Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten - Christian Kracht

  • Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
    Christian Kracht
    Kiepenheuer&Witsch
    ISBN: 978-3462040418
    149 Seiten, 16,95 Euro


    Der Autor: Christian Kracht besuchte mehrere Elite-Internate, unter anderem die Schule Schloss Salem und die Lakefield College School in Lakefield, Ontario, Kanada. Kracht ist Absolvent des Sarah Lawrence College in Bronxville, New York, USA. In Deutschland war Kracht als Journalist für B.Z., Tempo und Der Spiegel tätig. Mitte der 1990er Jahre ging er als Indienkorrespondent des Spiegels nach Neu-Delhi, als Nachfolger von Tiziano Terzani. Anschließend lebte Kracht für mehrere Jahre in Bangkok im Gebäude der ehemaligen jugoslawischen Botschaft und bereiste von dort aus verschiedene Staaten Asiens.Krachts Vater, Christian Kracht sen., war in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Generalbevollmächtigter Axel Springers.Christian Kracht lebte zuletzt mit seiner Frau, der Regisseurin Frauke Finsterwalder, in München, derzeit leben sie in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. (Quelle Wikipedia)


    Buchrückentext: Flammen über Europa. Deutsche Luftschiffe bombardieren das tief in den Fels gegrabene Machtzentrum der Schweizer Sowjetrepublik. Ostafrika genießt die Segnungen der Schweizer Zivilisation, doch die Evolution der Menschheit kehrt sich um. Christian Krachts Roman entwirft das Bild vom Ende einer Zivilisation, vom Ende unserer Utopien. Er führt in die Zukunft unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart (...)



    Meine Meinung: Die Idee, Geschichte anders weiterzudenken, ist nicht neu, und doch immer wieder faszinierend, wenn man sich mit dem Gedanken befasst, welche politischen Landschaften hätten entstehen können - welche Lebensstrukturen vorhanden wären, wenn sich vielleicht nur kleine Abläufe in der Vergangenheit anders dargestellt hätten, als sie sich tatsächlich zugetragen haben. Das hat auch Christian Kracht getan – Bei ihm ist der Genosse Lenin in der Schweiz geblieben und in diesem kleinen Land, das zur Schweizer Sowjetrepublik geworden ist, herrscht seit 96 Jahren Krieg. (Der Protagonist erklärt, dass Lenin nicht im verplombten Zug nach Moskau gereist sei, hier stellt sich die Frage, wie er etwas wissen kann, das nicht eingetreten ist ?) - Erzählt wird der Roman aus der Sicht eines Parteikommissärs der sich auf die Suche nach einem undurchsichtigen Mann begibt, den er verhaften soll.


    Der Leser wird mitten hineingeworfen in eine düstere militärisch beherrschte Zone, von der er irgendwann erfährt, dass es sich um die Schweiz handelt. Aus verschiedenen Bruchstücken erkennt man, dass die Schweizer Soldaten ursprünglich aus Afrika rekrutiert wurden. Das Land befindet sich schon so lange im Krieg, dass es keine Menschen mehr gibt, die den Frieden erlebt haben.


    Soweit zu den klaren Bildern dieses kleinen Buches. Was dann folgt, wirkt ziemlich wirr. Dieser Kommissär zieht los, um den mutmaßlichen Systemgegner Brazhinsky zu verhaften, trifft auf die Divisionärin Favre, die der Partei durch ihr Handeln Schaden zugefügt hat und will ihr Informationen entlocken. Er redet mit ihr und ohne dass der Leser Gefühle oder Gedanken erkennt, schlafen die beiden miteinander (Unter ihrer Achselhöhle befindet sich übrigens eine Steckdose - aha). Er zieht weiter - ab und zu fliegen merkwürdige Sonden durch die Gegend, die summen - findet den Gesuchten, doch statt ihn zu verhaften, bleibt er eine Zeit sein Gast in einer gewaltigen Schweizer Festung, die in die Berge gebaut wurde. Die Gründe seines Handelns – warum er Brazhinsky nicht verhaftet, warum er in der Festung bleibt, verrät uns der Autor nicht – ebenso wenig, warum er dann beschließt zu gehen, oder aus welchem Grund sich Brazhinsky mitten im Gespräch mit einer Ahle beide Augen aussticht.


    Das Ganze besser gesagt, diese unvollständigen psychedelischen Bilder kommen mir vor, wie absichtlich aneinander gereihte schockierende Bruchstücke, die wie aus einem Drogentraum entsprungen wirken sollen. Das Schicksal der Protagonisten bleibt durch das Fehlen jeglicher Erklärungen ihrer Gedanken oder ihrer spontanen und absurden Handlungen uninteressant und war mir ziemlich gleichgültig. Anfang und Ende der Geschichte bleiben verschwommen und Ideen (Steckdosen am Körper, fliegende Sonden) werden weder ausgebaut, noch weiterverfolgt. Mag der Autor auch noch so hoch gelobt sein, und als „ästhetischer Fundamentalist“ bezeichnet werden - Für mich ist es ein Buch, dass sich mir leider nicht erschlossen hat und das mich Kopfschüttelnd mit der Frage: „Und was sollte das?“ zurückgelassen hat.

  • Hi Eskalina,


    aufgrund deiner Rezi ist das Buch wieder von meiner Wunschliste verschwunden. Pech gehabt, Christian Kracht. :-)


    Ganz herzlichen Dank für diese Warnung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Ha, du willst so schnell aufgeben, Voltaire? :grin


    In Anbetracht meines SUB besteht einfach keine Luft für irgendwelche Windbeutel. :grin

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zum Inhalt: Welchen Lauf hätte die Geschichte nehmen können, wenn Lenin nach dem Ersten Weltkrieg nicht nach Russland zurückgekehrt wäre? In seinem neuen Roman erfindet der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht einen alternativen Verlauf der Weltgeschichte.


    Der Autor ist 42 Jahre alt und Schriftsteller aus der Schweiz.


    Spätestens auf S. 46 wollte ich das Buch in die Ecke pfeffern: "Neben ihrer Achselhöhle war eine Steckdose in die Haut eingelassen, wie die Schnauze eines Schweins." Las sich wie eine schlechte Episode von Torchwood.


    Ab S. 54, mit Beginn des vierten Kapitels wurde es dann etwas besser (mit den ersten drei Kapiteln wird man ohne Plan in die Handlung geschmissen), man hat etwas über den Ich-Erzähler erfahren, über die Hintergründe der SSR (Schweizer Sowjetrepublik), über die Verbindung der Schweiz mit Afrika, so dass ich das Buch dann zumindest zu Ende gelesen habe. Es waren ja gottseidank nur 149 Seiten.


    Ich hatte mir ehrlich gesagt etwas anderes unter diesem Buch vorgestellt, vielleicht eine Mischung aus Stephen Frys Geschichte machen und Jasper Ffordes Thursday Next Reihe. Vielleicht etwas unterhaltsames, oder zumindest etwas Bewegendes. Dieses Buch war nichts davon und warum die FAZ schreibt "Endlich: Der große Schweiz-Roman!" ist mir ein Rätsel.


    Mir kam es teilweise vor, als seien wir noch in der Recherchephase des Autors und der Verlag hätte aus Versehen alle seine Post-its mit seinen Notizen zu früh zu einem Buch zusammengetackert.


    Es gibt einige tolle Ideen, die Welt ganz anders zu betrachten, sich ganz anders entwickeln zu lassen nach dem 1. Weltkrieg (z.B. gibt es keine Bücher mehr, nur noch gesprochene Sprache), die aber leider überhaupt nicht entwickelt wurden. So richtig funktionierte für mich auch nicht die Vermischung von allemöglichem, Historie mit Fantasy-Elementen (ich sag' nur Zwerge), es gibt Sci-Fi-Elemente (s. o.g. Frau mit der Steckdose), es hat was apokalyptisches, wenn der Held durch die eiskalte, verschneite Schweiz reitet, es hat was gesellschaftskritisches, wenn man das Leben in der Felsburg Reduit betrachtet (und auch irgendwas von Herr der Ringe und der Schlacht in Helm's Deep), aber es ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Keine Idee wird vollständig entwickelt. Und erklärt. Alleine für die unerklärten Wörter hätte es noch gut und gerne fünf Seiten Anhang gebraucht, ob es Schweizerdeutsch ist oder Erfindungen des Autors… ich hatte dann keine Lust mehr, dass zu recherchieren.


    Wikipedia klärt mich über den Titel des Buches auf, eine Zeile aus dem Lied Danny-Boy: 'Tis I'll be here in sunshine or in shadow.


    Fazit: Ich war enttäuscht, hatte mir sehr viel mehr erwartet, auf der Schulnotenskala eine 4,5 für teilweise sehr schöne klare Sprache, die nur leider keine Geschichte erzählt.


    .

  • Zitat

    Original von vorleser
    Es gibt schon eine Rezi zu diesem Buch von Eskalina, siehe hier


    Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten - Christian Kracht :wave


    Mist, wie ist das denn passiert, ich hab doch gesucht? Danke aber für den Hinweis...


    Oh Gott, wie peinlich, der andere Rezi-Thread steht ja sogar noch auf der gleichen Seite...da war ich aber mit großer Blindheit geschlagen. Ich hab's schon zum Verschieben gemeldet :bonk

  • :wave Irgendwie freut mich deine Rezi uert. Ich hatte schon befürchtet, das allein mir der intellektuelle Zugang zu diesem Buch fehlt - wenn die FAZ schreibt, das sei der große Schweiz-Roman, da denkt an doch, dass man zu einfach strukturiert ist, wenn man den Sinn dieser Geschichte nicht versteht...

  • Zitat

    Original von Eskalina
    :wave Irgendwie freut mich deine Rezi uert. Ich hatte schon befürchtet, das allein mir der intellektuelle Zugang zu diesem Buch fehlt - wenn die FAZ schreibt, das sei der große Schweiz-Roman, da denkt an doch, dass man zu einfach strukturiert ist, wenn man den Sinn dieser Geschichte nicht versteht...


    Ich hab auch erst gedacht, ich bin zu blöd und kapier was nicht oder hab was überlesen (z.B. als der Held diesen Dr. B (bin zu faul den Namen noch mal nachzuschauen) dann doch nicht verhaftet, sondern in der Reduit bleibt...wieso? Aber ich bin dann letztendlich doch zu dem Schluss gekommen, dass es am Buch und nicht an mir liegt :grin Hoffen wir mal, dass es keine gegenteiligen Meinungen gibt :lache

  • Ich wollte das Buch eigentlich auch unbedingt lesen, weil es sogar auf der Buchmesse in einer Diskussionsrunde so hoch gelobt wurde. Aber wenn ich die Rezensionen lese, hört sich es doch nicht so toll an. War wohl nur Werbung-Mache. :(

    "Von den vielen Welten, die der Mensch nicht von der Natur geschenkt bekam, sondern sich aus dem eigenen Geist erschaffen hat, ist die Welt der Bücher die größte." (Hermann Hesse)

  • Die Buchvorstellung und das Interview von Denis Scheck mit Christian Kracht habe ich bei Druckfrisch gesehen. Die Inhaltsangabe von "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" klingt eigentlich interessant, aber nach dem persönlichen Eindruck von Herrn Kracht war ich auch schon nicht ganz überzeugt, dass ich das Buch unbedingt lesen wollte. Er wirkte fahrig, und was hier von Euch über Inhalt und Stil geschrieben wurde, passt irgendwie dazu.


    Ich fand aber das Intro für das Interview mal wieder klasse gemacht. "Here's to you" geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Das Stück wurde von Ennio Morricone für den Film "Sacco und Vanzetti" komponiert (1971) und von Joan Baez gesungen. Nachdem ich gegoogelt habe, weiß ich auch, wer "Nicola and Bart" sind, Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti. Ist das jetzt unnützes Wissen gewonnen oder Allgemeinbildung erweitert :pille, und ich überlege, ob ich mir den ganzen Soundtrack des Films auf CD noch kaufe, nachdem ich erstmal nur "Here's to you" von iTunes habe. Bei Druckfrisch finde ich die Musikauswahl oft interessant, die Sendung braucht man ja nicht mit so eingeschränktem Blinkwinkel nur wegen der Bücher zu sehen. :grin Ohne dieses Buch hätte ich die Musik nicht gekauft.

  • Danke für Eure Rezis, Eskalina und uert! :wave


    Nach dem Interview mit Chr. Kracht im "Zeit magazin" neulich hatte ich das Buch schon auf meine mentale Wunschliste gesetzt - von dort ist es jetzt soeben wieder runtergefallen. Brauch' ich definitiv nicht haben. :-]


    (mich würd' allerdings interessieren, was unsere Schwyzzer Nachbarn davon halten... )


    Zitat

    Original von Uta
    ich überlege, ob ich mir den ganzen Soundtrack des Films auf CD noch kaufe


    Danke für den Tipp! :-)
    Ich höre gerade bei amazon rein - wäre vielleicht tatsächlich auch für mich eine Überlegung wert... :gruebel
    Obwohl er teilweise ja schon ... hm... schräg ist... :grin