichst beibehalten, hat auf die Umsetzung in deutsche Hexameter verzichtet, weil er meinte, dass die deutsche Übersetzung vor der griechischen fertig ist, und man dann (wie Voss) den Vers mit Füllwörtern strecken müsste. Das schien mir irgendwie Sinn zu machen. Irgendwann hab ich dann aber zu der Übersetzung von Roland Hampe (Reclam) gewechselt, der den Text in deutsche Hexameter umgesetzt und die griechische Wortstellung nicht immer beibehalten hat. Die Hexameter sind mir ehrlich gesagt völlig egal, insgesamt finde ich Schadewaldts Übersetzung poetischer, aber Hampe einfacher zu lesen, weil man nicht immer den ganzen Satz auf das Subjekt warten muss. Ich könnt jetzt nicht sagen, welche ich bevorzuge.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Deshalb von mir eine unbedingte Leseempfehlung und 9/10 Punkten


    Danke. Ich hab bisher nur bei Libreka drin gestöbert, weil ich eh grad keine Zeit hätte, das Ding komplett zu lesen. Die Eigeninterpretationen sind mir aufgefallen, aber ich hatte immer das Gefühl, sie sind stimmig und verstärken nur die eigentlichen Aussagen. Außer an der Stelle, als er zu der Aufzählung von Agamemnons Töchtern Iphigenie und Elektra dazudichtet. Haut nicht so ganz hin, wenn die bereits erwähnte Iphianassa mit Iphigenie identisch ist.


    Aber spätestens bei "Zeus hat ihm ins Hirn geschissen" war ich ja hin und weg. :heisseliebe