Der blaue Hammer - Ross Macdonald

  • OT: The Blue Hammer 1976


    Lew Archer wird von Ruth Biemeyer, Ehefrau des Kupfermagnaten Jack Biemeyer, beauftragt, ein verschwundenes Gemälde zu suchen. Die Polizei wurde nicht eingeschaltet, weil Ruth Biemeyer den Verdacht hat, daß der Freund ihrer zwanzigjährigen Tochter Doris das Bild gestohlen hat. Das Bild, ein Porträt einer ausgesprochen schönen blonden Frau, stammt von Richard Chantry, einem Maler, der fünfundzwanzig Jahre zuvor spurlos verschwunden ist. Archers Suche führt ihn nicht nur zu Doris und ihrem Freund Fred Johnson, sondern auch zum Kunsthändler Paul Grimes. Nicht lange danach wird Grimes tot aufgefunden und Doris und Fred verschwinden. Ihre Spuren führen nach Arizona, wo die Kupfermine liegt, die Biemeyer reich gemacht hat. Ihr ursprünglicher Besitzer war Felix Chantry, der Vater des Malers des gestohlenen Bilds.
    In Arizona erfährt Archer, daß das Verschwinden des Malers nicht das einzige ungelöste Rätsel im Umfeld der Chantrys und Biemeyers ist. Felix Chantry hatte einen unehelichen Sohn mit dem Lieblingsmodell seines Sohns Richard. Das Modell wiederum ist die Frau, die auf dem gestohlenen Porträt zu sehen ist. Ihr Sohn William, der Halbbruder des Malers, wurde sieben Jahre vor dem Verschwinden Richard Chantry erschlagen in der Wüste gefunden. Wer ihn umgebracht hat, konnte nie geklärt werden.
    Fred Johnson nun, der Freund der Tochter der Biemeyers, würde einen Eid darauf nehmen, daß das Gemälde, das er tatsächlich aus dem Haus der Biemeyers fortgenommen hat, erst vor kurzer Zeit entstanden ist. Lebt Richard Chantry noch? Steckt er hinter der Ermordung des Kunsthändlers und des alten Maler, der kurz darauf gleichfalls erschlagen wurde?
    Wieder einmal muß sich Archer bemühen, eines wirres Knäuel aus Liebe, Neid und Leidenschaft zu entwirren, dessen erste Fäden mehr als dreißig Jahre zuvor gesponnen wurden und die die Familien, Chantry, Biemeyer und Johnson sowie das Modell Mildred Mead aneinanderfesseln. Zum erstenmal aber muß er es nicht allein tun. Eine Lokalreporterin, Betty Jo Siddons, ist der gleichen Geschichte auf der Spur.


    Der blaue Hammer ist der letzte Roman in der Reihe um den traurigen, älteren Privatdetektiv Lew Archer, die 1949 mit Reiche sterben auch nicht anders (The Moving Target) begann. Das Grundmuster eines Verbrechens aus Eifersucht oder Gier, das von anderen aus moralischer Schwäche heraus vertuscht wird, weitere Verbrechen, vor allem aber Traumata nach sich zieht, die mindestens bis in die nachfolgende Generation fortwirken, hatte Macdonald bald gefunden. Es wurde sein Thema, die Archer - Krimis handeln allein davon.


    Bewundern kann man nur die Variationsbreite, die Macdonald diesen engen Vorgaben abgewinnt. Zu den Krimis, die dabei am besten gelungen sind, zählt auch sein letzter.
    Stimmung, Spannung und eine sehr dichte Atmosphäre fesseln von Anfang an. Man ist sicher, daß man das alles schon einmal gelesen hat, wird aber von den immer neu auftauchenden Rätseln so stark angesprochen, daß man nicht anders kann, als dem Autor weiter auf dem Weg, den er bietet, zu folgen. Macdonald lädt auf sehr verführerische Weise zum Mitraten ein. Auch wenn sein Ermittler den einen oder anderen weiterführenden Gedanken im Kopf hat, den er für sich behält, befindet man sich trotzdem auf gleicher Höhe mit ihm, wenn er Gespräche, Eindrücke, Widersprüche hin - und herwendet. Archer ist ein netter Mann, so tief im Innern. Man muß ihm einfach vertrauen.


    Daß der Roman an zwei recht weit auseinanderliegenden Orten spielt, in Santa Teresa und in Tuscon hilft hier, Personen und Handlungsteile auseinanderzuhalten. Das erweist sich auch als wichtig, weil sich immer mehr herausstellt, daß es in der Geschichte um falsche Identitäten geht. Nicht jeder ist die oder der, die sie dem Namen nach zu sein scheinen.
    Stück für Stück legt Archer die Vergangenheit bloß. Die Spannung wird dabei immer gehalten, ein Kunststück, das Macdonald großartig beherrscht.
    In seinem letzten Buch wartet er jedoch mit einer weiteren Überraschung auf. Dreißig Seiten vor dem Ende präsentiert er die Lösung. Aber das ist nur eine Atempause. Tatsächlich befinden wir uns immer noch auf der Achterbahn, eine letzte Kurve steht uns noch bevor. Macdonald nimmt sie mit Bravour. Das Ende ist wirklich raffiniert ausgedacht.


    Daß Archer in diesem Buch auch zu einer Frau findet, gibt dem Ganzen eine weitere Dimension. Wer Liebesszenen erwartet, wird allerdings enttäuscht. Es ist mehr ein Gleichklang der Gefühle, der hier vorgeführt wird. Was Archer genau für Betty Jo empfindet, kann man mehr aus seinem allgemeinen Handeln erschließen als aus seinen Worten. Es gibt zudem kaum zärtliche Gesten. Es muß die keuscheste Liebesgeschichte der späten siebziger Jahre sein.


    Bemängeln muß ich die Sprache, die Bilder sind oft gezwungen, die Vergleiche oft übertrieben und künstlich. Vieles wird nur behauptet, nicht gezeigt. Die Gänge sind wie Katakomben, in den Häusern unglücklicher Ehepaare (es gibt kaum andere) erinnern sie an Flure von Ämtern, in denen man sich scheiden läßt, der Abendhimmel steht in Flammen.
    Seinen eigenwilligen Titel verdankt der Roman auch keineswegs der Mordwaffe, obwohl die Opfer allesamt erschlagen werden, sondern eben dem eigenwilligen Blick Macdonalds auf die Dinge. Es geht um das Pulsieren der ‚blauen’ Adern an den Schläfen Betty Jos, eine Zeichen des Lebens und der Hoffnung.
    So schließt die Serie mit einem sehr spannenden, gut ausgearbeiteten und raffiniert ausgedachten Krimi über einen traurigen Mann als Helden nicht nur mit dem bis dahin üblichenhoffnungsvollen Blick auf die nächste Generation, sondern auf den Helden selbst.
    Kann es ein schöneres Ende geben?

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus