Bernd Imgrund: Quinn Kuul

  • Hinweis: Dieses Buch ist bei Haffmanns/zweitausendeins erschienen und nur über zweitausendeins zu beziehen.


    Die Achtziger: Anti-Reagan-Demos, Pershing-Nachrüstung, WGs, Popper, Hausbesetzer, Bombastrock, Punk und fade Schlager wie "Ein bisschen Frieden". Und zwischen all dem: Quinn Kuul, gerade volljährig geworden, Absacker in einem Kölner Rußwerk, kein Freund großer Worte, eigentlich Abiturient, der sich aber sauwohl dabei fühlt, Ruß in Säcke abzufüllen und vor der Wohnung von Fräulein Sylvie, der Stüsgen-Kassiererin, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen. Wenn er nicht gerade im "Pipapo" sitzt, mit Karlderkellner parliert oder dem seltsamen Andreas zuhört.
    Dann tritt Kruddewich auf den Plan. Der zauselige Späthippie mit den überraschend schnellen Reaktionen engagiert Kuul für etwas, das man als "Spionagedienste" bezeichnen könnte. Quinn soll Leute beobachten, schließlich als V-Mann Mitglied einer Gruppe werden, die sich "Die Flaker" nennt und in Wickie-Kostümen tagt. Und dann spielen auch noch ein getöteter FDP-Politiker, ein Schlagersänger namens "Der schreckliche Sven" und viele andere Figuren ihre Rollen. Manchmal ziemlich obskure, vorsichtig ausgedrückt.
    Der sechshundert Seiten starke "Schelmenroman" hat zwei Hauptfiguren, nämlich einerseits Quinn Kuul und andererseits Bernd Imgrund, den Autor. Die vielen - oft sehr amüsanten und fein beobachteten, manchmal aber auch etwas langweiligen - inneren Monologe kommentieren Geschehen und Zeitgeschichte, widmen sich der Musik, der Politik, sozialen Aspekten und vielem mehr. Nicht alles davon nimmt man dem Protagonisten ab, weil der Autor in den Vordergrund drängt, und umgekehrt verliert sich die anfangs überzeugende Hauptfigur mehr und mehr im Dickicht, das längst nicht nur aus diesen Kommentaren besteht. Die Handlung, die etwa ab der Mitte kaum mehr nachzuvollziehen ist, schlägt Purzelbäume, generiert einen wachsenden Erkenntnisnotstand, wird schließlich zur Nebensache, gar zum Ärgernis. Als Schatzkarten, Wiedervereinigungsphantasien, konspirative Treffen und inszenierte Scheintötungen die Geschichte bestimmen, wird aus der zunächst bemerkenswerten Milieu- und Figurenstudie ein gnadenloses Kuddelmuddel, das vielleicht noch der Autor verstanden hat. Möglich, dass Kenntnisse über die Geschichte des Namenspaten Quirinus Kuhlmann geholfen hätten, aber wer zur Hölle will sich schon vor der Lektüre eines Gegenwartsromans mit der Lebensgeschichte eines Mystikers aus dem siebzehnten Jahrhundert herumschlagen?
    Schade ist das vor allem deshalb, weil Imgrund nicht selten zeigt, wozu er fähig wäre und ist. Vieles ist irre komisch, manches fast schon brillant, die meisten Figuren sind sehr liebevoll und detailreich gezeichnet, Zeit- und Lokalkolorit werden fast greifbar. Hätte er sich nur nicht dafür entschieden, so eine hanebüchene Verschwörungsgeschichte zu erzählen. Der gute Ansatz versinkt im Chaos, in das der Rest leider mitgerissen wird. Empfehlung: Nur die ersten 300 Seiten lesen.