So und nicht anders – Günter Kunert

  • Ausgewählte und neue Gedichte


    Hanser, 2002, 174 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Eine Auswahl aus dem gesamten lyrischen Schaffen des früheren DDR-Autoren.


    Der Zeitpunkt ist gekommen, einen Blick auf das halbe Jahrhundert zu werfen, das Günter Kunert so ironisch und illusionslos begleitet hat. Seit 50 Jahren hat er Gedichtbände veröffentlicht. "So und nicht anders" vereinigt zum ersten Mal das, was für Kunert bleibt von seinem umfangreichen lyrischen Werk.


    Zum Autor:
    Günter Kunert wurde 1929 in Berlin geboren. Johannes R. Becher hat ihn gefördert, von Brecht hat er gelernt; Kleist, Lenau, Heine, Montaigne waren seine Vorbilder. Günter Kunert gehört zu den bedeutendsten und vielseitigsten deutschsprachigen Autoren. Er schreibt essayistische und erzählende Prosa, vor allem Gedichte sowie Hörspiele, Fernsehspiele und Filmdrehbücher.


    1979 verließ Kunert die DDR und lebt heute als freier Schriftsteller in der Nähe von Itzenhoe.


    Günter Kunert erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Mann-Preis (1962), den Johannes-R.-Becher-Preis (1973), den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf (1985), die Ehrendoktorwürde des Allegheny College in Pennsylvenia (1988, USA), den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg (1991), den Ernst-Curtius-Preis für Essayistik (1991), den Hans-Sahl-Preis (1996) und den Georg-Trakl-Preis (1977, Österreich).



    Meine Rezension::


    Diese Gedichtsammlung stellt eine Auswahl Günter Kunerts gesamten lyrischen Schaffens vor.
    20 der Gedichte sind in dieser Gedichtsammlung das erste mal erschienen.
    Die restlichen sind in Blöcken nach Jahren geordnet, die seinen bisherigen Gedichtbänden entnommen sind.


    1950: Wegschilder und Mauerinschriften
    1966: Verkündigung des Wetters
    1965: Der ungebetene Gast.
    1978: Verlangen nach Nomarzo
    1974: In weiteren Fortgang
    1977: Unterwegs nach Utopia
    1980: Abtötungsverfahren
    1970: Warnung vor Spiegeln
    1983: Stilleben
    1987: Berlin beizeit
    1990: Fremd daheim
    1996: Mein Golem
    1999: Nachtvorstellung
    und 2002: Neue Gedichte, die hier zum ersten mal erscheinen.


    Diese Gedichtsammlung stellte auch schon die Grundlage für Günter Kunerts Lesung bei der Poetry on the road 2002, bei der ich ihn live sehen durfte. Die ganze Veranstaltung wirkte damals bewusstseinsverändernd.


    Dieses Buch ist eine schöne Sache, da man sich einerseits auf die bequeme einen guten Überblick über Kunerts lyrisches Werk verschaffen kann und andererseits so richtig aus dem vollen schöpfen darf. Es ist möglich sich Gedichte ohne jede reue zu Gemüte zu führen.
    Auf großartige Interpretationsversuche verzichte ich in dieser Rezension. Das ist mehr etwas für Schüler, die Armen!
    So befreit macht es Spaß, sich in die verschiedenen Jahrzehnte zu begeben. Schließlich umfasst der Band an den frühen fünfziger Jahre bis hin zum Anfang des 21. Jahrhundert.


    Der Beginn in den fünfziger Jahren ist satirisch bestimmt und hat eine gute Frische erhalten.


    Zum Beispiel hat die Weltenschöpfung durch Handwerker in „Traum von Erneuerung“ ihren ganz eigenen Witz.


    „Für mehr als mich“: Die Suche nach dem Mittelweg zwischen Individualismus und Kollektiv.


    Ein weiteres Beispiel:


    Den Fischen das Fliegen
    Beigebracht. Unzufrieden dann
    Sie getreten wegen des
    Fehlenden Gesangs


    Ironischerweise heißt dann eins der folgenden Gedichte „Wie ich ein Fisch wurde“. Auch sehr bissig.


    Günter Kunert ist ein Meister der Einfachheit, in der er eine verblüffende Logik findet.


    Beispielsweise in „Unterschiede“:


    Unterschiede


    Betrübt
    höre ich einen Namen aufrufen
    Nicht den meinigen


    Aufatmend
    höre ich einen Namen aufrufen
    Nicht den meinigen


    In den folgenden Jahrzehnten ändert sich der Ton. Die Gedichte werden wesentlich komplexer, die Stimmung ist mehr von Pessimismus geprägt.
    Spürbar ist dass auch in den Gedichten, in denen es konkret um Lyrik geht:
    „Hommage á Dylan Thomas“, „Dr.Benn, spätes Foto“ oder „Vom Dorotheenstädischen Friedhof“.
    Düster sind auch „Tage“ oder „Überwindung“.


    Viele der ganz berühmten Gedichte sind enthalten: „Unterwegs nach Utopia“, „Abtötungsverfahren“ und viele andere.


    Kunerts Gedichte sind alles andere als anbiedernd.
    Eine Widerspenstigkeit zieht sich durch sein Werk.
    Sie bleiben nüchtern, aber durch Humor gemildert.
    Wie schon Marcel Reich Ranicki sagte: Er bedient sich ausschließlich der Sprache des Alltags, er vermeidet selten gebrauchte Worte.


    Viele Gedichte gefallen mir ausgesprochen gut. Zum hineinlesen empfehle ich:
    „Auf Kreta“, „Goethe – stark verbessert“, „Erinnerung an den armen B.B.“ (gemeint ist Bert Brecht),
    „Herbstmorgen“, „Unterwegs nach Utopia“, „Frist“, „So soll es sein“, „Der Rauch“, „Beim Lumpensammler I“ oder


    „Für Stammbuchhalter“

    „Wir haben Uhren aber keine Zeit.
    Wir haben Leiden. Doch kein leid.
    Und Freiheit ohne Frei zu sein.
    Vor allem haben wir: Den Schein.“


    Zu dieser gelungenen Gedichtsammlung passt dann auch das aus dem Rahmen fallende Nachwort von Hanser-Chef Michael Krüger,