Die Deutschen

  • Ich kucke gerade eine äusserst interessante Doku-Serie im ZDF: Die Deutschen


    Heute geht es um Wallenstein, dann ist Friedrich der Große dran.


    Mal wieder eine schön gemachte Doku, mit gespielten Szenen und nicht ganz so trocken erzählenden Historikern.

  • Ich habe mir bisher die jeweiligen Folgen angesehen und sehe mich wieder einmal bestätigt, dass Fernsehdokumentationen über historische Themen nur sehr populärwissenschaftlich und eher oberflächlich behandelt werden, zum Großteil. Die Aufmachung mag modern, durch die Darstellung mit Laien für die meisten anschaulicher sein, verhilft aber nicht gerade dazu, dass die Darstellung der Themata akkurat und korrekt ist.


    Ich verweise nur als ein Beispiel darauf, dass z.B. bei der Dokumentation über Martin Luther und den berühmten "Thesenanschlag" dieser als historische Tatsache bezeichnet wurde (Ich verweise einmal auf diesen Link), auch die Aussagen Kaiser Karls am Grabe Luthers ("Ich führe Krieg mit den Lebenden und nicht mit den Toten.") oder aber das Verbrennen der Exkommunikation (durch ihn persönlich) sind historisch nicht korrekt dargestellt; geradezu unkritisch geht man mit dem Quellenmaterial um, bezieht sich auf Gemälde und Darstellungen, ohne auf den Verfasser bzw. Künstler und dessen Intention einzugehen. Es wird nicht auf Genauigkeit der Darstellung wert gelegt, auch nicht die in der Geschichtswissenschaft stattfindenden Kontroversen zu diskutieren oder aber zumindest eine zumindest an der Faktenbasis orientierte Darstellung der Themata zu bringen.


    Vielleicht bin ich das falsche Zielpublikum (ich studiere schließlich Geschichte), aber wenn man sich es zur Aufgabe für eine Fernsehdokumentation macht die "deutsche Geschichte" (auch, wenn ich diese Bezeichnung, vor allem für die Geschehnisse vor 1871 etwas seltsam anmutend finde; zumal der Begriff "deutsch" für meine Begriffe nur unzureichend diskutiert wird...) darzustellen, für den Zuschauer zugänglich zu machen, dann sollte man zumindest auf eine doch akkurate Geschichtsschreibung achten und nicht jedes, in der Wissenschaft schon hinterfragtes, historisch unbelegtes (wenn nicht gar falsches, einseitig dargestelltes) und vor allem klischeebeladenes Wissen nutzen.

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

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  • Mir gefällt die Serie auch ausnehmend gut. Ich denke das Problem ist, wenn die jede These die nicht 100% sicher belegt ist (und was ist das schon wirklich in der Geschichte) von allen Seiten beleuchten wollten, würden die 45 Minuten pro Folge absolut nicht ausreichen. Immerhin hab ich gestern gelernt was eigentlich hinter dem Begriff "Prager Fenstersturz" steht.


    Als ich gestern den Wallenstein geguckt hab, dachte ich noch beim Vorspann: "Der schaut aus wie Stefan Jürgens ... das IST Stefan Jürgens. :wow"
    Irgendwie hatte ich da schon fast erwartet, dass er sich vor dem Kaiser hinstellt und sagt: Euer Majestät... Karl Ranseier ist tot. :rofl
    Aber er hat wirklich ganz gut gespielt.


    Man kann sich übrigens auch alle Folgen der Deutschen in der ZDF Mediathek in voller Länge anschaun (und mit geeigneter Software sogar runterladen).

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

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  • Es geht bei solchen Sendungen nicht darum, ZuschauerInnen auf den neuesten Forschungsstand zu bringen. Publikum und Spezialistentum sind zwei Pole, die sehr weit voneinander entfernt sind, und das ist auch richtig so. Das gilt für alle wissenschaftlichen Disziplinen.



    Leider geht es in den meisten Sendungen auch nicht darum, den ZuschauerInnen verläßliche Informationen über die Vergangenheit zu geben. Es werden viel eher vertraute, glatte Geschichten erzählt. Mit viel Farbe und Musik. Soo schön.
    Leider werden dabei immer wieder Informationen übermitelt, die falsch sind. FALSCH.
    Entweder faktisch falsch - es gab keinen öffentlichen Thesenanaschlag durch Luther - oder im Kontext falsch wirken.


    Ich habe z.B. auf der Zeittafel dieser Sendung, die im Internet nachzulesen ist, gesehen, daß die Geschichte der Deutschen mit 'Arminius' und der Varusschlacht beginnt.
    Keiner weiß, wer Arminius war. Wahrscheinlich war er ein Cherusker. Ganz sicher war er kein Deutscher. Mit der Entstehung Deutschlands hat er nichts, aber auch gar nichts zu tun.
    Dieser Name hat mit der Geschichte der Deutschen nur deshalb zu tun, weil er zu einem Mythos gehört, der vor allem im 19. Jahrhundert zusammengebastelt wurde, um eine lange deutsche Vergangenheit zu schaffen. Es wird also eine künstliche lange Geschichte Deutschlands hergestellt. Eine falsche.
    Um nur ein Beispiel zu nennen.


    Es wäre wichtiger, ZuschauerInnen auf solche Fakten und die komplexen Zusammenhänge hinzuweisen, als ihnen gefällige und publikumswirksame glatte Geschichten zu erzählen.


    Und was nun war der Prager Fenstersturz? Der von 1419? Der von 1617? Oder der von 1618? Um nur die berühmten zu nennen.
    Diese Art des Vorgehens war nicht unüblich im Mittelater und der Frühen Neuzeit, ich nenne hier nur die bekanntesten.


    Der Misthaufen von 1618 ist übrigens eine nachträgliche Erfindung, aber er ist eben beliebt. So gefällig. So gewohnt.
    Und es macht Spaß, sich vorzustellen, daß Leute im Mist landen.
    Es ist zwar falsch, aber unterhaltsam.
    Also glauben wir es doch gern und unbesehen.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • [quote]Original von Paradise Lost
    Mir gefällt die Serie auch ausnehmend gut. Ich denke das Problem ist, wenn die jede These die nicht 100% sicher belegt ist (und was ist das schon wirklich in der Geschichte) von allen Seiten beleuchten wollten, würden die 45 Minuten pro Folge absolut nicht ausreichen. Immerhin hab ich gestern gelernt was eigentlich hinter dem Begriff "Prager Fenstersturz" steht.


    quote]


    Ich habe gestern die Serie zum ersten Mal gesehen und auch gleich einen Fehler gefunden: Den Heu- / Misthaufen beim Prager Fenstersturz gab es nicht. Kombiniert mit den Fehlern weiter oben, gibt die Serie wohl eher einen groben Überblick mit sehr, sehr vielen Fehlern.


    Ursache des glimpflichen Ausganges dürfte die damalige Mode und das kühle Wetter gewesen sein. Alle Beteiligten trugen weite schwere Mäntel, die den Fall stark dämpften.[2] Hinzu kommt, dass die Fenster, aus denen die drei geworfen wurden, sehr klein waren und sie somit nicht mit Schwung nach draußen befördert werden konnten. Außerdem haben sich alle drei gewehrt und Martinitz hielt sich noch am Sims fest, als er bereits draußen hing. Zudem ist die Wand unterhalb des Fensters nicht gerade, sondern nach außen angeschrägt, so dass die drei wohl eher rutschten als fielen.[3]


    http://de.wikipedia.org/wiki/Prager_Fenstersturz


    Edit: Magali war schneller, sehe ich gerade.

  • Zitat

    Ich denke das Problem ist, wenn die jede These die nicht 100% sicher belegt ist (und was ist das schon wirklich in der Geschichte) von allen Seiten beleuchten wollten, würden die 45 Minuten pro Folge absolut nicht ausreichen. Immerhin hab ich gestern gelernt was eigentlich hinter dem Begriff "Prager Fenstersturz" steht.


    Es geht mir nicht um eine Kontroversendiskussion, ob das Mergel'sche Weltbild ein anderes als das von Jürgen Kocka ist. Oder aber, die Erwähnung dessen, dass der Prager Fenstersturz von 1618 nicht der erste und auch nicht der letzte Fenstersturz, lat. Defenestration, gewesen ist; sondern darum, dass sie sämtliche Mythen und Legenden unreflektiert wiedergeben, Quellen nicht aufgrund ihrer Intention untersuchen, jede Kritik an den von ihn vorgestellten Persönlichkeiten gar nicht erst aufkommen lassen.
    So wird in der Dokumentation "Wallenstein und der 30-jährige Krieg" erwähnt, die zwei Statthalter Prags Jaroslav Borsita Graf von Martinitz und Wilhelm Slavata seien aus dem Fenster geworfen worden, haben sich aber nicht ernsthaft verletzt, weil sie auf einen Misthaufen gelandet wären. Der "Prager Misthaufen" ist im übrigen ebenso eine Legende wie die Aussagen Luthers am Ende des Wormser Reichstages: "Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!"


    Es geht mir nicht um aktuelle Kontroversen in der Wissenschaft, wie z.B. die Diskussion darüber, ob Wallenstein wirklich zu den größten Feldherren des 30-jährigen Krieges zu zählen ist, sondern um eine historisch nicht akkurate Darstellung eines Themenbereiches - zudem wäre es wohl kein Aufwand zu sagen "Man sagte, sie landeten auf einen Mishaufen, auch wenn sie das die beiden Statthalter in ihren eigenen Aussagen dementieren." ;-)


    Natürlich ist jede Quelle mit einer gewissen Vorsicht zu genießen und man wird mit Bestimmtheit keine endgültige Aussage treffen können; nur, das Vergleichen von Quellen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Darstellungsweise, verbunden mit einer gründlichen Untersuchung der Intention des Autors, ist das Handwerkszeug, was eigentlich zu einer solchen Dokumentation gehören würde, und da wäre es sehr leicht gefallen für den 2./3. Prager Fenstersturz als Beispiel die Aussagen der beiden Herren zu nennen mit der Frage: Welches Interesse sollten diese haben die grausame, an ihnen begangene Tat zu verharmlosen?


    Mir missfällt es, wenn mithilfe von Anschaulichkeit, einer guten Aufmachung, versucht wird eine schlechte Recherche zu verbergen bzw. eine einseitige Geschichtsdarstellung abzuliefern, die nicht nur falsch oder kontextuell falsch wirkend ist.


    Edit: magali war schneller.

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  • Ich finde es eigentlich unverantwortlich, wie in der Folge mit der historischen Forschung umgegangen wird. Ich kann es einordnen, andere hier sicherlich auch, aber die meisten Zuschauer halten das für Bildungsfernsehn und rennen dann mit falschem Wissen rum. Vor allem, weil auch gegen Ende der Sendung auf extra Material für Lehrer hingewiesen wird - man kann wohl erwarten, dass Schüler im Unterricht korrekte Informationen bekommen.
    Man kann das eigentlich nur als Anregung sehen, über die Themenbereiche, die einen interessieren, mit ein bißchen Vorwissen sich Bücher zu kaufen / auszuleihen. Nur werden das 99% der Zuschauer nicht tun. Ich mache es auch nicht bei naturwissenschaftlichen Themen, bei denen ich Fehler nicht bemerke, und die ich nur mal Interesse halber ansehe.

  • Gut, da stimme ich euch absolut zu, falsch informieren darf so eine "Bildungssendung" natürlich nicht, gerade in dem genannten Bezug zu Lernmaterialien für Lehrer bzw. Schüler sehe ich das als sehr kritisch. Schade, werde die Sendung heute Abend mal etwas genauer unter die :lupe nehmen.

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    - Meister Yoda

  • Ich hab die Serie bis jetzt auch sehr gespannt verfolgt. Leider hab ich die Folge über Martin Luther total verpennt :-(
    Ich schau mir sehr gern solche Dokumentationen an. Besonders historische Doku´s.


    Hier, zur schrägen Schlachtordnung: [URL=http://www.zeno.org/Geschichte/M/Delbr%C3%BCck,+Hans/Geschichte+der+Kriegskunst/4.+Teil.+Die+Neuzeit/3.+Buch.+Die+Epoche+der+stehenden+Heere/5.+Kapitel.+Strategische+Skizzen+und+einzelne+Schlachten/Die+weitere+Entwickelung+der+schr%C3%A4gen+Schlachtordnung]KLICK[/URL]

    Liebe Grüße
    Steffi


    Einen Menschen zu lieben bedeutet, ihn so zu nehmen, wie Gott ihn gemeint hat

  • Zitat

    Original von Nomadenseelchen
    Hat jemand die *schräge Schlachtordung* verstanden? Ich nämlich nicht... .


    So gaaanz hab ich sie auch nicht verstanden, nur, dass es wohl einen stärkeren (kavallerieverstärkten) Flügel gab, der überwiegend für den Angriff zuständig war, und dass der schwächere Flügel und das Zentrum dafür zuständig waren, die Gegner sozusagen festzuhalten. Und dass das Ganze wohl ziemlich riskant war ... (Also, mehr als normal, meine ich.)

  • Zitat

    Original von Gwen
    Ich hab die Serie bis jetzt auch sehr gespannt verfolgt. Leider hab ich die Folge über Martin Luther total verpennt :-(


    Schau mal hier: http://diedeutschen.zdf.de/ZDF…21/0,1872,7274005,00.html
    Da kannst Du Dir die Folge (und auch alle anderen) komplett im Internet anschaun. Ich konnte gestern nicht gucken und werde mir die 6. auch heute oder morgen online anschaun.

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    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von magali
    Ich habe z.B. auf der Zeittafel dieser Sendung, die im Internet nachzulesen ist, gesehen, daß die Geschichte der Deutschen mit 'Arminius' und der Varusschlacht beginnt.
    Keiner weiß, wer Arminius war. Wahrscheinlich war er ein Cherusker. Ganz sicher war er kein Deutscher. Mit der Entstehung Deutschlands hat er nichts, aber auch gar nichts zu tun.
    Dieser Name hat mit der Geschichte der Deutschen nur deshalb zu tun, weil er zu einem Mythos gehört, der vor allem im 19. Jahrhundert zusammengebastelt wurde, um eine lange deutsche Vergangenheit zu schaffen. Es wird also eine künstliche lange Geschichte Deutschlands hergestellt. Eine falsche.
    Um nur ein Beispiel zu nennen.


    Arminius war ein Cherusker, dieser Stamm war germanisch. Und Tacitus hat Arminius als Befreier Germaniens bezeichnet. Insofern ist das gar nicht so abwegig. Was später mit "Herrmann der Cherusker" veranstaltet wurde, ist natürlich der Deutschtümelei zuzurechnen und verfälscht.

  • Zitat

    Original von Sisi


    Arminius war ein Cherusker, dieser Stamm war germanisch. Und Tacitus hat Arminius als Befreier Germaniens bezeichnet. Insofern ist das gar nicht so abwegig. Was später mit "Herrmann der Cherusker" veranstaltet wurde, ist natürlich der Deutschtümelei zuzurechnen und verfälscht.


    Dann fing die deutsche Geschichte mit Tacitus an. Der schrieb ca. 90 Jahre nach dem Ereignis. Und was für eine schöne Geschichte er daraus gemacht hat!
    :grin


    Es ein Mythos. Nicht mehr.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Es ein Mythos. Nicht mehr.


    Ein Mythos ist ja nun nicht gerade wenig. Mythen sind gemeinschaftsfördernd, sinnstiftend, geben Erklärungen über die Vergangenheit ab und Hoffnung oder Ziele für die Zukunft. Bevor man zum Bspl. lernt, dass Luther wahrscheinlich gar nicht seine Thesen angeschlagen hat, muss man doch wissen, dass genau dieser Mythos (also die Geschichte des Thesenanschlags und der anschließenden Auseinandersetzung mit der Kurie) ein tragender für das Protestantentum ist. Ich halte es für wichtiger, diese Geschichte einschließlich Mythos zu kennen, als sich an dem Detail aufzuhängen, ob Luther die Thesen nun geschrieben, angeschlagen, aufgehängt oder sonst was gemacht hat. Geschichte besteht eben zu einem großen Teil daraus, welche Bedeutung wir welchen Fakten geben, nicht aus den Fakten selbst.


    Ich kann Eure Kritik verstehen, ich selber habe mir solche Sendungen selten angesehen, obwohl ich Geschichte immer spannend fand und auch studiert habe.
    Allerdings muss man auf dem Teppich bleiben hinsichtlich seiner Erwartungen an solche Sendungen. Es ist doch schön, wenn Geschichte in Form von Geschichten zur besten Sendezeit erzählt werden. Einige werden dadurch so weit gefesselt werden, dass sie im Geschichtsunterricht besser aufpassen oder sich mal ein Buch über Geschichte kaufen.
    Andere erinnern sich daran, was sie mal gelernt und wieder vergessen haben :-). Ich persönlich sehe mir Geschichte im Fernsehen auch nur an, um ein paar Zeitdokumente zu sehen (gilt natürlich nur fürs 20. Jahrhundert), und vielleicht ein paar Geschichten zur Auffrischung der Erinnerung zu sehen.

  • Vulkan


    ich versteh Deine Meinung, ich habe lange Zeit eine ähnliche vertreten.


    Inzwischen habe ich diese Meinung aber geändert und zwar grundlegend.
    Du schreibst zurecht, daß es darum geht, welche Bedeutung wir den Fakten geben.


    Wenn man aus Fakten über unsere Vergangenheit 'eine Geschichte' machen will, muß man sich die Frage stellen, ob das Ergebnis noch Fakten sind.
    oder aber fiktion, weil wir 'fakten' eine bestimmte Bedeutung gegeben haben.


    Ein Beispiel: in solchen Sendungen wird eben oft nicht darauf hingewiesen, daß aus dem Umstand der Abfassung der Thesen Luthers eine Anekdote entstand, nämlich die vom öffentlichen Anschlag, sondern der Anschlag wird als Faktum dargestellt. Das wiederum heißt, daß Leute, die so etwas hören, falsch informiert werden.


    Wäre die Falschinformation etwa die, daß das menschliche Herz im linken Ellenbogen sitzt, würde alle Welt aufschreien und/oder sich totlachen.
    Bei der Behandlung der Vergangenheit aber freut sich jede/r, weil man 'schöne' Geschichten zur besten Sendezeit zu hören bekommt.


    Ich persönlich ziehe es tatsächlich vor, auch angesichts der wachsenden Zahl sog. 'historischer' Unterhaltungsromane auf dem Buchmarkt und entsprechender Verfilmungen, wenn Menschen GAR nichts über bestimmte Vorgänge der Vergangenheit wissen, als Halbwahrheiten, Falsches oder gleich Dummheiten.


    Vor allem aber muß man sich eines klarmachen:
    Fernsehen ist ein Medium der Unterhaltungsindustrie. Es dient in erster Linie der Unterhaltung und in zweiter bis siebzehnter Linie auch. Das ist sein Daseinszweck.


    Wenn man das berücksichtigt, ist die Vergangenheit als gefällige Aneinanderreihung von Anekdoten aus dem Leben Friederichs II. oder Luthers ebenso legitim, wie Stories über das Paarungsverhalten von Pinguinen, die Ornithologen Zahnschmerzen bereiten oder Betrachtungen des Weltalls, die Astrophysiker in Heulkrämpfe ausbrechen lassen. (Das ist kein Planet, das ist ein Stern!).


    Allerdings reißt auch den Geduldigsten manchmal einfach der entsprechende Faden, wenn es schon wieder um die schräge Schlachtordnung bei Leuthen geht, als sei das das ausschlaggebende Moment der gesamten preußischen Geschichte.



    Ich kann nur sagen: vergnügt Euch, aber glaubt nicht, daß Ihr am Ende etwas wißt, auf das Ihr Euch verlassen könnt.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • zu 1.: Natürlich spielen Fiktionen, also Geschichten, Gründungsmythen, die mit historischen Fakten nur bedingt was zu tun haben, eine wichtige Rolle. Die Frage ist nur, ob man das kritisiert oder Gesellschaften zugesteht, dass die Mythen eben auch Teil von Kultur und kollektivem Gedächtnis sind und nicht nur die objektiven Fakten.


    zu 2. Dass Du mit Deinem Beispiel übertreibst, weißt Du ja wahrscheinlich selbst. :-). Wenn dermaßener Stuß über Geschichte verbreitet werden würde, würden sich auch die Gemüter erregen.
    Grundsätlich aber funktioniert Naturwissenschaft etwas anders als Kultur im weitesten Sinne. Geschichtsschreibung ist identitäts- und sinnstiftend. Geisteswissenschaftler haben im Gegensatz zu Naturwissenschaftlern das Privileg, mit zu entscheiden, was ihrer Meinung nach entscheidend und wichtig für das kollektive Gedächtnis ist. Übrigens - Naturwissenschaftler gruseln sich auch oft genug, wenn sie den Fernseher anschalten!


    zu 3. Ich hasse historische Romane, es sei denn sie sind von Feuchtwanger oder H. Mann. Ich bin allerdings nicht Deiner Meinung, dass Menschen dann lieber gar keine Geschichtskenntnisse besitzen sollten. Dafür gehört Geschichte für mich zu sehr zur allgemeinen Kultur einer Nation - unabhängig davon, ob jetzt alles 100% stimmt.


    4. Jep, wenn's nicht unterhält, schalte ich aus. Und trotzdem freut sich mein Gedächtnis, wenn es hin und wieder mal an Daten oder Namen erinnert wird. Unstimmigkeiten und Fehler fallen mir dann auch meistens schnell auf - aber wie gesagt, grundsätzlich bin ich für jeden Bissen Wissen. Man lernt sein Leben lang. Wenn man mit der Einstellung rangeht, den Leuten nur dann was zu vermitteln, wenn sie es gleich perfekt und in allen Details verstehen sollen, kann man eigentlich gleich alle Schulen, Unis und Bildungsmöglichkeiten über den Jordan werfen...