Severin und Nepomuk - Ulf Stark (ab ca. 10 J.)

  • OT: Märklin och Turbin 2005


    Nepomuk und Severin sind Brüder und zugleich beste Freunde. Sie leben allein in einem Häuschen mit einem Schuppen und einer Außentoilette, genannt Plumpsklo. Das Alter der beiden Hautpersonen ist unbestimmt, ihre größte Sehnsucht ihrem Vaters, genannt Papa. Er ist Pilot und mit seinem Flugzeug in der Wüste verschollen, behauptet Severin. Severin weiß immer alles und das auch noch besser, schließlich ist er der größere von beiden. Nepomuk ist sich nicht sicher, ob er nicht lieber einen kleinen Hund hätte.
    Dann gibt es noch einen Nachbarn, der Uhrmacher ist. Seine größte Sehnsucht gilt der Erzeugung eines neuerlichen Urknalls. Dazu verbraucht er beträchtliche Mengen von Silvester-Raketen. Überdies besitzt er einen Truthahn, der als angriffslustig gilt. Er wird es zumindest dann, wenn Severin ihn ärgert.
    In ihrem Häuschen durchleben die beiden absurd-skurrile Alltagsereignisse oder sie spielen mit den Figuren einer Weihnachtskrippe, auch wenn nicht Weihnachten ist. Abends liest Severin Nepomuk vor, aber nur aus Büchern über Wüsten. Dafür kann Nepomuk ziemlich drollige Liedchen dichten.


    Eines Tages aber beschließen sie endgültig, sich auf die Suche nach Papa zu machen, beladen einen Kinderwagen mit Gepäck und wandern los. Die Krippenfigur eines Säuglings ist auch dabei, obwohl nicht Weihnachten ist, sowie eine Schnecke, weil die eben vorbeikam. Auf dem Weg erleben Severin und Nepomuk ein bißchen Stadt, übernachten in einem Hotel bei ‚Herrn Rezeption’ und gelangen in die Wüste, wo sie fast verhungern, behauptet Severin, der immer alles besser weiß und sämtliche Butterbrote weggefuttert hat. Eine rätselhafte Botschaft aus dem Nichts, die von Papa stammt, bringt sie wieder auf den Nachhauseweg, eine Begegnung mit einem Zirkus rettet sie vor dem Verhungern. Severin verliebt sich ein wenig in eine Seiltänzerin, die mit roten Glasherzen jongliert, Nepomuk findet einen Hund und einen Metallgegenstand, der das liegengebliebene Fahrzeug des Zirkusunternehmens wieder ins Laufen bringt.
    Um nach Hause zu kommen, folgen sie einem Stern. Zuhause angekommen, stellen die beiden fest, daß der Uhrmacher bei einem Urknallexperiment sein Haus abgefackelt hat und bei ihnen eingezogen ist. Sie beschließen, ihn als Papa zu adoptieren und nennen ihn hinkünftig Urvater. Die Schnecke hat es vorgezogen, im Hotel zu bleiben.
    Am Ende freuen sie sich alle auf Weihnachten. Man kann nur hoffen, daß der Truthahn sich inzwischen auf den Weg zur Schnecke gemacht hat.


    Die Geschichte dieser beiden Gestalten, die eine undefinierbare Mischung aus Clowns und kleinen Kindern sind, ist einfach nur mißlungen. Zusammengemixt aus klar erkennbaren Anleihen bei Lindgren, Saint-Exupéry, den billigen Resten eines säkularisiertes Christentums der spätbürgerlichen Kultur der heutigen Konsumgesellschaft sowie einem unerträglichen Vaterkult, ist das Buch nahezu unlesbar.


    Es gibt immer wieder Ansätze zur Darstellung kindlicher Verhaltensweisen, dann aber wird der ohnehin nur schwach vorhandene Humor so überdreht, daß das ganz umgehend vom Kindlichen ins Kindische kippt. Keine Szene enthält echte Komik, dafür jede Menge Albernheiten. So etwa der Aufenthalt im Hotel, den die beiden Gestalten für ein Geschenk des ‚Herrn Rezeption’ halten, weswegen sie ihm an nächsten Tag ihrerseits Geld schenken. Was soll das für eine Welt sein? Es gibt Geld - und Warenverkehr, Severin nimmt auch gezielt einen Geldbeutel mit. Also muß er doch wissen, wofür Geld da ist? Es bleibt unverständlich, warum das eben in dieser Situation ausgehebelt werden soll außer für einen dummen Witz. Für welches Lesealter ist das gedacht? Soll man so etwas Zweijährigen erzählen?


    Die christlichen Versatzstücke scheinen dem Gefüge einen inneren Halt zu geben. Versucht man aber, sie zusammenzuaddieren, bleibt man immer wieder stecken. Irgendwo gibt es einen Papa, der die beiden erzeugt hat. Soll das Gott sein? Von wem stammt dann der Uhrmacher? Und die Welt?
    Die Krippenspielerei verbleibt im Absurden. Ein Wunder, das die Jesusfigur aus Nepomuks Hosentasche bewirkt haben soll, erweist sich am Ende als gar keins. Die Seiltänzerin ist eben auch kein Engel, wie die beiden zunächst dachten. Dennoch folgen sie einem Stern und am Ende steht Weihnachten bevor.
    Was nun, Physik oder Metaphysik?
    Daß sich der deutsche Verlag entscheiden hat, die beiden Protagonisten umzutaufen und dabei die Namen von wichtigen Heiligen gewählt hat, trägt nicht zur Klärung bei. Ich frage mich seither, ob das Absicht oder Zufall war, bedingt von dem bewußt (im Fall der Absicht) oder unbewußt (‚Zufall’) entstandenen Bedürfnis in diesem sinnfreien Kosmos Sinn zu stiften. Die christlichen Requisiten aus Pappmaché und Goldfolie, die im Text verstreut sind, laden direkt dazu ein. Aber auch diese künstlich hinzugefügten Leitlichter erhöhen nur die Irritation und bieten keine Orientierung in diesem Durcheinander.


    Einen vergleichbaren Lapsus scheint mir die Übersetzung zu enthalten. Beim Essen werden einmal ‚Prinzenwürstenchen’ genannt. Ich nehme an, daß dahinter der schwedische Prinskorv steckt, der nichts mit Prinzen zu tun hat, sondern schlicht feine Fleischwurst ist. Daß der Prinz hier von einer erfahrenen Übersetzerin, wohlbemerkt, mitübersetzt wurde, weist für mich auf eine - unbewußte - Sinnstiftung, in diesem Fall in Richtung ‚Kleiner Prinz’ und ‚Nachtflug’. Denn der Text enthält auch genügen Gegenstände aus dieser Requisitenkammer. Flugkarten, Pilotenausrüstung, Himmel, Sterne, Motorenteile, Wüste. Verlorengehen in der Weite. Wiese Worte. Die Ähnlichkeiten drängen sich geradezu auf. Versucht man aber, es zusammenzusetzen, zerrinnt es wie Wüstensand unter den Fingern. Zurück bleibt wieder nur Irritation.


    Sehr ungut ist das Verhältnis der beiden Brüder, so, wie der Autor es schildert. Severin, der sehr viel von Karlsson vom Dach hat, ist unangenehm selbstbezogen. Da klingt das Thema des großen Bruders an, der immer alles besser weiß, aber Nepomuk wird keine Chance zur Gegenwehr gegeben. Er duldet alles tapfer, er ist so naiv, daß er geradezu zurückgeblieben wirkt. Zudem gibt es kein Korrektiv für Severin, er kann sich ungehemmt ausbreiten. Somit ist er eigentlich nur unsympathisch. Weinerlich, rechthaberisch, besserwisserisch, eine Nervensäge. Nicht lustig.


    Am Schlimmsten jedoch ist der platte Vaterkult, der in diesem Buch vorgeführt wird. Er, ausgerechnet, hält diese ganze Gebilde noch am ehesten zusammen. In ihm fließen die Versatzstücke aus Christentum, Philosophie, Physik (Urknall und Uhren) Flugtechnik und mutigem Weltentdeckertum zusammen. Wir sehen eine nahezu frauenlose Welt vor uns. Frauen sind tote Figurinen, wie Maria im Krippenspiel und die Tänzerin auf einer Uhr des Uhrmachers oder seltsam-schöne ferne Mädchenwesen wie die Seiltänzerin. Nichts Körperliches ist an Frauen. Liebe ist ein Herz aus rotem Glas.
    Das einzige, das gilt, sind Vaterliebe und väterliche Fürsorge. Im Hotel fürsorgt Herr Rezeption, als die beiden Unglücksgestalten endlich wieder in ihrem Hüttchen angelangt sind, hat Urvater Uhrmacher schon geputzt, gewaschen und gekocht. Das ist im übrigen der einzige zeitgemäße Gedanke in diesem ganzen Machwerk.


    Aber er rettet es nicht, der eigentliche Schlag fällt bereits am Ende von Kapitel zwei. In diesen erzählt Severin, wie er und Nepomuk entstanden sind. Aus Samen in der Erde in einem Blumentopf nämlich. Offenbar hat Papa die Samen da hineingesteckt. Und daraus sind seine Kinder dann gewachsen, fix und fertig angezogen. Aber als sie fertig waren, war Papa schon davongeflogen. Offenbar war ihm die Pflanzenpflege zu langweilig geworden.
    Welchem Kind im Jahr 2008 soll man einen solchen hanebüchenen Unsinn vorsetzen?


    Dieses Buch ist einfach nur wild zusammengeschustert, undurchdacht, platt, sentimental. Es ist in hohem Maß albern. Es ist nicht im mindesten komisch, im Gegenteil, es zeigt eine Sicht auf die Welt, die abstoßend ist.
    Schade ist es um die wirklich schönen Illustrationen von SaBine Büchner. Sie holt an Witz und Liebenswertem heraus, was nur herauszuholen ist, und macht ein weit besseres Buch aus dem Ganzen, als es verdient.


    Auf keine Fall zu empfehlen!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • :grin


    Das war ohne Hintersinn formuliert.
    Aber ich schätze, Dawkins hätte zu dem Quark (nicht physikalisch gemeint) einiges zu sagen.


    Und nein, es muß nicht jedes Buch geben.
    :schlaeger




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus