Die Abschaffung der Arten - Dietmar Dath

  • Klappentext:


    "Der Roman "Die Abschaffung der Arten" steht in der Tradition großer spekulativer Literatur über Niedergang und Wiedergeburt der Zivilisation von Thomas Morus, Voltaire und Mary Shelley über H. G. Wells und Jules Verne bis hin zu Stephen King und William Gibson. Wenn Charles Darwin Krieg der Welten geschrieben hätte, vielleicht wäre ein Buch wie dieses dabei herausgekommen: ein abenteuerliches Liebeslied, eine epische Meditation über die Evolutionstheorie und der waghalsige Versuch, Fossilien von Geschöpfen freizulegen, die noch gar nicht gelebt haben."


    Meine Rezension:


    Die ‚Krone der Schöpfung’ ist besiegt, das Tierreich hat sich aufgebäumt. Wobei, nicht ganz: Es wird wenige Leser verwundern, dass das Ende der Menschheit auch in dieser Zukunftsprojektion selbstverschuldet ist. Es ist ein Exemplar eines modernen Menschen – ein von Neugier getriebener Biochemiker – der synthetisiert, aufspaltet, manipuliert. Mit der Erfindung der Pherinfone, sogenannter Pheromon-basierter Informationstechnologie, schließlich verlieren die Menschen endgültig die Kontrolle über ihr Wirken.


    Der deutsche Journalist, Schriftsteller und studierte Physiker Ditmar Dath durchspielt in skurril anmutenden Szenarien beängstigende wie faszinierende Folgen der modernen Biotechnologie. Da ermittelt ein Dachs in Fällen von Sodomie, da betreut eine Libelle Großbauprojekte, da strebt ein Zander nach der Eroberung des Weltalls. Sie gehören den ‚Gente’ an, Zwischenwesen des neuen Zeitalters – auch in der Zukunftsversion bedeutungsschwanger geleitet von dem König der Tiere, dem Löwen Cyrus Golden.


    Wen beeindruckt denn heute noch die Nanotechnologie? Gen-Anpassungen an schädlingsresistenten Mais? Replikate von Schafen namens Dolly? Darwins biologisches Meisterwerk „Die Entstehung der Arten“ findet hier seine literarische Herausforderung. Die Evolution nach Daths erlaubt gemäß dem persönlichen Willen beliebig oft die Anpassungen der eigenen Gestalt, die Befreiung von allen genetischen Vorgaben und das Heraufbeschwören neuer Götter.


    Die letzten Menschen jedoch sind den veränderten physikalischen und biologischen Variablen nicht gewachsen, sie werden von den Gente versklavt und sehen sich letztlich ihrer eigenen finalen Selektion gegenüber. Darwins berühmte Maxime nach dem ‚survival of the fittest’ erhält in diesem Zusammenhang einen äußerst morbiden Beigeschmack. Die Gente bevölkern in undefiniert ferner Zukunft drei Städte des alten Europa, den Atlantik und den Lauftraum, als sie erfahren, dass neue Mutationen sie bedrohen. Der damit einher gehende Weltkrieg ist ein biologischer und treibt die Geschöpfe weit in die Tiefen der Galaxis.


    Der rote Faden all dieser rasanten Entwicklungen wird dem Wolf Dmitri fast wortwörtlich an die Schwanzspitze gebunden. Sein Erscheinen in immer wieder neuer Gestalt führt den Leser durch die verschiedensten Wirklichkeiten dieser Utopie und lässt ihn teilhaben an detailreichen Dialogen. „Die Abschaffung der Arten“ fordert dem Leser Einiges ab: Naturwissenschaftliche Fachbegriffe und kulturhistorische Andeutungen folgen Schlag auf Schlag. Und doch sollte sich niemand die Lesefreude davon verderben lassen, dass ihm auf einer Buchseite mitunter gut ein Dutzend nie gehörter (oder auch nie existenter) deutsche Wörter entgegen springen. Der Autor versteht den Mensch als vernunftbegabtes Wesen und fordert die kognitiven Eigenschaften des Lesers unerbittlich heraus. Ich gebe offen zu, dass mir einige Sätze bis heute unverständlich geblieben sind und dass die von Dath skizzierte Apokalypse meine gesamte Konzentration gefordert hat.


    Diese Kombination könnte sich für ein Buch zu einem absoluten Totschlagkriterium entwickeln, wäre da nicht die angeborene menschliche Neugier. Ist eine Entgleisung biochemischer Prozesse wirklich möglich? Haben wir unsere genetischen Experimente noch im Griff? Letztendlich fesselt die Realität doch mehr als jede Fiktion. Nur, wo verläuft die Grenze?


    Das Buch stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2008 und ist extrem schwer in irgendein Genre einzuordnen. Habe nie zuvor auch nur etwas Ähnliches wie dies gelesen! Irgendwie ist es Science-Ficton, habe es aber extra nicht dort eingeordnet, weil es sicher auch den nicht-Zukunfts-Fans gefallen wird - es ist schlichtweg eine spezielle Art der Belletristik! ;0)


    GRÜSSE
    savanna


    ASIN/ISBN: 3518461451

  • Vielen Dank für die schöne Rezension, Savanna - ich habe sie schon vor einiger Zeit gelesen.
    Und heute morgen konnte ich mir das Buch ertauschen und bin schon sehr gespannt :-)


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich habe von Dietmar Dath nur den Artikel zu Fantasy in der letzten "Bücher" gelesen und fand ihn so gewollt anspruchsvoll und gestelzt geschrieben (und irgendwie nicht sonderlich sympathisch), dass ich mir kein Buch von ihm antun würde, auch wenn das Thema an sich gar nicht uninteressant wirkt.
    Naja, wieder mal Geld gespart! :-)

  • Ich habe das Buch auch. Ich hatte ja erwähnt, dass ich es in meiner Tasche hatte, ohne zu wissen, wie es dahin gekommen ist. Mein Verdacht war, dass meine Sitznachbarin an der Uni es statt in ihre in meine Tasche gesteckt hat, aber sie hat gesagt, das sie das Buch auch noch nie gesehen hat. Und jetzt ist es immer noch bei mir :grin. Ich werde es wohl irgendwann auch mal lesen.

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

  • Zitat

    Zitat buzzaldrin:
    Ich bin schon auf deine Einschätzung gespannt! Für mich hört sich die Beschreibung eher etwas schwer und langamtig an ... aber vielleicht kannst du mich ja überzeugen


    es kann aber ein wenig dauern, liebe buzzaldrin. ;-)


    Zitat

    Zitat cookiemonster:
    Ich habe von Dietmar Dath nur den Artikel zu Fantasy in der letzten "Bücher" gelesen und fand ihn so gewollt anspruchsvoll und gestelzt geschrieben (und irgendwie nicht sonderlich sympathisch), dass ich mir kein Buch von ihm antun würde, auch wenn das Thema an sich gar nicht uninteressant wirkt.


    Anfangs war ich auch noch skeptisch -und bin es eigentlich immer noch.
    Ich habe in einem Forum die Diskussion über dieses Buch ein wenig verfolgt.
    Nachdem eine von mir geschätzte Tauschpartnerin anfangs auch erst Schwierigkeiten hatte, das Buch aber mit wachsendem Vergnügen gelesen hat, habe ich die gestrige Gelegenheit beim Schopfe gepackt und das Buch ertauscht.
    Geld habe ich auch nicht hingelegt. :grin

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    Virginia Woolf

  • Ich habe das Buch soeben fertig gelesen...


    Es stecken auf jeden Fall unheimlich viele Ideen in dem Buch - nur sind diese teilweise nur sehr schwer nachzuvollziehen, insbesondere am Anfang (wenn man sich erstmal in der "neuen Welt" zurechtfinden muss) und am Ende - dazwischen entspannt sich eine Rahmenhandlung, der man eigentlich ganz gut und mit Spannung folgen kann.
    Wie savanna schon schrieb: Auf manchen Seiten wird man von haufenweise neuen (möglicherweise nicht einmal wirklich existierenden) Wörtern angesprungen, die es doch sehr erschweren, manchen Hintergedanken bei Dialogen o.Ä. zu verstehen...
    Am Anfang war ich schon fast geneigt, das Buch wieder wegzulegen, aber irgendwie habe ich es dann doch noch geschafft mich reinzulesen - und bereue es auch nicht. Vielmehr werde ich es wohl einfach irgendwann nochmal lesen müssen, um vielleicht manches noch besser zu verstehen...

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Zuerst habe ich das ja für eine Satire gehalten: die Tiere übernehmen die Macht, und vernichten unter der Führung von Cyrus, dem goldenen Löwen, das gefährlichste Wesen, was die Welt je hervorgebracht hat - den Menschen also.


    Dann habe ich es als ernsthaften utopischen SF-Roman gelesen, in dem verschiedene Gesellschaftsentwürfe in der Nach-Menschen-Welt um die Vorherrschaft kämpfen und die unterlegene Seite den Planeten verlassen muss.


    Aber im 2. Teil, bei der Mars- und Venus-Geschichte, erhält alles einen deutlich parodistischen Beigeschmack - der ewige marsianische Krieg des "survival of the fittest", die Dekadenz der "Aristoi" (die wohl auch aus einem SF-WErk oder Film geborgt ist), die Big-Brother-Welt der "Mindermenschen" und erst Recht die King-Kong-Parodie des armen Gorillas, der seine Seele dem Fuchs verkaufte ...


    Und dann kehren die beiden Helden zur Erde zurück und finden sie leer und "geläutert" ... das Ende ist schon fast banal.


    Mich stört, dass alle Charaktere bestimmte Ideen darstellen (oder karikieren). Niemand erfährt im Buch eine charakterliche Entwicklung, alle spielen ihre Rolle einfach zu Ende.


    Aber gute Unterhaltung war der Roman - bis auf das Schäferidyll am Schluss.

    Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
    Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
    Ob seine Worte brechen oder tragen,
    muss sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.

    (Robert Gernhardt)

  • Ich bin nach Lektüre des Romans recht zwiegespalten:


    Also der Stil des Autors ist echt grässlich, besonders die ersten 100/150 Seiten. Also das ist echt kaum lesbar gewesen. Aber wenn er sich irgendwann mal abgewöhnt hat pro Seite 20+x Wörter zusammenzusetzen, die gefühlt gar nicht exisitieren und sich nur total wissenschaftlich anhören und das auf 5-10 runtergeschraubt hat gehts. Nur an seinen Satzmonstern hat er bis zum Ende nicht gearbeitet.


    Dadurch, das es quasi unlesbar ist, ist es aber auch schon wieder ein Genuss zu lesen. Es ist schön zu lesen, was er an Komplexität aus der deutschen Sprache rausholt, und auch der Plot ist ja nicht 08/15. Eine spannende Geschichte wars jedenfalls nicht, aber es waren sehr viele Ideen da drin, das ist schon Wahnsinn.


    Was ich schade finde ist, dass die Charaktere genau das darstellen, was der Autor mit ihnen darstellen will, aber eine große Entwicklung gibt es da nicht. Wobei Zeit genug ja auf jeden Fall da wäre, wenn man die zeitlichen Dimensionen sieht, um die es im Roman geht.


    Abschließend: War auf jeden Fall ein Erlebnis zu lesen, ob ich es weiterempfehlen würde kann ich nicht einschätzen, ob ich noch mehr von Dath lesen möchte weiß ich auch noch nicht.

  • Titel: Die Abschaffung der Arten
    Autor: Dietmar Dath
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: Juni 2010
    Seitenzahl: 552
    ISBN-10: 3518461451
    ISBN-13: 978-3518461457
    Preis: 12.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Das Zeitalter, das wir kennen, ist längst eingeschlafen. Wo einmal Europa war, gibt es nur noch drei labyrinthische Städte, die eher gewachsen sind, als daß sie erbaut wurden. Die Welt gehört den Tieren. Fische streiten über Sodomie, Theologinnen mit Habichtsköpfen suchen in Archiven nach Zeugnissen der Menschheit, undCyrus Golden, der Löwe, lenkt den Staat der drei Städte. Als ein übermächtiger Gegner die neue Gesellschaft bedroht, schickt er den Wolf Dimitri als Diplomaten aus, im einstigen Nordamerika einen Verbündeten zu suchen. Die Nachtfahrt über den Ozean und in die tiefen Stollen der Naturgeschichte lehrt den Wolf Riskantes über Krieg, Kunst und Politik und führt ihn bis an den Rand seiner Welt, wo er erkennt,"warum den Menschen passiert ist, was ihnen passiert ist".


    Der Autor:
    Dietmar Dath, geboren 1970, veröffentlicht seit 1990 journalistische und literarische, satirische und essayistische Texte in in- und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften. Von 1998 bis 2000 war er Chefredakteur der traditionsreichen Zeitschrift für Popkultur "Spex", von 2001 bis 2007 und wieder seit 2011 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.


    Meine Meinung:
    Sicher ein großartiges Buch, hochgelobt von der Kritik – nur, bin ich mit diesem Buch zu keiner Zeit auch nur annähernd warm geworden. Da stimmte die Chemie zwischen Buch und Leser einfach nicht. Zu keiner Zeit habe ich Zugang zu diesem Roman von Dietmar Dath gefunden – wobei ich nicht einmal genau sagen kann, woran dieses nun konkret gelegen hat.
    Die erzählte Geschichte hat mich einfach nicht in ihren Bann gezogen, häufig habe ich den Erzählfaden und damit den Lesefaden verloren.
    Das bedeutet aus objektiver Sicht aber nicht, dass dieser Roman ein schlechter Roman ist.
    DIE ZEIT meinte zu diesem Buch:
    „Dieses Buch ist quälend, arrogant, verlabert, technikbesoffen. Es ist eine Erleuchtung. Das Buch ist wirklich unausstehlich – und will es auch sein. Es ist quälend, arrogant, belehrend, aufgekratzt, gönnerhaft, seminaristisch, spiritistisch, technikbesoffen, angeberhaft, juvenil, blutrünstig, albern, verlabert, jargonhaft und einiges Unverzeihliche mehr. Und doch ergibt die aberwitzige Summe dieser literarischen Schrecken erstaunlicherweise einen Lustärger, der ein aufreibendes intellektuelles Vergnügen bereitet.“
    Dieses Urteil trifft es in meinen Augen sehr gut.
    Das Buch fordert den Leser, macht ihn vielleicht auch wütend oder ratlos – lässt ihn (den Leser) aber ganz gewiß nicht gleichgültig.
    Ich kann für dieses Buch keine Leseempfehlung aussprechen – kann nur raten, es einfach mal zu lesen. 6 Punkte für ein Buch, das mir nicht freundlich gesinnt war, das aber ganz sicher nicht schlecht ist, ein Buch für das ich wahrscheinlich einfach zu doof bin.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Kriegserklärung an die Leser


    dreisterne.gif


    Wenn Erholung bei der Lektüre bedeutet, dass man endlich auf zwei Sätze stößt, die man beinahe sofort versteht (also nach nur zwei- bis dreimaligem Lesen), dann hält man Dietmar Dath in den Händen. Wenn man ein Gefühl hat, vergleichbar mit dem, als würde man sich mit den dritten Zähnen, wahnsinnig vor Hunger, an einem versteinerten Brot versuchen - und schließlich ein paar Brocken herausgebrochen bekommen, die sich dann kaum herunterschlucken lassen, wobei sie die Speiseröhre aufreißen - dann liest man „Die Abschaffung der Arten“. Vergesst alle Vergleiche auf dem Cover, in der Beschreibung und im Klappentext, den ganzen Humbug mit Charles Darwin, Philip K. Dick und George Orwell, die völlig unzutreffende Zusammenfassung und all das. Und Douglas Adams, der da auch irgendwo erwähnt wird - dessen Zeug ist gegen dieses Buch, was „Die kleine Raupe Nimmersatt“ im Vergleich mit Kafkas Gesamtwerk ist. Denkt eher an die wirklich schwierigen Passagen von David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“, diesem tausendfünfhundert-Seiten-Trumm quasi ganz ohne Zusammenhang, an den „Ulysses“ oder an Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“, also die Sorte von Büchern, die jeder zu Hause hat, der sich kulturbewusst gibt, ohne mehr als zwei, drei Seiten gelesen zu haben, weil das einfach nicht geht. Was vermutlich auch die Juroren feststellen mussten, die Daths „Roman“ trotzdem bis auf die Shortlist für den Buchpreis 2008 gehievt haben, und all die Feuilletonkläuse, die in der Werbung für die Schwarte zitiert werden. Das ist alles nur Ulk. „Die Abschaffung der Arten“ zu lesen, das ist so, wie sich der Koyote fühlen muss, wenn ihm wieder mal ein hausgroßer Fels auf den Kopf donnert, weil der Roadrunner die Falle natürlich längst durchschaut hatte.


    Worum geht es? Na ja, äh, hüstel. Was ich verstanden habe: In so ungefähr 400 Jahren ist die Herrschaft der Menschen, die „Langeweile“, überwunden, die Tiere haben die Evolution in die Hand, Pardon, in Tatze/Pfote/Huf genommen und sich - gesteuert, wie man später erfährt - in „Gente“ verwandelt, sprachfähige Lebewesen, die noch tierische Körper besitzen, aber eigentlich nach Lust und Laune in die Anatomie eingreifen können. Die wenigen Menschen, die übrig sind, haben die Gente ihrerseits genetisch dergestalt manipuliert, dass sie keine Hände mehr haben, so dass aus ihnen endlich die brutalen und verblödeten Honks geworden sind, die sie immer schon waren. Aber auch „Bene Gente“, die vorherrschende Ideologie, ist nicht gut genug, es muss immer weiter gehen, die Regulierungs- und Selbstvervollkommnungslust kennt kein Ende, und auf einem anderen Kontinent, mit dem möglicherweise das ehemalige Amerika gemeint ist, sind statt der Gente megatranszendente, auf Menschenfrauen basierende Keramikwesen entstanden oder im Entstehen begriffen, die auch noch multidimensional unterwegs sind - und zudem ziemlich blutrünstig. Über die Gente herrscht Cyrus Blabla Undnochsiebzehnnamen Golden, der mehrere hundert Jahre alte Löwe, der möglicherweise längst kein Löwe mehr ist, und dessen Frau, die schließlich, wenn ich das richtig verstanden habe, eine Art Wald ist, die ganz andere Pläne hat, und die promiske Tochter sowieso. Namensgebung, Szenenabfolge, Dialogaufbau und sprachliche Gestaltung sind so ungeheuer kompliziert, dass man den Überblick schon verliert, bevor man richtig hingeschaut hat, und dann spielen auch noch drei tierische Helden (ein weißer Tiger, ein Tinkerpferd und ein Marder) eine besondere Rolle, aber plötzlich endet alles und geht auf dem Mars und auf der Venus weiter, in archaischen Szenarien, hunderte von Jahren später. Es gibt nie und an keiner Stelle irgendwas, an dem man sich als Leser festhalten könnte, die Erklärungen sind spröde und überdreht und dann auch wieder ungeheuer klug, was grundsätzlich, um nicht missverstanden zu werden, für das gesamte Buch gilt, das von einer Schlauheit und Belehrtheit und sprachlichen Kunstfertigkeit zeugt, die wirklich beeindruckt, die aber so sperrig kanalisiert wurde, dass sich Menschen mit einem IQ unter 300 wie Neandertaler vorkommen, die eine Saturn V zum Mond steuern sollen. Ich vermute, dass ein durchschnittlicher Satz ungefähr ein Dutzend Verweise und Andeutungen enthält, die man mit profunden Kenntnissen in Mythologie, Literaturtheorie, Wissenschafts- und Religionsgeschichte verstehen könnte, aber an die kommt man so gut heran wie an Hinweise in einem „Escape Room“, der mit Beton ausgegossen wurde. Wobei die Frage nach dem Wozu noch überhaupt nicht gestellt wurde. Nach allem, was ich über das Buch gelesen habe, ist sie auch von Menschen, zu denen ich aufblicken würde, wenn ich müsste, bislang nicht beantwortet worden. „Die Abschaffung der Arten“ ist ein Un-Buch, denn der über 500 Seiten lange Text sieht nur so aus, als wolle er gelesen werden. Das Gegenteil ist der Fall, und unterm Strich ist dieser Grenzganz zwischen Genie und Wahnsinn ganz eindeutig auf der falschen Seite heruntergekippt.


    Und, dennoch. Nach dem Zuschlagen des Schmökers stellt sich eine Ahnung ein, ein Gefühl davon, worum es gegangen sein könnte, nämlich um das, wonach zu streben sich lohnt, um die Frage, was Merkmale mit Glück zu tun haben, um Gleichheit und Widersprüchlichkeit, um den Sinn von Evolution und ihre Ziele. Da Dietmar Dath bekennender Kommunist ist und regelmäßig zur Wahl der DKP aufruft (gibt’s die eigentlich noch?), war ich skeptisch, ob es sich letztlich um als solche nicht direkt erkennbare Indoktrination handeln könnte, aber dafür ist das Ding zu vielschichtig, und die Leute, die es verstehen könnten, sind vermutlich alle schon Kommunisten. Man kann es also ungefährdet zu lesen versuchen. Viel Spaß dabei.


  • Noch eine Anmerkung. Es kann sein, dass es auch/in der Hauptsache/nebenbei darum geht, dass sich der Versuch, in die Schöpfung einzugreifen, gegen die Eingreifer gewandt hat. Ich bin mir nicht sicher. Höchstens so zu 17,27 Prozent.

  • Noch eine Anmerkung. Es kann sein, dass es auch/in der Hauptsache/nebenbei darum geht, dass sich der Versuch, in die Schöpfung einzugreifen, gegen die Eingreifer gewandt hat. Ich bin mir nicht sicher. Höchstens so zu 17,27 Prozent.

    Ich sollte mich raushalten, hab nur mal ein bisschen in die Leseprobe reingelesen.
    Aber aus dem Titel abgeleitet und aus dem Gedanken irgendwo mal gelesen zu haben, dass Dath eher kein Fan von Foucault, Deleuze, Butler... ist:
    Die Abschaffung der Arten könnte eine Kritik auf Dekonstruktivismus sein?

    (Hier mal ein Link um es ein bisschen zu hinterleuchten: Dath über Butler)

    I never predict anything, and I never will. (Paul Gascoigne)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Maarten ()

  • Es ist vermutlich alles mögliche, Maarten, und könnte alles mögliche sein, aber da es - zumindest mir - den Zugang so ganz und gar verweigert bzw. die Mindestvoraussetzungen auch nur für einen Hauch von Verstehen so hoch ansetzt, dass sie für mich unmöglich zu erfüllen sind, ist mir das, um recht ehrlich zu sein, schnuppe. 8)

  • Vielleicht doch noch kurz was dazu, denn ich habe die Vermutung, dass sich womöglich sehr viel weniger hinter Die Abschaffung der Arten verbirgt, als es den Anschein hat bzw. etwas ganz anderes.
    Und kann's natürlich unmöglich beurteilen, ohne es gelesen zu haben und das scheint, Deiner sehr plastischen und unterhaltsamen Rezension folgend, ein Erlebnis zu sein, auf das ich lieber verzichte. Vielleicht deswegen also doch noch kurz ein paar Gedanken.

    The move from a structuralist account in which capital is understood to structure social relations in relatively homologous ways to a view of hegemony in which power relations are subject to repetition, convergence, and rearticulation brought the question of temporality into the thinking of structure, and marked a shift from a form of Althusserian theory that takes structural totalities as theoretical objects to one in which the insights into the contingent possibility of structure inaugurate a renewed conception of hegemony as bound up with the contingent sites and strategies of the rearticulation of power.

    Das ist der Satz für den Judith Butler 1998 einen Preis für Bad Writing gewonnen hat. (Guardian: The world's worst writing).

    Nimmt man Butlers These der Dekonstruktion der Geschlechter und extrapoliert diese Idee, bei der der Mensch sich über seine Biologie hinwegsetzt in die Zukunft: Menschen können sein was immer sie wollen, Tiere, Keramikwesen, Wälder, Gente, was auch immer.

    Und wenn man als ein Dietmar Dath der Meinung ist, dass Butlers These ziemlicher Unfug ist. Dass die Ergebnisse postmoderner Dekonstruktion reaktionär sind, die Moderne hingegen progressiv.
    Wenn man das Ganze in einen postmodernen, unheimlich klug klingenden Roman verpacken möchte und gleichzeitig zeigen möchte, dass das alles Unsinn ist. Wenn man auf die Weise den Dekonstruktivismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen möchte, ihn selbst dekonstruieren möchte, in seine eigenen Bestandteile zerlegen und dabei zeigen, dass nichts Sinnvolles übrigbleibt.

    Wenn man zeigen möchte, dass es der Mensch selbst ist, der sich dabei dekonstruiert.

    Könnte Die Abschaffung der Arten dieses Buch sein?

    I never predict anything, and I never will. (Paul Gascoigne)

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  • Isse.


    Edit. Stimmt so nicht präzise. Sie wechselt innerhalb der Figuren. Die - es handelt sich um ein Paar, also definitiv eine Rückkehr zur Geschlechtlichkeit - dann aber sowieso erstmal für 1000 Jahre kaltgestellt werden, während derer sie die Reste der Erde erkunden sollen.

  • Das klingt nach einer echten Herausforderung, aber da ich schon mit Wolfdietrich Schnurres Das Los unserer Stadt meine Schwierigkeiten hatte, wage ich mich an dieses hier nicht ran.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte