Gestern im Chat wurde ich gefragt, wer denn mein Nickgeber wäre: Hier bitte:
Christopher Marlowe, gleichaltrig mit Shakespeare (geb.1564), zeigt in seinen Dramen durchwegs Gewaltmenschen als Helden. 1593 wurde er im Alter von 29 Jahren ermordet. Er wurde von einem Freund (in Deptford) erstochen. Beide waren angetrunken. Es ging dabei um eine Gasthausrechnung für ein Abendessen. Marlowe war ähnlich angesehen, wie sein Zeitgenosse und "Schriftsteller-Rivale" W. Shakespeare.
Man sprach von „Gerechtigkeit Gottes“, denn der Dramatiker trat für Homosexualität ein, war für seine ketzerischen religiösen Anschauungen bekannt, gefürchtet wegen seiner unberechenbaren Wutausbrüche, einmal sogar wegen einer Mordanklage in Haft. Auch soll er als Spion für die Regierung ihrer Majestät tätig gewesen sein.
Und hier noch ausführlicher, wen es interessiert:
MARLOWE, Christopher (1564-1593), englischer Dramatiker und Dichter ist neben Shakespeare der bedeutendste Autor des elisabethanischen Zeitalters. Er wurde zwei Monate vor Shakespeare in Canterbury als Sohn eines Schuhmachers geboren, und besuchte 1580-1586 das Corpus Christi College in Cambridge, wo er 1587 den Grad eines Magister Artium erhielt. Davor hielt sich M. für kurze Zeit wohl in geheimem Regierungsauftrag im politischen Umkreise des Kampfes mit Spanien in Frankreich auf, was seine Universität ungern sah, da er nur auf Fürsprache des königlichen geheimen Rates seinen Magistergrad erhielt. nach 1587 lebte er in London, wo er im Kreise freisinniger Schriftsteller und Intellektueller, der sogenannten »University wits«, verkehrte. Zwischen 1586 und seinem Tode verfaßte M. alle seine sehr erfolgreichen Stücke, er hatte jedoch wegen seiner scharfen Zunge, seiner Streitlust und seinen oft freimütig geäußerten unorthodoxen Ansichten über religiöse Fragen viele Feinde. Schon 1591 wurde M. in Zusammenhang mit einem Duell, in dem sein Freund Thomas Watson seinen Gegner William Bradley getötet hatte, verhaftet und wieder freigelassen, und 1593 des Landesverrates und des Atheismus bezichtigt. Im selben Jahr wurde er in einem Wirtshaus in Deptford bei London unter ungeklärten Umständen (vermutlich spielten seine Verbindungen zum königlichen Geheimdienst eine Rolle) erdolcht. - Von M. sind außer dem Theaterwerk zwei lyrische Texte zu erwähnen, das bekannte, oft (u.a. auch von Shakespeare) zitierte und später gern parodierte Gedicht »The Passionate Shepherd to His Love« (der verliebte Schäfer an seine Geliebte) (»Come live with me and be my love/and we will all the pleasures prove« - Komm leb' mit mir und sei meine Liebste/ und an allen Freuden werden wir kosten), sowie das (vermutlich unvollendete) Versepos» Hero and Leander«, das auf der Vorlage des alexandrinischen Dichters und Grammatikers Musaios (5. Jhd. n. Chr.) beruht. Seine von antiken Anspielungen gespickte Sprache ist prunkvoll und bilderreich (»About her neck hung chains of pebble-stone/ Which, lightened by her neck, like diamonds shone./ She ware no gloves, for neither sun nor wind/ would burn or parch her hands, but to her mind/ Or warm or cool them, for they tool delight/ To play upon those hands, they were so white...« - Um ihren Hals hingen Ketten von Kieselstein/ die, beleuchtet von ihrem Hals, wie Diamanten erstrahlten./ Sie trug keine Handschuhe, denn weder Sonne noch Wind/ Wollten ihre Hände verbrennen oder austrocknen, sondern, ganz wie es ihr beliebte/ Wärmten oder kühlten sie sie, denn es gefiel ihnen/ Auf diesen Händen zu spielen, so weiß waren sie...). Durch den Schwung seiner Verse und durch die von Leidenschaft, subtiler Erotik und tragischer Grundstimmung beherrschte Atmospäre gehört »Hero and Leander« zu den schönsten Blüten englischer Renaissancedichtung. - M. hinterließ nur sechs Dramen: »Dido, Queen of Carthage« (Dido, Königin von Karthago, 1586), »Tamburlaine the Great« (Tamerlan der Große, 1586/87, in zwei Teilen), »The Tragical History of Doctor Faustus« (Die tragische Geschichte des Doktor Faustus, 1588 oder 1592), »The Jew of Malta« (Der Jude von Malta, um 1589), »The Massacre at Paris« (Das Massaker von Paris, um 1592) und »Edward II.« (König Eduard II., 1593, in zwei Teilen). Gemeinsam ist ihnen neben der hohen sprachlichen Virtuosität der von Prosa unterbrochenen Blankverse und der an Überraschungen und kunstvollen Effekten reichen Komposition der Aufbau um eine zentrale Heldenfigur, in der sich positive und negative Züge mischen oder durch eine subtile Sympathielenkung aufeinander folgen. M.s Helden sind kraftvolle, von Leidenschaften getragene und geschüttelte Renaissanceindividuen, die ihre »virtù« im Machiavellischen Sinne ausschöpfen, um Ziele, die letztlich unerreichbar sind, zu verfolgen, ihr Hauptlaster ist die Hybris. Die unerfüllbare Liebe Didos, das Herrschaftsstreben Tamburlaines, der unstillbare Wissens- und Erkenntnisdurst des Doktor Faustus, die durch die Zwangskonversion seiner über alles geliebten Tochter geweckte Rachgier des Juden Barnabas, der Machtdurst des Herzogs von Guise in dem das Hugenottenmassaker der »Bartholomäusnacht« 1572 behandelnden Stück »The Massacre at Paris«, oder die homoerotische Liebe des Königs Edward zu dem Emporkömmling Gaveston sind die Leitmotive, die das Handeln der Helden bestimmen und sie anspornen, die Grenzen ihrer Möglichkeiten auszuloten. Hierbei kollidieren sie früher oder später mit den Gesetzen und Konventionen des Staates oder der Gesellschaft, zerschellen an der Macht der »Fortuna«, des blinden Glückes, oder stoßen an die Grenzen der »conditio humana«, der Grundbedingtheiten menschlichen Daseins. Sie weigern sich, die Gültigkeit dieser Grenzen anzuerkennen, spannen alle ihre Kräfte an, stellen sich, quasi jenseits von Gut und Böse, außerhalb aller Normen und kämpfen einen aussichtslosen Kampf, in dem sie im Scheitern dann oft die Sympathie des Publikums, das sie vorher durch ihre Grausamkeit oder Arglist gegen sich eingenommen hatten, erlangen, wie z.B. Tamburlaine, der mordend, raubend und brennend durch die Welt zieht, gefangene Fürsten in Käfigen hinter sich herziehend, dann aber, als Zenocrate, seine über alles geliebte Frau stirbt, den Kräften der Natur selbst den Krieg erklärt, oder aber wie König Edward, der gegen alle Vorhaltungen seines Hofes und der Mächtigen im Staate an seinem prunkliebenden, kapriziösen Günstling (und homosexuellen Partner) Gaveston festhält (»Oh, give me but a nook and corner of my realm, to frolic with my Gaveston!« - O gebt mir doch nur einen Winkel, ein Eckchen meines Reiches, um dort mit meinem Gaveston zu tändeln!), dann aber, nach der Ermordung Gavestons, gejagt, landlos und in düstere Melancholie verfallen, seinem grausamen Ende durch Afterpfählung entgegengeht. - M.s Helden sind durch ihr Beherrschtsein von einer tragenden Leidenschaft weniger kompliziert, seine Handlungen durch die innere Logik der Entfaltung des Verhängnisses weniger verwoben und verschränkt als diejenigen Shakespeares, der jedoch besonders in seiner Frühzeit eindeutig von M. beeinflußt ist. M.s Gelehrsamkeit und antike Belesenheit (die er Shakespeare voraus hatte) machen seine Dramen zu einem deutlichen Widerhall des kontinentaleuropäischen Humanismus auf der elisabethanischen Bühne, dessen anthropozentrisches Menschenbild hier zu einer kraftvollen, harmonischen Einheit mit dem energiegeladenen Menschentyp des elisabethanischen Zeitalters verschmilzt, wie es der folgende Monolog Tamburlaines, früher Vorbote der großen kontemplativen Monologe Shakespeares, so schön verdeutlicht:
»Nature, that framed us of four elements
Waring within our breasts for regiment,
Doth teach us all to have aspiring minds;
Our Souls, whose faculties can comprehend
The wondrous architecture of the world
And measure every planet's wandring course,
Still climbing after after knowledge infinite,
And always moving as the restless spheres,
Wills us to wear ourselves and never rest
Until we reach the ripest fruit of all,
That perfect bliss and sole felicity
The sweet fruition of an earthly crown«.
(Die Natur, die uns aus vier Elementen schuf,
Die nun in unsrer Brust um Herrschaft ringen
Lehrt uns strebsamen Gemüts zu sein;
Unsere Geisteskräfte, deren Fähigkeiten mächtig sind
Der Welt wunderbaren Bau ganz zu begreifen
und aller Wandelsterne Pfade zu ermessen,
Immer weiter noch, nach unbegrenztem Wissen strebend,
Stets beweglich wie die ruhelosen Sphären,
Sie zwingen uns, uns ohn Unterlaß selbst zu verzehren
Bis wir die allerreifste Frucht erlange
Die höchste Seligkeit, das einz'ge Glück
Die süße Wonne einer Herrscherkron' auf Erden.)