Über den Autor:
Bertolt Brecht (auch Bert Brecht; gebürtig Eugen Berthold Friedrich Brecht; * 10. Februar 1898 in Augsburg; † 14. August 1956 in Berlin) wird als einflussreichster deutscher Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Er ist auch international für seine Werke angesehen und ausgezeichnet worden. Brecht gilt als Begründer des epischen Theaters bzw. „dialektischen Theaters“, obgleich dieser Begriff bereits zuvor von Erwin Piscator ins Leben gerufen worden ist. Brecht soll sich (gegenüber Walter Benjamin) als "Kommunist" bezeichnet haben.
Weitere Informationen:
Bertolt Brecht - Eintrag bei Wikipedia.org
Bertolt Brecht - Kurzbiografie und Erläuterungen zu den Hauptwerken: Dreigroschenoper, Leben des Galilei, Mutter Courage, Herr Puntila und sein Knecht Matti, Der gute Mensch von Sezuan, Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, Der kaukasische Kreidekreis
Bertolt Brecht - Kurzbiografie in der Encyclopaedia Britannica (Engl.)
Bertolt Brecht - Aufsätze von Elfriede Jelinek
Klappentext:
Das Stück "Die Gewehre der Frau Carrar" ist 1937 entstanden; es wurde im selben Jahr in Paris mit Helene Weigel als Frau Carrar aufgeführt. Es gehört zu den unverschlüsselt politischen Theaterarbeiten Brechts und antwortete, wie der Autor im zweiten Band der Malik-Ausgabe (1938) in einer Anmerkung notiert hat, auf frühe Konstellationen und Erfahrungen des Spanischen Bürgerkriegs.
Eigene Meinung:
April 1937, in einem andalusischen Fischerdorf. Faschistische Francotruppen rücken in Spanien weiter voran. Frau Teressa Carrar, Witwe eines im Aufstand getöteten Mannes, Mutter zweier im jugendlichen Alter sich befindender Söhne, Juan und José. Beide wollen gegen die faschistischen Truppen, gegen "Francos Generäle" kämpfen, beide wollen in den Krieg ziehen. Verweigert wird es ihnen durch die Mutter, die die benötigten Waffen, die Gewehre versteckt hat. Dahinter steckt kein politisches Statement, eher der Wunsch nicht noch mehr Familienmitglieder zu verlieren.
ZitatOriginal von: "Die Gewehre der Frau Carrar, Suhrkamp, 1.Auflage 1980, S.11""Warum sollte ich für die Generäle sein? Ich bin dagegen, daß Blut vergoßen wird."
Das Theaterstück ist durchweg dialogisch aufgebaut und zunächst ein pazifistisches Bekenntnis Frau Carrars; Gewalt erzeuge nur Gegengewalt. "Verteidigung des Vaterlandes", "Pflichterfüllung gegenüber der Gesellschaft" und "Treue und Pflichterfüllung", "Obrigkeitshörigkeit" - gegenüber all diesen Begriffen verwehrt sie sich, konnotiert den Krieg als etwas Negatives, Schlechtes. Familienzusammenhalt, Liebe gegenüber den eigenen Kindern und die Verteidigung der Familie - das sind ihre Leitideale, die sie gegenüber jeder Einmischung von Außen verteidigt.
ZitatOriginal von: "Die Gewehre der Frau Carrar, Suhrkamp, 1.Auflage 1980, S.45""Ich will nicht das meine Kinder Soldaten werden. Sie sind kein Schlachtvieh."
Gegenüber allen Vorwürfen anderer Parteien, vertreten durch einzelne Figuren, verteidigt sie sich vehement - ob es nun gegen den eigenen Bruder ist, Vertreter der Arbeiterbevölkerung, eigentlich nur auf der Suche nach den Gewehren des verstorbenen Schwagers, gegenüber, sogar mit Padre Francisco, Vertreter der Kirche, der Kriegswaisen umsorgt, gegenüber Frau Perez, Vertreterin der älteren Generation, hat schon eine Tochter verloren und versucht auf dem Verständnis-Weg für den Kriegseinsatz zu werben. In all diesen Argumentationen bleibt Frau Carrar stehts logisch, stehts moralisch überlegen und hinterlässt den Eindruck einer starken, energischen Persönlichkeit, die zwar für, aber nicht mit ihren Söhnen handelt. Erst, als das Schreckliche passiert, verändert sich ihre Meinung: Juan, auf der offenen See fischen, wird von vorbeifahrenden Franquisten getötet; glatter Lungendurchschuss, wie bei seinem Vater.
Gegen wen und für wen soll Frau Carrar nun noch ihre, für sie offensichtlich ad absurdum gefürten Ideale, aufrecht erhalten? Frau Carrar bleibt ein guter Charakter, Moral und Tugend liegen in ihr, die Liebe und Verteidigung zur und der Familie bleiben ihr oberstes Gebot. Und doch, auch "das Gute" kommt nicht ohne Waffen aus oder ist zumindest nicht davor gefeit von bösen Überraschungen getroffen zu werden. Der Kampf zwischen "Gut" und "Böse" bekommt eine neue Bedeutung, hat doch Frau Carrar in besten Absichten gehandelt, im besten Wissen und mit Gewissen. Man könnte natürlich argumentieren, dass dies ein literarischer Topos ist, gerade gute Figuren, deren Einstellungen und Meinungen sehr fest sind, von bösen Schicksalsschlägen getroffen werden, um ihnen neue Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Brecht selbst bezeichnet das Theaterstück als "aristotelische (Einfühlungs-)Dramatik"; die Sprache bleibt sehr direkt, sher klar. Die Diskussionen bewegen sich immer auf einem verständlichen, nachvollziehbaren Niveau, bleiben nie oberflächlich und gehen doch nie tief genug, dass man die dort dargestellten Vertreter näher kennen lernt. Sie sind und bleiben Vertreter einer gewissen Denkrichtung, einer Ideologie. Einzig und allein Frau Carrar bekommt Konturen, ein Gesicht, einen Charakter, auch wenn sie im Theaterstück selbst nur als "Die Mutter" bezeichnet wird.
Dieses Stück hat mich noch sehr lange begleitet, in mir viele Fragen aufgeworfen, viele Kontroversen ausgelöst. Ich habe ein gewisses idelogisches Problem, wünsche ich doch guten Menschen, dass ihre gute Ansicht belohnt und nicht auch noch bestraft wird. Der Schutzwille der eigenen Familie gegenüber ist für mich nicht negativ konnotiert, er wird es allerdings im Stück selbst. Das Hergeben der eigenen Söhne für höhere Ziele erscheint mir, vielleicht gerade als Frau und zudem in diesen eher "friedlichen" Zeiten, als etwas Unerhörtes, Trauriges, geradezu Unmögliches.
Diese Kontroverse dürfte beabsichtig sein und insofern hat das Stück seinen Sinn und Zweck erfüllt.
Das ist vielleicht nicht das beste Theaterstück von Bertolt Brecht, aber doch ein sehr starkes, aussagekräftiges, zum Nachdenken anregendes.
Brecht honoriert noch einmal die Leistungen des Stückes, aber auch dieser seiner zweiten Ehefrau als Darstellerin der Teresa Carar, aufgeführt zunächst im Pariser Exil:
ZitatAlles anzeigenDie Schauspielerin im Exil
Jetzt schminkt sie sich. In der weißen Zelle
Sitzt sie gebückt auf dem ärmlichen Hocker
Mit leichten Gebärden
Trägt sie vor dem Spiegel die Schminke auf.
Sorgsam entfernt sie von ihrem Gesicht
Jegliche Besonderheit: die leiseste Empfindung
Wird es verändern. Mitunter
Läßt sie die schmächtigen und edlen Schultern
Nach vorn fallen, wie die es tun, die
Hart arbeiten. Sie trägt schon die grobe Bluse
Mit den Flicken am Ärmel. Die Bastschuhe
Stehen noch auf dem Schminktisch. Wenn sie fertig ist
Fragt sie eifrig, ob die Trommel schon gekommen ist
Auf der der Geschützdonner gemacht wird
Und ob das große Netz
Schon hängt. Dann steht sie auf, kleine Gestalt
Große Kämpferin
In die Bastschuhe zu treten und darzustellen
Den Kampf der andalusischen Fischersfrau
Gegen die Generäle.
Bertolt Brecht
entnommen: Link