Brussig - Leben bis Männer

  • Thomas Brussig - Leben bis Männer


    ISBN -3-596-50675-1
    Seitenzahl: 95



    Klappentext:


    Einer packt aus. Mehr als zwanzig Jahre war er der Stratege am Rand, im Training ein harter Knochen, auf dem Platz ein Erlöser. Sein Verein hieß einst "Tatkraft Börde", sein Beruf ist Fußballtrainer. Jetzt zieht er vom Leder, und es gibt kein Halten: Weil einer seiner Spieler vor Gericht gestellt wurde, hat die Mannschaft den Aufstieg nicht geschafft. Ein Fußballtrainer aus der Provinz rechnet ab.
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    Mein Eindruck:


    Das Leben dauert neunzig Minuten plus Verlängerung - zumindest scheint man das nach der gut neunzigseitigen, rund neunzigminütigen Lektüre des vorliegenden Taschenbuchs zu glauben; dabei handelt es sich bei Leben bis Männer um ein irritierend unkonventionelles Büchlein unscheinbar, abschreckend dürr kommt es daher und läßt einen ostdeutschen Trainer Weisheiten über Gott, die Welt und König Fußball preisgeben. Ein Monolog also, der zum bittersüßen Plädoyer des Vollblutfans taugt, weil das Trainerunikat von 'Tatkraft Börde' so authentisch ist, aus der Welt gegriffen scheint, schon von der ersten Zeile an vor dem Leser steht und das zur Aussprache bringt, was jeder schonmal gedacht hat.


    Der Trainer erzählt vom Fußballspiel als Philosphie, als Gesellschaftstheorie, als Erziehungsmethode, als Anschauungsmodell, Fußball ist Besessenheit. Fußball ist Leben. Und der Trainer steht mittendrin. Er rechtfertigt oder schämt sich nicht dafür, er erklärt sich und zieht uns immer tiefer in den Strudel seiner Gedanken, die uns unwillkürlich ein Auflachen, ein mitleidiges Kopfschütteln oder einfach ein Nicken abringen, weil wir wissen, daß da irgendwo doch noch der Funken Wahrheit lauert und unerwartet in den Strafraum stößt.


    Leben bis Männer ist eine Blutgrätsche, von hinten in die Beine des Lesers: Man stöhnt über den Trainer, der sich aus freien Stücken, durch seinen Dienst an der Mannschaft ins gesellschaftliche Abseits stellt; man gruselt sich vor seinen Weisheiten, seinen Irrungen und Wirrungen, wiewohl wir doch genauestens wissen, daß er nicht der einzige ist, der mit fast religiösem Eifer eine der schönsten Nebensachen der Welt zum Lebenszweck macht. Und den Leser wird es schütteln, zumal sich der Trainer als Psychologe definiert, der auch das eigene Kind in der wichtigen Entwicklungsphase begleiten könnte.


    Brussig überzeugt dennoch nicht auf der ganzen Linie, obwohl die Authentizität des Trainers überwältigt, ein ungläubiges Staunen hervorruft. Der Autor schneidet auf den fünfundneunzig Seiten viele Themen, läßt den Trainer nach Lust und Laune palavern und schwadronieren, serviert dem Leser trotzdem nur Sekt statt des erhofften Chamapgners: so besticht zwar der direkte Bezug der realsozialistischen Gesellschaftform zum Menschenbild des Trainers (»Geschlossenheit«; »Mannschaft«; »Kollektiv statt Individuum«; »Sport ist Arbeit«), eine unmittelbare Verankerung dessen und der daraus folgende, mahnende Wink bleibt in meinen Augen zu fragmentarisch.


    Brussig schreibt locker, umgangssprachlich, aber schwungvoll. Der Monolog ist angesichts der Stilsicherheit und der Einfachheit des Schreibe verständlich und verleiht dem Leser die notwendige Distanz, zu erkennen, daß das Leben des Trainers ebenso wie das Buch doch einem Fußballspiel gleichen soll: es hat seine Höhen, Tiefen und eine ganze Bandbreite an Gefühlen.


    Bewertung: 80 von 100
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    »Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen.«
    Sartre

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  • "Am hinteren Ende der Sonnenallee" von Thomas Brussig war das erste Buch auf meiner Leseliste dieses Jahr - und eines von nur 3 Buechern mit einer vollen 10 als Bewertung bisher. Wunderschoen weil witzig UND leise nachdenklich!


    Umso enttaeuschter war ich dann von "Helden wie wir", das mir mit seinem pubertaeren Gequassel nur auf die Nerven ging. Mein Kommentar im Lesetagebuch: "zu schwanzlastig" ...


    Das hat mich bisher davon abgehalten es nochmal mit Brussig zu versuchen. Der Monologstil wuerd mich eher an "Helden" als an die Sonnenallee erinnern. Oder seh ich das falsch?

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich