Der letzte Freund – Tahar Ben Jelloun

  • Berlinverlag, 2004
    Aus dem Französischen von Christiane Kayser.


    Handlung:
    In Tanger - einer kosmopolitischen Stadt und internationale Zone - begegnen sich in den 50ern zwei Jungen, der eine aus Fes - der fast noch mittelalterlichen Stadt - und der andere - Einheimischer. Eine Freundschaft entsteht, gemeinsame Schulzeit im Algerienkrieg, gemeinsam erfahrene Leiden unter der politischen Repression, im militärischen Erziehungslager, in dem einer dem andern das Leben rettet. Diese Freundschaft übersteht alle Trennungen ihrer Lebenswege - sie dauert drei Jahrzehnte.
    Dieser dichte kleine Roman zeichnet ein Portrait einer wiedersprüchlichen, ebenso archaischen wie modernen Gesellschaft.


    Über den Autor:
    Tahar Ben Jelloun wurde 1944 in Fes, Marokko, geboren, lebt in Paris. Er gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb, wurde 1987 mit dem Prix Goncourt für seinen Roman "Die Nacht der Unschuld" ausgezeichnet.
    Im Berlin-Verlag erschien 2001 der Roman Das Schweigen des Lichts, für den ihm der internationale IMPACT-Literaturpreis zugesprochen wurde, und 2002 „Papa, was ist der Islam? Gespräch mit meinen Kindern“.


    Meine Rezension:
    Intelligent und eindringlich sowie vielschichtig aus drei Perspektiven rückblickend erzählt, überzeugt mich der Roman auch stilistisch sofort. Er ist detailliert und entwirft für die Stadt Tanger in Marokko ein lebensechtes Bild der sechziger Jahre. Obwohl seitenmäßig kurz ist der Roman inhaltlich vollgepackt.


    Im Mittelpunkt steht die langjährige Freundschaft zwischen Ali und Mahmed, die beiden viel bedeutet und schon in der Schulzeit begann, sie auch nach Studium (der eine in Frankreich, der andere in Kanada) und Heirat trennte, doch immer wieder zusammenführte. Dabei bleibt die unterschiedliche Entwicklung der Freunde absolut glaubhaft.
    Tanger der sechziger Jahre ist politisch für linke unangenehm, wer nicht beseitigt wird, musste Repressalien erdulden und so teilen die Freunde auch das gemeinsame Schicksal der Verhaftung, Folter und Militärlager.
    Der Roman steckt voller Politik, Literatur und Kultur, die der Autor durch seine Protagonisten überträgt und somit den Leser zu fesseln vermag.


    Der Roman schöpft seine Intensität auch aus der Erzählmethodik mit jeweils wechselndem Blickwinkel, bei der erst Ali die Geschehnisse insbesondere um Mahmed schildert, dann erzählt Mahmed im zweiten Abschnitt die gleiche Geschichte noch einmal aus seiner Sicht. Im dritten Teil zieht ein gemeinsamer Bekannter ganz neutral ein Fazit über diese große Freundschaft. Den Abschluss dieses Textes bildet ein posthumer Brief des einen Freundes an den anderen.

  • Eine schöne und passende Rezension, mir hat das Buch damals auch sehr gut gefallen! :-) Kennst du schon weitere Bücher von BenJelloun? Ich würde gerne noch mehr von ihm lesen. Ich habe "Verlassen" schon einige Male im Buchladen gesehen, bisher aber noch nicht gekauft. Und dann gibt es ja auch noch "Das Schweigen des Lichts" und "Die Früchte der Wut", die sich beide interessant anhören.

  • Ich hatte zwar schon was von Tahar Ben Jelloun gelesen, z.B. Sohn ihres Vaters, aber nicht so gutes wie Der letzte Freund.
    Die von dir erwähnten sind allerdings vielversprechend.


    Aber vor allem "Yemma: Meine Mutter, mein Kind" steht weit oben auf meiner Liste zu kaufender Bücher.

  • Mir fiel der Titel auf, als er hier als einer der Jahreshighlights vorgestellt wurde. Und ja, auch fuer mich koennte es eines der Top Buecher des Jahres werden.


    Marocco in den 1960er Jahren ist fuer mich als Leser eine sehr fremde Welt. Aber mit einfacher und doch sehr eindringlicher Sprache schafft es der Autor, dass ich mich sehr schnell in der Geschichte, im Land und mit seinen Personen heimisch fuehle. Es ist eine besondere Intensitaet, gleich von Anfang an mit einem Prolog, der mich umhaute. Und die Protagonisten leben ihr Leben intensiv, mit einer ebenso intensiven Freundschaft. Und so ueberlebt diese Freundschaft Trennungen, Liebe und Tod.


    Interessanterweise hat mich das Buch sehr an Ravi Hages Als wenn es keinen Morgen gaebe erinnert. Ebenfalls die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei jungen Maennern in einem Land in Aufruhr. Auch seeeehr empfehlenswert! Und beide Titel gewannen den Impac Award, den hoechstdotierten Literaturpreis (wenn auch nicht soooo bekannt).


    Fazit: Sehr beeindruckend und uneingeschraenkt empfehlenswert!


    PS: Ich hab das Buch uebrigens in englischer Uebersetzung gelesen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Übrigens auch ein mMn sehr guter Autor aus diesem Kulturkreis (okay, Ägypten und Marokko liegen weit auseinander, aber egal): Nagib Machfus. Mir fällt gerade auf, dass ich tatsächlich nur das unten aufgeführte gelesen habe ... :gruebel Das ist doch glatt ein Anstoß, mal die Wunschliste zu erweitern ...


    Liebe Grüße von
    SteffiB

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Mir fiel der Titel auf, als er hier als einer der Jahreshighlights vorgestellt wurde. Und ja, auch fuer mich koennte es eines der Top Buecher des Jahres werden.


    Das freut mich sehr, dass dir das Buch auch so gut gefallen hat und es bestätigt mir, dass der Roman wirklich etwas besonderes ist und den Leser direkt anspricht bzw. berührt! :-]

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Übrigens auch ein mMn sehr guter Autor aus diesem Kulturkreis (okay, Ägypten und Marokko liegen weit auseinander, aber egal): Nagib Machfus.


    Mit diesem Autor rennst du bei mir offene Türen ein.
    Auch ich denke, dass ich Nagib Machfus unbedingt mal wieder lesen muss!

  • Mir hat das Büchlein (157 Seiten) recht gut gefallen, auch wenn es nicht zum Monats- oder gar Jahreshighlight reichen wird.


    Wir schon oben geschrieben, gibt es drei Perspektiven, wobei insbesondere die von den zwei "dicken" Freunden, Ali und Mamed, interessant sind. Interessant ist dabei, wie unterschiedlich die Wahrnehmung von vermeindlich gleichen Ereignissen oder Situationen ist.


    Es heißt ja oft, das Wichtigste sei die "location, location, location" und so ist es hier auch: Jelloun fügt die Freundschaft UND Marokko schön zusammen und auch die Unterschiede zum Leben z.B. in Skandinavien macht er deutlich.


    Ich gebe 8 Punkte.