Sonja und Melanie, beste Freundinnen und inzwischen auch Gefährtinnen bei allem, was mit dem geheimnisvollen Land Parva zu tun, haben eben mühsam in ihr ‚richtiges’ Leben zurückgefunden, als das Abenteuer auch schon wieder losgeht. Unbekannte, vogelähnliche Wesen überfallen sie, dabei geht das Wolfsamulett, das Sonja hütet, verloren. Was dahintersteckt ist klar, Gundar von Keban, der Spürer, der im Dienst der Dämonen Krieg gegen die letzten Völkerschaften Parvas anzettelt, hat das Amulett stehlen lassen. Es muß unbedingt zurückgeholt werden, das sagt auch Asarié, nach außen Besitzerin eines Gestüts, tatsächlich aber Brückenwächterin der fremden Welt jenseits der Nebelbrücke. Asarié kann es gar nicht schnell genug gehen, Parva ist schließlich in höchster Gefahr. Ehe Sonja es sich versieht, sitzt sie wieder auf Nachtfrosts Rücken und galoppiert über die Nebelbrücke.
Melanie allerdings, die die Nachfolge der Brückenwächterinnen Idore und Isarde angetreten hat, muß zu ihrem Erstaunen feststellen, daß es noch einen anderen Weg nach Parva gibt. Angesichts der Dringlichkeit der Sache, folgt sie Asarié aber, ohne großen Widerstand. Zurück bleibt Philipp, der ältere Bruder Sonjas, der längst in die seltsamen Geschehnisse verwickelt ist. Ihm bleibt es zunächst auch überlassen, mit all den Merkwürdigkeiten und Unstimmigkeiten zurechtzukommen, die der überstürzte Aufbruch nach Parva zur Folge hat. Ben, der überraschend aufgetauchte, schwarzhäutige Stallmeister des Gestüts, ist dabei mit seinen geheimnisvollen Bemerkungen nur bedingt eine Hilfe. Philipp ist es beschieden, auf eines der schrecklichsten Erlebnisse zuzusteuern, die einem Bruder zustoßen können.
In Parva ergeht es Sonja und ihren Freunden kaum besser. Die Lage erweist sich als schwieriger, als sie je gedacht hätten. Nicht nur sorgt Elri, das Mädchen aus dem Hirtenvolk, für einen beträchtlichen Schock, sie geraten auch wieder in die Hand des Spürers. Selbst als es ihnen gelingt, mit knapper Not zu entkommen, steht ihnen der eigentlich Schrecken noch bevor. In der Zerbrochenen Stadt finden sie für ihre Fragen auch eine Antwort, die sie lieber nicht gehört hätten.
Die Geschichte, die eine Geschichte der Reise zu einer geheimnisvollen Stadt wird, deren Lage nur die Trolle kennen, ist der dritte Teil der Fantasy-Reihe über das schwarze Einhorn Nachtfrost und seine mutige Reiterin Sonja. Erzählt wird, wie in den Vorgängerbänden auch, abwechselnd aus Parva und hiesigen Welt, ein alter Kniff, die Spannung zu erhöhen. Er gelingt ausgezeichnet, da die Autorin ein hervorragendes Gespür dafür entwickelt hat, wann der plötzliche Wechsel am härtesten empfunden wird.
Ausgestattet ist die Geschichte wieder mit den Auftritten einiger der Wunderwesen der fremden Welt, wobei sich Vollenbruch bemüht, nicht einfach an die inzwischen recht einheitlichen Vorstellungen bestimmter Wesen, die den Fantasy-Kosmos bevölkern, anzuknüpfen, sondern gezielt andere Deutungen sucht, um einen eigenen Kosmos zu schaffen. Durchgespielt wird das in diesem Band vor allem am Beispiel der Gnome und Trolle. Angesichts des recht jugendlichen Alters der Zielgruppe, kann man diese Bemühungen gar nicht hoch genug werten, weil hier Vereinheitlichung und Einschichtigkeit entgegengewirkt wird.
Die zugrundeliegende Botschaft, daß nicht alles so klar und einfach ist, wie man annimmt und daß sich ein zweiter und dritter Blick nicht nur lohnt, sondern, daß er erforderlich ist, wenn man wirklich und grundsätzliche etwas Fremdartiges verstehen will, durchzieht die ganze Geschichte.
Was in diesem Buch dann auch wieder zum Vorschein kommt, ist, daß es hier offenbar nicht nur um ein das Erzählen eines neuen Fantasy-Abenteuers geht. Über das Abenteuer, den Aufbau eines eigenen Kosmos und die genreüblichen moralisch-ethischen Themen von Verantwortung, Mut, Freundschaft hinaus, sind in diese Texte immer wieder Vorstellungen eingeschrieben, die an eine grundlegende Angst rühren, der man in der Pubertät ausgesetzt ist. Das ist die Angst, die der Prozeß der körperlichen und geistigen Veränderung mit sich bringt. Es ist ein Zustand der dauernden Unsicherheit, bislang klare Linien fangen an zu verschwimmen, die Orientierung ist nicht mehr eindeutig. Handeln hat mit einem Mal weitereichende Folgen. Entscheidungen bringen Richtiges und Falsches zugleich, nichts ist mehr nur schwarz oder weiß. Nebel überall. Und im Spiegel sieht man plötzlich nicht mehr sich, sondern ein fremdes Wesen.
Das ist sehr niedrigschwellig in den Büchern, sie sind unstreitig der Unterhaltungsliteratur zuzurechenen. Aber da ist es, von Anfang an. Immer wieder geht um die Unsicherheit der körperliche Veränderung. Da ist die wunderbare Idee mit den Wechselbälgern, die für Sonja und Melanie eintreten, während sie in Parva sind, und hier in Band drei zu einer äußerst gruseligen Erkenntnis führen. Es gibt die Spiegelgeschichte und die Entwicklung Elris, die zu ganz großer Form aufläuft (endlich!), die Wolfsmenschen, das Seelentauschen. Ein Stein ist nicht nur ein Stein. Ein Kristallwald ist lebensgefährlich, aber auch wunderschön. Auf den Winter folgt der Frühling, eine der größten Veränderungen überhaupt.
Das Beste daran ist, daß all das nicht durchbuchstabiert wird, sondern gezeigt. Es schenkt der jungen Leserin eine Identifizierungsmöglichkeit auf einer emotionalen Ebene, die in anderen Büchern des Genres oft genug von einschichtigen Liebesgeschichten besetzt ist. Immer wieder ist sie mit plötzlichen Veränderungen konfrontiert, kann den Schrecken durchleben und erfährt, daß es trotzdem weitergeht.
Daß die glatte Zuordnung der Figuren zu passenden Paaren völlig im Hintergrund bleibt, ist ein weiteres Plus der Serie.
Abgesehen von diesen ein wenig theoretischen Überlegungen, die diese Unterhaltungs- Serie geradezu pädagogisch empfehlenswert machen, sind es sehr spannende Abenteuergeschichten. So auch die Geschichte über die Reise zur zerbrochenen Stadt. Der Einstieg holpert wieder ein wenig, vielleicht sollte man nicht jedesmal die ganze Geschichte von Anfang an im Rückblick erzählen. Die Vogelwesen sind wunderbar unheimlich und eklig, die Wechselbalg-Weiterung verstörend. Das Amulett erweist sich als launisch - wieder so ein Beispiel dafür, daß eine Veränderung überall lauern kann - die Gnome sind voller Überraschungen, die Trolle ein Wunder. Auch der Bösewicht, der Spürer, überrascht. Dazu gibt es Wölfe und endlich eine leibhaftige Schattenkatze.
Es gibt es so einiges für Pferdefreundinnen. Das Reiten und der Umgang mit Pferden spielt eine größere Rolle als in den Bänden davor.
Vor allem aber gibt es ausgesprochen schöne Beschreibungen von Schneelandschaften und Kälte, denn dieser Teil spielt im tiefsten Winter. Das Sternrückengebirge und die dazugehörige Sage könnten jederzeit auch außerhalb des Buchs wirken, das ist einer der schönsten Teile der Erzählung.
Gefehlt hat mir Melanie, mehr als ihr Name war sie nie. Ich finde es schade, daß hier offenbar mehr auf die Seitenzahl als auf den Verlauf der Handlung geachtet werden muß. Schon zehn Seiten mehr hätten dem Ganzen nur genützt. Auf diese Weise läßt man eine Autorin unter Potential dahindümpeln.
Ein Wort auch endlich zur Umschlaggestaltung: ich gebe zu, daß mich der ‚Metallic-Look’ am Anfang beträchtlich gestört hat. Auf mich wirkt es billig. Aber offenbar habe ich mich daran gewöhnt, das hellere Blau wirkt fast schön. Hinreißend Parvas riesiger Wintermond. Und der Rücken, mit dem Rankenmuster und der angedeuteten Halbunziale gehört eben dazu. Tatsächlich sieht es im Regal ziemlich gut aus, wie sie da nebeneinander stehen, die drei Bände dieser bis jetzt wirklich gelungenen Serie deutscher Fantasy für junge Leserinnen.