Paul und Paula. Zwei sind einer zuviel - Ulf Stark (ab ca. 11 J.)

  • OT: Dårfinkar & Dönickar 1986



    Paula, der Ich-Erzählerin, reicht es. Nicht nur ist ihr zwölfter Geburtstag ausgerechnet der Umzugstag, nein, ihre Mutter hat den Geburtstag auch wieder einmal vergessen. Außerdem erwartet sie Gunnar im neuen Haus, der neue Freund der Mutter. Paula kann ihn nicht ausstehen. Am Ende des Tags kam es dann ganz dicke. Im Trubel wurde Hund Kilroj vergessen. Die Suche am nächsten Tag führte zu nichts, das heißt, zu etwas schon, es gab einen Aufstand im Stadtpark, ausgelöst von Paulas Mutter, die einen falschen Hund für Kilroj hielt. So etwas passiert immer, wenn Paulas Mutter unterwegs ist, sie ist in Art und Auftreten ein wenig exzentrisch. Paula versucht, es gelassen zu nehmen, aber manchmal ...
    Und dann steht auch noch Großvater vor der Tür. Er ist aus dem Altersheim ausgerückt, im Nachthemd und in den geklauten, nun ja, geliehenen Stiefeln der Oberschwester. Er ist gekommen, um vom Leben Abschied zu nehmen, sein Tod steht bevor.
    Paula (und mit ihr die LeserInnen) haben das alles noch nicht einmal halb verdaut, als das Schicksal erneut zuschlägt. Die Lehrerin in der neuen Schule hält Paula - drahtig, in Hosen und mit kurzen Locken - für einen Jungen. Aus einem unerklärlichen Grund ist das -a am Ende von Paulas Namen verloren gegangen. Ehe Paula sich noch recht entschieden hat, was sie nun tun soll, macht der neue Banknachbar eine dumme Bemerkung. Dem wird sie es aber zeigen, viel mehr, dem wird Paul es zeigen!!
    Paul zeigt es bald nicht nur Isak, sondern der ganzen Klasse. Meistens unfreiwillig. Was immer er bzw. sie, Paula nämlich, unternimmt, sei es, um die Sache zu klären, sei es, weil das Lügengewebe immer dichter gesponnen werden muß, es endet unweigerlich im Chaos. Daß sich eine Mitschülerin heftig in ‚Paul’ verliebt, ist noch das Geringste dabei.
    Die Menschen sind eben entweder Spinner oder trübe Tassen, versucht Großvater Paula die Welt zu erklären. Ein trübe Tasse ist Paula sicher nicht. Aber das Dauerchaos ist auch nicht auszuhalten. Gut, daß es die Ruhepausen mit Großvater gibt, wenn sein Abschiednehmen auch nicht eben emotional beruhigend wirkt.
    Am Ende löst sich alles, nicht unbedingt positiv, denn der Großvater stirbt, so wie er es gesagt hat. Aber für Paula geht das Leben endlich einen geregelten Gang. Jedenfalls so geregelt, wie Spinner es eben schaffen.


    Bücher von Ulf Stark lassen mich immer mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Er schreibt seit Mitte der 1980er Jahre für Kinder und Jugendliche, ist in Schweden sehr beliebt. Er hat viele Preise gewonnen, seine Bücher wurden verfilmt, darunter auch Dårfinkar & Dönickar, die Spinner und die trüben Tassen.
    Beginnen wir mit dem Positiven. Die Szenen des wilden Chaos sprechen Kinder im Alter von 10, 11 Jahren bestimmt an. Sie sind verrückt, ausufernd, laut, grell, schrill, mit Hingabe erzählt. Detail folgt auf Detail, er wird nichts ausgelassen. Die Personen sind überzeichnet, überlebensgroß. Da herrscht reine Lust am Chaos und an großen Gesten. Auftritt der dick geschminkten Clowns, sozusagen. Es geht oft über die Grenzen, vieles wirkt anarchisch. Hier wird die völlige Auflösung des Gewohnten mit Inbrunst gefeiert, welches Kind träumte nicht davon.
    Breiten Raum nimmt auch das selbständige Agieren der Kinder ein, wenn sie mal loslegen, stehen sie auf der Bühne, in der Hauptrolle. Da gibt es keine Gängelei mehr, sie sind unabhängige Heldinnen und Helden in ihrer Welt.
    Die Geschichten haben in der Regel auch einen zweiten, ernsthaften Erzählstrang, der mit der gleichen Hingabe präsentiert wird, in dem Fall aber mit wunderschönen Schilderungen der Natur, mit Bildern, die auch ganz feine Gefühlsregungen deutlich werden lassen. Das ist hier die Geschichte um den Großvater, seinen Abschied vom Leben und sein Tod.


    Damit beginnen die Probleme. Man wird beim Lesen zwischen den beiden Polen hin - und hergeworfen, als gäbe es nur Extreme. Für etwas ältere Kinder wird dabei rasch deutlich, wie unrealistisch die ganze Geschichte ist. Nichts davon ist im Alltag verankert.
    Geht man bei Paulas Geschichte nun von einem sehr jungen Lesealter, also 10, 11 aus, wecken einige Szenen doch Bedenken. z.B. die, in der sich eine Zwölfjährige sehr sachkundig an ‚Paul’ heranmacht. Der anschließende Zungenkuß endet zwar im Desaster (und in einem running gag), aber ganz glücklich war ich nicht damit. Ähnlich zwei Szenen unter Zwölfjährigen, die gezielt Assoziationen an Sex-Szenen wecken. Daß am Ende der stets gereizte Nachbar friedlich gestimmt wird, weil er bei der Party mit Paulas Mutter tanzend ‚seinen Kopf auf ihrem Ausschnitt ruhen (ließ), bis er lächelte wie ein getröstetes Kind’ (S. 178), ließ mich meinen Kopf schütteln. Immerhin erzählt uns das Paula!
    Schön und äußerst poetisch abgehandelt wird die Beziehung zwischen Paula und ihrem Großvater und seinem Abschied von der Welt. Tatsächlich ist es zu schön. Er ist ein Bilderbuchgroßvater, allwissend, immer für Paula da, einsichtig, voll Gefühl und Verständnis. Ein Mensch ist er nicht, wohl deswegen wird er am Ende Gottvater gleichgesetzt. Ähnlich überhöht ist die Sterbeszene beim Gartenfest.
    Für jüngere Kinder mag ein solcher Abgang tröstlich sein, bei mir weckte es den Verdacht, daß hier ‚schönes Sterben’ zelebriert wird. Der Tod ist nicht Beunruhigung, sondern seliger Endpunkt des irdischen Daseins. Der Zuckerguß war hier deutlich zu dick.


    Zur Übersetzung: Was ich nicht verstanden habe, ist, warum der deutsche Verlag die Hauptfigur umgetauft hat. Im Original heißt sie Simone. Umbenannt wurde auch Mutters Freund, aus Yngve wurde Gunnar. Das ist eine Art von Gängelei, die ich weder verstehe noch begrüße.


    Fazit? Ulf Starks Bücher lassen mich immer mit sehr gemischten Gefühlen zurück.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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