Die sonderbare Karriere der Frau Choi
Birgit Vanderbeke, 2007
Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe
S. Fischer, ISBN: 978-3100870865
M** so klärt das Buch schon zu Beginn auf, ist eines jener Kaffs in Südfrankreich, das man höchstens im Sommer kennt, irgendwo im Nirgendwo. Und so ist das Auftauchen von Frau Choi, der Koreanerin, samt ihrem jugendlichen Sohn Piet de Bakker eine kleine Sensation, denn nach M** kommt man nicht einfach so.
Noch seltsamer scheint es aber, dass sie in diesem kleinen Dörfchen ein koreanisches Restaurant gründen möchte, das Bapguagup. Sie wird ein wenig belächelt ob dieser abstrusen Idee - wer braucht schon so ein Restaurant in der französischen Provinz?
Doch der Erfolg stellt sich ein, sie expandiert, sie bringt Tourismus in das verschlafene Nest, Frau Choi ist eine beharrliche Frau, die weiß, was sie will.
Nur komisch, dass der unfreundliche Bürgermeister so plötzlich verstirbt, oder dass die Forensikerin Ariane Tournel einen Schöngelben Klumpfuß im Kalbi-Chim des aufdringlichen Dufetel entdeckt haben will.
Frau Choi setzt sich durch - mit Kalbi-Chim, Kimchi und anderen koreanischen Köstlichkeiten, mit ihrer Stärke, ihrer Hilfsbereitschaft, ihrem Garten, in dem alles steht, was jemand aus Gwangju braucht, und den koreanisch anmutenden Bauten inspiriert durch den Architekten Itami Jun.
So ganz weiß man aber nie, inwiefern man mit ihr sympathisieren soll, denn andeutungsvoll schweben die ungeklärten Todesfälle im Raum. Auf dem Klappentext wird von einer "raffinierte[n] Kriminalgeschichte" gesprochen", das trifft aber den Kern nicht, es ist keine Kriminalgeschichte, es ist eine kleine, feine Erzählung, in der Tote eine Rolle spielen.
Das Buch ist außerordentlich kurz, 124 Seiten fasst es nur, dennoch ist es gefüllt mit einer ganzen Geschichte. Ich hatte nie das Gefühl, dass etwas mehr Raum gebraucht hätte und war erstaunt, als ich nach Beenden noch einmal zurückgeblättert habe. Frau Vanderbeke gelingt es viele Themen leichtfüßig einzubinden, die Ankunft des Internets, die Probleme der Globalisierung, der Konjunkturabschwung auf dem Lande, der Tourismus - wenn auch immer nur so nebenbei, dass es nie überhand nimmt, sondern immer nur ganz am Rande steht.
Sie schafft es mit wenigen Worten, das Dorf und Frau Choi zum Leben zu erwecken. Ich konnte mir die Bewohner und Gegebenheiten, obwohl sie teilweise nur kurz beschrieben werden, sofort vorstellen und ein wenig meinte ich dem Text sogar anmerken zu können, dass die Autorin (*1956 Dahme) nun selbst in Südfrankreich lebt.
Sie spielt mit der Erzählstimme, die den Leser direkt anspricht, ihn vorwarnt oder mit den häufiger auftretenden Wiederholungen ein klein wenig spöttisch dem Leser vorhält, dass es ja so kommen musste. Ein wenig einlesen musste ich mich in diese Erzählweise, sie ist ein wenig ungewohnt, doch schon bald fühlte ich mich wohl, der Schreibstil hat etwas ganz Eigenes.
Ich fühlte mich ein wenig wie jemand, der den Gruselgeschichten von Werwölfen und Weißen Frauen lauscht, an die in M** natürlich niemand mehr glaubt - allerdings hier einer wesentlich weniger eindeutigen Erzählung auf hohem sprachlichen Niveau, die eher ein verstecktes Unwohlsein heraufbeschwört, weil sie viel in der Schwebe lässt.
Aufgrund der geringen Seitenzahl hatte ich zwar nur ein kurzes Vergnügen mit Frau Choi, allerdings ein sehr schönes. "Das Muschelessen" von Frau Vanderbeke steht schon lange auf meiner Wunschliste, jetzt werde ich es mir sicher bald zu Gemüte führen.
Fazit
Ein leider nur sehr kurzes, aber sehr eindrucksvolles Buch über eine ungewöhnliche Karriere, die in M** in Südfrankreich ihren Anfang nahm. Mein erstes Buch von Frau Vanderbeke, aber sicher nicht das letzte.
9/10 Punkten
bartimaeus
Edits: Rechtschreibfehler, Ergänzungen