Literarische Vorbilder?

  • Hallo Eulen!


    Es würde mich interessieren, ob ihr irgendeine Romanfigur als besonders positiv empfindet bzw. ob ihr beim Lesen schon mal gedacht habt: "So wäre ich auch gerne mal".


    Vor vielen Jahren habe ich einen Artikel über Bibliotherapie gelesen und ich erinnere mich, dass die Bibliotherapeutin (ist das der korrekte Ausdruck?) ihrer Patientin das Buch "Vom Winde verweht" ans Herz gelegt hat. Die Patientin, nach einer Scheidung unsicher und ohne Selbstbewusstsein, sollte sich an der souveränen Scarlett O'Hara orientieren und sich da sozusagen einige Verhaltensweisen "abgucken".


    Ich weiß nicht, ob Bibliotherapie tatsächlich so funktioniert, aber ich finde den Ansatz interessant.


    Könnt ihr euch vorstellen, dass das tatsächlich klappt?
    Kann man Menschen durch das Lesen von Romanen "therapieren"? :)


    Gibt es einen Buchhelden oder eine Buchheldin, den/die ihr für besonders überzeugend haltet?
    Könntet ihr euch z.B. vorstellen, euren Kindern ein Buch zu schenken, weil ihr die Hauptfigur als besonders positiv bzw. inspirierend empfindet? (Und hofft, dass sich euer Sprössling da etwas abschaut?)


    Ich war früher glühender Anne-of-Green-Gables-Fan und wollte immer ein bisschen mehr wie Anne Shirley sein - so lebensfroh, so spontan, so kontaktfreudig. Immer wieder treffe ich in Büchern auf selbstbewusste Frauenfiguren, bei denen ich denke: "Da könntest du dir echt mal eine Scheibe abschneiden!" ;) Auch mein Forumname, den ich zwar vor allem gewählt habe, weil ich Tiere und die Natur liebe, erinnert an eine Buchfigur, die ich als "starke Frau" recht überzeugend fand. Vielleicht kennt sie ja jemand! :)


    Eure Gedanken zu diesem Thema würden mich sehr interessieren!

  • Oh Schreck - ich stell grad fest, ich hab lauter männliche Vorbilder aus den Medien. Und besonders politisch korrekt ist kaum einer.


    Ich wäre oft gern so ... äh ... "schlagfertig" wie Repairman Jack (F. Paul Wilson, siehe Leserunden), würde bisweilen gern so ein vorausschauend-intrigantes Aas sein können wie Niccolo aus den historischen Romanen von Dorothy Dunnett. Und als Kind wär ich immer gern so schlau gewesen wie Mr. Spock. Ich hab's aber nur zu dem arroganten Blick mit der hochgezogenen Augenbraue gebracht. Vorm Spiegel geübt.


    Ich kann mich an überhaupt keine weibliche Identifikationsfigur aus der Unterhaltungslitaratur erinnern. Auch nicht aus Film und Fernsehen. Vielleicht gaaanz früher Pippi Langstrumpf.


    Die weiblichen Vorbilder gab's dann eher im realen Leben. Alles sehr eigenständige Frauen, ein bissi unangepasst, die sich von nix und niemandem die Butter vom Brot nehmen ließen.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Ich bin ich und das jeden Tag ein wenig mehr. Das reicht. Warum sollte ich da ein Buchstabenwesen aus einem Buch sein wollen?


    Und wer Scarlett O'Hara (die nervigste Oberzicke der Literatur) quasi als Sub-Therapeutin vorschlägt, vor dem muss man sich ganz hart in Acht nehmen. Da scheint's selbst mal eine Alarmtherapie notwendig zu haben.


    Aber wenn wir dann dieses Spielchen mal mitmachen, dann fällt mir spontan Old Pinelle ein. Mal schauen ob ich da noch die eine oder andere Zeile hinbekomme:


    Vor der Seefahrtsbaracke
    sitzt Old Pinelle
    den Priem in der Backe
    und schaut in die Rund'
    wer von die Herren ist dran,
    ein Butaljsche für kranken, erzchristlichen Steuermann


    (frei nach Joachim Ringelnatz "Der Seemann Kuddeldaddeldu") :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Und wer Scarlett O'Hara (die nervigste Oberzicke der Literatur) quasi als Sub-Therapeutin vorschlägt, vor dem muss man sich ganz hart in Acht nehmen. Da scheint's selbst mal eine Alarmtherapie notwendig zu haben.


    :write :write :write

  • Scarlett als Vorbild? Na ja, sie wusste sich durchzusetzen, aber was hat es ihr denn gebracht? So wirklich liebenswert finde ich sie auch nicht.


    Ich halte von Vorbildern aus Büchern nicht viel; was in Büchern funktioniert, muss in der Realität noch lange nicht klappen.


    Klar gibt es Figuren, die ich sehr mag oder auch bewundere. Morgaine aus Die Nebel von Avalon z. B., sie ist intelligent, stark, eine Zauberin, zieht die Fäden im Hintergrund und nimmt sich, was sie möchte. Aber manches von dem, was sie tut, geht dann doch ziemlich über die Grenze des Legalen hinaus. :grin
    Als Vorbild also ebensowenig zu empfehlen wie Scarlett.

  • Also mich interessiert wirklich wie diese Art von Therapie im Detail aussehen soll bzw. was da der psychologische Ansatz ist. :gruebel
    Klar baut Lesen auf und regt zum Nachdenken an, aber das als Therapie zu verbuchen, na ich weiß nicht...


    Direkt ein literarisches Vorbild habe ich nicht. Figuren, die sehr menschenfreundlich und ausgeglichen wirken, imponieren mir jedoch manchmal und ich denke "Mensch, so hätte ich auch mal in der und der Situation reagieren sollen." oder "Ja, so an die und die Sache ran zu gehen ist clever." Meistens sind das übrigens weise Herren gehobenes Alters. :lache

    :lesend Ich lese gerade: "Carry On" von Rainbow Rowell und "Mansfield Park" von Jane Austen | SuB: 50

  • Ich könnte es mir evtl. als Bestandteil einer Verhaltenstherapie vorstellen, quasi als Anschauungsmaterial: Wie hat der Romanheld in einer vergleichbaren Situation gehandelt? Was hat dem Patienten/Klienten daran gefallen? Was will er daraus übernehmen? Wie kann er das anstellen?


    Keine Ahnung, ob das sinnvoll ist.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Oh ja, Bibliotherapie funktioniert fuer mich sehr gut! Ernsthaft!


    Ich hab schon seit langem festgestellt, dass ich mit all diesen Ratgebern und "Self-Help" Buechern so gar nichts anfangen kann. Romane und deren Figuren koennen mir u.U. dagegen wirklich weiterhelfen. Dabei sind es meist nicht Charaktere mit Vorbildfunktion sondern eher solche, mit denen ich mich selber identifizieren kann und die mir helfen mich selber zu erkennen. Und das sind eher solche, die mit sehr menschlichen Schwaechen beschrieben werden.


    Tolstois Anna Karenina hatte mir besonders gut gefallen, weil fast alle Figuren so beschrieben waren, dass ich einen kleinen Aspekt von mir selber entdecken konnte. Wobei die einzige Figur, die sowas wie Vorbildfunktion haben koennte Lewin ist.


    Bei Kinderbuechern sieht es ein wenig anders aus. Kinder suchen schon nach Vorbildern. Die Eltern stehen da doch ganz vorne an. Ich mag daher Pippi Langstrumpf oder auch Anne of Green Gables. Selbst Enid Blytons 5 Freunde liessen mich denken "So wuerde ich auch gerne sein". Aber koennte man sich auch drueber streiten, ob sowas nicht eher Traeumereien statt "echter" Vorbilder sind.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Vandam
    Ach, Tante Wiki kennt die Bibliotherapie auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Bibliotherapie
    Und so falsch lieg ich wohl gar nicht mit meiner Vermutung.


    Dankeschön, daran hatte ich gar nicht gedacht. ^_^


    Klingt schon einleuchtet, auch wie Beatrix das so nett beschrieben hat. Allerdings fände ich es schwierig als Therapeut bestimmten Menschen bestimmten Büchern "zuzuordnen", indem ich sie ihnen empfehle aus der Masse vorhandener Bücher. Was, wenn ich total daneben greife? :gruebel Na die Profis werdens hoffentlich wissen. ;-)

    :lesend Ich lese gerade: "Carry On" von Rainbow Rowell und "Mansfield Park" von Jane Austen | SuB: 50

  • Ich kann mir vorstellen, dass sowas im Sinne von Modelllernen funktioniert, weiss aber nicht, ob es dazu Untersuchungen gibt.


    Bandura hat zumindest herausgefunden (Bobo-doll study), das Kinder sich aggressives Verhalten nicht nur von lebendigen Vorbildern abschauen, sondern auch von Filmen und ich meine, sogar von Zeichentrickfilmen, in denen ein Verhalten vorgeführt wurde. Warum also nicht auch aus Büchern.


    Ich gucke ziemlich viel Therapeutenverhalten von Irvin D. Yalom ab (bzw. auch von seinen fiktiven Figuren) und Remus Lupin ist auch ein großes Vorbild.

  • Zum Thema Bibliotherapie kann ich nicht viel sagen.


    Literarische Vorbilder gibt es aber.


    Als Kind war das bei mir bei den Abenteurer aus den Jack London Romanen der Fall.


    Heute sind es viele Figuren aus anspruchsvollen zeitgenössischen Romanen von Autoren, die ich immer wieder lese und die oft ein Alter Ego des jeweiligen Autoren sind. Die Autoren und manchmal auch ihre Figuren zeichnen sich dabei i.d.R. durch ihre Zivilcourage aus.
    Sie beobachten ruhig und genau und analysieren die Situation dann scharf. Daraus resultieren ihre Entscheidungen.
    Darüber hinaus teile ich oft die Geisteshaltung, die hinter diesen Figuren steckt.
    Das ist noch ein sehr weiter Weg dahin, aber prinzipiell finde ich das erstrebenswert.

  • Hm, ich finde, Romane könne einem oft helfen, eine andere Sichtweise auf bestimmte Situationen einzunehmen. Das ist dann nicht unbedingt figurengekoppelt, sondern eher situationsbedingt und kontextbezogen.
    Andere, neue Denkansätze werden präsentiert, neue Perspektiven.


    Ich stelle schon manchmal fest, dass ich Situationen anders beurteile bzw. sogar anders wahrnehme, nachdem ich bestimmte Bücher gelesen habe.

    Unser Unglück erreicht erst dann seinen Tiefpunkt, wenn die in greifbare Nähe gerückte praktische Möglichkeit des Glücks erblickt worden ist. (Michel Houellebecq, Elementarteilchen)

  • Da faellt mir noch ein, dass ich nach einer Lesung mit Diana Gabaldon ganz kurz mit ihr sprechen konnte. Damals erzaehlte ich, dass Claire von der Outlander Saga durchaus als mein Vorbild sehe. Weil ich sehr gut mit ihr mitfuehlen kann, denn mein eigenes Leben hat durchaus Parallelen. Nicht dass ich jemals eine Zeitreise gemacht haette oder davon traeumen wuerde. Aber ich kenn zu gut die zwiespaeltigen Gefuehle, die entstehen, wenn man fuer die Liebe seines Lebens alles hinter sich lassen muss. Und die Schwierigkeiten sich in ein ganz neues Leben als "Outlander" einzufuegen. Claire macht das trotz der uebertriebenen Hindernisse und diverser Selbstzweifel recht gut. Ich wuenschte mir auch etwas von ihrer Staerke in der Hinsicht. Und so ist sie paradoxerweise eine recht "realistisches" Vorbild fuer mich geworden.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Beatrix ()

  • Ich habe einige Psychotherapeuten in meinem Bekanntenkreis. Von denen weiß ich, dass gerne "Momo" den Patienten als Lektüre empfohlen wird. Jetzt nicht als Vorbild, eher als andere Sichtweise, anders gedanklich an Situationen herangehen.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Hallo zusammen :wave
    Hm, ein Vorbild habe ich nicht.
    Aber was dem ziemlich nahe kommen würde sind die Hauptcharaktere der Kerstin Gier Romane. Sei es Constance aus "Die Mütter-Mafia" Serie oder Gerri aus "Ein Problem für jede Lösung".
    Villt. sind es nicht meine Vorbilder, aber ich würde gerne mal in diese Rollen schlüpfen. :grin

    Versuche zu kriegen, was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du kriegst
    :lesend"Herren der Unterwelt;Schwarzer Kuss" Gena Showalter