Gedichte – Griechisch und deutsch
Suhrkamp 2001
Aus dem Griechischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Klaus-Peter Wedekind
Kurzbeschreibung:
Ritsos' Gedichtzyklus, eine Art literarisches Testament, das 1986 und 1987 entstand, wurde erst nach dem Tod des Autors veröffentlicht. In den achtundsechzig Gedichten dieses Gedankentagebuchs eines letzten strahlenden Ägäissommers unterzieht Jannis Ritsos (1909-1990) die tragenden Ideen seines literarischen und politischen Lebens einer illusionslosen Prüfung. Sie wird im Zeichen des nahe bevorstehenden Endes vollzogen.
Über den Autor:
Jannis Ritsos, geboren 1909 in Monemvasia/Peloponnes, starb 1990 in Athen. Dichter, Kommunist. Er gilt neben Giorgos Seferis und Odysseas Elytis als größter griechischer Lyriker des 20. Jahrhunderts. Viele seiner Gedichte wurden vertont, u.a. von Mikis Theodorakis.
Meine Rezension:
Die 68 Gedichte stammen alle aus dem Jahr 1987. Der bedeutende griechische Lyriker schrieb sie im Angesicht des nahenden Todes, da er wusste, seine Krebserkrankung ist unheilbar.
Schauplatz aller Gedichte ist Karlovassi, die griechische Hafenstadt auf Samos. Hier verbrachte Jannis Ritsos den Sommer. Dieser Schauplatz prägt die Gedichte. Es ist aber den schönen Bildern, die erzeugt werden, immer ein ungewöhnliches Element hinzugefügt, dass eine Irritierung erzeugt und zum Nachdenken, zu einer anderen Herangehensweise zwingt.
Die Gedichte sind nicht traurig oder melancholisch, aber tief nachdenklich. Ob in Ich- oder in Er-Form erzählt, das lyrische Ich ist immer Ritsos selbst.
Ernsthaft befragt sich Ritsos über die Stationen seines Lebens und zieht ein Resümee, das aber nie offensichtlich wird. Da Biografie des Autoren ist ganz natürlich Teil seiner Lyrik und da auch die griechische politische Geschichte eine Rolle spielt, bleiben so einige Motive dem deutschen Leser wohl verborgen.
Manche Motive sind gut zu erkennen, wie die Vergangenheit mit der Militärregierung, die den Autor für Jahre unter Hausarrest stellte und von der Geheimpolizei bewachen lies. Beispiel sind die Gedichte „Scheitern“ oder „Beispiellos“.
Immer wieder benutzt Ritsos ganz kleine, ungewöhnliche Motive, wie den kleinen Schmetterling auf der gesprungenen Fensterscheibe („Kalkulierter Aufschub“), der Einspänner ohne Kutscher, der über die Uferstraße fährt („Zu jener Zeit“) oder das Gewicht der Schmetterlinge liegt in ihrer Leichtigkeit („Bitteres Wissen“).
Ein Beispiel für den humanen Geist des Dichters gibt das Gedicht „Einsame Kinder“. Hier sind es zwei Schwalben, die in einer verlassenen Kirche nisten. Sie sind Existenzgrund für diese Kirche, die sonst von niemanden mehr betreten wird.
Die Hafenmotive gefallen mir auch sehr. Hier einige Beispiele:
„Und über den Schiffsmasten beobachtet
heimlich ein junger, stammelnder Mond.
Da musst wohl du sprechen statt seiner,
aber die Worte sind fort, in schon
vorgetragenen Gedichten“
(„Leere Stellen“)
Schiffer schaffen einen abgestochenen riesigen Hai weg („Andeutungen“)
Gekühlte Zitronenlimonade trinken und den Schiffen zusehen („Nichts als dies“)
Große, hell erleuchtete Schiffe ziehen vorüber in den Nächten („Untertemperatur“)
Mich beeindrucken die Gedichte, da sie es durchgängig schaffen, immer wieder zu überraschen, starke Bilder erzeugen und eine große Geschlossenheit aufweisen, wie sonst kaum eine moderne Gedichtsammlung. Normalerweise brauchen Gedichtbände bei mir immer sehr lange, bis sie wirken.
Die Umkehrbilder des Schweigens haben aber sofort funktioniert.