Hat Deutschland ein Demokratie-Problem?

  • Zitat

    Original von Vulkan


    Licht, wenn Du mich schon zitierst, dann reiße das Zitat nicht aus dem Zusammenhang. Du hast mehrfach das Jahr 1989 als besondere Zäsur erwähnt und dass die Menschen auf ihre Leistungen danach zu Recht stolz sein dürften. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass diese Menschen auch vor 1989 häufig genug die gleiche Arbeit getan haben (abgesehen von denen, die nach 1989 durch Arbeitskräfte aus den alten Bundesländern ersetzt wurden). Und ICH sitze nicht dem Irrtum auf, dass der Erfolg einer Person den Misserfolg einer anderen Person nach sich zieht - das habe ich nie behauptet, also hör bitte mit solchen Unterstellungen auf.


    Ich habe einfach mal fett markiert was du geschrieben hast, Vulkan. Gerade Lehrer fanden in den neuen politischen Verhältnissen völlig veränderte Arbeitsbedingungen vor. Ein Lehrer in der DDR arbeitete unter ganz anderen Voraussetzungen als ein Lehrer in der BRD. Die Lehrer mussten eine totale Vollumstellung bewerkstelligen. Zudem gab es in der DDR keinen Dienstherrn für Lehrer. Dienstherr ist ein Begriff aus dem Beamtenrecht - und dieses Recht hatte in der DDR keinerlei Gültigkeit. Die Lehrer in der DDR hatte eine in der sozialistischen Gesellschaftsordnung fussende Funktion, Heranbildung neuer Kader und Zuführung neuen sozialistischen Menschenmaterials. Die Aufgabe der Lehrer in der BRD definiert sich aus dem grundgesetzlich geregelten Erziehungsauftrag. Erziehung im Sinne unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


    Und auch ein Arzt in der DDR traf unter den neuen Verhältnissen auf ganz andere Arbeitsbedingungen. War er in der DDR sozialisiert, so musste er seinem Beruf in der neuen Ordnung als selbstständiger Unternehmer nachgehen. Wenn das keine gewaltige Umstellung ist, was wäre es dann?


    Du vergleichst hier Dinge, Vulkan, die in dieser simplen Form einfach nicht verglichen werden können, es sei denn, man argumentiert bewusst unseriös.


    Die Verhältnisse in der DDR waren völlig conträr den Verhältnissen in der damaligen Bundesrepublik. Und sich in diese neuen Verhältnisse einzufinden, sie nun zu leben, ist eine Leistung auf die man zurecht stolz sein darf.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • erstens: Voltaire :write


    zweitens Vulkan , ich fürchte, ich hab mich nicht deutlich machen können: es geht mir um BEISPIELE, die deutlich machen sollen, worauf Menschen stolz sein können. Vielleicht schlägst Du im Lexikon mal nach: unter B wie Beispiel - es bedeutet, dass das was angeführt wird lediglich ausschnitthaften Charakter trägt und bisweilen beliebig vermehrt werden kann. Und darum schrieb ich bereits weiter oben, verlängere die Liste, so lang Du magst.


    Und laß den Leuten ihren Stolz, statt ihn als ethisch verwerflich zu beschreiben (soll ich Dir wirklich das Zitat dazu raussuchen??)

  • Ich versuche es nochmal ganz neu...


    Es gibt (gegenwärtig = 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der SED Diktatur) hier in dieser Gegend (am südwestlichen Rand dessen, was einst Herrschaftsbereich der SED Diktatoren war) Menschen, die heute (gegenwärtig = 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der SED Diktatur) stolz sind auf das, was sie geschaffen haben und die darauf auch solz sein wollen. Wir wollen eine von ihnen Erna nennen.


    Es gibt daneben die Menschen, die sich als die ganz besonders aufrechten Demokraten aufspielen, und die sagen Stolz ist ethisch höchst bedenklich, und schaut mal, wie arm andere sind und was die leisten, da haben wir hier doch gar keinen Grund, stolz zu sein... und außerdem haben wir das ja auch alles noch vielen anderen Faktoren außer eurer kleinen Leistung (aber denkt dran, die haben auch früher gearbeitet (wer wollte das bestreiten) und die armen Leute im Land (setze ein beliebiges Land der südlichen Hemisphäre ein).... Wir wollen diesen Herrn Hübner-Grebenich nennen.


    Und dann kommen Leute, die sagen: Ihr seid zu recht stolz, weil wir Deutsche sind und weil hier unsere Heimat ist und hier haben wir Deutschen großes geschaffen und das wollen wir uns nicht duch dahergelaufene wegnehmen lassen.... Ihr dürft stolz sein und wir sind es auch ... Und wir wollen diesen Adolf nennen.


    Wem wird Erna wohl lieber zuhören?? Von wem fühlt sie sich ernst genommen und in ihrer Situation wahrgenommen?? Ich möchte nicht, dass es Adolf ist!!


    Darum plädiere ich dafür, den Stolz zuzulassen, darüber zu reden, worauf wir zu Recht stolz sein können und wessen wir uns schämen sollten...

  • Zitat

    Original von licht
    Vielleicht schlägst Du im Lexikon mal nach: unter B wie Beispiel
    Und laß den Leuten ihren Stolz, statt ihn als ethisch verwerflich zu beschreiben (soll ich Dir wirklich das Zitat dazu raussuchen??)


    Ja, tu das bitte. Und guck vorher selbst noch mal im Lexikon nach und versuche, Dir über den Unterschied, zwischen bedenklich und verwerflich klar zu werden. Ersteres habe ich geschrieben, nicht letzteres.
    Edit: Das ist nicht mein bevorzugtes Gesprächsklima, aber anscheinend bestehst Du auf dieser Form von Kommunikation.


    Voltaire, Du hast Recht, dass ich mit Begrifflichkeiten (Dienstherr) unsauber umgegangen bin, entschuldige bitte.
    Ich gebe auch zu, dass ich größten Respekt vor Menschen habe, die nach 1989 ihre Arbeit unter teilweise völlig anderen Bedingungen geleistet haben. Aber ich persönlich kenne keinen Arzt, der stolz auf seine "unternehmerischen" Qualitäten ist. (Ich lasse die Diskussion, ob Ärzte wirklich als Unternehmer zu bezeichnen sind mal aus, diese Bezeichnung halte ich bei Ärzten für fraglich, aber lassen wir das.) Ich kenne Ärzte, die stolz sind, wenn sie eine seltene Diagnose gestellt haben oder eine neue Therapie anwenden können, die stolz von neuen Forschungsansätzen sprechen oder darüber, wie lange sie bereits einen Patienten mit einer einigermaßen guten Lebensqualität halten können oder die sich freuen, dass jemand, den sie vor Jahrzehnten geheilt haben sich immer noch mal bei ihnen für Kontrollen vorstellt. Aber ganz sicher nicht darüber, dass sie sich so toll in das Abrechnungssystem eingearbeitet haben.


    Übrigens: Ich war im frühen Teenageralter, als ein Familienmitglied sich entschied, eine Praxis zu eröffnen. Ich habe damals entsetzt reagiert, weil ich intuitiv (mehr war es nicht) spürte, dass an dieser Entscheidung massive Konsequenzen und auch Unsicherheiten hingen. Es ist also nicht so, dass ich nicht aus nächster Nähe weiß, was der Unterschied zwischen einem DDR-Krankenhaus und einer bundesrepublikanischen Arztpraxis ist. Aber auf die Idee, dass ein Arzt auf diese neuen verwaltungs- und finanztechnischen Anforderungen stolz sein sollte, ist in meiner Umgebung mit vielen Ärzten, die diesen Lebenslauf haben, noch niemand gekommen. Mag sein, dass ich aufgrund dieser Tatsache einen etwas versperrten Blick dafür habe, bzw. die Vorstellung, dass man als Ausübender seines Berufes - wenn schon - dann auf die Qualität seiner Arbeit und nicht auf periphere Nichtigkeiten und Schwierigkeiten, die es immer in irgendeiner Form gibt, stolz sein sollte.

  • Du treibst es sehr spitzfindig- dafür wäre ja nun Voltaire oder ich zuständig- aber niemand hat gesagt, ein Arzt wäre stolz darauf das neue Abrechnungssystem gelernt zu haben, sondern ein Mensch, sei es Bäcker oder Arzt oder Pysiotherapeut oder Strassenbahner entwickelt Stolz darauf, dass er die Umstellung der Wende bewältigt hat, ohne Wendehals zu werden.


    Genau das ist nämlich das andere Problem, dass heute in Deutschland systematisch die DDR- Vergangenheit geklaut wird- negiert wird- und damit die Menschen, die Stolz auf ihre Lebensleistung vor 1989 sind frustriert werden. Oder bildet Ihr euch ein irgendeine Schule in Deutschland unterrichtet die Namen der Staatspräsidenten der DDR? Hier wird in der Berufsschule als Fehler angekreidet, wenn ein 19 jähriger Lehrling nicht alle Bundeskanzler seit 1948 aufsagen kann. Wer denn da dieser Erich Honnecker war, von dem Oma immer erzählt er sei viel schlimmer als der Kohl gewesen, woher soll der arme Schüler das wissen...und wenn solche ihres Stolzes beraubten Menschen dann solchen begegnen, die ihnen sagen bei uns, ja hier könnt ihr stolz sein, dann sind wir genau da, wo wir nicht hinwollen- beim Rattenfänger.

  • So gemein, die Berufsschüler hereinzulegen, indem wir den Bundeskanzler des Jahres 1948 wissen wollen, obwohl es erst seit 1949 Bundeskanzler gab, sind wir denn doch nicht.


    churchill, Berufsschullehrer :grin

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • @ vulkan... und Dein Beitrag zur Sache?? Ich habe mich versucht mehrfach deutlich zu machen... Mein Thema ist NICHT Keile zwischen Biographien vor und nach 1989 zu treiben. Mein Thema ist nicht das Abrechnungssysthem der Ärzte heute (ich vermute heutzutage ist kein Arzt stolz, wenn er sie Quartalsabrechnung hinter sich hat, weil er dann nur einfach geschafft ist (nur: in der Poliklinik hat er am Monatsende sein Gehalt kassiert und sich einen feuchten Kehricht darum gekümmert, wo das herkommt)). Wenn, dann gehts aber auch wirklich um den Stolz, kein Wendehals geworden zu sein, wie es Beo auf den Punkt gebracht hat, aber selbst das ist mein Thema eher am Rande.



    Mein Thema sind die Leute, die hier (in Thüringen) und heute (20 Jahre nach dem Sturz eines Regimes, das bis heute die Gemüter bewegt) leben und meinen, mit Stolz auch auf ihre Lebensleistungen vor und nach diesem besagten Umsturz blicken zu wollen und zu dürfen. Mein Thema ist, dass diesen Stolz hier kein anderer anspricht als die Nazis. Mein Thema ist, dass ich dafür plädiere die Gespräche über den Stolz der Leute nicht den Nazis zu überlassen und dazu gehört es, den Stolz zuzulassen, statt ihn als "im höchsten Maße für merkwürdig und ethisch für hoch bedenklich" zu titulieren und sich dagegen zu verwehren ihn "einzugemeinden". Aber gerade das muss passieren: wir müssen als Demokraten mit den Leuten über Stolz reden, und darüber, worauf wir Stolz sein können und (churchill hat völlig recht) wofür wir uns zu schämen haben.

  • Zitat

    Original von licht
    @ vulkan... und Dein Beitrag zur Sache?? Ich habe mich versucht mehrfach deutlich zu machen... Mein Thema ist NICHT Keile zwischen Biographien vor und nach 1989 zu treiben. Mein Thema ist nicht das Abrechnungssysthem der Ärzte heute (ich vermute heutzutage ist kein Arzt stolz, wenn er sie Quartalsabrechnung hinter sich hat, weil er dann nur einfach geschafft ist (nur: in der Poliklinik hat er am Monatsende sein Gehalt kassiert und sich einen feuchten Kehricht darum gekümmert, wo das herkommt)). [...]
    Mein Thema sind die Leute, die hier (in Thüringen) und heute (20 Jahre nach dem Sturz eines Regimes, das bis heute die Gemüter bewegt) leben und meinen, mit Stolz auch auf ihre Lebensleistungen vor und nach diesem besagten Umsturz blicken zu wollen und zu dürfen. Mein Thema ist, dass diesen Stolz hier kein anderer anspricht als die Nazis. Mein Thema ist, dass ich dafür plädiere die Gespräche über den Stolz der Leute nicht den Nazis zu überlassen und dazu gehört es, den Stolz zuzulassen, statt ihn als "im höchsten Maße für merkwürdig und ethisch für hoch bedenklich" zu titulieren und sich dagegen zu verwehren ihn "einzugemeinden". Aber gerade das muss passieren: wir müssen als Demokraten mit den Leuten über Stolz reden, und darüber, worauf wir Stolz sein können und (churchill hat völlig recht) wofür wir uns zu schämen haben.


    Schön, dass wir wieder sachlich werden. Du hast Deinen Standpunkt geäußert, ich meinen. Ich habe keinen Sinn in einer x-ten Wiederholung gesehen.
    Politiker neigen zu Populismus, mal mehr oder weniger, mal mit dem einen oder anderen Schwerpunkt. Wenn Teil dieses Populismus das Aufgreifen eines angeblich weitverbreiteten Gefühls des Stolzes ist, kann ich daran nichts ändern. Ich muss es aber noch lange nicht begrüßen. Ich kann weiterhin weder mit kollektivem Stolz noch mit kollektivem Schämen etwas anfangen, muss ich aber auch nicht. Und v. a. kann ich mir aussuchen, welche Partei mit welchem populistischen Profil ich wähle oder eben nicht wähle. Mehr ist dazu von meiner Seite aus nicht zu sagen.