Morgenstern
Antonia Michaelis, 2004
Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgab:
Loewe, ISBN: 978-3785551875
Nach Charles Dickens und Max Ernst widmet sich Antonia Michaelis nun Christian Morgenstern, wie schon aus dem Titel ersichtlich. Sie setzt ihm mit diesem Kinderbuch ein wundervolles Denkmal, das meine Faszination an dem Dichter geweckt hat (ich habe mir daraufhin sofort seine bekannten "Galgenlieder", derer sich ein paar in diesem Buch finden, ausgeliehen!).
Aber nun zum Inhalt:
Theo und Sophie führen eigentlich mit ihrer Mutter ein recht beschauliches Leben in Oslo und eigentlich wollen sie gar nicht umziehen, als ihre Mutter dieses Haus am Hemmelighet* Fjord erbt. Doch irgendwie, so ist es häufig, müssen sich die Kinder fügen, denn ihre Mutter stürzt sich in das neue Abenteuer.
Was sie am Hemmelighet Fjord erwartet ist schlimmer als erwartet: ein Haus, das dringend repariert werden müsste, worauf sich die Mutter auch umgehend stürzt, eine recht mürrisch-stille Mieterin, ebenso stille Dorfbewohner und Kinder. Als hätte ihnen jemand die Worte gestohlen, sagen sie nur das Nötigste und wirken verdrießlich und unfreundlich.
Das Meer und das Wetter sind auch nicht so schön, und dann sind da schließlich die acht bis neun blutroten Raben, die bedrohlich ihre Kreise ziehen und die Ankunft der Kinder anscheinend weniger gutheißen. Aber warum?
Eine Andeutung macht Flar, der Junge, der plötzlich auftaucht - es könnte mit dem Dichter zu tun haben, der einst in diesem Haus gelebt hätte.
Und schon finden sich die Kinder in einem von Morgenstern und seinen Figuren begleiteten Abenteuer voller Gedichte und umgedrehter Kleidungsstücken wieder, denn das Haus und die Menschen am Hemmelighet Fjord haben schon lange darauf gewartet, das die beiden das große Lalulâ aufsagen.
Dabei sind Theo und Sophie ein ganz normales Geschwisterpaar, das sich so benimmt, wie Geschwisterpaare es eben tun: Der große Bruder will der Vernünftige sein, die kleine Schwester pfeift darauf und geht selbstständig auf Erkundungstour, es gibt Kabbeleien, Streit und Versöhnungen, denn schließlich mag man sich ja doch. Sie sind ganz liebenswerte Protagonisten, in denen man sich wiedererkennen kann und denen man gerne durch das Buch folgt.
Ihre Probleme scheinen auch ganz natürlich, bleiben es teilweise auch. Da sind ihre Mutter, die sich stur auf die Reparaturen stürzt, darüber das Essenkochen vergisst und teilweise fast ein wenig desinteressiert an den Kindern wirkt. Dann der unfreundliche Empfang in der unvertrauten Umgebung und das Gefühl nicht dahinzugehören. Probleme, die durch die phantastischen Elemente, die durch die Figuren Morgensterns hinzukommen, ein wenig verlagert werden, aber dennoch erhalten bleiben neben der phantastischen Haupthandlung.
Denn natürlich ist das Buch phantastisch, ebenso phantastisch wie Morgensterns Gedichte! Aber es ist die Art von Phantastik, die so glaubwürdig wirkt, dass man fast denkt, sie sei real und all dies könnte wirklich passiert sein. Und Morgensterns Gedichte strahlen eine ganz eigene phantastische Atmosphäre aus, ein wenig anders, ein wenig komisch, ein wenig amüsant, manchmal auch bedrückend. Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch Interesse an ihnen wecken könnte
Antonia Michaelis gelingt es entlang dieser Gedichte mit den in ihnen genannten Figuren, seien es von Korf und Palmström oder sei es das Nasobêm, das sein Kindchen sucht, ein ebenso ausdrucksstarkes und facettenreiches Kinderbuch zu schreiben, das die Atmosphäre der Gedichte einfängt, ohne seine Eigenständigkeit zu verlieren.
Ihr ist ein Buch gelungen, bei dem ich es traurig finde, dass es nun für 4,95€ bei amazon billig angeboten wird, es wäre mehr wert.
Fazit
Ich kaufe die Bücher von Antonia Michaelis blind, und ich werde es weiterhin tun. Ich bin wieder einmal begeistert. Dieses ist bisher das Buch, das mir am besten gefallen hat.
10/10 Punkten
bartimaeus
*laut grottenolm könnte hemmelighet Geheimnis bedeuten.