Allein aus Gnade - Lilli Klausen

  • Kurzbeschreibung:


    Wittenberg 1521. In der blühenden Renaissance-Stadt brodeln Gift und Feuer: Gerüchte gehen, der streitbare Reformator Martin Luther sei nach dem Reichstag zu Worms ermordet worden. Die Lutheranerin Elisabeth, Witwe des reichen Tuchhändlers Eckhard, will die Bluttat aufklären. Behilflich sind ihr dabei der Philosophiedozent Markus und der jüdische Malergeselle David. Während sie nach Luthers Mördern suchen, verwandeln Horden seiner Anhänger und Gegner die Stadt in ein Pulverfass. Bis in einer Dezembernacht ein Fremder auftaucht und sich seinen Freunden zu erkennen gibt: Es ist Luther, der zu seinem Schutz auf die Wartburg verbracht wurde, wo er die Bibel übersetzt.


    Anm.: Den letzten Satz hab ich gespoilert, da ich den nicht vor dem Buch lesen wollen würde.



    Über die Autorin:


    Lilli Klausen, geboren 1965 in Berlin, und Enkelin eines Schiffsbauers, studierte Germanistik, Latein, Anglistik und Italienische Literatur in Berlin, Neapel und London. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in London.



    Eigene Meinung:


    Lilli Klausen, ein Pseudonym von Charlotte Lyne, entführt den Leser mit ihrem neuestem Werk wieder in eine Zeit des Umbruchs. Diesmal direkt nach Wittenberg in das Jahr 1521, als Martin Luther vor den Reichstag nach Worms zitiert wird und als er nicht nach Wittenberg zurückkehrt, seine Todesnachricht die Stadt in Chaos und Verzweiflung stürzt. Nachdem das Thema der Neuerungen im Glauben bereits in „Der zwölften Nacht“ und „Dangerous Words“ ein wichtiger Aspekt waren, überrascht es, wie es der Autorin gelingt, mit einem unverkennbar eigenen Stil, der einfach Freude am Lesen bereitet, wieder eine völlig eigenständige und unverwechselbare Geschichte zu erzählen, die zwar durchaus in einer inhaltlichen Verbundenheit stehen, aber immer wieder etwas ganz Besonderes und Eigenes sind.


    Die Reformation wird dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und zeigt vor allem die Bedeutung der Neuerungen und ihre Auswirkungen für Menschen. Von Reformern, manche radikaler andere gemäßigter, Katholiken und Juden. Dabei werden viele Fragen aufgegriffen rund um die inhaltlichen Reformen in Glaubensfragen, des Wert des Einzelnen zum Ganzen, über den Menschen oder welche Mittel der Zweck zu rechtfertigen vermag.


    Der Roman überzeugt mit vielschichtigen Charakteren. Alle Figuren bekommen schnell ein Gesicht und nehmen vor dem geistigen Auge des Lesers Gestalt an. Es sind Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, die bunt wie das Leben sind, glaubwürdig agieren und es dabei doch auch vermögen, mit ihren Taten und Worten zu überraschen. Im Mittelpunkt steht dabei Elisabeth, die mit Bangen die Auswirkungen in Wittenberg beobachtet und deren Leben sich durch den Tod verändert. Auch zahlreiche historische Personen treten auf.
    Der Schreibstil nimmt einen schon nach wenigen Sätzen gefangen. Mit einer flüssigen Sprache, wird der Leser wie auch Schienen durch die Geschichte getragen. Gestochen scharfe Bilder, lebensechte Dialoge unterstützen die Geschichte. Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, es macht einfach Spaß, sich die Geschichte von Lilli Klausen erzählen zu lassen und man kommt gar nicht auf den Gedanken das Buch aus der Hand legen zu wollen.


    Das Buch wird als historischer Krimi beworben. Dieser Einordnung würde ich nicht ganz zustimmen, da der Krimi eine sehr untergeordnete Rolle einnimmt, wenn er auch gegen Ende des Buches deutlich mehr Raum gewinnt. Dennoch ist das Konzept, wie es dazukommt, dass sich die Figuren mit dem vermuteten Verbrechen beschäftigen, dafür umso glaubwürdiger. Auch die Art und Weise, wie die seltenen Ermittlungen, wenn man es mit diesem Oberbegriff bezeichnen möchte, durchgeführt werden und wer welche Fragen wie stellt und wer sie wie beantwortet, ist gut durchdacht und glaubwürdig dargestellt. Das spannungsgeladene Ende wartet auch mit einer schlüssigen Auflösung. Insofern hat das Buch durchaus einen respektablen Krimiteil, ist für mich aber mehr historischer Roman.


    Fazit: Ein sehr lesenswerter Roman, der sich wie von selbst liest. Eine unbedingte Leseempfehlung. 10 Points!



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  • Mensch, geht das hier fix!


    Vielen Dank fuer die schoene Rezension, taciturus - ich freue mich sehr. Ganz besonders darueber, dass Du meinen Luther-Krimi mit Twelfthnight und Dangerous Words zusammengeordnet hast, denn ich hab sie genau deshalb alle drei schreiben wollen - sie sind mein Bibeluebersetzer-Dreigespann.


    Dass der Krimi-Teil ein wenig zu kurz kommt, nehme ich als voellig berechtigte Kritik, auch die Lektorin hatte dies bemaengelt, wir hatten dann aber nicht mehr die Moeglichkeit, dieses Element angemessen zu staerken.
    Ich haenge mir den Hinweis ans Ohr und merke es mir fuers naechste Mal. "Allein aus Gnade" ist mein erster Ausflug ins Krimigenre, und ich moechte - wenn auch noch nicht jetzt gleich - gern noch viele machen und ueben und mich verbessern. Ich fand es sehr interessant, zu recherchieren, welche Art von "Ermittlungen" zu dieser Zeit moeglich waren und welche nicht.
    Fazit: Die armen Moerder hatten's damals viel leichter.


    Ich bedank' mich noch einmal - bitte daran denken, "Das Haus Gottes" NICHT zu kaufen! Royal Mail ist schon im Weihnachtsmodus und wird sich Zeit lassen, aber das Buch ist unterwegs zu Dir.


    Allen einen schoenen Freitag!
    Alles Liebe von Lilli und Charlie (Lilli und Klaus sind meine beiden aeltesten Kinder, so haben wir das Pseudonym ausgesucht.)

  • @ Charlie

    Zitat

    Alles Liebe von Lilli und Charlie (Lilli und Klaus sind meine beiden aeltesten Kinder, so haben wir das Pseudonym ausgesucht.)


    Warum schreibst Du denn noch unter anderem Namen? Ich wusste bisher nicht, dass Du hinter "Lilli Klausen" steckst. Das Buch spricht mich von der Thematik unbedingt an, aber erst durch Dein "Outing" wandert es dann direkt auf die Wunschliste, weil ich dann auch zusätzlich zum interessanten Thema den hervorragenden Sprachstil von "Die zwölfte Nacht" erwarte. :-)
    Hast Du noch mehr Pseudonyme? So etwas muss einem doch erstmal gesagt werden... :gruebel



    PS Ist Dein drittes Kind nicht beleidigt, wenn es nicht in einem Pseudonym verewigt ist? Mein dritter Sohn wäre stinkbeleidigt...
    :grin

  • Nein, "Lilli Klausen" ist vorerst mein einziges Pseudonym.
    Ob ich noch eins brauche, weil ich noch einen Ausflug in ein anderes Genre machen moechte, weiss ich noch nicht. Ueber den Sinn oder Unsinn von Pseudonymen lohnt sich fuer mich keine Diskussion. Ich haette lieber gar kein Pseudonym, finde es aber auch nicht so schlimm. Wenn die Verleger also eine solche "Zweiteilung" bevorzugen, habe ich kein Problem damit, mich danach zu richten, solange ich mit dem Pseudonym offen umgehen kann.
    Mein kleiner Sohn freut sich immer, wenn er seinen Namen in meinen Buechern findet. Dass er auch "ein Pseudonym sein moechte", hat er allerdings noch nie gesagt, er findet Lilli Klausen sehr lustig. Wenn ich ein weiteres Pseudonym jemals brauchen sollte, wuerde ich allerdings wiederum Namensteile verwenden wollen, die klar zu mir gehoeren - es ist also gut moeglich, dass sein Name nochmal zum Zuge kommt.


    Ich wuensche Euch allen einen schoenen Sonntag!
    Alles Liebe von Charlie

  • 10. Dezember 1520. Martin Luther vollzieht den endgültigen Bruch mit der Katholischen Kirche, indem er auf Verbrennungen seiner Bücher mit der Verbrennung der Bulle sowie einiger Schriften der Scholastik und des kanonischen Rechts vor dem Wittenberger Elstertor antwortet.
    In Mitten dieser Geschehnisse treffen wir auf Elisabeth, die gemeinsam mit ihrem Gatten der Verbrennung beiwohnt und wenig später auf Thomas, ihren ehemaligen Verlobten, der nach der Auflösung der Verlobung dem Augustinerorden beigetreten ist. Beide ahnen nicht, dass in dieser geschichtsträchtigen Nacht Ereignisse in Gang gesetzt werden, die beider Leben entscheidend ändern werden.


    Eingebettet in einen Kriminalfall erzählt Charlotte Lyne unter dem Pseudonym Lilli Klausen von einem Schlüsselerlebnis der Reformation und der damit stetig weiter voranschreitenden Spaltung der Kirche. Ebenso wie die Kirche stehen hier auch die Protagonisten an einem Scheideweg, der sie an die Grenzen ihrer selbst führt und an dem sie sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen. Elisabeth, die sich der Reformbewegung angeschlossen hat, Thomas, der klar zum katholischen Glauben steht. Diese beiden Protagonisten sind sinnbildlich für das schwierige Verhältnis zwischen der alten und der neuen Lehre. Ihnen zur Seite stehen sowohl historische Figuren wie Martin Luther, Lucas Cranach oder Johannes Bugenhagen aber auch fiktive Figuren. Allen gibt die Autorin ein Gesicht und eine Seele und menschliche Tiefe, niemand bleibt blass oder konturlos.
    Glaubhaft lässt die Autorin ihre Protagonisten innere Kämpfe ausfechten, lässt sie leiden, zweifeln, mit sich selbst ringen und sie lässt sie hoffen - hoffen auf Verständnis, auf Annäherung, auf Toleranz und auf Gleichberechtigung und inneren Frieden.


    Der Glaube spielt in diesem Buch eine starke Rolle, aber die Autorin drängt ihm dem Leser nie auf. Sie wirbt für keine der beiden christlichen Kirchen, bezieht keine Stellung, legt dem Leser statt dessen nahe, sich selbst ein Bild zu machen und keine der beiden Seiten vorzuverurteilen.
    In erster Linie den Menschen sehen, nicht die Religion, dem Hass entgegenzutreten und den Menschen so akzeptieren, wie er ist, sind zentrale Aussagen dieses Romanes.


    Das hier der eigentliche Kriminal-Fall eher Nebensache ist und erst am Ende wieder eine Gewichtung erhält, verzeihe ich der Autorin gerne, so sehr hat mich dieser Konflikt zwischen den beiden Seiten gefangen genommen, der Wittenberg wie eine Welle der Gewalt mit Hass, Wut und Brutalität überschwemmt hat, weil beide Seiten glaubten, sie wären im Recht und ihre jeweils christliche Gesinnung die Absolute.


    Ein wunderschöner Roman, geschrieben in der unnachahmlichen, kraftvollen und mitreißenden Handschrift einer wirklich großen Autorin, der es auch mit diesem Roman gelingt, den Leser absolut in den Bann der erzählten Geschichte zu ziehen und Teil der Ereignisse zu Wittenberg 1520/1521 werden zu lassen.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Sie wirbt für keine der beiden christlichen Kirchen, bezieht keine Stellung, legt dem Leser statt dessen nahe, sich selbst ein Bild zu machen und keine der beiden Seiten vorzuverurteilen.
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    Liebe Anke, ich freu mich ganz ganz doll, dass das so gelungen ist.
    Ich habe mich ueber das Angebot, eine Geschichte ueber Luther zu schreiben, sehr gefreut, habe aber gleich gesagt: Ich kann das nur machen, wenn ich fuer Luther nicht Partei ergreifen muss. Ich wollte gern zwei Figuren als Sympathietraeger haben, die verschiedenen "Lagern" angehoeren. Dass der Verlag das problemlos mitgetragen hat, hat mich sehr gefreut.


    Dass die Krimihandlung aber in den Hintergrund tritt, braucht Ihr sehr lieben Leute mir gar nicht zu verzeihen - es ist mein erster, ich moecht' irgendwann gern noch mal einen und noch einen schreiben, es soll besser, schaerfer, gemeiner werden, also duerft Ihr sehr gern nach Herzenslust darueber meckern.


    Fuer die schoene, schoene Rezension bedank' ich mich aber umso froehlicher!


    Alles Liebe von Charlie

  • Charlie, das ist hier eigentlich etwas off topic, aber da Du an der Thematik religiöser Konflikte offenbar sehr interessiert bist, frage ich mal, ob Du " Portrait of an unknown woman" von Vanora Bennett kennst.
    Das ist ein anspruchsvoll geschriebener Roman über Thomas More und seine Familie, der nach Deinem Geschmack sein dürfte.
    Mir war es unbekannt, dass Thomas More in Bezug auf religiöse Fragen so fanatisch war, im Gegensatz zu seinen sonst oft eher "modernen" Anschauungen, z.B. über die Bildung von Mädchen.

  • Ja, Enigma, das Buch hat mir recht gut gefallen.
    Ich bin ja Fan von Tyndale und habe insofern mit More meine Schwierigkeiten (was ganz und gar nicht bedeutet, dass ich Utopia nicht geliebt habe - im Gegenteil, das macht's doppelt schwer). Und ich gebe Dir ganz recht: More wird bei uns in aehnlicher Weise verherrlicht wie Luther haeufig in Deutschland.
    Die dunklen, schwierigen, problematischen Seiten werden dabei unter den Tisch gekehrt, obwohl sie womoeglich Erklaerungsansaetze und Zugaenge zu der Gestalt liefern, die anderenfalls eine Chromfigur bleibt.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie


    Liebe Anke, ich freu mich ganz ganz doll, dass das so gelungen ist.


    Das ist Dir hervorragend gelungen :-)


    Trotz der Neutralität gibst Du Deinen Lesern sehr wichtige Denkanstöße und ich fand es sehr schön, dass in diesen Denkanstößen ganz religionsübergreifend einfach Gott im Mittelpunkt stand. Völlig wertungsfrei, ganz ohne erhobenen Finger. Klasse, so macht ein Buch Spaß (sofern man das bei einem Krimi überhaupt sagen kann) und so macht auch das Thema spaß. Vielen Dank dafür :-)


    Dass Du auch Talent zum Krimi-Schreiben hast, das hat sich auch in diesem Buch durchaus gezeigt. Ich jedenfalls wäre nie auf den Täter gekommen. Die Auflösung war für mich nicht vorhersehbar und das macht einen guten Krimi aus :-)

  • Das finde ich nett von Dir!
    Ich freu mich darauf, so vielleicht noch ein paar Meinungen zu hoeren. Da ich "Das Haus Gottes" leider aufgrund nur weniger Belegexemplare nicht stiften kann, wollte ich auch Wolke fragen, ob sie vom Luther-Krimi ein Exemplar fuer das Eulen-Weihnachtsgewinnspiel haben moechte.


    Am Genre Krimi bleib' ich in Gedanken weiter dran. Wenn auch vorlaeufig keine Zeit dafuer ist - das Genre, die Moeglichkeit vom Toeten zu schreiben, fasziniert mich seit ewigen Zeiten.


    Alles Liebe von Charlie

  • Habe mich gerade angemeldet.


    Nachdem ich gerade "Die Deutschen" kucke und da ja letztens auch Luther eine Folge gewidmet hatte (Gerade läuft übrigens Wallenstein)


    Irgendwie muss ich mich doch mal mit dem Gründer meiner Kirche merh auseinandersetzen :-) Und wenn Charlie da ein Buch drüber geschrieben hat, um so besser :-)

  • Schoen, dass es Dir gefaellt, Eskalina.
    Ich mag's auch sehr. Die Hornpipe heisst "Portmouth" (das ist die Stadt, von der der Roman handelt) und IST Portsmouth. Wenn ich die hoere, laeuft's mir ueber den Ruecken und ich moechte nach Portsmouth.


    Das Aquarell und das Photo (es ist das Gebaeude, von dem der Roman handelt, ein Hospiz aus dem 13. Jahrhundert namens "Domus Dei") sind von meinem Mann, und mein Sohn hat die Vorschau zusammengestellt.


    Alles Liebe von Charlie